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Christos DC: Kung Fu Action Theatre

Christos DC ist das Pseudonym von Christopher Vrenios, einem Sohn zweier professioneller Opernsänger aus Washington D.C. – was den letzten Teil seines Künstlernamens sofort erklärt. Den Spitznamen Christos verdankt Christopher seiner griechischen Großmutter. Nach seinem Mini-Album „Matchbox In Dub“ von 2023 meldet sich der griechisch-amerikanische Reggae-Musiker und Produzent mit einem bahnbrechenden Projekt „Christos DC: Kung Fu Action Theatre“ (Honest Music) zurück. Ein reines Instrumentalprojekt, das traditionelle chinesische Instrumente mit Roots-Reggae-Arrangements verschmilzt. Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, aber ich bin der Meinung, dass die Verwendung chinesischer Instrumente ein Novum in diesem Genre ist.
In einem Interview nennt Christos DC zwei Gründe, weshalb er ausgerechnet ein Instrumentalalbum mit traditionellen chinesischen Instrumenten veröffentlichen wollte. Christos DC ist mit Kung-Fu-Filmen aufgewachsen, und die Musik, die er dabei hörte, hat ihn schon immer fasziniert, was ihn wiederum dazu brachte, mehr über klassische chinesische Musik im Allgemeinen zu erfahren. Die Idee, diese beiden Stile miteinander zu verschmelzen, trug er seit vielen Jahren mit sich herum, und das Ergebnis ist nun „Kung Fu Action Theatre“. In „Kung Fu Action Theatre“ kommen drei klassische chinesische Instrumente zum Einsatz: die Guzheng (eine Halbröhrenzither, die mit den Fingern gespielt wird), die Yangqin (ein chinesisches Hackbrett, das einem Saiteninstrument ähnelt und mit Klöppeln gespielt wird) und die Erhu (eine zweisaitige Röhrenlaute, die mit dem Bogen gestrichen wird, ähnlich einer zweisaitigen Geige). Kaum zu glauben, der Hintergrund ist zu 100 Prozent traditioneller Reggae, aber eines kann ich ohne Umschweife sagen: Die chinesischen Instrumente fügen sich traumwandlerisch in eine Fülle kreativer Arrangements ein und schaffen einen neuen Sound, der von Natur aus geheimnisvoll ist.
Zwei Tracks aus dem Projekt wurden bereits vorab von Christos DC veröffentlicht: das eklektische »Mountain King«, das auf Edvard Griegs klassischem Bühnenstück „In the Hall Of The Mountain King“ basiert, und das hypnotische »Distance«, bei dem die chinesische Instrumentierung im Vordergrund steht.
Insgesamt sind die Kompositionen, Darbietungen und die Produktion von „Kung Fu Action Theatre“ von höchster Qualität. An einfallsreichen Arrangements mangelt es nicht. Von der mäandernden, leicht melancholischen Grundidee von »Dread And Alive« bis zu »Far East«, bei dem das Tempo und der Fluss des rhythmischen Arrangements zunehmen. »Long Road« greift mit einer melancholischen, beunruhigenden Komposition den Titel des Albums auf, während »Mystic« mit seinem schnellen Schlagzeugarrangement etwas von Steppers hat. »Rising Sun« ist pures Vergnügen, »Survival« stimmt nachdenklich, während »Swan Lake« (ähnlich wie »Mountain King«) das Lied der Schwäne aus Pjotr Iljitsch Tschaikowskis klassischem Ballett aufgreift und neu belebt.

Es fällt sofort auf, dass sich Christos DC diesmal für einen warmen Roots-Sound mit Bläsern (Brian Falkowski – Saxophon und Paul Hamilton – Posaune) entschieden hat. Ein Sound, der mich sofort an US-amerikanische Virigin Islands-Produktionen erinnert, und das ist kein Zufall, denn das gesamte Projekt wurde von Laurent ‚Tippy I‘ Alfred von I Grade Records professionell abgemischt. Wir hören kein überbordendes Dub-Feuerwerk, sondern einen exzellenten meditativen Klangteppich mit ruhig mäandernden Riddims ohne viel Schnickschnack. Mit Musikern wie Style Scott, Flabba Holt, Kenyatta Hill, chinesischen Künstlern und vielen anderen hat Christos DC letztlich alles richtig gemacht und ein höchst anspruchsvolles Werk geschaffen.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Ronnie Lion: Spanish Town

Vor etwas mehr als zwei Jahren habe ich die Wiederveröffentlichung des Albums „Ambient Warrior: Dub Journey’s“ in den höchsten Tönen gelobt. Noch heute begeistern mich diese wunderbaren Klanglandschaften immer wieder aufs Neue. Auch die Vielseitigkeit dieses 1995er-Albums war schon außergewöhnlich. Hier waren bereits südamerikanische Elemente wie Tango und Bossa Nova zu hören.
Das Kult-Reissue-Label Isle Of Jura veröffentlichte gerade das erste Soloalbum von Ronnie Lion, der einen Hälfte der oben erwähnten Ambient Warrior. Seit einigen Dekaden betreibt Ronnie Lion von Brixton aus sein Reggae-Label »Lion Music«, das seit vielen Jahren für seinen offenen Ansatz bekannt ist, Reggae mit unzähligen anderen Stilen zu mischen. Und welch Überraschung, das Album „Ronnie Lion: Spanish Town“ macht da weiter, wo „Ambient Warrior: Dub Journey’s“ aufgehört hat. Diese bekannten Sounds finden sich auch auf „Spanish Town“ wieder. „Spanish Town“ ist eine tiefe, gefühlvolle Verbeugung vor der Hauptstadt St. Catherine im Südosten Jamaikas. Die Rhythmusgruppe mit Ronnie Lion am Bass und Horseman am Schlagzeug bildet ein solides Fundament für die komplexen und eingängigen Hooks von Sean Wilkinsons spanischer Gitarre. Geschmeidige, lyrische Flamenco-Melodien des Lead-Gitarristen, werden gekonnt über schlendernde Roots- und Dub-Reggae-Grooves gelegt.
Wie vage Erinnerungen an einen erholsamen Urlaub am Meer wirken die neun wunderschön instrumentierten Instrumentalstücke auf „Spanish Town“. Ronnie Lions Basslines unterstreichen die warmen Keyboardsounds und natürlich das erstklassige Fingerpicking von Sean Wilkinson. Die unglaublich schönen Melodien zwischen dem geheimnisvollen, fast nostalgischen Flamenco »Hombre Peligroso« und dem federnden »Alligator Pond« sind dafür wohl der beste Beweis. Allerdings muss ich gestehen, dass die Tracks mit diesen schwülstigen „Synthie-Streicher-Einlagen“ meiner Meinung nach oft knapp an der Fahrstuhlmusik eines Einkaufszentrums vorbeischrammen. Wobei mich der berauschende Skank von „Naranja Colina“ neben dem brodelnden „Grants pen Steppers“ wieder voll überzeugen.

Unterm Strich ein sehr gelungenes, abwechslungsreiches Reggae-Instrumentalalbum mit einem ausgesprochen seltenen Alleinstellungsmerkmal, nämlich der spanischen Gitarre. Ein Album, das geschickt Reggae & Dub mit spanischen Klängen kombiniert, ist nicht nur Dub- und Reggaefans, sondern auch Tango-, Bossa Nova-, Folk- und Weltmusikliebhabern wärmstens zu empfehlen. Sollte man gehört haben.

Bewertung: 4 von 5.
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Awa Fall: Dub & Flames

Die im Oktober 1996 in Bergamo geborene italienische Reggae-Künstlerin senegalesischer Abstammung Awa Fall Mirone meldet sich mit einem Album zurück. Fast ein Jahr nach der Veröffentlichung des Song-Albums „Fire & Flames“ (WOW Records) folgt nun die Dub-Version „Awa Fall: Dub & Flames“ (WOW Records), an der einige illustre Gäste mitgewirkt haben – dazu später mehr.

Seit den 80er Jahren gibt es in Italien eine sehr lebendige Reggae-Szene. Stars wie Alborosie oder Africa Unite und weltbekannte Soundsystems wie One Love Hi Powa sind vielen ein Begriff, nicht zu vergessen das Rototom-Festival. Ein aufsteigender Stern am italienischen Reggae-Himmel ist zweifellos Awa Fall, Tochter eines senegalesischen Vaters und einer italienischen Mutter. Nachdem sie einige Jahre mit ihrer Tante Valentina auf der Bühne gestanden hatte, beschloss Awa Fall im Alter von 18 Jahren, ihr eigenes Projekt zu starten. So veröffentlichte die Sängerin, Songwriterin und Musikerin 2016 ihr erstes Album „Inna dis ya Iwa“ und ging mit den Eazy Skankers auf Tour. Das zweite Album „Words Of Wisdom“ ist im Januar 2019 erschienen. Das Album ist eine schillernde Produktion, die von Reggae über Hip-Hop alle Genres der schwarzen Musik berührt.
Mit durchschnittlich 100 Konzerten pro Jahr hat Awa Fall ihre Musik mittlerweile in ganz Europa und der Welt bekannt gemacht. Sie trat auf vielen großen europäischen Bühnen auf, wie z.B. dem Rototom Sunsplash in Italien, dem African Festival in Deutschland, dem Uprising in der Slowakei, dem Txapel im Baskenland etc. Außerdem hat Awa eine direkte Zusammenarbeit mit der Schule E.M.P PA Unite 15 in Dakar (Senegal) begonnen: für jedes Konzert spendet sie einen Prozentsatz an die Schule, die vielen Kindern, Jungen und Mädchen, von der Grundschule bis zum Gymnasium, eine Ausbildung ermöglicht.

Das nur 26 Minuten lange Album „Dub & Flames“ besteht aus sieben Tracks, die aus den acht Originaltiteln ausgewählt wurden, und wie auf dem abwechslungsreichen Album „Fire & Flames“ zeichnet sich jeder Track durch seinen eigenen Stil aus.
Die ersten beiden Tracks sind »Dub Resurrection« und »Dub & Flames«, die vom österreichischen Label Anaves Music produziert wurden. Der dritte Track ist das bereits bekannte und von Gaudi produzierte »I Wanna Dub«, das schon als Preview mit dem Originaltrack veröffentlicht wurde. »Dub Music« featured den englischen Künstlers Brother Culture und wurde von Dub Tree produziert. »Show Dub« featured den senegalesischen Künstler Ombre Zion und wurde von Nico Roccamo produziert. Der meisterhafte »Dub for the Rights« wurde von Paolo Baldini DubFiles produziert, der den Track in seinem unverwechselbaren Stil gedubbed hat, der ihn seit einigen Jahren auszeichnet. Der letzte Dub-Track des Albums ist »Key To Dub«, produziert von Buriman, dem Reggae & Dub-Produzenten und Mitbegründer des Projektes Moa Anbessa, dessen Dubplates und Veröffentlichungen regelmäßig von Top-Soundsystems wie Jah Shaka und Aba Shanti gespielt wurden/werden.
Alles in allem ein sehr schönes, modernes One-Drop-Reggae-Album auf der einen Seite mit kraftvollem Steppers-Stil auf der anderen.
Das vorliegende Werk wurde vom italienischen Komponisten, Musiker, DJ und Produzenten Walter Buonanno alias Walter Bonnot gemastert.

Bewertung: 4 von 5.
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Vibronics: Woman On A Mission 2

2018 veröffentlichte Steve Vibronics ein Album, für das er ausschließlich Sängerinnen eingeladen hatte, Vocals zu seinen Produktionen beizusteuern. Es trug den programmatischen Titel „Woman on a Mission“ und sollte das Schlaglicht auf weibliche Protagonistinnen in der UK-Soundsystem-Szene werfen. Denn wie generell im Roots-Reggae, im Dub und weitgehend sogar in der Dancehall-Szene sind weibliche Artists dramatisch unterrepräsentiert. Also eine wirklich gut gemeinte Aktion des UK-Dub-Urgesteins. Leider war das musikalische Ergebnis seiner Bemühungen nicht wirklich gut gelungen. Viel schwerer wog aber aus meiner Sicht, dass die hier versammelten Sängerinnen eben genau das waren: Sängerinnen. Wo blieben die Produzentinnen und weiblichen Sound System-Betreiberinnen? Nun, sechs Jahre später, erscheinen die beiden Alben „Woman On A Mission 2“ und „Woman On A Mission 2 – The Dub Mixes“ (Scoops Records) und beheben diesen Schönheitsfehler eindrucksvoll. Zwar sind die ersten vier Tracks von „Woman On A Mission 2“ ebenfalls wieder Vocal-Tracks – diesmal mit Carroll Thompson, Sandra Cross, Marina P und den Sisters in Dub an den Mikrophonen, aber die verbleibenden acht Tracks sind lupenreine Dubs, produziert von weiblichen Protagonistinnen der internationalen Dub-Szene – Steve Vibronics summiert sie unter „The Riddim Makers“. Namentlich handelt es sich um Sista Habesha aus Italien, Empress Shema aus dem UK, Vanya O’hnec, Red Astrid Soul Steppa von den Philippinen und Koko Vega aus Spanien. Unklar bleibt, ob diese Produzentinnen ihr Material in das Vibronics-Studio mitbrachten oder vor Ort gemeinsam mit Steve Vibronics Tracks entwickelten. Das Ergebnis ist jedoch beeindruckend kohärent und trägt trotz der geographischen Vielfalt deutlich die Handschrift des UK-Dub. Das wiederum hat zur Folge, dass sich trotz des vorbildlichen Engagements mit dem Album kein Innovationspreis gewinnen lässt – auf einem Sound System-Gig ließe sich mit den Steppers-Tracks hingegen mächtig für Furore sorgen. Obgleich es sich bei acht der zwölf hier versammelten Tracks bereits um Dubs handelt, gibt es ein explizites Dub-Album-Pendant unter dem Titel „The Dub Mixes“. Wie zu erwarten, klingt hier alles noch einmal eine Ecke härter, noch mehr nach vier Uhr morgens in einer Sound System Night, mehr Hall, mehr Bass und halsbrecherische Mixes. Natürlich gilt es hier, den vier Vocal-Tracks zu entsagen, aber deren Dub-Reinkarnation ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Leider gibt es die „Dub Mixes“ nicht im Stream, sodass ihr Genuss mit 10 britischen Pfund erkauft werden muss, was sie wahrscheinlich zu einem exklusiven Hörvergnügen machen wird.

Bewertung: 3.5 von 5.
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Ras Teo: Ion Man in Dub

Was erwartet man wohl von einem Album, bei dem sich Lone Ark, Zion High und I Grade (sprich: Roberto Sanchez, David Goldfine und Laurent Alfred) die Hand geben? So ziemlich die Roots-Granate schlechthin – noch dazu wo es sich um den neuen Release von Ras Teo handelt, der mittlerweile vom Rezensenten und – wie man hört – in der Community geschätzt wird. Und das Teil gibt’s kommt auch noch mit feinster Artwork: einem klassischen Portrait des Kaisers von Äthiopien – wann hat man sowas zuletzt in solch‘ schöner Aufmachung gesehen?

Deshalb geich vorweg: Ras Teo’s neuer Release „Ion Man in Dub“ (Forward Bound Records) und das entsprechende Vokal-Album „Ion Man“ erfüllen durchaus die hohen Erwartungen: Die Produktion ist 1A – nicht weichgespült wie so manche neuere I-Grade Produktion, sondern schön griffig; sie bedient sich klassisch anmutenden Arrangements und kann mit Extras wie feinen Bläsersätzen und wunderbaren Querflöten-Passagen aufwarten. Auch David Goldfine‘s dynamischer Dub-Mix ist gediegenes Handwerk – ohne zukunftsweisende Gimmicks, aber einem Echo, das reichlich eingesetzt und punktgenauer nicht sitzen könnte; der Hall unterstützt die passenden Passagen wohldosiert. Kurzum: Allein produktionstechnisch wäre das Ganze schon ein Fall für eine 5-Sterne-Rezension, wenn… ja wenn da nicht die Fade-outs wären. Die sind ja wohl mittlerweile ein No-go, wer macht die noch? Gerade bei Dub-Tunes sind Fade-outs eine Schande, wo sich doch Effekte en masse anbieten, um einen dubbigen Schlussakkord zu setzen. Also bitte: Das muss nun wirklich nicht mehr sein.

Wir beschäftigen uns hier zwar mit Dub, ich möchte aber trotzdem eine Lanze für das Vokal-Album „Ion Man“ (Forward Bound Records) brechen: Nicht nur Ras Teo’s samtweicher Gesang hat sich weiterentwickelt – man beachte etwa die wunderbar übereinander gelegten Backing-Vocals; auch sein Songwriting hat ein neues Niveau erreicht und langt schon an das von Ijahman Levi heran. Als eindrucksvolles Beispiel sei der Track „Hard Fe Ketch“ genannt, der ebenso gut auf einem Ijahman-Album hätte erscheinen können. Auch hier: 5 Sterne-Material, wenn… ja wenn da nicht wieder die ungeliebten Fade-outs wären, siehe oben: No-go.

Unter’m Strich haben wir’s mit zwei feinen Roots-Alben zu tun, die süchtig machen und beim Rezensenten zur Zeit gefühlt rund um die Uhr laufen. „Ion Man in Dub“ ist aktuell leider nur eingeschränkt über bandcamp erhältlich; das Vokal-Album „Ion Man“ hingegen hat den großen Release erhalten und ist quasi auf allen digitalen Plattformen zu finden. Sämtliche Daumen hoch für beide Releases – aber ein kleiner Sterne-Abzug für obiges Ungemach.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Youthie & Macca Dread: Gecko Tones

Youthie und Macca Dread setzen mit ihrem neuen Album „Gecko Tones“ (Youthie Records) nahtlos dort an, wo sie mit „The Roots Explorers“ aufgehört haben, das wiederum dort anknüpfte, wo die beiden mit „Nomad Skank“ zuvor stehen geblieben waren. Diese Kontinuität sollte nicht als Stagnation missverstanden werden. Die Multiinstrumentalistin Youthie und der Riddim-Maker Macca Dread setzen ihre Zusammenarbeit einfach auf dem gleichen hohen Niveau fort. Die 44 Tracks der drei Alben könnten in einer einzigen ausgedehnten Session entstanden sein. Ich ahne es schon: Meine Worte können nicht ohne eine leichte Kritik gelesen werden, da oft die allgemeine Erwartung besteht, dass sich alles ständig weiterentwickeln und verbessern muss. Doch für uns Freunde des Dub ist klar: Gutes bleibt. Und dies muss man den beiden Franzosen wirklich zuschreiben: Was sie tun, ist wirklich, wirklich gut. Eine Veränderung könnte diesen Status der Perfektion gefährden. Daher bin ich dankbar dafür, dass Macca Dread für „Gecko Tones“ ebenso kraftvolle Rhythmen produziert hat wie für die Alben zuvor und und das Youthie ihr Instrumentalspiel dazu abliefert, wie es kongenialer nicht sein könnte. In jeder Note ist zu hören, dass Juliette Bourdeix aka Youthie, die klassisch an der Trompete ausgebildet wurde, nicht nur ihr Handwerk beherrscht, sondern den Reggae bis ins Mark verinnerlicht hat. Ihre Trompete, gelegentlich auch Querflöte oder Akkordeon, spielt nicht stumpf über die Rhythms – wie nicht selten bei Reggae-Instrumentalalben zu hören ist –, sondern MIT ihm. Youthie spürt den Vibe des Reggae auf eine Weise, die nur einer wahren Liebhaberin dieses Genres möglich ist, und verwebt ihr Spiel mit den Beats zu einer untrennbaren Einheit. Youthie und Macca Dread haben hier wahre Instrumental-„Songs“ geschaffen, in denen sich Rhythms und Lead-Instrument perfekt ergänzen und miteinander interagieren. Das Ergebnis sind vollkommen stimmige Instrumentalstücke, wie man sie im Reggae nicht allzu oft hört. Geschickt ist auch, wie Youthie von Track zu Track die Instrumente wechselt und so für viel Abwechslung sorgt. Sie lässt auch Musikstile verschiedener Kulturen anklingen, was das Hörerlebnis des Albums zu einer kleinen Reise macht, die uns vor allem nach Osteuropa in den Balkan führt. Dabei findet sie stets wunderschöne Melodien, die ihre Stücke prägen und einzigartig machen. Doch die Musik von Youthie könnte ihre Magie nicht entfalten ohne die absolut brillanten Produktionen von Macca Dread. Auch ihm gelingt es, abwechslungsreiche Tracks zu komponieren, die er vollständig selbst analog einspielt und sie in einem dynamischen, crispen Klanggewand zu produzieren. Wer nun noch darüber meckert, dass es keinen „richtigen“ Dub-Mix gibt, sollte sich in die Ecke stellen und schämen.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Menotti HiFi: YKSI

Es gibt ein neues Kind im Viertel: Menotti HiFi. Drei Musiker aus Münster, Thomas Hoppe (Drums), Gudze (Bass) und Arne Piri (Keyboard) bilden das Trio, von dem zwei der Akteure bereits Mitglieder der Senior Allstars waren. Nach drei Jahren Jam Sessions, Experimentieren und Sound-Findung, legen sie nun ihr Debutalbum vor: „YKSI“ (Vinyl Only Records). Name und Herkunft der Band verweisen auf Dub – und doch verstehen die drei sich nicht als „Dub Act“. Sie klingen (nach eigener Aussage), als würden die Beastie Boys ein Instrumental-Album in Lee Perry’s Black Ark Studio aufnehmen. Da die Beastie Boys bekanntlich keinen Reggae gespielt haben, dürfte klar sein, dass wir es hier mit einem Sound ziemlich am Rande des Genres zu tun haben – was ja ganz erfrischend sein kann. Für mich klingt es nach Rock und Breakbeat, gespielt und verarbeitet nach dem Konzept von Dub. Schwer genauer zu beschreiben und ebenso schwer, es zu bewerten, da die klaren Referenzen fehlen. Am besten, ihr hört mal selbst rein.

Bewertung: 3.5 von 5.
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Thriller featuring Augustus Pablo

Fakt ist: Reggae-Visionär und -Pionier Augustus Pablo war mit seinem einzigartigen Sound maßgeblich an der Entstehung der aufkeimenden Dub-Reggae-Szene beteiligt. Von einem frühen Album soll Augustus Pablo gar nicht begeistert gewesen sein. Es erschien 1975 in England auf dem Label Nationwide und auf dem Cover stand: „Thriller featuring Augustus Pablo“, produziert von Enos McLeod. Im Laufe der Jahre gab es mehrere fragwürdige Veröffentlichungen des Albums. Bei allen verschwand das »Featuring« und es wurde daraus „Augustus Pablo: Thriller“ oder „Augustus Pablo: Pablo Nuh Jester“, mit veränderter Trackreihenfolge und fünf zusätzlichen Titeln – auf die ich am Ende noch kurz eingehen werde. Bei der Wiederveröffentlichung durch das kanadische Label Abraham/Clocktower wurden sowohl der Originaltitel des Albums als auch alle Tracks umbenannt. Also aufgepasst: „Augustus Pablo: Dubbing In A Africa“ ist „Thriller“.
Bei der Vinyl-Wiederveröffentlichung am Black Friday (25.11.2022), die durch ORG Music am Record Store Day (RSD) ermöglicht wurde, waren 1.400 Exemplare zum Preis von je 25,99 Dollar in den Vereinigten Staaten in kürzester Zeit ausverkauft. Ausgerechnet mit dieser längst überfälligen Neuauflage gelang Augustus Pablo posthum erstmals der Sprung in die Billboard Reggae Album Charts.

Auch wenn Augustus Pablo anderer Meinung war: „Thriller“ ist ein herausragendes Album, das einige der besten Arbeiten des viel zu früh verstorbenen Ausnahmemusikers und Produzenten außerhalb seiner gemeinsamen Projekte mit King Tubby enthält. Ein Werk, auf das Enos McLeod als Produzent stolz sein kann. Wobei noch unklar ist, was er davon tatsächlich produziert hat. „Last Of The Jestering“ hat er jedenfalls nicht produziert, das geht eindeutig auf das Konto von Leonard Chin. Dasselbe gilt für „Pablo Nuh Jester“, ein weiteres Stück im gleichen Rhythmus. Von den restlichen acht Stücken kann man „Fat Girl Jean“ definitiv als Pablos Werk abhaken. Der Klang des Klaviers lässt mich das vermuten, denn nur Pablo scheint es zu schaffen, dass ein Piano diesen Sound erzeugt. Die Melodica Tracks lassen sowieso keinen Zweifel daran.

Die A-Seite des Vinyls beginnt mit dem Titeltrack »Thriller«, der mit einem großartigen Posaunenpart aufwartet, während eine superlangsame Bassline über einem Cymbal-lastigen Schlagzeug schwebt.
Bei »Pablo in Red« steht Augustus’ Melodica im Mittelpunkt und ein felsenfester Bass bahnt sich seinen Weg durch die Lautsprecher.
»Pablo Style« ist eine langsame, Melodica geführte Instrumentalversion des Ken Boothe-Klassikers »Everything I Own«.
»Last of the Jestering« ist eine schwere Dub-Version mit schepperndem Schlagzeug, und Augustus spielt auf seiner Melodica die Hauptmelodie einfach großartig. Patti Smith spielte bei ihren Konzerten gerne eine etwas abgespeckte Version des Songs.
Mein ganz persönlicher Favorit ist seit jeher die B-Seite dieses Sammlerstücks. Sie beginnt mit »Pablo Nuh Jester«, einer wesentlich geradlinigeren Version von »No Jestering«, einem Song von Carl Malcolm aus dem Jahr 1973.
Es folgt »Fat Girl Jean«, ein wummernder Bass und ein schleppendes Schlagzeug werden von einer sanften Melodica umschmeichelt.
»Marcus Garvey« macht den alten Burning Spear Klassiker mit seinem deutlich schnelleren Rhythmus zu einem echten Sahnestückchen und Augustus Pablo begeistert mich bei jedem Hören mit dieser vom Piano geführten Instrumentalversion.
In »Rocky Road« zeigt Augustus, welch‘ wunderbare Klänge er seiner Melodica entlocken kann, während die Gitarre gelegentlich zum Einsatz kommt. Zwei weitere Versionen des Burning Spear Studio One Klassikers »Foggy Road« heißen »Rocky Road« und »Skibo Rock«. Beide Stücke können meines Erachtens ebenfalls Pablo zugeschrieben werden. Diesmal aufgrund der sehr ausgeprägten Clavinet-/Keyboardarbeit in »Skibo Rock«. Das schnellere, fast tanzflächentaugliche »Skibo Rock« bildet den krönenden Abschluss eines längst vergessenen Killer-Albums.
Der Sound ist wie bei vielen Alben aus dieser Zeit etwas dumpf, aber der Bass wummert und das Schlagzeug scheppert so unglaublich schön. In meinen Ohren erzeugt der warme, fast sanfte Sound des Albums ein luftiges und zugleich hypnotisches Hörvergnügen.

Anmerkung: Die letzten fünf Dubs auf der CD haben nichts mit „Thriller“ zu tun und werden Lloyd Parks & We The People Band zugeschrieben.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Ras Teo & I David: Bredda Daniel in Dub

Guten Alben feiern immer wieder mal ein Comeback – oder, wie in diesem Fall, auch mal einen ordentlichen Release auf allen nennenswerten Streaming-Kanälen. Bislang hatte Ras Teo und I David’s Dub-Version ihres 2015er-Releases „Bredda Daniel“ ein paar Jahre mehr oder weniger versteckt ihr Dasein in den bandcamp-Katakomben gefristet; jetzt aber wurde „Bredda Daniel in Dub“ (Akashic Records), offensichtlich nicht nur optisch aufgehübscht und aufpoliert, ins verdiente Licht von Spotify & Co gehievt. Der Streaming-Geldhahn per se hat ja ziemlich wenig Druck, aber er im Gegensatz zum leicht zu unterwandernden bandcamp-Angebot tröpfelt er tagein-tagaus vor sich hin, und das möchte man Ras Teo und I David auch herzlich gönnen.

Die Beiden sind ein durchaus eingespieltes Team: „Bredda Daniel“ war ihre erste Zusammenarbeit, gefolgt vom „Timeless“-Album und etlichen weiteren Veröffentlichungen, bevorzugt im Single-Format. Über Ras Teo selbst braucht man hier nicht mehr viel verlieren – dem geneigten Leser sei die dubblog-Rezension von seinem feinen, von Roberto Sanchez produzierten „Ten Thousand Lions“-Album ans Herz gelegt. Allerdings sei hinzugefügt, dass sich mein Verhältnis zu Ras Teo’s Stimme– seinen zahlreichen weiteren Veröffentlichungen geschuldet – jetzt positiver gestaltet. Ich habe mittlerweile auch gehörigen Respekt vor der Inbrunst, mit der er seine tiefreligiösen Texte, die oft wie direkt aus dem Tanach entnommen wirken, vorträgt. Da gibt es kein Abweichen in seichtere Gewässer weltlicher Themen – der Mann kennt die Heilige Schrift, lässt das die Welt wissen und erinnert damit stark an die 1970er, als der Roots Reggae mit der Bibel noch auf Du und Du war.

I David hingegen ist im Studio zuhause und produziert scheinbar unaufhörlich Tracks – mal mit live-roots-Feeling, mal mit digitalem Presslufthammer. Für die Arbeiten mit Ras Teo hat er sich – gottseidank – für ersteres entschieden, zumal die sterilen Digi-Sounds dem Sänger nie sonderlich gut gestanden haben – siehe Ras Teo’s erste Alben. Er verantwortet auch den Mix von „Bredda Daniel in Dub“, dem er im Gegensatz zum diesbezüglich eher schwächelnden Vokal-Album eine extra Prise Bass spendiert hat. 

Das kommt gut, keine Frage, aber es könnt‘ schon noch ein wenig mehr sein für meinen Geschmack. Sonst gibt’s herzlich wenig zu meckern: Klassischer Dub mit schönen, nichts weniger klassischen Effekten – ein Album mehr, das ebenso gut anno dunnemals aus den Speakern hätte wummern können. Das passt, sitzt, hält, macht Freude und ist allemal eine Empfehlung wert.

P.S.: Wer sich mehr Melodica antun möchte, findet viele der „Bredda Daniel“-Tracks auf I David’s instrumentalen „Roots Radical“-Album.

Bewertung: 4 von 5.
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iGL & Alecho: Revolution

Okay, man kann sich trefflich darüber echauffieren, dass „richtiger“ Sound System-Dub seit 25 Jahren auf der Stelle tritt, man kann sich aber auch darüber freuen, dass Dub in der Nähe von elektronischer Minimal-Musik durchaus spannende neue Wege beschreitet. Ein richtig schönes Beispiel dafür ist das Album „Revolution“ von iGL & Alecho (Dubphonic). Das Duo Konstantinos & Alexandra lebt und arbeitet in Athen, wo auch das vorliegende Album aufgenommen wurde. Es ist unverkennbar Offbeat-getriebener Dub, der aber ganz unmerklich mit einem Bein im Genre elektronischer Musik steht und die Möglichkeiten des Crossovers clever auslotet. Mir gefallen vor allem die fein austarierten Arrangements der minimalistisch anmutenden Rhythms. Erstaunlicherweise keinesfalls monoton oder gar langweilig, sondern spannende Hörstücke – auf die es sich aber einzulassen gilt. Beim Sound System-Clash würde niemand auf die Idee kommen, Musik von iGL & Alecho aufzulegen, aber wer sich in Kontemplation ergeht und mal genau hinhört (bestenfalls über Kopfhörer) wird auf intelligente Art gut unterhalten. Was übrigens nicht bedeutet, dass es der Musik an Kraft und Dynamik fehlt. Ganz und gar nicht. Die Beats sind – bei entsprechender Lautstärke – durchaus beeindruckend. Da die Tracks aber konsequent auf Prahlerei, dicke Hose und Aggression verzichten, vermittelt sich der wohltuende Eindruck echter Entspanntheit. Sehr angenehm.

Bewertung: 4 von 5.