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Dub Stax

Spätestens seit den Easy Star Allstars und Mato wissen wir, dass sich alles dubben lässt: Die Beatles, David Bowie, Pink Floyd, Daft Punk, Country & Western, Soundtracks, ja selbst klassische Musik. Und nun also auch Soul. Das Album „Dub Stax“ (Echo Beach) von Drummer Achim Färber beweist es. Soul und Reggae haben ja bekanntermaßen eine gemeinsame Vergangenheit. Insbesondere zur Zeiten des Rocksteady wurde nahezu jedes US-Soul-Release in Jamaika gecovert. Also liegt es durchaus nahe, sich auch heute mit Reggae-Mitteln dem Soul zu nähern. Noch spezifischer: Mit Dub-Mitteln. Der große Vorteil: Dub reduziert die Fallhöhe, denn im Vergleich zu einer „normalen“ Cover-Version muss die Dub-Version nicht den Vergleich mit dem Original standhalten, sondern wird mehr als eigenständiges Werk betrachtet – was zugleich auch größere kreative Spielräume eröffnet. „Warum nicht?“, dachte sich Achim Färber, aktuell Drummer bei der Band Automat, trommelte (!) ein paar Musiker zusammen, und begann Klassiker des legendären Soul-Labels Stax einzuspielen und zu dubben. Interessanterweise hat Färber bisher kaum mit Reggae zu tun gehabt. Seine beeindruckende Diskographie listet hunderte Namen auf, darunter nur einen, Deadbeat, den ich aus dem Reggae-Kontext kenne. Daran mag es liegen, dass der Sound seiner Aufnahmen für Reggae untypisch ist. Was aber letztlich keine Rolle spielt, denn entscheidend ist ja die Qualität der Musik – und nicht, womit sie vergleichbar ist. Also hören wir mal genau hin. Was zuerst auffällt: Die vermeindlichen Dubs haben einen ziemlich großen Vocal-Anteil. Zwar sind diese oft fragmentiert und ein Großteil von ihnen verschallt im Echo, aber dennoch stellt das die Kategorisierung als „Dub“ ein wenig in Frage. Es gibt auf dem Album allerdings genügend Instrumentalversionen und sogar explizite „Dub Cuts“, um den Titel „Dub Stax“ letztlich doch zu rechtfertigen. Dennoch wäre es konsequenter gewesen, komplett auf Vocals zu verzichten. Aber das mag ein subjektives Geschmacksurteil von mir sein, denn mir gefällt der exzessiven Gebrauch von Gesangsfragmenten im Dub nicht. Denn Gesang verbannt die Instrumentalmusik unweigerlich in den Hintergrund. Sie wird zum „Backing“ verliert ihre Eigenwertigkeit und „dient“ nur noch dem Gesang. Beim Dub geht es aber genau darum, das „Backing“ nach vorne zu holen, allen Fokus darauf zu legen und es in all seiner Schönheit wirken zu lassen. Deshalb stört mich Gesang in Dub-Mixes grundsätzlich – wo hingegen ich es liebe, wenn ein Dub mit Gesang beginnt, der dann aber in einem Akt skrupelloser Anarchie und Respektlosigkeit vom Engineer einfach mitten im Wort abgeschnitten wird und sich anschließend in Hall und Rauch aufgelöst. Okay, also hinsichtlich dieses Aspekts überzeugt mich Dub Stax nicht. Ansonsten aber gibt es wenig zu meckern. Die Interpretationen der Stax-Klassiker sind wirklich originell. Der Sound erinnert mich manchmal an die Senior Allstars, etwas trocken, etwas holzig, aber dafür mit solidem Groove. Der Dub-Mix ist allerdings äußerst dezent, etwas zu repetitiv und generell nicht wirklich spannend.

Bewertung: 3.5 von 5.
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Brynovsky: Dub Section

Nun, manchmal muss man auch den Mut zur Lücke haben, oder besser gesagt, man kann wirklich nicht alles wissen und kennen. So erging es mir nach Andru Branch zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit mit Brynovsky. Der vielseitige Musikmacher, Independent-Künstler, Autor und Produzent Tim Jones aka Brynovsky ist neben seinem alternativen Folk-Rock vor allem für seine Dub- und Reggae-Skills bekannt. Der gebürtige Londoner wuchs in Derby in den englischen East Midlands auf. Heute lebt und arbeitet er in Schottland.
Selbst der legendäre Musiker und DJ Tom Robinson (Band) bezeichnete Brynovsky als „großartige Entdeckung“ und bot den „süßen, süßen Klängen von Brynovsky“ zweimal in seiner BBC6 Music Show eine Plattform und stellte sie seinen Hörern vor. Was mir komplett entgangen ist: Brynovsky wird seit Jahren von Musikprofis für seine Dub-Künste gefeiert.

Das neueste Werk des schottischen Klangalchemisten und Multiinstrumentalisten „Brynovsky: Dub Section“ nimmt den Hörer mit auf eine subtile Dub-Reise, die aus der besten Dub-Tradition schöpft und gleichzeitig in die Zukunft blickt. Kurzum, Tim Jones hat „Dub Section“ im Geiste der Dub-Pioniere produziert. Als erfahrener Produzent und Songwriter hat Brynovsky zwölf Soundfragmente aus älterem Material und B-Takes extrahiert und ihnen einen satten Dub-Anstrich verpasst. Das Ergebnis enttäuscht keineswegs, denn der schottische Musiker findet stets die richtige Balance zwischen Vertrautheit und künstlerischer Schärfe. Eine spielerische und hypnotisierende Mischung aus Afro-Einflüssen, Reggae-Rhythmen und Trip-Hop-Elementen. Dabei hat es Brynovsky verstanden, dass ein Dub-Instrumentalalbum nicht jedermanns Sache ist. Nicht jeder ist mutig genug, sich in einem Meer aus weitläufigem, euphorischem, raumgreifendem, euphorisierendem Klangmaterial zu verlieren. Brynovsky scheut sich nicht, ins Dunkle, Unbekannte und Unkonventionelle des Dub-Universums vorzudringen. „Dub Section“ ist ein ebenso eklektisches wie abstraktes Album, das dennoch Kraft und Schärfe besitzt. Es präsentiert 45 Minuten neu interpretierter Instrumentals, die für den Indie-Künstler Tim Jones, der seit 2010 unter seinem Pseudonym Brynovsky Musik veröffentlicht, eine Rückkehr zu Reggae und Dub bedeuten. In seinem Studio in Schottland hat er im Alleingang Tracks aus seinem Backkatalog im klassischen Dub-Stil bearbeitet und jede Woche einen Track auf Soundcloud und YouTube veröffentlicht, bis er im Januar 2024 ein komplettes Album daraus zusammenstellen konnte.
Sein Album »Hard Curves«, das bereits 2010 veröffentlicht wurde, muss ich hier unbedingt erwähnen. Hört es euch an, es ist in meinen Ohren keinesfalls schlechter als die hier besprochene „Dub Section“. Zum Beispiel ist „Rumba Queen“ ein Dub eines Outtakes aus den Hard Curves Sessions. Ebenfalls vom „Hard Curves“-Album stammen »Red Forest«, ein Dub des Originals „Into a Dream“, und „CMYK Culture“, ein Dub des Tracks „Mischief“.
Die meisten Tracks wie „Power Vacuum“, „Dub Shining“, „Spycops“, „City of Bytes“, „Peace It Together“ sind Dub-Interpretationen des 2014 erschienenen Song-Albums „Time Is Now“, das ursprünglich mit dem jamaikanischen Sänger Leroy Jones* eingesungen wurde.

Alles in allem ist „Dub Section“ ein ungewöhnliches, aber sehr ansprechendes Album.

Bewertung: 4 von 5.

*Leroy Jones (alias Jah Dave) ist Sänger, Perkussionist, Produzent und Mitglied der Congos, mit denen er immer noch als Perkussionist unterwegs ist. Er arbeitete u.a. mit Gregory Isaacs, Horace Andy, Sugar Minott, Johnny Clarke, Prince Far I und Dub Syndicate. Seit 2012 ist er Mitglied der schottischen Reggae-Hybrid-Band Brynovsky und tritt auch solo auf.
Der gebürtige Jamaikaner war in seiner Jugend ein berühmter Jockey und schlug sogar den großen Lester Piggott. Als Leroy zu groß wurde, um Rennen zu fahren, begann er mit Congo Ashanti Roy Musik zu machen und wurde ein Rasta. In den frühen 80er Jahren spielte er als „Jah Dave“ Schlagzeug für viele große Reggae-Künstler. Nach seinem Umzug nach London wurde er Produzent und Sänger. Zusammen mit Mad Professor produzierte er Johnny Clarkes „Do I Do I“ für dessen erste LP „Yard Style“ bei Ariwa, die in Jamaika und in den britischen Reggae-Charts Platz 1 erreichte.

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Augustus Pablo: Rockers Meets King Tubbys In A Fire House (Re-Release)

Der visionäre jamaikanische Musiker Augustus Pablo gehört zu den wichtigsten Personen der Reggae-Geschichte. Anfang der 70er Jahre besuchte Horace Swaby (bürgerlich) zusammen mit Freunden wie Clive Chin und Tyrone Downie das Kingston College (KC). Sein und Tyrones Interesse an Musik hatte sie bereits in eine örtliche Kirche geführt, wo sie fleißig an der Orgel übten.
So oder so ähnlich soll sich die weitere Geschichte zugetragen haben: Irgendwann im Jahr 1971 soll Horace auf dem Weg zu Herman Chin Loys Aquarius Record Shop in Half Way Tree gewesen sein, um dort Platten für das ‚Rockers‘-Soundsystem seines Bruders zu kaufen. Dort bekam er von einem Mädchen eine Melodica geschenkt oder geliehen. Noch im Laden begann Horace, auf dem Instrument zu spielen. Beeindruckt von dem einzigartigen Klang der Melodica nahm Herman Chin Loy Horace am nächsten Tag mit in sein Aquarius Studio. Weiter wird auch berichtet, dass Herman Chin Loy während dieser ersten Session Horace Swaby den Namen Augustus Pablo gab. Während der ersten Sessions entstanden Klassiker wie „Iggy Iggy“, „Invasion“ und „East Of The River Nile“.
Doch erst 1972, als Augustus Pablo sich mit seinem alten Schulfreund Clive Chin zusammentat, gelang ihm der Durchbruch. Pablo verzauberte alle mit dem großartigen „Java“. Die Geschichte zur Entstehung von „Java“ ist nicht weniger spannend: Clive hatte Dennis Wright (einen weiteren Freund von KC) ins Studio geholt, um einen Song aufzunehmen, an dem sie arbeiteten. Die Grundtracks waren bereits fertig, aber auch nach vielen vergeblichen Versuchen wollte der Gesangspart einfach nicht klappen. Als sie enttäuscht das Studio verlassen wollten, ging Pablo auf Clive zu und bat ihn, eine Version des Songs aufzunehmen. Beim Zuhören im Flur war ihm eine Melodielinie eingefallen, die er auf der Melodica spielen wollte. Clive willigte ein, warf das Tonbandgerät an und sie nahmen eine Instrumentalversion auf. „Jaaaavaaa!
Das war ein grober Abriss von den Anfängen des legendären Augustus Pablo, der einen wesentlichen Teil der Dub-Geschichte mitgeschrieben hat. Allein die Suche hier im Dubblog ergibt 58 Einträge.

Jetzt lenken wir den Blick auf das eigentliche Objekt der Besprechung: „Augustus Pablo: Rockers Meets King Tubbys In A Fire House“, das vom französischen Only Roots Label im Dezember 2023 wiederveröffentlicht wurde. Mit seinen frühen Aufnahmen zählt der talentierte Musiker und innovative Produzent zu den Pionieren des Dub. Seine Aufnahmen aus dieser Zeit gelten heute alle als Klassiker und waren Teil des bemerkenswerten kreativen Aufschwungs, den die jamaikanische Musikszene international erlebte. Das Dub-Studioalbum von Augustus Pablo und King Tubby „Rockers Meets King Tubbys In A Fire House“ erschien erstmals 1980 und wurde seither mehrfach wiederveröffentlicht. Firehouse ist eine ironische Anspielung auf den Stadtteil Waterhouse in Kingston, in dem sich King Tubby’s Studio befand, oder auf King Tubby’s Firehouse, Waterhouse, Taurus und Kingston 11 Labels. Die Rockers All Stars mit Mickey ‚Boo‘ Richards, Leroy ‚Horsemouth‘ Wallace und Albert Malawi am Schlagzeug, Robbie Shakespeare am Bass und Earl ‚Chinna‘ Smith an der Gitarre schufen mit „Jah Say Dub“ und „Zion Is A Home“ Dubs, die sich heute immer noch hören lassen können. Die Dub-Mixe sind Remixe der Original-Singles von Pablos Schützlingen Hugh Mundell aka Jah Levi, Delroy Williams und anderen. Neben King Tubby und Augustus Pablo hat auch Prince Jammy einige Mixe beigesteuert, sein Name taucht aber nirgends auf dem Cover auf. Pablos Sound dominiert auf „Rockers Meets King Tubbys In A Fire House“, auch wenn er sein Markenzeichen, die Melodica, hörbar zurückgenommen hat. Obwohl die Melodica nur fragmentarisch zum Einsatz kommt, schlängeln sich Pablos mystische Melodien durch den Mix und die sanften, aber satten Grooves, die eine Rockers-Produktion immer auszeichnen, sind in voller Stärke vorhanden. King Tubby steuert das besondere Element der Dub-Alchemie bei, indem er in passenden Abständen Echo und Delay einsetzt und so die Gesamtatmosphäre geheimnisvoll und verführerisch hält. Aufgrund des Charakters der Musik und ihrer durchgehend hohen Qualität ist es etwas schwierig, Höhepunkte herauszugreifen. Dazu gehören zweifellos das Melodica-Stück „Zion Is A Home“ und das ebenso gute, Posaunen-lastige „Dub in a Matthews Lane Area“, das als Lehrstück in Sachen Dub-Technik dienen könnte. Die Horns werden in den Credits alle Felix ‚Deadley‘ Headley Bennet zugeschrieben, was sicherlich falsch ist. Seinen unverkennbaren Sax-Stil kann ich nur im „Short Man Dub“ heraushören. Erwähnenswert finde ich auch den Einsatz des String-Synth-Keyboards in „Selassi I Dub“, das Pablo zum ersten Mal auf dem „East Of The River Nile“ Album ausgiebig einsetzte. Pablo schien den Klang dieses Instruments zu lieben. Im Gegensatz zur Melodica oder dem Clavinet, die er meist als Lead-Instrument einsetzte, benutzte er den String-Synthesizer eher als Harmonieinstrument.

Anmerkung zur Veröffentlichung des Albums: Das Interesse an Augustus Pablo war 1979 auf dem Höhepunkt. Sein „East Of The River Nile“ Set und das Album „Africa Must Be Free By 1983“ seines Protegés Hugh Mundell im Jahr zuvor lösten ein Interesse an allem aus, was mit Pablo zu tun hatte. Vor allem an seinen frühen Produktionen. Der vorliegende Deep Roots Dub-Klassiker erschien ursprünglich 1980 auf Yard (J.A.) & Shanachie (U.S.A.) und Augustus Pablo war, wie Lee ‚Scratch‘ Perry vor ihm, nicht mehr im Einklang mit dem aktuellen Musikgeschmack in Jamaika. Für manche mag das überraschend gewesen sein, aber mit der Veröffentlichung einer einzigen Platte kann sich das über Nacht ändern, und diese plötzliche Veränderung ist auf „Rockers Meets King Tubbys In A Fire House“ zu hören. Die Dancehall-Revolution wurde im Herbst 1979 von Henry ‚Junjo‘ Lawes eingeläutet. Mit den schweren, dichten Rhythmen der Roots Radics war der Rebel Rock Sound von Pablos Rockers All Stars nicht zu vergleichen – dazwischen lagen Welten. Trotzdem ist und bleibt „Rockers Meets King Tubbys In A Fire House“ für mich auch 44 Jahre nach seinem Erscheinen eines der besten Augustus Pablo Alben überhaupt.
Die Wiederveröffentlichung kommt in der bisher besten Qualität. Wer also einen schönen, zeitlosen Klassiker in seinem Plattenschrank haben möchte, sollte zugreifen.

Bewertung: 4 von 5.
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Five Star Review

Pinnacle Sound: In Dub, Vol. 1

Auf den letzten Metern des Jahres 2023 erschienen, gehört das Album „In Dub, Vol. 1“ (Bat Records) von Pinnacle Sound für mich zu den Jahres-Highlights. Okay, ich habe Retro-Sound oft genug kritisiert und in der Tat kann man sich die Frage stellen, wie viel Sinne es ergibt, den Sound historischer Reggae-Stile nachzuspielen. Aber andererseits ist das historische Material rein quantitativ schon begrenzt – von der Klangqualität ganz zu schweigen. Wenn also neue Musik in historischem Stil entsteht, so lässt sich das leicht als eklektizistisch oder historistisch abtun, aber zugleich kann es ganz wunderbare Musik sein. Vielleicht würde es helfen, das „historisch“ zu streichen, und den Stil einfach ganz ohne implizite Wertung als das zu nehmen, was er ist: eine charakteristische Klangform. Wie wäre es also, wenn wir „Early Reggae“ einfach als Musikstil ohne historische Dimension verstehen würden? So wie z. B. Steppers oder One Drop? Obwohl der Vergleich hinkt, wäre das eine willkommene Lösung für mein Dilemma, dass mir das neue Werk von Pinnacle Sound so ungemein gut gefällt – obwohl es historisch anmutender Early Reggae in Reinform ist. Ich liebe das Album: Der Sound ist so unwiderstehlich frisch, so energetisch und so eingängig, dass es eine pure Freude ist – und sich jegliche akademische Diskussion über die Rechtfertigung von Eklektizismus von selbst verbietet. Abgesehen davon, bietet „In Dub, Vol. 1“ eine Qualität von Dub, wie sie vor 50 Jahren noch nicht existierte.

Mein neues Lieblingsalbum ist auf Bat-Records erschienen, jenem kleinen in Clermont-Ferrand ansässigen Studio und Label, dem neben Pinnacle Sound auch die Dub Shepherds angehören. Beides Schöpfer eines wunderschönen Retro-Reggaes. Beim vorliegende Dub -Album haben Pinnacle Sound und die Dub Shepherds kongenial zusammen gearbeitet, handelt es sich doch um die Dub-Version des Pinnacle-Albums „Soul Medicine“ von 2022, das seinerzeit von den Dub Shepherds gemixt (und wahrscheinlich auch mit-eingespielt) wurde. Was lag näher, als auch den Dub-Mix in die Hände der Schäfer zu legen? Und die haben fantastische Arbeit geleistet. Wollte man in einem Musikseminar erklären, was Dub ist, dann bräuchte man nur den Track „Psam 2“ von „Dub Medicine“ spielen und danach die Dub-Version „Psalm 150“ auflegen. Das Seminar könnte wortlos bleiben, denn der Dub bringt genau auf dem Punkt, worum es bei unserer Lieblingsmusik im Kern geht: Darum, mit Hilfe des Mixes ein gänzlich eigenständiges Musikstück zu kreieren. Der Unterschied zwischen den beiden Psalmen könnte – trotz identischer Materialbasis – größer nicht sein.

Auch, wenn der Psalm etwas ganz besonderes ist, so überzeugt das Album auf ganzer Länge. Jeder Dub ist ein durchkomponiertes Musikstück mit wunderbaren Arrangements, großartigen Melodien und guten Mix-Ideen, die weit über den (sparsamen) Einsatz von Hall und Echo hinaus reichen. Ein Mix, der den Stücken eine regelrechte Dramaturgie verleiht – wie ein Meta-Arrangement. Ich bin froh, dass dieses Album noch 2023 erschienen ist, kann ich auf diese Weise doch der These von gtk, dass die Jahresausbeute 2023 schlecht sei, mit Inbrunst mit voller Überzeugung widersprechen.

Bewertung: 5 von 5.
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Marcus I meets aDUBta: Cut A Wire Showcase

Nach 20 Jahren Vorarbeit wurde im April 2023 endlich das erste Album von „aDUBta & The Black Oak Roots Allstars: Sounds From The Attic“ fertiggestellt. Auch hier haben wieder zahlreiche illustre Gäste wie Earl 16, Var, Ranking Joe, Cedric Myton, YT, Brother Culture, Vin Gordon & Stepper sowie Umberto Echo ihr Können beigesteuert.
Alleine ein Blick auf die Website des Multiinstrumentalisten und Produzenten Andreas „aDUBta“ Bauer macht schnell deutlich, warum das Debütalbum erst jetzt erscheint. Dort findet sich eine beeindruckend lange Liste an Kollaborationen, in der sich Namen wie Headcornerstone oder die Grazer Roots Organisation wiederfinden. Auf den Punkt gebracht: aDUDta aus dem Süden Deutschlands ist ein Hansdampf in allen Gassen und tanzt auf vielen Hochzeiten.

Knapp ein halbes Jahr später, im Oktober 2023, wurde das Mini-Album „Marcus I meets aDUBta: Cut A Wire Showcase“ beim Straßburger Hornin‘ Sounds Label veröffentlicht. Die Riddims des Albums sind bereits im Vorfeld von aDUBta & The Black Oak Roots Allstars eingespielt worden. Im November 2022 kam der 1984 in Spanien geborene und seit 2020 in Südfrankreich lebende Marc „Marcus I“ Ibarz ins Attic Roots Studio nach Utting am Ammersee, um das Projekt mit aDUBta fertigzustellen. Mit dem Sing-Jay Marcus I und aDUBta haben sich zwei Musiker gefunden, die offensichtlich die Liebe zum Roots Reggae und dem analogen Sound der 70er Jahre verbindet. Marcus I ist längst kein unbeschriebenes Blatt mehr: Seit 2011 hat er an zahlreichen Produktionen mitgewirkt, von denen über 80 auf CD und/oder Vinyl erschienen sind. Auf dem vorliegenden Album finden sich (nur) vier schwergewichtige Roots Reggae Tracks im sogenannten Showcase-Format, auch Discomix genannt. Auf den Song folgt also direkt in einem Aufwasch der Dubmix. Eine schöne alte Tradition, die in den letzten Jahren wieder verstärkt an Bedeutung gewonnen hat.

Drei der vier Tracks sind länger als sieben Minuten und aDUBtas Erfahrung als Multiinstrumentalist und Produzent zahlt sich hörbar aus. Der satte Sound kann sich im Vergleich zu anderen namhaften und großen Studios durchaus hören lassen. Zudem klingt alles so wunderbar rund, dass keine Langeweile aufkommt. Der Einsatz von Live-Instrumenten ist organisch und unüberhörbar. Natürlich hat auch aDUBta mit diesen Showcase Tracks das Rad nicht neu erfunden, aber wozu auch, wenn ich einen schönen, soliden Dub zu hören bekomme? Die Hauptsache ist doch, dass diese perkussiven Riddims dynamisch, authentisch und glaubwürdig rüberkommen – und das tun sie voll und ganz. Was mich an „Cut A Wire Showcase“ am meisten begeistert, ist der Sound, der stellenweise an den typischen und legendären Black Ark-Sound eines Lee „Scratch“ Perry erinnert. Wenn man sich den Dub-Teil des Titeltracks „Cut A Wire“ ab 4:20 anhört, versteht man vielleicht am besten, was ich meine. Beim dritten Song „Perfect Collie“ erinnern mich die Backing-Vocals sehr an die Israel Vibrations.

Fazit: Um dem Ganzen den letzten Schliff zu geben, hat aDUBta die Mixe und Dubs komplett live & analog auf seinem TASCAM 388 Mischpult abgemischt. Das Album klingt klassisch und zeitgemäß zugleich – das gefällt mir.

Bewertung: 4 von 5.
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Andru Branch & Halfway Tree: Weather The Dub

Asche auf mein Haupt, manchmal gelingt es Musikern und Künstlern, jahrzehntelang unbemerkt unter meinem Reggae- und Dub-Radar zu segeln. Ein solches Phänomen ist der vielfach ausgezeichnete Andru Branch mit seiner insgesamt siebenköpfigen Band Halfway Tree.
Der kanadische Keyboarder, Sänger und Bandleader Andru Branch (*27. Juni 1968) ist das Mastermind der Reggae-Band Andru Branch & Halfway Tree, die bereits über 28 Jahre Bestand hat. Aufgewachsen ist er inmitten einer lebendigen Rastafari-Gemeinde in Toronto, wo er die feinen Nuancen des Reggae von einigen jamaikanischen Musikern lernte, die sich in der kanadischen Metropole niedergelassen hatten. Im Jahr 1995 gründete Andru Branch seine Band Halfway Tree, die er nach dem lebendigen Musikviertel in Kingston benannte, wo er zudem das große Glück hatte, mit einigen der berühmtesten jamaikanischen Musikern zu spielen und aufzunehmen. Obwohl die Band-Mitglieder im Laufe der Jahre wechselten, hat er immer versucht, seinen unverwechselbaren Band-Sound beizubehalten, der lt. Interview auf der Philosophie von Peter Tosh basiert: „Reggae ist spirituelle Musik mit spirituellen Zutaten für spirituelle Zwecke.“

Das erste Album, das schlussendlich auch meine Aufmerksamkeit erregte, war das mit Spannung erwartete dritte Dub-Album „Andru Branch & Halfway Tree: Weather The Dub“, das schon im Januar 2023 erschien und im Dubblog Release-Radar leider ohne Resonanz blieb. So blieb meine Rezension mangels Interesse zunächst in der Warteschleife.
Bereits 2021 veröffentlichten Andru Branch & Halfway Tree das dazugehörige Songalbum „Weather The Storm“, das während der COVID-19-Pandemie entstand und diese trostlose Zeit sowohl musikalisch als auch textlich reflektiert. Dabei gelingt es Andru Branch & Halfway Tree immer wieder, einen Hoffnungsschimmer durchscheinen zu lassen – die Botschaft der Liebe. Das von der Kritik hochgelobte Studioalbum wurde von dem amerikanischen Soundtüftler und Toningenieur Dartanyan ‚GreenLion‘ Winston aus Ohio einer kompletten Dub-Bearbeitung unterzogen. Produziert wurde diese Sammlung geradlinigen Roots-Reggaes mit üppigen Bläsersätzen und seidigen Gesangsfragmenten von Guillaume Bougard bei TABOU1.

Der erste Track des Albums, „We Are Dub“, baut sich langsam, eher schleppend auf, wobei die anfänglichen Klänge durch einen satten Bläsersatz erstklassig ergänzt werden. Der Track war bereits auf dem zweiten Dub-Album der Band „We Are Dub“ zu hören. „We Are Dub“ ist eine Sammlung von Dubs aus der damals 25-jährigen Karriere von Andru Branch & Halfway Tree. Mit von der Partie waren drei der besten jamaikanischen Reggae-Bassisten aller Zeiten: „Family Man“ Barrett, Chris Meredith und die Studio One-Legende Brian Atkinson, der ursprüngliche Bassist und Gründungsmitglied der weltberühmten Studio One Band „The Soul Vendors“. Diese Band aus Allstars entstand infolge der Auflösung der Skatalites im August 1965 und nannte sich nacheinander auch (Roland Alphonso &) The Soul Brothers (1965–67), The Soul Vendors (1967–68) oder Sound Dimension.
„Dancehall Dub“ ist eine schöne Version des vom Ska geküssten Songs „The Storm“, bei dem jedes Instrument nacheinander eine Führungsrolle übernimmt.
Der satte, vorwärtsdrängende Reggae-Beat von „Dub Times“ wird durch den Einsatz einer Djembe akzentuiert und gewinnt dadurch an Exotik.
Im darauf folgenden Stück „Dubtima“ vermitteln die Akkorde und Melodien einen Hauch von Orient.
Das düstere, fast schon dramatisch angelegte Stück, „The Dub Is Coming In“, ist eine Auseinandersetzung mit unseren innersten Dämonen, aber auch mit den Folgen des drohenden, vom Menschen verursachten Klimawandels.

Alle Tracks wurden von Dartanyan ‚GreenLion‘ Winston gekonnt dekonstruiert und mit einer Tonne Energie, Studio- und Mischpultmagie wieder zusammengesetzt. GreenLion zieht wieder alle Register und liefert ein wunderbar sprudelndes Klangbad aus Vocals, Echo, Hall und Delay. Alles in allem eine richtige Entdeckung eines sehr feinen, entspannten Albums mit satten Bläsersätzen und treibenden Gitarrenriffs, bei dem alles am richtigen Platz ist.

Bewertung: 4 von 5.
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I-Man Cruz: In A Mission (Showcase)

Ferrán Cocera Cruz alias I-Man Cruz, hat schon als Kind sehr gerne gesungen. Ende der 1990er Jahre sang er in einer Reggae-Band namens The Red Ones. Die Band coverte vor allem Studio One Klassiker. Als I-Man Cruz nach Santander umzog, begann er mit Roberto Sánchez zusammenzuarbeiten. Im Jahr 2009 nahm er im Studio A-Lone Ark Muzik seinen ersten Song „To The Light“ auf, der jedoch unveröffentlicht blieb. Fünf Jahre später gründete er eine neue Band mit dem Namen Rice & Peas. Mit den Rice & Peas entstand der Song „Everything’s Possible“, der jetzt in leicht abgewandelter Form auf dem Showcase-Album „I-Man Cruz: Man In A Mission“ (A-Lone Ark) zu hören ist. Zuvor wurden unter dem Namen Papa Cruz bereits zwei Songs veröffentlicht: „Crisis“ aus 2013 wurde mit Linval Thompson und „Nuff A Dem“ aus 2017 mit den Viceroys eingesungen. Mit Roberto Sánchez nahm er den gemeinsamen Song „We’re Going To Zion“ auf und veröffentlichte anschließend die Solo-Single „Tek A Look“, die ebenfalls auf diesem schönen Album zu hören ist.

Auch für I-Man Cruz liefert Roberto Sánchez knackige Roots-Reggae-Riddims mit exquisiten Old-Skool-Vibes, wie sie für viele seiner Produktionen typisch sind. Der Gesangsstil von I-Man Cruz, ist unüberhörbar von jamaikanischen Größen wie Dennis Brown und Delroy Wilson inspiriert. Mit insgesamt sechs Showcase-Tracks stellt das Album die stimmlichen und lyrischen Fähigkeiten des spanischen Roots-Reggae-Sängers meisterhaft unter Beweis. Jeder Dub fügt sich nahtlos an den Gesangspart und schafft so mühelos eine ansprechende akustische Reise, die sowohl Reggae- als auch Dub-Liebhaber gleichermaßen in ihren Bann ziehen wird. Das Album beginnt mit dem Titeltrack „In A Mission“, mit dem I-Man Cruz einen unglaublich eingängigen und einprägsamen Opener mit markanten Bläsersätzen und abwechslungsreicher Instrumentierung präsentiert. Das folgende „Inity“ ist die perfekte Fortsetzung und man freut sich regelrecht auf die Dub-Version. Sowohl musikalisch als auch textlich hält der Song mit Leichtigkeit den Spannungsbogen. Bei „Tek A Look“ harmonieren Cruz‘ Vocals perfekt mit den treibenden Riddims. Gefolgt von „Follow Unfollow“, das sich nach mehrmaligem Hören immer mehr in die Gehörgänge schraubt. Mehr oder weniger dasselbe lässt sich über „Joyful Song“ sagen, ein Stück, das das Potenzial hat, einem depressiven Menschen neuen Lebensmut zu geben.

Kurz: Ein weiteres Debütalbum aus dem A-Lone Ark Studio, das mit seinen sechs über sieben Minuten langen Showcase-Tracks einen guten Einstieg in die musikalische Schaffenswelt von I-Man Cruz bietet. Grundsolide klassische Riddims und Dubs – was will man mehr?

Bewertung: 3.5 von 5.
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Masamune: Mirage

Musikstile entwickeln sich, mäandern durch die musikalische Landschaft, nehmen musikalische und generell kulturelle Einflüsse auf, verändern die Richtung bei technischen Innovationen, schwellen zum Mainstream heran, werden zu schmalen Bächlein oder versiegen nicht selten sogar ganz. Dub hat sich seit seiner Erfindung in den späten 1960er Jahren stets verändert. Eine wichtige Neuausrichtung bewirkte der Sprung nach Europa und die Entwicklung des UK-Dub. Seither ist Dub zu einem internationalen Stil geworden und hat in seiner Vielfalt enorm zugelegt. Doch versuchte man einen generellen Trend auszumachen, so scheiterte das stets. Zu pluralistisch ist das Genre. Doch nun wage ich mal die These, dass der Fluss des Dub sich immer mehr dem Strom der elektronischen Musik nähert. Ja, ja, ich weiß, Moritz von Oswald and Mark Ernestus haben schon in den 1990er Jahren Dub und Techno verschmolzen, aber was damals eine Ausnahmeerscheinung war, scheint jetzt an Volumen und Frequenz zuzunehmen. Ich meine damit ausdrücklich nicht Dub Techno, was ja reiner Techno mit Dub-Effekten ist, sondern das Pendant auf der Reggae-Seite: Dub mit Techno-Appeal. Puristen werden das natürlich rundheraus ablehnen, ich glaube aber, dass hier ein interessantes Potential liegt. Der Franzose Masamune (der sich offensichtlich nach einem berühmten japanischen Schwertschmied des 13. Jahrhunderts benannt hat) lotet dieses mit seinem Album „Mirage“ (ODGPROD) vorsichtig aus. Dabei geht er geschickt vor, indem er mit Track 1 in bekannten Gefilden des elektronischen Dub startet und sich dann langsam in Richtung Techno bewegt, wo er schließlich bei Track 4 ankommt – nur um dann bei Track 5 die Kurve zu Drum & Bass zu nehmen. Das ist ziemlich schlüssig und macht zudem Spaß. Wer keine Angst hat, sollte diese kurze Einführung in Techno Dub und darüber hinaus durchaus mal anhören.

Bewertung: 4 von 5.
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Dub Syndicate: Fear of a Green Planet (2023)

1998 gründete Style Scott in Zusammenarbeit mit dem Berliner Vertrieb EFA sein eigenes Label Lion And Roots. Die ersten beiden Releases waren gleich zwei Dub Syndicate-Alben: „Mellow and Colly” und „Fear of a Green Planet“. Konzipiert als „Soundclash“ zwischen London und New York basierten sie auf den selben acht Riddims, die Scott wie üblich mit den Bassisten Flabba Holt und Bagga Walker in Kingston eingespielt hatte. „Mellow and Colly“ wurde in New York von Scientist gemixt. „Green Planet“, mit zwei zusätzlichen Riddims und zwei Versions etwas länger, war zu 360° eine On-U-Sound-Produktion, entthielt aber auch ein Souvenir aus New York: Bill Laswell fügte dort per Overdub eine Bassline ein. Ich bin bis heute nicht sicher, welche. In den USA erschien das Album mit alternativem Cover, das recht plump auf Public Enemy’s „Fear of a Black Planet“ verwies. Und damit etwas in die Irre führt, denn auf den ersten Höreindruck setzten DS auf „Green Planet“ den Kuschelkurs fort, den sie 1996 mit Ital Breakfast etabliert hatten, ihrem vorerst letzten Album auf On-U Sound. Dort trieben mittlerweile die japanischen Punk-Kids von Audio Active ihr Unwesen, und Style Scott hatte just zuvor mit Bill Laswell ein anbetungswürdiges atomar-apokalyptisches Album auf Word Sound eingespielt, das fast ohne Harmonik und Melodik auskam. Dagegen ging es auf „Green Planet“ ein bisschen zu wie im Hippie-Camp. Tablas, Violinen, schmachtende Melodien und Sprüche aus dem Rasta-Poesiealbum, die Riddims bis auf einen („Wake Up“) allesamt näher am Lovers Rock als an der Dancehall-Gegenwart, das erschienen mir in dieser Lebensphase alles etwas unterwältigend. Trotzdem bin ich immer wieder zu diesem Soundclash-Doppel-Album zurückgekehrt, habe die Versions einzeln oder als Album back to back gespielt und mich an den unterschiedlichen Mixansätzen erfreut. Während „Mellow & Colly“ sparsam und schlank ausgestattet war, lernte ich auch immer mehr die Gemütsruhe und Souveränität zu schätzen, die die Produktion von „Green Planet“ bestimmen. Das neu gemasterte Re-Release von „Fear of a Green Planet“ (Echo Beach) zum 25jährigen Jubiläum lässt diese Stärken, wenn überhaupt, noch deutlicher hervortreten. Die Produktion ist, wie die Engländer sagen würden, „lush“, das heißt im landschaftlichen Sinne im vollen Saft. Alles fließt, tropft, blüht auf und bestäubt einander in dieser pastoralen Idylle, in der es keinen Überlebenskampf zu geben scheint, nur Harmonie. Garten Eden statt Dschungel. Die Känge clashen nicht, sie umschwingen einander respektvoll in einem ozeanischen Offbeat-Strom, ohne je die Grenzen zum Kitsch wegzuspülen. Auch wenn da jeder seine eigenen Grenzen ziehen mag. Spiritueller Höhepunkt ist das tatsächlich wortlose „Not a Word“ mit seiner Gänsehaut-Violine, danach wird das Tempo mit einem Steppers- („Dubbing Is a Must“) und einem Dancehall-Riddim („Wake Up“) geringfügig angezogen. Ab hier wird es nur noch deeper und minimalistischer: „Hey Geoff“ erinnert mit seinen Stimm-Samples an die Kollegen von Tackhead und Little Axe, und in seiner extremen Luftigkeit an „Stoned Immaculate“. Die Versions von „Higher and Higher“ und vor allem „Emmanuel“ beeindrucken durch mixtechnische Reduktion. Diese fantastische Schlusstrecke wird auf dem Re-Issue noch ergänzt durch drei Extended Loop Mixes, die das Vergnügen noch ein bisschen in die Breite ziehen. Hier wurden offenbar Passagen vom Master geloopt und noch mal mehr oder weniger kreativ gedubbt, es passiert also nicht viel neues, nur noch ein bisschen mehr. Viertes und aussagekräftigstes Supplement ist ein Remix von „Dubvionist“ Felix Wolter. Basierend auf „Greater David“ fällt es mit viel Tapesättigung ein bisschen aus dem Soundbild, bildet aber einen würdigen Abschluss. Diese vier neuen Versions ändern aber nichts am Impuls, gleich danach „Mellow and Colly“ aufzulegen. Denn durch die schlanken Scientist-Mixe, die mit weniger Overdubs auskommen und im Discomix-Verfahren auch den Vocals (u.a. Junior Reid und Big Youth) mehr Platz einräumten, wird die komplette Soundclash-Experience so richtig dreidimensional. Das wissen sie auch bei Echo Beach. Das Re-Issue soll im neuen Jahr kommen.

Bewertung: 4 von 5.
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Protoje & Zion I Kings: In Search of Zion

Review René

Es ist ja schon etwas befremdlich, dass ein jamaikanischer Artist sich an Musiker außerhalb Jamaikas wenden muss, wenn er Roots Reggae-Rhythms haben möchte. Aber okay, Jamaica is moving forward – während wir hier im „Westen“ konservativ am Erbe der 1970er Jahre festhalten. Da wir hier aber immer noch einige Kaufkraft besitzen (mal sehen, wie lange das noch gilt), ist Protoje auf die Idee verfallen, sein Album „In Seach of Lost Time“ von 2020 für unseren Hörgeschmack „remixen“ zu lassen und als „In Search of Zion“ (RCA Records) heraus zu bringen. Remix bedeutet hier, dass die drei Zion I Kings-Produzenten eigentlich ein gänzlich neues Roots-Instrumentalalbum komponiert und aufgenommen haben – das allerdings lediglich als Backing für die Voclas von Protojes vorhandenem Album „In Seach of Lost Time“ dient. Das ist wirklich ein verrücktes Konzept: Einfach mal die Musik austauschen, um das Album besser an europäische und nordamerikanische Zielgruppen verkaufen zu können. Tja, ist halt Business. Allerdings waren die Zion I Kings stolz genug, um auf ein Doppelalbum mit Dub-Versions ihrer Produktionen zu bestehen. Und die hören wir uns jetzt mal an. Was direkt auffällt: Das Spektrum reicht stilistisch vom Lovers-Rock-Backings bis zu (verhaltenem) Roots-Steppers. Die Lovers-Rhythms streiche ich jetzt mal wohlwollend, denn mit Schlager kann ich absolut nichts anfangen, egal in welchem musikalischem Gewand er daher kommt. Die Backings von Schlager sind nicht weit von Fahrstuhlmusik entfernt – eine Ausgeburt an Langeweile. Was bleibt sind die Roots-Dubs auf dem Album. Doch die sind, gemessen am State of the Art-Dub der Gegenwart, unfassbar blass und unscheinbar geraten. Wo bleibt die Power von Roots? Wo die Dynamik, wo das rebellische Statement? Wie kann ein Roots-Album eines großen Artists so seicht, unoriginell und mutlos daher kommen? Gleiches gilt für den Dubmix: Absolut generisch. „In Search of Zion“ ist leider eine riesige vertane Chance, modernen Dub einer breiten Zielgruppe von Protoje-Fans schmackhaft zu machen.

Bewertung: 3 von 5.

Review gtk

Zugegeben, Protoje ist mir – vor allem in den letzten Jahren – eher durch beiläufiges Weghören bekannt: Ich steh‘ nicht auf HipHop, ich steh‘ nicht auf Sprechgesang. Vielleicht mag man das in diesem Fall als Conscious HipHop, Progressive Rap, Sing-Sang oder wie-auch-immer benennen; jedenfalls lassen Musik und Text meine Hörnerven ziemlich unbeeindruckt zurück – und das obwohl ich mich, wenn auch nicht mit der üblichen Intensivität, mit Protojes Alben durchaus beschäftigt habe: Schlussendlich hat jeder Kunstschaffende eine Chance verdient.

Der Fairness halber sei bemerkt, dass man im Oeuvre Protojes – oder sollte man besser sagen: im Oeuvre seiner Produzenten – durchaus gelungene Hooklines entdecken kann. Die konnte man schon in den ersten (international erschienenen) Alben finden – Produzent Don Corleon sei Dank, der Protoje quasi das damals noch Reggae/Conscious Dancehall/R&B-lastige Material bis hin zu den Lyrics auf den Leib geschrieben hat. Mit den darauf folgenden Alben & Singles konnte sich Protoje mit eigenem Label & Management und vor allem der Unterstützung von Produzent/Keyboarder Phillip James als feste Größe in seinem ReggaeHipHopR&B-Hybridgenre etablieren. Live ein wenig mehr Roots, im Studio etwas mehr R&B – jedem das seine. Da war’s nur mehr eine Frage der Zeit, bis sich ein Major-Label mit Protoje schwarze Zahlen ausgerechnet und ihn vertraglich vereinnahmt hat. Sony Music bzw. dessen Sub-Label RCA Records lenkt seit 2020 mehr oder weniger die Geschicke Protojes, obwohl der sich von dem Deal „a certain level of creative control“ (=> Wikipedia) erwartet. Man möchte ihm das wünschen, wiewohl man weiß, das Majors nicht gerade zimperlich im Umgang sind, wenn ihr finanzieller Input nicht die erwarteten Früchte trägt.

Zwei durchaus erfolgreiche Alben auf RCA Records später, sehen wir uns dieser Tage mit einer Überraschung konfrontiert: Da hat doch glatt jemand die (Vocal-)Bänder des 2021er-Releases „In Search of Lost Time“ den Zion I Kings-Team überreicht – um nichts weniger als drum herum das Roots-orientierte Reggae-Album „In Search of Zion“ (RCA Records) zu basteln (RCA nennt’s gar ein „Remix-Album“). Wessen Idee das war, sei dahingestellt; es mag Protoje selbst sein um in der Reggae-Community wieder etwas Credibility zu erlangen; es mag Sony/RCA Records sein, dass in seinem Roster auch das Sunshine-Reggae-Segment abgedeckt wissen will. Dass es gerade Zion die I Kings getroffen hat, mag deren guten Ruf oder aber auch einer ersten Zusammenarbeit auf Protojes letztem regulären Release „Third Time’s the Charm“ zu verdanken sein.

Nun wissen wir bereits, was wir von den Zion I Kings erwarten können: Einwandfreies Handwerk, gediegene Arrangements und feinster Sound, umgesetzt in klassisch anmutenden Roots-Tunes. Da kann man wirklich nicht meckern, das ist ein solides Backing das jedem Sänger Raum gibt, sein Ding umzusetzen. Das funktioniert sogar, wie in vorliegendem Fall, wenn der Sänger gar nicht neu einsingt. Wunderbar und maximal erhellend: Das Original und die Reggae-Version back-to-back hören, zwei Welten vergleichend. So ein Rap geht doch nicht auf Roots… doch, das geht. Und es hört sich gut an!

Als unerwartete Draufgabe liefern uns Protoje/RCA Records/Zion I Kings auch noch die Dub-Tracks dieser vor zwei Jahren eingespielten Reggae-Versionen. Auch das können die Zion I Kings, wie sie mit den Dub-Alben unter eigenem Namen bewiesen haben – insbesondere mit dem Vol. 1 ihrer Dub-Series, mit dem sie Style Scott einen exzellenten Tribut zollen. Nun wissen wir – und haben es hier auch schon besprochen -, dass man von den Mannen rund um Laurent Alfred keine Wahnsinns-Innovationen erwarten darf – entsprechend gediegen wummern die Dubs bass-lastig aus den Boxen; entsprechend punktgenau und niemals übersteuernd werden die Effekte eingesetzt. Nichts Neues unter der Virgin Islands-Sonne – „nur“ die übliche Verlässlichkeit mit Qualität.

Bewertung: 4 von 5.