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Dub (R)evolution Review

Dub Evolution, Mai 2007

„Comfy Dub“ (Tricornmusic/Mconnexion) – Unweigerlich denkt man hier an Schmusedub und Kuschelsounds, weichgespült und Mainstreamkompatibel. Doch weit gefehlt! Comfy Dub heißt ein neuer Dub-Sampler mit hoch spannenden Tunes, die zum Besten gehören, was das Genre in den letzten Monaten hervorgebracht hat. Der Name ist natürlich Programm, denn hier sind in der Tat eher relaxte, weiche, chillige Tunes versammelt. Warme, lässig rollende Beats, bass- und echogeschwängert und trotz ihrer Entschleunigung voller Drive und Spannung. Also eher etwas zum bewussten Zuhören und Kopfnicken als zum Kuscheln. Das liegt zum einen an gutem Handwerk, zum anderen aber am durchgängigen Reggae-Groove, der alle Tracks wie ein roter Faden durchzieht. Der in Köln lebende und für die Compilation verantwortlich zeichnende DJ, Musikjournalist und Produzent Georg Solar präsentiert uns hier seine ganz persönliche Sammlung dub-infiltrierter Lieblingslieder: 14 Comfy-Dubs aus 12 Ländern, allesamt ziemlich aktuelle Produktionen – gewissermaßen die Speerspitze der internationalen Dub-Progression. Mit von der Partie sind u.a. Waldeck aus Wien, Rubbasol, hinter denen sich der Münsteraner Produzent Fe Wolter (Pre Fade Listenig) verbirgt, Federico Aubele aus Buenos Aires mit einem Tango-inspirierten Dub, Cottonbelly, der Produzent von Sade, die Dubhouse-Minimalisten Salz, Fat Freddy’s Drop aus Neuseeland, Seven Dub im Noiseshaper-Remix, Up Bustle & Out mit einem Track von ihrem neuen Album, Zilverzurf und nicht zuletzt auch George Solar himself. Allesamt zusammengehalten durch die schön dubbig hallverzerrte, sanfte Stimme der Dub-Poetin JEN, die bei diesem Dub-Flight über die verschiedenen Kontinente der Erde als unsere Stewardess fungiert. Solch liebevolle Produktionsdetails wie auch die in sehr persönlichem Ton geschriebenen, informativen Linernotes unterstreichen die Hochwertigkeit der Produktion. Doch: So brillant der Sampler auch ist, seine beste Eigenschaft ist es fraglos, der erste einer (hoffentlich) langen Serie zu sein.

Es gibt Neues aus dem Hause Echo Beach: „Immigration Dub“ (Echo Beach/Groove Attack) von Dubblestandart. Nachdem die Wiener Jungs auf ihrem letzten Album mit Vocals experimentierten, sind sie nun – übrigens auf ihrem 10. Album – wieder zum puren, für sie typischen harten, immer ein wenig nach On-U-Sound und Industrial klingenden Dub zurückgekehrt. Neben den schnellen Beats ist es vor allem die Mischung aus trockenen Drums, E-Gitarre und diversen Sprachsamples, die für die On-U-Ähnlichkeit sorgt. Doch es gibt auch einige gänzlich andere Stücke zu hören, auf denen wohlbekannte Vintage-Riddims erklingen und sich mittels ihres warmen, weichen Flows in die Gehörgänge schmeicheln. Ein paar Vocal-Stücke haben sich dann aber doch noch auf das Album geschmuggelt, wie zum Beispiel Ari Ups „Island Girl“, ein Titel übrigens, der sich auch auf dem Sampler „King Size Dub Vol. 12“ (Echo Beach/Indigo) aus dem gleichen Hause wieder findet. Obwohl bei Vol. 11 Schluss sein sollte, ist nun – on popular demand – die nun aber wirklich letzte Folge erschienen, mit dem „Best of“ der jüngeren Echo Beach-Veröffentlichungen wie zum Beispiel Tunes von Seven Dub, Dub Syndicate, Wet Cookies, Dub Spencer & Trance Hill, um nur einige zu nennen.

Der dritte Echo Beach-Release: „Earthling“ (Colision/Groove Attack) von den Wet Cookies ist schon ziemlich speziell. Ein von Jazz wie Dub gleichermaßen geprägtes Album, wobei der Jazz nicht selten die Sphären lauschig-relaxter Bebop-Lounges verlässt und in die Tiefen diverser Free-Jazz-Keller hinabsteigt, was den an regelmäßige Dub-Beats gewohnten Ohren schon einiges abverlangt. Aber als Dub-Connaisseure stehen wir ja bekanntlich jedem Experiment aufgeschlossen gegenüber und wer länger zuhört wird dann doch ein recht abwechslungsreiches, wenn auch schräges Album kennen lernen, das sich im Laufe der Tracks jedoch zunehmend weiter von Dub entfernt.

Das mittlerweile wohlbekannte New Yorker Dub Trio legt sein neues Live-Album „Cool Out and Coexists“ (Roir/Cargo) vor, von dem das Label behauptet, es sei das „hardest hitting to date“. Dass dies den Tatsachen entspricht, glaubt man sofort, wenn die brachialen, verzerrten Punk-/Hardrock-E-Gitarrenriffs von DP Holmes einen aus dem Sofa schleudern. Aufgenommen bei einem Konzert in Brooklyn, erinnert das Dub Trio zunehmend mehr an die Bad Brains – nur der Gesang fehlt. Ihre minimal besetzte Musik (Bass, Schlagzeug, Gitarre) wird immer rauer, ungemütlicher und härter – eigentlich genau das Richtige, um die von Comfy-Dub verwöhnten Ohren einmal so richtig frei zu blasen und den Kopf in das Hier und Jetzt zurückzuholen. 

Ein weiteres Album aus dem Hause Roir kommt von 10. Ft. Ganja Plant. Es trägt den schlichten Titel „Presents“ (Roir/Cargo) und ist ein Rerelease des Debut-Albums der Combo aus dem Jahr 2000. Hätte jemand „aus dem Jahre 1978“ in das Presseinfo geschrieben, würde man das wahrscheinlich auch glauben, denn der 70er-Jahre Dub-Sound ist 10. Ft. Ganja Plants Spezialität. Daher dürfte auch klar sein, was auf dem Album zu erwarten ist: Handgespielte Rhythms, klassisches Arrangement mit gelegentlichen Bläsern, gelegentlichen Flying Cymbals und ebenso gelegentlichen Vocal-Fragmenten. Nicht aufregend, aber sehr angenehm und relaxed. War also keine schlechte Idee, dieses Album zu reanimieren.

Und da wir thematisch schon in den 70er Jahren sind, kommen wir noch ganz fix zur Revival-Selection. Hier ist vor allem das Album Carlton Patterson & King Tubby, „Black & White In Dub“ (Hot Pot/Cooking Vinyl) zu erwähnen, auf dem 21 Single-B-Seiten zu einem Album vereint sind, die Produzent Patterson in den 70er Jahren hat aufnehmen und von Tubby mixen lassen. Wer auf den trockenen Mid-70ies-Tubby-Dubsound steht, kommt hier auf seine Kosten. Die Produktionen sind minimalistisch, straight und werden nicht selten durch schöne Melodika-Melodien eingeleitet, die sich aber leider nach wenigen Takten im Echo-Nirwana verlieren. Übrig bleibt Drum & Bass at its best – von Tubby virtuos gemanaged. 

Der Großmeister ist auch auf dem Album „King Tubby Meets The Agrovators At Dub Station“ (Trojan/Rough Trade) von Tommy McCook & The Agrovators zu hören. Dabei handelt es sich um den mit einigen Bonustracks aufgestockten Rerelease der 1975 veröffentlichten LP. Als Produzent fungierte Bunny Lee, was den trockenen Offbeats deutlich anzuhören ist – auch wenn der Sound insgesamt etwas fluffiger klingt als der von Patterson. Da wir gerade von Rereleases reden, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass auch Pressure Sounds ein Rerelease ausgepackt hat: Keiths Hudsons Dub-Album „Brand“ (Pressure Sounds/Rough Trade). Wie innovativ dieses Werk für den Dub der 70er Jahre war, lässt sich vor allem im direkten Vergleich mit den beiden zuvor erwähnten, gewöhnlicheren Alben erkennen. Ein guter Grund also, sich „Brand“ noch einmal zu Gemüte zu führen.

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