Kategorien
Dub (R)evolution Review

Dub Evolution, Juli 2008

Und wieder veröffentlicht das nimmermüde Hamburger Dub-Label Echo Beach ein neues Dub-Album aus deutschen Landen: Sam Ragga Band, „In Dub“ (Echo Beach/Indigo). Wer die Sam Ragga Band nur für die Backing-Band von Jan Delay hält, der kennt nur die halbe Arbeit. Seit Jan Eißfeld sich vom Reggae ab und dem Funk zuwandte, agiert die Sam Ragga Band nämlich auf eigene Kosten und hat in der Zwischenzeit drei (!) eigene Alben aufgenommen. „In Dub“ ist nun die Dub-Synthese aus diesen drei Werken, gemixt, remixed und gedubbt von drei Freunden der Band: QP Laboraties, Pensi und Martin Rothert. Als Mr. Delays Backing Band konnte mich Sam Ragga nicht wirklich überzeugen. Irgendwie stimmte das Timing nicht, die Rhythms waren nicht tight und die Basslines hatten keinen Groove. Die folgenden Sam-Ragga-Alben hatte ich mir deshalb gar nicht mehr angehört. Vielleicht ein Fehler, wie ich jetzt denke, denn die Dubs, die auf vorliegendem Album zu hören sind, klingen gar nicht so schlecht. Vor allem jene, die von dem letzten Album „Situations“ stammen wie z. B. „Why Dub“ – ein schöner deeper Dub-Tune mit einer satt gespielten Bassline, minimalen Effekten und sehr puristischem Mix. Dubs, die auf das erste Album „Loktown Hi-Life“ zurück gehen, leiden hingegen unter den wenig druckvoll eingespielten Tracks und der fehlenden Spannung in den tendenziell etwas poppigeren Arrangements. Aus dem zweiten Sam Ragga-Album „The Sound Of Sam Ragga“ stammt nur der Track „Schade Dub“. Dieser ist jedoch so poppig arrangiert, dass der Verdacht nahe liegt, dass die Remixer auf dem wohl allzu poppigen Album nicht sehr fündig geworden sind. Egal! Trotz kleinerer Ausrutscher ist „Sam Ragga In Dub“ ein gutes Album, nicht gerade Avantgarde, aber solide Dub-Kost aus Hamburg. Ahoi.

Hören wir in ein zweites Album vom Echo Beach: „Dubstars – From Dub To Disco & From Disco To Dub“ (Echo Beach/Indigo). Wer hier einen klassischen Dub-Sampler erwartet wird spätestens beim Track-Listing staunen. Statt Tubby, Perry, Mad Prof & Co. findet er hier Namen wie: Terence Trent D‘Arby, Simply Red, Stereo MC‘s, Brian Eno & David Byrne, New Order oder Cabaret Voltaire. Was uns diese Compilation bietet, ist ziemlich außergewöhnlich, nämlich Dub-Mixes von Disco-Stücken aus den 1980er und 1990er Jahren, die aber fast alle in der Zeit ihrer Originalaufnahme entstanden sind. Für mich lüftet sich mit dieser CD ein bisher unergründliches Geheimnis: Wieso liefen früher in der Disco die Madonna- und Grace Jones-, Gloria Estefan- (etc.) Hits nicht in der aus dem Radio bekannten Fassung? Ganz einfach: Weil die Disco-Produzenten sie auf den Rhythmus reduzierten – und damit tanzbarere und zudem leichter zu mixende Dub-Versions gebastelt hatten. Solche Disco-Versions sind auf „Dubstars“ versammelt – allerdings keine obskuren Schnippel-Arbeiten damaliger Disco-Produzenten, sondern die Werke (seinerzeit) ernst zu nehmender Remixer wie Chris Blackwell, Adrian Sheerwod oder Dennis Bovell (neben anderen, dem Reggae-Connoisseur unbekannte Mischpult-Virtuosen). Mit Reggae-Dub hat das Ganze natürlich wenig zu tun und ein Stück von z. B. Terence Trent D‘Arby durchzustehen kostet schon etwas Selbstbeherrschung. Ausgeglichen wird dies von richtig spannenden Entdeckungen wie etwa dem Chris Blackwell-Remix des Grace Jones-Stückes „She‘s Lost Control“ oder Will Powers „Adventures In Success“ von 1983, das so klingt, als sei es soeben dem Sequenzer eines angesagten Dancehall-Produzenten entsprungen. Weil das musikalische Phänomen fast interessanter ist als die Musik, bietet die CD ausführliche und sehr amüsante Liner Notes.

Es ist längst überfällig, dass ich in dieser Kolumne auf „Lead With The Bass 3“ (Universal Egg/Cargo) zu sprechen komme. Immerhin wurde dieser Sampler in Jamaika zum Dub-Album des letzten Jahres gekürt (und ist außerdem bereits im April erschienen). Wie schon bei den beiden Vorgängern, hat Label-Chef Neil Perch hier eine Bestandsaufnahme des UK-Dub zusammen gestellt und Tunes von u. a. Vibronics, Dubdadda, Abassi All Stars, Ital Horns, Dub Terror oder Zion Train zusammen gestellt. Jeder Track ist als Originalaufnahme und als Remix (Dubplate-Version oder Dub) ein zweites Mal vorhanden. So macht man aus 8 Stücken ein ganzes Album! Obwohl soundtechnisch miserabel produziert, sind bereits die beiden ersten Tracks der Vibronics ein Knaller. Was für eine Bassline! Dazu die kräftig synkopierenden Percussions und schon ist da einer der stärksten Rhythms, die der UK-Dub in letzter Zeit zu bieten hatte. Interessant wird es noch mal bei Track 11 von Prince David, der hier eine hübsche Melodie zum Besten gibt (die mich irgendwie an Lieder der Globalisierungsgegner erinnert). Das Niveau dieser Tracks kann der Sampler leider nicht halten. Die restlichen Stücke sind nicht schlecht, aber auch in keiner Weise herausragend oder gar wegweisend. UK-Dub, wie man ihn kennt und wie er zunehmend mehr das Interesse seiner Hörer verliert.

Sehr viel interessanter ist das neue Album von Casualty: „Version 5.2“ (Hammerbass/Import). Es ist das zweite Album der französischen Sound-Tüftlers und es lässt die engen Grenzen des UK-Dub weit hinter sich. Als hätte ein frischer Wind durch die Beats geblasen, vermeidet das Album (fast) alle Klischees des Dub und überzeugt mit neuen, spannenden Ideen. So gibt es fast jazzig anmutende Tunes mit schönen Saxophonklängen, die mal neben schnellen Dub-House-Tracks und ein anderes mal neben fast spirituell-arabisch anmutenden Dub-Grooves stehen. In zwei Fällen wird sogar der Sprung zu Drum & Bass und Techno gewagt. Kein Wunder, dass Dub in Frankreich floriert, während er in England zusehends Anhänger verliert.

In England extrem angesagt ist hingegen Dubstep. Obwohl die formale Nähe zum klassischen Reggae-Dub nicht allzu ausgeprägt ist, so wäre Dubstep ohne Reggae und Dub nicht denkbar. Die DNA des Dub zeigt sich natürlich im kompromisslosen Fokus auf die Bassline. Außerdem ist Dubstep, ebenso wie Reggae-Dub, auf Sound Systems angewiesen und Dubplates gehören unabdingbar zum Business. Damit hören die Ähnlichkeiten aber auch schon auf. Onedrop, Echos und Mixpult-Zaubereien sucht man im Dubstep vergebens. Angeblich aus Garage entstanden, klingt Dubstep in meinen Ohren viel mehr nach nach einem Derivat aus Jungle und Drum & Bass – allerdings ohne die halsbrecherisch schnellen Drum-Loops. Elektronisch knarrende (übrigens wie bei Scientist!), subsonische Basslines, ebenso coole wie kalte elektronische Beats: präzise, rational, hart und scharf. Im Kontrast dazu das Meer aus Bass. Wer diesen, mittlerweile weitgehend definierten, Sound näher kennen lernen möchte, dem sei die Doppel-CD „Steppas‘ Delight“ (Souljazz/Indigo) ans Herz gelegt. Die Souljazz-Compilatoren zeichnen hier in umfangreichen Linernotes die (kurze) Geschichte des Dubstep nach und versammeln alle wichtigen Protagonisten mit insgesamt 19 Tunes.

Zurück zum klassischen One-Drop. Paul Fox hat auf Basis von Michael Roses „Great Expectations“ ein ziemlich schönes Dub-Album gemixt: „Michael Rose & Shades Of Black: Dub Expectations“ (Nocturne/Rough Trade). Es ist nicht gerade eine Ausgeburt an Innovationsdrang und Avantgardistentum. Im Gegenteil: Es ist einfach ein gutes, traditionelles Dub-Album, das man einfach so, ohne jede Ambition und Forscherdrang, genießen kann. Die Rhythms sind kraftvoll und satt, die Mixes auf Tubby-Niveau und Michael Roses Vocals ein schön auflockerndes Element. Zum Glück verzichtet Fox auf die typischen UK-Dub-Sound-Klischees und mixt einen sauberen, neutralen Sound voller Dynamik. Irritierend ist nur, dass fast alle Tunes nicht ausklingen, sondern mitten im Takt abgeschnitten sind. In Anbetracht der sorgfältigen Produktion erstaunt dieser Lapsus schon – es sei denn, Fox hält den „Band-zu-Ende“-Effekt für Stil.

Der Berliner DJ Daniel W. Best betreibt eine florierende Booking-Agentur und leistet sich nebenbei ein kleines Label mit dem Namen „Best Seven“, das er der Musik „irgendwo zwischen Reggae, Soul und Dub“ widmet. Die auf Best Seven erscheinenden Stücke erblicken in der Regel als Vinyl-Singles das Licht der Welt, was der Labelchef zum Anlass nimmt, sie von Zeit zu Zeit gebündelt auf CD zu veröffentlichen. Mit „Best Seven Selections 3“ (Best Seven/Sonar Kollektiv/Rough Trade) geschieht dies nun zum dritten Mal. Abgesehen von den Black Seeds und Tosca waren mir die Namen der hier vertretenen Artists (Sisters, Kabuki, Cat Rat, Ladi 6, Jah Seal u.a.) absolut unbekannt. Dem entsprechend erwartete ich nicht viel. Doch welch‘ Überraschung beim Anspielen der ersten Tracks! Die hier versammelten Stücke sind wunderschön. Wunderbar sanfter, relaxter Reggae mit eingängigen Melodien und richtig gutem Gesang. Manchmal klingt es ein wenig nach Lovers Rock, dann wieder nach Fat Freddies Drop. Obwohl alle Stücke mit Vocals sind, passt die Platte irgendwie doch in diese Dub-Kolumne. Vielleicht liegt es an dem warmen, entspannten Sound, an den verhaltenen Dub-Effekten mancher Stücke – oder es liegt einfach daran, dass mir diese Compilation ausnehmend gut gefällt.

Letztens fiel mir ein eigenwilliges Album in die Hände: Tuff Lion, „Ten Strings“ (I Grade/Import). Zu hören gibt es darauf instrumentellen Reggae mit der Gitarre als Lead-Instrument. Logisch, dass so eine Platte aus Amerika kommen muss. Label-Chef und -Produzent Tippy I trug für das Album 14 Rhythm-Tracks aus dem I Grade-Back-Katalog sowie 4 neue Rhythms zusammen und ließ den Gitarristen Tuff Lion darüber improvisieren. Statt kreischender Rock-Soli spielt der Löwe sanfte, jazzige Klänge, die nicht selten an Ernest Ranglin erinnern. Sehr entspannt das Ganze – und auf Dauer leider auch etwas langweilig. Als Hintergrundbeschallung beim Lesen oder Arbeiten aber perfekt!

Kommen wir zur Revival-Selection. Roots Radics Meets King Tubbys, „More Dangerous Dub“ (Greensleeves/Rough Trade) heißt das nun erschienene Nachfolge-Album zu dem ursprünglich 1981 erschienenen und 1996 wiederveröffentlichtem Album „Dangerous Dub“. Bei dem Namen „Roots Radics“ dürfte eigentlich ziemlich klar sein, welcher Sound den Hörer hier erwartet: Ultra langsame, mit viel „Luft“ gemischte Rhythms, in deren Mittelpunkt stets eine schön melodiöse Bassline steht. Als Mixing-Engineers waren hier Jah Screw (der auch produziert hat), Soldgie sowie King Tubby tätig (letzterer hat wahrscheinlich nur „Regie“ geführt). Wie bei „Dangerous Dub“ so stammen auch die Aufnahmen auf „More Dangerous Dub“ aus dem Jahr 1981 und natürlich gibt es viele Studio-One-Interpretationen zu hören, wie z. B. „African Beat“, ein fantastischer Dub, mit dem das Album auch beginnt. Angeblich wurde keine der hier versammelten Aufnahmen je veröffentlicht – was bei der Qualität des Material schwer fällt zu glauben.

Nicht unveröffentlichte, jedoch „rare“ Dubs gibt es auf „Scientist At The Controls Of Dub – Rare Dubs 1979-1980“ (Jamaican Recordings/Import) zu hören. Produziert hat sie Ossie Thomas und aufgenommen wurden sie im Tuff Gong und Channel 1 Studio, gemixt bei Tubby‘s. Verglichen mit den Aufnahmen von „Dangerous Dub“, klingen die Scientist-Tunes rauer, atmosphärischer, weniger clean und sind definitiv ambitionierter gemixt. Auch blitzen hier gelegentlich – vor allem am Anfang jedes Tunes – die original Vocals durch, so dass man immer wieder kleine Melodiefetzen von Dennis Brown, Tony Tuff, Tristan Palmer und anderen hören kann. Ein sehr schönes Album, das locker dazu angetan ist, die Begeisterung für den guten alten Jamaikanischen Dub wieder zu erwecken.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.