John Coltranes „A Love Supreme“ gilt seit seiner Veröffentlichung 1965 als eines der besten Jazzalben aller Zeiten. In der Tat gibt es wohl kein Jazzstück, das so nachvollziehbar, intensiv und anziehend von spirituellen Gefühlen geprägt ist wie diese rund 33-minütige Suite in vier Sätzen: „Acknowledgement“, „Resolution“, „Pursuance“ und „Psalm“. Dieses Album ist der größte Beweis für das Genie eines Komponisten, dessen Virtuosität nur von der Faszination seiner Musik übertroffen wird.
Insbesondere in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren eröffnete das Album vielen Rockmusikern neue Wege und Perspektiven. So kam ich 1973 zum ersten Mal mit einer Adaption von „A Love Supreme“ von Carlos Santana & John McLaughlin in Berührung und war begeistert. Erst danach habe ich mich intensiv mit dem Original beschäftigt. Wenn jetzt die Adaption von Mick Dick für einige Interessierte den gleichen Effekt hat – umso besser.
Der mir bis dahin völlig unbekannte Regisseur, Produzent, Bassist, Sounddesigner und Dub-Künstler Michael „Mick“ Dick begann 1984 am Victorian College of the Arts in Melbourne Jazz und Kontrabass zu studieren. Er wurde Mitglied der MIA (Melbourne Improvisers Association) und entwickelte sich zu einem professionellen Musiker und Klangkünstler. Seit mehr als 30 Jahren tritt er auf, tourt und spielt mit einer Vielzahl von Künstlern verschiedenster Genres, darunter (Free)Jazz, Blues, Reggae, Afro, Latin und experimentelle Musik. Sein Doppelalbum ID of RA – eine Hommage an Sun Ra – erhielt in Australien eine Nominierung für den ARIA Award als bestes Weltmusikalbum 2023.
Fast 60 Jahre! später machte sich der australische Multiinstrumentalist beinahe im Alleingang daran, aus dem Jazzklassiker das Dub-Album „Mick Dick: A Dub Supreme“ zu machen. Dabei hat er die vier Teile des Originals beibehalten. Wie beim Original hat jeder Teil seine eigene Stimmung und Bedeutung. Aus „Acknowledgement“ wird „Dubknowledgement“ und die Eröffnungskadenz, eine einfache Melodie, die auch im Original aus nur vier Tönen besteht, wird in verschiedenen Variationen, Tonarten und Klangmanipulationen durchgespielt. Das Thema durchzieht den gesamten Track, der wie das Original in afrikanischen bzw. lateinamerikanischen Rhythmen gehalten ist. Teilweise klingt die Gitarre auch nach Juju-Musik aus Nigeria, deren bekannteste Vertreter King Sunny Adé oder Ebenezer Obey sind.
In „Dubolition“ setzt die Melodica dort ein, wo im Original „Tranes“ Saxophon zu hören ist. Insgesamt finde ich den treibenden Track spannend, auch wenn die Drum Loops von Prince Fattys Kumpel Horseman teilweise etwas einfallslos wirken. Dafür entschädigt mich „Dubonance“ voll und ganz. Das Schlagzeugsolo des Originals wird durch Percussion und Mbira (Kalimba) ersetzt. Mick Dick kreiert hier Klänge, indem er sie konstruiert und dekonstruiert und dem Moment erlaubt, durch Vibration und Resonanz eine Erzählung zu erschaffen. Eine Klanglandschaft, die dem jamaikanischen Vorbild am ähnlichsten ist. Mit dem mystisch klingenden „Dubness“ endet dieses höchst spannende Album mit einem Ausflug ins Trip-Hop-Genre der frühen 1990er.
Zusammengefasst ist dieses knapp 30-minütige Album mit den Worten von Mick Dick: „Eine vierteilige kulturübergreifende Reise, bei der sich Reggae-, Jazz-, Dub- und Trip-Hop-Grooves zu einer kinematischen Palette verbinden. Es vermischt jamaikanische Riddims, keltische Sufi-Beats, afrikanische Percussions und ethnische Instrumente wie Dholak und Kalimba in einem analogen Live-Mix, der dem Dub-Stil treu bleibt.“ Seine ganz persönliche Weltmusik-Dub-Hommage an John Coltranes „A Love Supreme“. Genau so isses! Seit langem mal wieder ein weiteres „Dubios Dub-Album“.