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The Breadwinners: Dubs Unlimited

The Breadwinners

Wir sind versessen auf Neues. Nirgendwo sonst wird Innovation so hoch geschätzt wie bei uns, im westlichen Babylon-System (und die Jamaikaner machen da bekanntlich keine Ausnahme). Anders als z. B. in Japan, wo es als hohe Kunst gilt, ein Handwerk perfekt zu beherrschen und jene gepriesen werden, die beispielsweise ein Samurai-Schwert in absoluter Perfektion schmieden oder ein klassisches Gericht in höchster Vollendung zubereiten können, spielt handwerkliche Qualität bei uns eine ganz und gar untergeordnete Rolle. Als wahrer Künstler gilt nur, wer etwas (wenn auch nur vermeintlich) Innovatives leistet – unabhängig von seiner handwerklichen Fähigkeit. Hauptsache die Idee ist neu. Diese Haltung führt dazu, dass manch Schönes gering geachtet wird. Sie führt andererseits aber auch dazu, dass wir nicht beim bereits Erreichten verharren, sondern uns auf der Suche nach Neuem vom Fleck bewegen und spannende Möglichkeiten entdecken. Aber der Drang nach Innovation und die Freude an Bewährtem müssen sich ja nicht ausschließen. Mich kann beides begeistern: Das Album eines Experimentierers, der die Grenzen des Genres sprengt – auch auf Kosten der Schönheit. Aber auch: Das Werk eines Traditionalisten (oder besser: Postmodernisten), der in seiner Musik versucht, dem Ideal des Sounds einer ganz bestimmten Epoche möglichst nahe zu kommen. Prince Fatty habe ich dank seiner meisterhaften Beherrschung dieser Kunst hier schon des öfteren gefeiert. Nun bekommt er Gesellschaft von einem Landsmann, der zwar (noch) nicht so produktiv ist wie Fatty, dafür aber genau so gut: Alan Redfern aka The Breadwinners. Der Künstlername lässt eine ganze Band vermuten – und genau das ist Redfern auch. Eine One-Man-Band, denn er spielt nicht nur Schlagzeug, Bass, Keyboards, Gitarre, Perkussion und Harfe (!), sondern komponiert auch seine Musik, nimmt sie auf und mixt sie außerdem noch zu grandiosen Dubs. In den letzten fünf Jahren hat der 34-jährige hunderte Tracks aufgenommen. 15 davon sind nun auf seinem Debut-Album zu hören: „Dubs Unlimited“ (King Spinna Records) – und diese 15 Tracks sind der perfekte Sound, um auch das neue Jahr 2013 mit dem Vibe der 1970er zu infizieren. Denn was Mr. Breadwinners hier mit seinen 15 kurzen und bescheidenen Tracks veranstaltet, ist nichts weniger als eine veritable Renaissance von Lee Perrys Black Ark-Sound sowie die Reinkarnation der late 70ies Roots Radics. Warum man sich das anhören sollte, obwohl der Schrank voll steht mit originalen Perry-Aufnahmen und unzähligen Roots-Radics-Alben? Aus dem gleichen Grund, weshalb man sich einen Tarrantino-Film anschaut: Es macht einfach Spaß, den postmodernen Zitaten nachzuspüren, den „alten“ Sound in einer von Kevin Metcalfe perfekt gemasterten Qualität zu genießen und zudem noch ausgesprochen schönen Kompositionen und Arrangements zu lauschen.
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4 Antworten auf „The Breadwinners: Dubs Unlimited“

Greetings René,

zu „The Breadwinners: Dubs Unlimited“ muss ich über 6 Jahre danach nix mehr sagen. Mittlerweile sollte Al Breadwinner für jeden hier im Blog kein Nobody mehr sein.

Worauf ich unbedingt hinweisen möchte, sind zwei hochkarätige Alben, die bisher in deinem Blog keine Erwähnung fanden. Beides sind keine reinen Dubalben, jedoch sind immerhin Dubs von Al Breadwinner darauf zu finden.

“Sounds Almighty” (2018) ist eine Zusammenarbeit mit dem in Manchester ansässigen Dub-Produzenten Al Breadwinner, der das Album gemeinsam mit dem Jazzer Nat Birchall eingespielt und produziert hat. Stargast bei den Sessions war der erfahrene jamaikanische Posaunist Vin Gordon alias Don D. Jr.
Dass Vin Gordon für “Sounds Almighty” von Breadwinner und Birchall in die Band geholt wurde, ist sowohl als genialer Coup zu bewerten als auch ein Indiz für die Wertschätzung, die man Vin Gordons Posaunenspiel immer noch entgegenbringt.

Der britische Saxophonist Nat Birchall feiert 2019 als Bandleader sein zwanzigjähriges Bestehen. Sein Spezialgebiet ist eigentlich spiritueller Jazz im Stile von John Coltrane. Seit 1999 veröffentlicht er circa alle zwei Jahre ein Album. Das jüngste war das herausragende „Cosmic Language“ (Jazzman, 2018).

Bevor Nat Birchall Jazzmusiker wurde, war Reggae und ist es auch heute noch seine große Leidenschaft. Er wuchs in den 1970ern auf, Reggae’s Belle Epoque, als der Stil den Ton angab, der als „Conscious Reggae“ bekannt wurde. Birchall unternahm wöchentliche Einkaufstouren von seiner ländlichen Heimat Lancashire im Norden Englands in das nahe gelegene Liverpool, um die neuesten Jamaika Importe in den Fachgeschäften der Stadt zu kaufen. In einem Interview sagte Nat Birchall:“Ich habe mein ganzes Geld für diese Platten ausgegeben und die Leute in meinem Dorf sagten: „Was zum Teufel ist das? Du bist aber schräg drauf!“ Viele der von Birchall gekauften Scheiben hatten Vin Gordon in der Line-up. Der Posaunist schloss sich bereits 1964 den allgegenwärtigen Skatalites an und spielte buchstäblich Hunderte von Sessions während der Ska-, Rocksteady- und Reggae-Ära. Coxsone Dodd’s Studio One war Vin Gordon’s zweites Zuhause.

Prägend für Birchall war auch Count Ossie, der Mann, der den typischen Burro- oder Nyahbinghi-Percussionstil entwickelte, den Rastas bei ihren tagelangen Grounations spielen. Leute wie Tommy McCook, Cedric „IM“ Brooks, Roland Alphonso (sax) und Rico Rodriguez (trb) gingen regelmäßig zu diesen Sessions und spielten ihre Instrumente zu den Nyahbinghi-Drums. Rico (Man From Wareika) lebte sogar einige Zeit in Count Ossie’s Camp. Ein wichtiges und exemplarisches Beispiel dieser fabelhaften Grounations in Rockfort nahe Wareika Hill im Osten Kingstons, ist die in nur drei Tagen eingespielte „Count Ossie & The Mystic Revelation Of Rastafari – Grounation“ (Ashanti, 1973) Diese dreifach LP ist ein Eckpfeiler sowohl in Birchall’s Plattensammlung als auch seiner Musikwelt. Bei vielen dieser Tracks ist Cedric „IM“ Brooks am Tenorsaxophon zu hören. Auf dem Meilenstein „Grounation“, der in keiner seriösen Sammlung fehlen sollte, ist der Jazz-Einfluss offenkundig und sprudelt – außer bei den Narrations – aus jeder Rille. Es gibt sogar eine Version des Charles Lloyd-Stückes, „Passin ‚Through“.
Die führenden Saxophonisten dieser Ära, Cedric „IM“ Brooks, Tommy McCook, Roland Alphonso weckten Nat Birchall’s Interesse für dieses Instrument und beeinflussten ihn stark in seinem Entschluss Saxophon zu spielen.

Im Jahr 2018 gründete dann Nat Birchall zusammen mit dem Dub-Produzenten Al Breadwinner „Tradition Disc“. Das Label veröffentlichte das Album „Sounds Almighty“, das auch „Nat Birchall meets Al Breadwinner feat. Vin Gordon“ betitelt wurde.
Nat Birchall schrieb auf der Rückseite von „Sounds Almighty“, dass das Album „den großen jamaikanischen Künstlern gewidmet ist, die diese Musik ge-/erschaffen haben“ – Musiker wie z.B. Vin Gordon. Das zeigt welche Hochachtung Birchall dieser Musik entgegenbringt, was auch in jedem Ton zu hören und spüren ist. „Sounds Almighty“ mache ihn sehr stolz! Das Album wurde selbst von (Jazz)Kritikern mit großer Begeisterung aufgenommen und gefeiert.
Diese Anerkennung wird nun dem Reggae-Veteranen Vin Gordon von Nat Birchall & Al Breadwinner erneut zuteil, denn die beiden haben gemeinsam Vin Gordon’s neues Album “African Shores” produziert, welches am 26.07. 2019 veröffentlicht wurde. Die selbe Band wie bei „Sounds Almighty“ (minus dem Gasttrompeter KT Lowry) spielte jetzt in weniger als 24 Stunden „Vin Gordon – African Shores“ ein.
Es handelt sich dabei, um ein sehr relaxtes Instrumental-Album mit Jamaican Jazz Einflüssen, reichlich Nyahbinghi Percussions und Dub Versions. Ein sehr schönes, qualitativ wertiges Album, das all denen gefallen wird, die bereits “Soul Almighty” zu schätzen wissen/wussten.
Das Album wurde wieder mit Tape und analogem Equipment eingespielt, so wie wir das schon einige Jahre von Al Breadwinner gewohnt sind. Ein klassisches, zeitloses, klasse Album eben. Vin Gordon’s „African Shores“ wird meines Erachtens eine ähnliche Begeisterung hervorrufen wie „Sounds Almighty“. Rootsige Riddims, schöne Horn-Sections, schwere Bass-Lines und Drums, eine milde schon beinahe sanftmütige, magische Stimmung und klassische Dub-Versions. Man kann förmlich die Sonne spüren, das Sensi riechen oder den Rum schmecken, je nach persönlichen Freizeitvorlieben. Auf jedem Fall macht die Musik richtig Laune und ist soooo geil, „dass sie selbst einer Steinkopfstatue auf den Osterinseln ein Lächeln auf das Gesicht zaubern würde“.
Je mehr ich darüber schreibe, desto bewusster wird mir, dass sowohl „Sounds Almighty“ als auch „African Shores“ eine Rückbesinnung auf die wahren/echten Roots von Ska, Rocksteady, Reggae und Dub sind! Was will Mensch mehr???

Wow, so viel geballtes Wissen und Hintergrundinformationen sollte ich in jedem Fall respektieren. Respekt Ras Vorbei !
Ich finde die Infos auch sehr interressant und möchte dazu auch gar nichts negatives schreiben. Aber der kleine innere Schweinehund in mir, kann es sich nicht verkneifen, diese Breadwinners – Scheibe hier nochmal in Grund und Boden zu stampfen. Ich hatte es schon bei dem „Flying-Cimbals Thema“ erwähnt, das mich diese Scheibe in den Wahnsinn treibt. Sie gefällt mir nämlich eigentlich auch richtig gut aber nach mehrmaligem Hören, sind mir die sogenannten „Flying Cimbals“ dermaßen auf den Wecker gegangen, das ich diese Scheibe im Grunde auch wegschmeißen könnte. Bei mir wird sie jedenfalls nur noch als abschreckendes Beispiel für die flying cimbals, maximal mal kurz angespielt.

Nix für ungut aber diese Scheibe kann ich nicht ab ……………. lemmi

Greetings Lemmi,

schön, wieder von dir zu lesen…

Nein, da bin ich völlig anderer Meinung, wahrscheinlich auch deshalb, weil bereits die ersten Aggrovators Platten diesen typischen Sound hatten und es eben Der klassische Startpunkt des Dubs ist. Nat Birchall und auch ich sind genau von diesem Sound „infiziert“ worden. Das Zischeln der Becken wie in einer Schlangengrube gehört zum Reggae/Dub wie Hopfen zum Bier und Ganja zum Chalice. Selbst der von mir sehr verehrte Carly Barrett (RIP) kam nicht ohne diese Trademark aus.
„Sounds Almighty“ hat sehr weite Kreise gezogen, nicht nur unter den Liebhabern des Reggae’s, was auch ein Beweis für die hohe Qualität des Albums ist.

Egal, wie sagt bereits der Volksmund: „alles Geschmackssache sagte der Affe, als er in die Seife biss.“ ;-))

Stay tuned

„alles Geschmackssache sagte der Affe, als er in die Seife biss.“ ;-))

Hehe, der iss gut !!! Kannte ich noch gar nicht. Aber ich habe schon den einen oder anderen Orang Utan inna TierDoku gesehen, der genau dieser Meinung war. Ich hatte da auch den Eindruck, er fand die Seife köstlich ! Die Sache mit dem unterschiedlichen Geschmack ist schon manchmal eigenartig.

Stand strong ………….. lemmi

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