Daniel unterstützt, als fester Bestandteil vom Hibration und I-Revolution Soundsystem, Hamburgs Dubszene mit seinen Gesangs- und Sprecheinlagen, dem sogenannten Toasting. Im Interview spricht er über die Möglichkeiten, sich kreativ auszuleben, kritische Themen innerhalb der Szene und seine Erfahrungen auf Jamaika.
Was waren deine ersten Berührungspunkte mit Dub und Soundsystems und wie kamst du zum Toasting?
Daniel: Mich kreativ zu artikulieren war mir schon immer ein Bedürfnis. Mit 15 habe ich versucht, eigene Raptexte zu schreiben und diese dann vorm Spiegel geübt. Irgendwann musste ich aber feststellen, dass es auf dem Dorf, wo ich aufgewachsen bin, keine Beats gab und ich konnte selbst auch keine produzieren. Gedichte schreiben erschien mir irgendwie als das Nächstmögliche zum Rappen und so kam ich dann auch zum Poetryslam. Bei unzähligen Nachmittagen im Park vor vielen Jahren drückte mir ein sehr guter Freund irgendwann einfach seine Gitarre in die Hand und zeigte mir zwei Akkorde. Ich wollte dieses Instrument unbedingt lernen, um mich beim Singen, was ich neben dem Poetry Slam auch sehr gerne machte, zu begleiten.
Musikalisch geprägt hat mich auf jeden Fall ein Abend in einem Club in Prag, wo Dubstep gespielt wurde. Ich kannte diese Musik gar nicht und speziell der Ragga/Jungle-Floor war so elektrisierend, dass ich wild mitgetanzt habe. Als ich dann 2010 nach Hamburg zog, war ich natürlich auch hier auf der Suche nach etwas Ähnlichem. Bei einem Auftritt der Dub-Band Zion Train im Hafenklang vor fünf Jahren konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und bin wie ein Flummi rumgesprungen. Mit dem Soundsystem kam ich natürlich über die Hafengeburtstag-Sessions und auch die Veranstaltungen des Dubcafés in der Roten Flora in Berührung. Da dort immer ein Mikrofon rumlag, wagte ich mich da auch mal dran und schnell löste es die Gitarre bei mir persönlich ab. Anfangs war ich zwar nicht sehr erprobt, tolle Vibes kamen aber trotzdem zustande. Im letzten Jahr besuchte ich durch meine Auftritte bei den Local Sounds hier in Hamburg und sogar bis nach München runter gefühlt mehr Veranstaltungen als es überhaupt Wochen im Jahr gibt. Ich weiß noch, als ich damals auf die Musik aufmerksam wurde, gab es vielleicht vier Veranstaltungen mit 15 Besuchern, mittlerweile finden pro Monat mehrere statt.
Du scheinst also in Hamburgs Dubszene sehr fest eingebunden zu sein. Wie würdest du denn deine Rolle oder deine Funktion spezifisch beschreiben?
D: Ich glaube, diese Rolle finde ich selbst erst so nach und nach. Prinzipiell ist die Rolle, dass ich das Mikrofon übernehme, sowohl in Form von Gesang als auch ein bisschen als Medium zwischen dem Publikum und den Leuten, die die Musik auflegen, zu sehen. Darüber hinaus bezeichne ich mich als Aktivist, Soundsystem-Aktivist. Boxen aufzustellen und diese Sessions zu machen, ich glaube, damit kann man der Welt etwas Gutes geben. Einen Nährboden zu schaffen, für etwas, das dieser Gesellschaft guttut. Gerade bei Dub in dieser Lautstärke, das hat so etwas Inspirierendes, gibt irgendwie Kraft, auf einer emotionalen Ebene. Ich finde „Roots & Culture“ ist so ein Begriff, den verbinde ich viel mit Dub und Soundsystem. Roots wäre dieser Begriff, der abdeckt, dass diese Musik beschreibt, wo wir herkommen und wer wir in dieser Welt überhaupt sind, eine bewusste Musik oder eine Musik mit Bewusstsein. Culture als der andere Teil des Ganzen bedeutet, man kann eine Art von Kultur schaffen, einen guten Nährboden für Kultur.
Eine Kultur, wo jeder das reinbringen kann, was er möchte.
Du sprichst viel über Kultur, speziell das Schaffen einer ganz eigenen, neuen Kultur?
D: Ja, eine Kultur, wo jeder das reinbringen kann, was er möchte, ein ganz offener Platz. Schaffen ist der eine Aspekt, wobei ich gar nicht finde, dass es nur um das Schaffen einer Kultur geht. Vielmehr eine Situation zu kreieren, weil ich glaube, Kultur haben wir eigentlich schon alle. Diese kannst du aber nur in bestimmten Situationen auf eine spezielle Art und Weise ausleben und da bietet der Soundsystem-Dance eine ideale Situation für. Im Endeffekt denke ich, dass wir schon alles haben, was wir brauchen, du musst den Menschen nur die Möglichkeit geben, das auch ausleben zu können.
Also einerseits das Bestärken von gewissen positiven Aspekten; sprichst du denn bei deinen Auftritten auch kritische Themen an?
D: Man kennt das ja auf Veranstaltungen, wo Menschen nachts hingehen, um Spaß zu haben. Da gibt es sicherlich Nährboden für Dinge, die nicht so gut sind, Sexismus oder sexuelle Belästigung sind Beispiele. Solche Themen kann man auf eine friedliche Art und Weise ansprechen, wenn sie passieren, dann natürlich aus dem Affekt heraus. Darüber hinaus gibt es politische, gesellschaftliche oder persönliche Dinge, über die man generell sprechen kann, da überlege ich mir dann schon im Vorhinein, was ich sagen will. Themen, die mich selbst beschäftigen, trage ich nach außen.
Da du von Sexismus sprichst: Ein Thema, welches im Zusammenhang mit Reggae, Rastafari und jamaikanischer Musik ebenso gerne kritisiert wird, ist der Vorwurf der Homophobie.
D: Ich glaube, was diese kritischen Themen betrifft, ist es gut, wenn man offen darüber redet, ohne den Teufel an die Wand zu malen: Wenn da etwas ist, wenn du durch Sexismus belästigt wirst, wirst du damit nicht alleine gelassen. Homophobie will ich gar nicht erst den Raum geben, als etwas was ich nicht gutheiße und wo ich auch musikalisch wirklich nicht weiß, was es in dieser Musik zu suchen hat. Wobei dieses Thema natürlich ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellt, welches leider auch in dieser Szene Ausprägungen findet. Man sollte diese Probleme auch überall sehen, wo sie stattfinden und darauf zugehen. Ich glaube, Austausch ist da der richtige Weg und es gibt Leute, mit denen findet man einfach keine Schnittmenge.
Gerade war ich erst wieder einige Wochen auf Jamaika, da ist Homophobie auch ein Thema und Homosexualität sogar per Gesetz verboten. Ich denke, der kulturelle Hintergrund muss verstanden werden aber diese Denkweise zu propagieren, ist falsch, da sollte eine Grenze gezogen werden. Allerdings hatten wir in unserer Gesellschaft schon viele Diskussionen, die in der jamaikanischen nicht stattfanden, abgesehen vom kulturellen und geschichtlichen Hintergrund. Ich kann mir auch vorstellen, dass viele Europäer und Menschen aus anderen Teilen der Welt, die auf diese Insel gehen, weil sie das lieben, was dort passiert, weil sie das inspiriert hat und weil sie sich darin wiederfinden, viel von ihrer Einstellung mit dort hinbringen. Ich denke, die Leute, die hier Reggae hören, sind wenig sexistisch oder homophob. Die sehen das eher kritisch und reagieren da sehr sensibel drauf, tragen solche Themen auch in diese Gesellschaft und sensibilisieren sie auf eine konstruktive und positive Weise.
Themen, die mich selbst beschäftigen, trage ich nach außen.
Ein anderes Thema, das Toaster und Sänger in dieser Musik gerne ansprechen, ist Rastafari. Mal abgesehen von negativen Bestandteilen, die wir grade angesprochen haben, bringst du die positiveren Elemente daraus in deinen Texten auch ein?
D: Den Begriff Babylon auf jeden Fall, der ist fester Bestandteil. Wobei ich auch sagen muss, dass ich kein Rasta bin. Ich glaube zwar, dass es mehr gibt, als wir sehen, verstehen, kennen, berechnen und beschreiben können. Aber ich bin kritisch gegenüber Religionen, wenn sich Dinge formieren und organisieren. Rastafari hat Elemente, wie andere Religionen und Philosophien auch, die für mich Sinn ergeben. Was ich daran z.B. sehr zu schätzen weiß, ist, dass diese Religion in der Zeit nach der Unabhängigkeit Jamaikas, Identität gestiftet hat, was sehr wichtig war. Außerdem trägt diese Religion Themen in die Gesellschaft, wie Bewusstsein und Spiritualität aber auch bewusste und gesunde Ernährung und ökologische Lebenshaltung. Ich habe großen Respekt vor diesem Glauben und dieser Kultur.
Ebenfalls häufig zu beobachten, ist das Reden und Singen im jamaikanischen Patwah. Wie stehst du zu den Vorwürfen der kulturellen Aneignung dieser Sprache durch „Weiße“?
D: Wenn das jemand ist, der das so empfindet, kann ich es natürlich verstehen. Getreu dem Motto: Der Typ hat jetzt Reggae gehört und plappert die Sprache einfach nach. Aber meine Erfahrung auf Jamaika war, dass die Leute das dort feierten, wenn ich es beim Toasten und Singen verwendet habe und nahmen das glaube ich nicht als Disrespect auf.
Du hast eben ganz schön gesagt, dass manche auf diese Insel gehen, um sich selbst zu finden. Hast du dich selbst dort gefunden? Um welche Erfahrungen bist du jetzt reicher?
D: Selbst gefunden habe ich mich auf jeden Fall im Reggae. Da ich gerne Musik mache und kreativ bin, hat mir Reggae den Sinn dahinter gezeigt. Dieses Gefühl wurde auf Jamaika noch verstärkt. Eine sehr schöne Erfahrung war unsere Aufnahme eines Dubplates im Studio. Darüber hinaus konnte ich viele tolle Menschen kennenlernen, leckeres Essen kosten und die wunderschöne Natur genießen. Wirklich einmalig war, dass ich beim Blick in den Dschungel, aufgrund der Dichte, keine zwei Meter weit sehen konnte.
Wie steht es um Dub auf Jamaika?
D: Häufig steht Dub als Überschrift bei den Veranstaltungen, aber das sind nicht die Dubsachen, die wir hier machen. Ich denke, da haben sehr unterschiedliche Entwicklungen stattgefunden, als die Musik von Jamaika nach UK kam. Dancehall ist dort auf jeden Fall sehr präsent, aber auch viel Roots und Rub-A-Dub. Gute Musik auf jeden Fall.
Dub ist für mich: Musikalisch, zwischenmenschlich, kulturell, spirituell.
„Andere Sachen, als wir hier machen“ – was macht denn Hamburgs Dubszene für dich aus?
D: Wie ich schon sagte, gab es früher sehr wenige Sessions und über die Jahre wuchs die Zahl der Veranstaltungen und Sounds. Ich spreche mit den Menschen auf Sessions, auch mit denen, die das alles supporten. Noch viel mehr Leute wollen in der Szene aktiv werden. Was auch ein wichtiger Charakterpunkt ist, dass wenn wir einen Dance auf die Beine stellen, uns um alles selbst kümmern müssen. Wir gehen nicht irgendwo hin, spielen unseren Kram und hauen wieder ab. Wir müssen den ganzen scheiß Laden übernehmen. Die Infrastruktur bauen, die Bar bestücken, die Tür besetzen. Aufbauen ist eine Sache, Durchführen und danach kommt der Abbau. Dafür mache ich’s, dafür bin ich dabei, für den Abbau (lacht). Sehr viel Arbeit, aber man bekommt dafür die Möglichkeit, alles selbst zu machen. Hier in Hamburg passiert viel, sowohl vor, als auch hinter dem Soundsystem.
Zum Abschluss auch für dich der Standardsatz: Beschreibe Dub in einem Satz?
D: Nach meiner prägenden Veranstaltung von Zion Train damals im Hafenklang, hatte ich ein Zitat gelesen: „Instrumental psychedelic Reggae“. Für mich ist es noch sehr viel mehr darüber hinaus: Musikalisch, zwischenmenschlich, kulturell, spirituell.
Interview vom 17.05.2019