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Dub (R)evolution Review

Dub Evolution, Mai 2008

Mittlerweile ist Lars Fenin ja ein guter Bekannter in dieser Kolumne. Nach „Sustain“ und „Grounded“ widmen wir uns nun seinem neuen Album „Been Through“ (Shitkatapult/mdm), womit er seinem zur Perfektion getriebenen Mix aus Dub und Techno prinzipiell treu bleibt, aber trotzdem nicht auf der Stelle tritt. Waren seine früheren Beats wärmer, weicher und näher am „Four to the floor“-Muster, so mischen sich nun (Dubstep sei dank) verstärkt gebrochene Strukturen in die Rhythms. Damit vergrößert Fenin seinen Abstand zu Rhythm & Sound auf der einen und The Modernist auf der anderen Seite. Extremer Minimalismus war ja sowieso nie Fenins Sache. Schon immer hat er seine Tracks mit vielen Ideen angereichert und raffinierte Arrangements daraus gewoben. „Been Through“ ist mit der Kategorie „Minimal“ nun überhaupt nicht mehr zu fassen. Fenins Stücke entwickeln sich immer mehr von „Patterns“ hin zu vollwertigen Tunes – in den Fällen, in denen er sich von Vokalisten wie Gorbi unterstützen lässt gar zu waschechten Songs. „A Try“ ist ein solcher Song mit wunderschön melancholischem Gesang und einer eingängigen Melodie. Ebenso „Red Wine“, ein augenzwinkerndes Zitat des UB40-Hits, das natürlich perfekte Songqualitäten besitzt. Doch während die britische Band den Gesang in weichgespülte Beats packte, hat Fenins Version Ecken und Kanten, ist ungleich komplexer und hat zugleich einen fetten Kick, der den Tune uneingeschränkt clubtauglich macht. Verglichen mit den früheren Alben und EPs klingt Fenins Musik nun deutlich härter, fast so, als wolle der Wahlberliner seiner Synthese aus Dub und Techno noch ein paar Sprengsel Dancehall hinzu addieren. Warum eigentlich nicht? Neue Wege sind Fenins Spezialität.

Was für ein Frühling! So viele gute Dub-Releases auf einem Haufen gab es selten. Offensichtlich drängt das in dunklen, verregneten Wintertagen hinter dicken Studiotüren zusammengetüftelte Material nun an die Öffentlichkeit. Wie z. B. das grandiose neue Album vom Echo-Beach: „Police In Dub“ (Echo Beach/Indigo). Vorne im Heft steht ein ausführlicher Artikel zum Thema. Hier sei nur nochmal eine ausdrückliche Kaufempfehlung ausgesprochen. Das Album gehört zum Besten, was je in Deutschland unter dem Label „Dub“ produziert wurde und spielt auch im internationalen Vergleich in der ersten Liga. Produzent Guido Craveiro und die Band Okada haben unglaublich durchdachte und bis ins letzte Detail durchgestaltete Tracks aufgenommen. Die Rhythms grooven, das Timing ist perfekt. Der Sound ist meilenweit von durchgenudelten Dub-Klischees entfernt und trotzdem voller Wärme und Tiefe. Immer, wenn man meint, besser könne es nicht werden, dann tauchen diese grandiosen, eingängigen Police-Melodien aus dem Meer von Bass auf, vollführen einige elegante Pirouetten, um dann wieder in den Tiefen von Drum & Bass zu versinken. Man könnte ins Schwärmen geraten!

Die nächste große Überraschung ist ein Dub-Album aus Jamaika! Wer hätte gedacht, dass die Insel 20 Jahre nach dem Tod King Tubbys noch einmal ein Dub-Album hervorbringen würde? Der Vater dieses Projektes ist Clive Hunt, ein ebenso umtriebiger wie vielseitiger Produzent der bereits in den 1970er Jahren Künstler wie die Abyssinians, Dennis Brown oder Max Romeo produzierte. In den letzten Jahren hatte er sich auch viel in Frankreich getummelt (z. B. produzierte er Pierpoljak oder Khaled). Vielleicht deshalb ist sein Dub-Album „Clive Hunt & The Dub Dancers“ (Makasound/Rough Trade) auch auf dem französischen Label Makasound erschienen. Namhafte Musiker wie Sly Dunbar, Leroy Wallace, Earl Chinna Smith oder Sticky Thompson arbeiteten an dem gelungenen, überraschenden Album mit. Denn auch wenn man Clive Hunt als innovationsfreudigen (und zugleich sehr bescheidenen) Producer kennt, der nie wirklich ins Licht des Ruhms getreten ist, hätte man von einem jamaikanischen Produzenten ein so ausgeklügeltes, abwechslungsreiches und kompromisslos modernes Dub-Album nicht erwartet. Clive Hunt ist mit seinem Werk voll auf der Höhe der Zeit, so als hätte es in Jamaika nie eine Dub-Pause von rund 25 Jahren gegeben. Fetter, auf den Punkt produzierter Sound, fantastische Riddims (mit einigen Zitaten wie Realrock, Cuss Cuss, Cassandra), komplexe Instrumentierung, lots of FX und natürlich – von Hunt persönlich – äußerst inspiriert gemixt. Doch die größte Stärke des Albums ist wohl seine Vielfältigkeit. Statt einen Sound durchzuziehen, setzt es sich aus 16 individuellen, sehr eigenständigen und stets überraschenden Tracks zusammen. Hunt sprüht nur so vor Ideen. Es wäre so schön, wenn dieses Album kein Einzelfall bliebe und jamaikanische Produzenten den Dub wiederentdeckten. Damit dies geschieht, müsste sich eines auf Jamaika herumsprechen, nämlich, dass man mit Dub Geld verdienen kann. Also: alle schön Clive Hunt & The Dub Dancers kaufen (und nicht illegal downloaden!)

Wie man mit Dub zwar kein Geld verdient, aber die Community glücklich macht, zeigt Phil Harmony mit dem kostenlos zum Download bereitstehenden Dub-Sampler „Dubnight Compilation Vol. 2“ (http://www.reggae-town.de/Downloads-req-viewdownload-cid-7.html). 25 (!) Tracks hat er hier versammelt (also umgerechnet zwei CDs) von so namhaften Artists wie Ganjaman, Zion Train, The Okada Supersound, Malone Rootikal, Dub Spencer & Trance Hill, Jahcoustix, Dubmatix, Aldubb und Phil Harmony himself. Ergänzt wird diese Selection von vielen (noch) unbekannten, aber keineswegs schlechten Dub-Produzenten. Mr. Harmony hat bei der Auswahl nicht nur ein geschicktes Händchen, sondern offensichtlich auch viel Überzeugungskraft bewiesen, denn so viele hochwertige Tracks kostenlos überlassen zu bekommen ist schon eine tolle Leistung. Jetzt hapert es nur noch am Marketing. Ein so außergewöhnliches Projekt müsste viel bekannter sein.

Da es gerade so gut zum Thema passt: Neulich bin ich auf das polnisches Net-Label „Qunabu“ (http://netlabel.qunabu.com/) gestoßen, wo sich ein gigantisches 5-Track Album mit dem Titel „Sgt. Pepper‘s Lonely Hearts Dub Band“ kostenlos downloaden lässt. Fünf Tracks bester Unterwasser-Minimal-Dubtechno, der – auch qualitativ – nicht weit von Rhythm & Sound entfernt ist.

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