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Interview

Interview mit Raphael Alberti (Lazer Fennec)

Raphael, Dub- und Disco-Selector aus Hamburg, ist nach eigener Aussage »noch ziemlich frisch in der Szene.« Im Interview spricht er über seine ersten Berührungspunkte mit Dub, thematisiert Sexismus und Homophobie in der Szene und den Vulkan in seinem Kopf.

Weißt du noch, wann du zum ersten Mal mit Dub in Berührung kamst?

Raphael: Ich bin in Ulm aufgewachsen, mein Bruder war in einer Crew, die Reggae und Dancehall gespielt haben. Da wurde ich zum ersten Mal auf die Musik aufmerksam, besuchte zum Beispiel auch das Chiemsee Reggae Summer Festival im gleichen Jahr. Durch meinen Bruder lernte ich generell sehr viel unterschiedliche Musik kennen: Wu-Tang, Nirvana, System of a Down… Dub war für mich damals noch nicht so präsent. Und so startete ich dann auch mit meiner Plattensammlung erst mal sehr wild gemischt, mit Rockklassikern und sowas.

Erinnerst du dich noch an deine erste Platte?

R: Das müsste ein Album der White Stripes so kurz vorm Abi 2010 gewesen sein. Zu der Zeit hat mein Bruder in Stuttgart in einer WG mit Drum ‚n‘ Bass- und Dubstep-DJs gewohnt und ich erinnere mich, dass dort eines Abends die „Dub Echoes“-Doku lief. Die fand ich so gut, ich musste mir direkt den zugehörigen Soundtrack besorgen und ihn auf der nächsten WG-Party auflegen. Ein Live-Konzert von Lee Perry löste schließlich in mir den Gedanken aus: Wow, Dub ist das Ding! 
Einige Dubveranstaltungen in Offenbach und Darmstadt besuchte ich anschließend zuerst als Fotograf und, nachdem ich die Jungs vom Rebel Lion Soundsystem kennenlernte, auch als Selector und war dann irgendwann Teil der Crew. Ab 2012 organisierten wir über mehrere Jahre regelmäßig Dubpartys in der Oettinger-Villa in Darmstadt, das war echt eine schöne Location. Dadurch haben wir die Leute im Rhein-Main-Gebiet schon mit der Musik angefixt.

Habt ihr dann auch andere Crews inspiriert, etwas auf die Beine zu stellen?

R: Ja, zumindest, dass einige Crews auch mehr Dub ins Set aufnahmen, die vorher eher Roots präferierten. Peifensound aus Wiesbaden zum Beispiel. Aber das Rhein-Main-Gebiet mit Frankfurt als Metropole hat es bis heute leider nicht geschafft, ein richtiges Soundsystem auf die Beine zu stellen, irgendwie stellte das nie so das Zentrum für diese Art von Musik dar.

War das vielleicht auch der Grund, warum du dann irgendwann nach Hamburg gezogen bist?

R: Nein, das war eher, weil unser Soundsystem Rebel Lion aus verschiedensten Gründen damals etwas auseinandergebrochen ist, wegen Umzügen und Kindern und sowas. Mir war Mainz, mein damaliger Wohnort, irgendwann auch einfach zu klein. Ich habe dann mein Studium geschmissen und bin nach Hamburg gezogen, um dort ein Praktikum beim Backspin Hip Hop-Magazine zu beginnen.

Also spielte Hip Hop auch irgendwie immer eine Rolle für dich?

R: Ja voll. Ich wusste aber auch, dass ich in der Dubszene hier in Hamburg aktiv sein wollte. Hatte erst das Hibration Soundsystem im Auge, mich dann aber doch für I-Revolution entschieden.

Dub ist einfach voll die Nerdmucke. Reggae für Nerds. Kiffende Nerds, die Bass mögen, das ist die Dubszene.

Von I-Revolution kennt man dich ja aktuell, wie kam da die Verbindung zustande?

R: Ich war zuerst auf einigen Partys von denen in der T-Stube an der Uni. Über eine Facebook-Gruppe suchten die irgendwann bei der Besetzung der Uni Leute zum Auflegen. Ich hatte da Bock drauf und bin einfach mit meinen Platten hingegangen. Das hat mit den Jungs musikalisch als auch zwischenmenschlich sofort gefunkt. Das war im April 2018 und seitdem geht’s irgendwie steil ab mit I-Revolution: wir haben Open Airs veranstaltet und einige Partys im Gängeviertel.

Wie seid ihr denn bei I-Revolution aktuell aufgestellt?

R: I-Revolution besteht grade aus sieben DJs und noch viel mehr Leuten im Hintergrund, ohne die es einfach nicht geht. Wir bauen auch sehr viel selbst, also zum Beispiel Sirenen und Verstärker. Dub ist einfach voll die Nerdmucke. Reggae für Nerds. Kiffende Nerds, die Bass mögen, das ist die Dubszene.

Das Problem Sexismus ist in der Dubszene auch nicht gelöst.

Bei all dem Spaß fällt bei euch auch die klare politische Ausrichtung auf. Schaut man zum Beispiel in die Veranstaltungstexte eurer Facebook-Events, findet man dort immer Ansagen gegen Sexismus und Homophobie – Themen, die ja oft bei jamaikanischer Musik kritisiert werden. Findest du, dass in der Szene ein größeres Bewusstsein für solche Themen entstanden ist?

R: Die Dubszene in Deutschland und Europa ist auf jeden Fall sehr links geprägt, alleine schon durch die Veranstaltungsräume, wie Autonome Zentren oder besetzte Häuser. Aber das Problem Sexismus ist in der Dubszene auch nicht gelöst. Nur weil in der Musik weniger Lyrics verwendet werden und deshalb auch keine Probleme mit kritischen Äußerungen auftreten, gibt es ja trotzdem Punkte, wie beispielsweise das Geschlechterverhältnis, an denen man auf jeden Fall arbeiten kann. Die meisten Crews bestehen aus Typen, was vielleicht auch mit dieser Nerdkultur zusammenhängt. Ich finde, Musik- und Subkulturen sind meistens auf Macker geprägt, Nerdkulturen ebenfalls, wenn dann beides zusammenkommt, wirds auch nicht besser. Wobei meine Erfahrung mit den Menschen, die neu in die Dubszene kommen ist, dass sich viele sehr wohl fühlen, viele Frauen sagen auch, es ist einfach entspannt bei den Veranstaltungen.

Hast du das Gefühl, dass die genannten linken Themen erst durch euren Einsatz in der Szene wahrgenommen wurden?

R: Ich glaube, das ist nicht durch uns ein Thema geworden, das war schon immer so. Also wenn ich mir Jürgen Becker alias Crucial B hier aus Hamburg anschaue beispielsweise, der vor 26, 27 Jahren in Hamburg startete, hat mit seiner Crew auch schon Veranstaltungen in der T-Stube auf die Beine gestellt oder Hausbesetzungen durchgeführt. Ich denke, in den 90ern war Dub sowieso eine Protestmucke, weil es da auch die Verbindung zum Punk, gerade in England gab. Es sind sicherlich auch einige über Punk zum Dub gekommen, darum auch der linke Szenecharakter. Aber es ist natürlich schwierig, du weißt ja nie, wenn du Tracks auflegst, auch wenn keine expliziten homophoben oder sexistischen Lyrics darin vorkommen, wie die Interpreten ticken. Das ist vielleicht auch so ein Ding, warum sich viele linke Menschen in der Electroszene aufhalten, weil sie denken, keine Lyrics bedeuten keine Homophobie und keinen Sexismus. In der Dubszene und auch in anderen Musikszenen gibts außerdem auch Oldschooler, die sagen, dass früher alles besser war. Ich denke, die Dubszene braucht auch ein bisschen Humor. Gründe, weshalb es auch so schwierig ist, in die Szene reinzukommen. Ein entspannter aber auch geschlossener Kreis. 

Bezüglich geschlossener Kreis: findest du, dass es einen Zusammenhalt innerhalb der Szene, auch beispielsweise überregional, gibt?

R: Ja voll, du kannst kreuz und quer durchs Land reisen, du triffst immer jemanden, den du kennst. Ich wollte dieses Jahr auch mal nach Frankreich, um dort ein bisschen die Szene mitzunehmen. Ob das eine große Veranstaltung in Berlin ist oder ein kleines Festival auf einer Schafsweide in Nordhessen, auf dem ich vor zwei Jahren war. Mit Ponyreiten für die Kinder und selbstgemachtem Eis, voll das Familientreffen. Das ist voll schön in der Szene, man hilft sich gegenseitig. Auch die Gäste, die Leute helfen mit, haben wir auch selbst erlebt bei den Outdoor-Sessions von I-Revolution letztes Jahr. Da packen echt viele mit an und gehen nicht einfach nach Hause. Viele haben auch Bock auf beispielsweise Türschichten, das ist schon alles eine gute Unterstützung und Vernetzung.

Klingt ja alles total schön, wenn da jemand so außenstehend ist und da ein Teil von sein möchte, wie könnte das gehen?

R: Als komplett Außenstehender ist das glaube ich schwierig, also man muss schon die Musik feiern. Momentan kommen aber auch viele im Publikum aus der Electroszene, man merkt es daran, wie die Leute tanzen. Ich glaube, einige sind gelangweilt von den immer gleichen Veranstaltungen dort in der Szene und vor allem Steppers Dub hat ja Ähnlichkeiten mit Techno, ist halt Tanzmusik.

Eure Veranstaltungen sind echt immer brechend voll.

R: Ja und vor allem sind auch viele Kids da. Man merkt, die sind eher auf Techno sozialisiert und shufflen dann zu Steppers (lacht).

Also findest du, das hat alles Zukunft?

R: Im Moment gehts der Szene ganz gut, denke ich. Es entstehen immer mehr Sounds und es wird auch in Deutschland daran gearbeitet, größere Festivals auf die Beine zu stellen, zum Beispiel in Münster, die ja sowieso stark bestückt sind mit Soundsystems und auch Berlin. Sogar in Süddeutschland.

Da wir eben von euren immer brechend vollen Veranstaltungen sprachen, wie kam überhaupt die Verbindung mit dem Gängeviertel zustande?

R: Jimmy, auch bei uns im Soundsystem aktiv, kennt da jemanden. Ich glaube, was uns auch im Herbst gut Auftrieb gegeben hat war, dass wir unsere monatliche Veranstaltung relativ schnell nach dem Gängeviertelgeburtstag gesetzt hatten. Dann hat das Gängeviertel auch noch unsere Veranstaltung bei facebook geteilt. Am ersten Abend schon 500 Zusagen oder Interessierte und insgesamt 3000. Das ging auch bei der zweiten Veranstaltung so weiter. Mittlerweile hat sich das wieder normalisiert auf aber immer noch ungefähr 700. Bei der letzten Party mussten wir nach drei Stunden Einlassstopp machen. Das ist echt heftig, mal schauen, wie das Ganze jetzt in der Roten Flora weitergeht.

Ich mag vor allem Musik, die visuell ist, Soundscapes schafft und Dub ist da eben optimal dafür.

Ich wollte auch noch über deine Selections reden, welche immer sehr divers sind: du spielst Dub, Funk, Soul, Afrobeat, Hip Hop, woher kommt das?

R: Das weiß ich gar nicht so genau, ich kann halt beim Auflegen immer schwer bei einem Stil bleiben, was mich manchmal selbst aufregt, wenn ich so verworren hin und her wechsle. Ich mag vor allem Musik, die visuell ist, Soundscapes schafft und Dub ist dazu eben optimal, um so was zu schaffen. Manchmal ist es aber auch so: wie langsam und wie weird kann der Scheiß sein, den ich auflege und ich versuche da auch gerne mal aus dem Rahmen zu fallen und nicht nur Hits zu spielen.

M: Jetzt seid ihr ja mit I-Revolution für die nächste Veranstaltung erstmal in die Flora umgezogen, gibt’s weitere Pläne für 2019?
R: Ich hätte Bock auf Gäste und Outdoor-Sessions, auch vielleicht mal hier auf der Veddel, Brückenparty oder sowas. Also der Campus ist auch eine coole Location dafür aber vielleicht kommen hier die Cops nicht so schnell (lacht).

M: Abschließend, beschreibe Dub in einem Satz?

R: Wenn ich King Tubby zitieren darf: „Dub ist ein Vulkan in meinem Kopf“. Das trifft’s. 

Interview vom 26.01.2019

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Alpha & Omega – Shadrach, Meshach and Abednega

Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums von Steppas Records melden sich Alpha & Omega mit „Shadrach, Meshach and Abednego“ zurück. Das Album versammelt wie der 2017er Vorgänger „One by One“ fünf Vocal-Tracks mit zugehörigen Dubs im Showcase-Style. Große Überraschungen offenbaren sich nicht: Die britischen Soundsystem-Pioniere bedienen in mystischem, monotonem und bassgewaltigem Gewand etablierte A&O-Hörgewohnheiten. Musikalisch an aktuelle Produktionsmöglichkeiten angepasst, klingen die Tracks frisch, verlieren dabei aber trotzdem nicht den typischen A&O-Sound. Christines live eingespielter Bass unterstreicht die auditive Hochwertigkeit. Mit Joseph Lalibela, Ras Tinny, Wellette Seyon, Danny Red und Nai-Jah versammelt sich ein Querschnitt zeitgenössischer Roots-Sängerinnen. Letzterer verbucht mit seiner sanften und klagenden Stimme auf „Maisha“ das Highlight der Platte für sich. Joseph Lalibela verarbeitet, gewohnt apokalyptisch, die Geschichte der drei judäischen Männer des Albumnamens in „Steppin in the Fyah“. Diese verweigerten nach biblischer Erzählung dem babylonischen König Nebukadnezar den Kniefall und überlebten die Todesstrafe im glühend heißen Ofen. Explizit religiöse Thematiken greift der Großteil der Titel auf, so auch „Jah is Here“ und „Hail Him“. Wellette Seyon formuliert ihre Botschaften in „Real Eyes Realize“ abstrakter. „Shadrach, Meshach and Abednego“ liefert solides Soundsystem-Futter für Tanzwütige und Bassverrückte und ist erhältlich als Vinyl, Download und im Streaming.

Bewertung: 3.5 von 5.
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Babe Roots – Remixes EP

Babe Roots bedient mit seinen deepen und technoiden Klängen die etwas in den Hintergrund geratene Nische des Dubtechno. Der Sound des italienischen Produzentenduos erinnert stellenweise an Veröffentlichungen der Genrepioniere Rhythm & Sound. Im Unterschied dazu gelingen dem relativ jungen Projekt jedoch häufiger catchende Reggae-Hooklines. Auf dem gleichnamigen Erstlingswerk entdeckt die Hörerschaft neben „Kunta Kinte“ auch Burnings Spears „Jah nuh dead“. Zudem verlieren sich die Songs weder allzu sehr in repetitiver Streckung noch tauchen sie nach einmaligem Hören in der Bedeutungslosigkeit ab. Der große Erfolg der Debüt-LP 2017 rief eine ganze Reihe Interessierter auf den Plan. Neben den Begründern selbst, zerlegen und interpretieren nun Mike Schommer, DB1, Felix K. und Forest Drive West insgesamt fünf Songs auf der „Remixes EP“. Letztere beiden blähen die Ursprungswerke um einige Minuten auf. Forest Drive West dünnt minimalistisch aus, während Felix K. brachial nach vorne treibt. Am gelungensten wirkt Schommers Neuschöpfung: nach einer halben Ewigkeit, beinahe quälendem White Noise, lässt der Deepchord Co-Founder die Hunde von der Leine – wenn auch gemächlich. Die vorliegende EP versammelt interessante Ausflüge und Ansätze für all jene, die beim Begriff Techno nicht gleich Reißaus nehmen. Für den Einsatz im Soundsystem greifen Plattendreher*innen besser auf die Originalveröffentlichung zurück und hieven Babe Roots aus der unbeachteten Nische. „Remixes EP“ erscheint bei Echocord als Vinyl oder Download.

Bewertung: 4 von 5.