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Mick Dick: A Dub Supreme

John Coltranes „A Love Supreme“ gilt seit seiner Veröffentlichung 1965 als eines der besten Jazzalben aller Zeiten. In der Tat gibt es wohl kein Jazzstück, das so nachvollziehbar, intensiv und anziehend von spirituellen Gefühlen geprägt ist wie diese rund 33-minütige Suite in vier Sätzen: „Acknowledgement“, „Resolution“, „Pursuance“ und „Psalm“. Dieses Album ist der größte Beweis für das Genie eines Komponisten, dessen Virtuosität nur von der Faszination seiner Musik übertroffen wird.
Insbesondere in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren eröffnete das Album vielen Rockmusikern neue Wege und Perspektiven. So kam ich 1973 zum ersten Mal mit einer Adaption von „A Love Supreme“ von Carlos Santana & John McLaughlin in Berührung und war begeistert. Erst danach habe ich mich intensiv mit dem Original beschäftigt. Wenn jetzt die Adaption von Mick Dick für einige Interessierte den gleichen Effekt hat – umso besser.

Der mir bis dahin völlig unbekannte Regisseur, Produzent, Bassist, Sounddesigner und Dub-Künstler Michael „Mick“ Dick begann 1984 am Victorian College of the Arts in Melbourne Jazz und Kontrabass zu studieren. Er wurde Mitglied der MIA (Melbourne Improvisers Association) und entwickelte sich zu einem professionellen Musiker und Klangkünstler. Seit mehr als 30 Jahren tritt er auf, tourt und spielt mit einer Vielzahl von Künstlern verschiedenster Genres, darunter (Free)Jazz, Blues, Reggae, Afro, Latin und experimentelle Musik. Sein Doppelalbum ID of RA – eine Hommage an Sun Ra – erhielt in Australien eine Nominierung für den ARIA Award als bestes Weltmusikalbum 2023.
Fast 60 Jahre! später machte sich der australische Multiinstrumentalist beinahe im Alleingang daran, aus dem Jazzklassiker das Dub-Album „Mick Dick: A Dub Supreme“ zu machen. Dabei hat er die vier Teile des Originals beibehalten. Wie beim Original hat jeder Teil seine eigene Stimmung und Bedeutung. Aus „Acknowledgement“ wird „Dubknowledgement“ und die Eröffnungskadenz, eine einfache Melodie, die auch im Original aus nur vier Tönen besteht, wird in verschiedenen Variationen, Tonarten und Klangmanipulationen durchgespielt. Das Thema durchzieht den gesamten Track, der wie das Original in afrikanischen bzw. lateinamerikanischen Rhythmen gehalten ist. Teilweise klingt die Gitarre auch nach Juju-Musik aus Nigeria, deren bekannteste Vertreter King Sunny Adé oder Ebenezer Obey sind.
In „Dubolition“ setzt die Melodica dort ein, wo im Original „Tranes“ Saxophon zu hören ist. Insgesamt finde ich den treibenden Track spannend, auch wenn die Drum Loops von Prince Fattys Kumpel Horseman teilweise etwas einfallslos wirken. Dafür entschädigt mich „Dubonance“ voll und ganz. Das Schlagzeugsolo des Originals wird durch Percussion und Mbira (Kalimba) ersetzt. Mick Dick kreiert hier Klänge, indem er sie konstruiert und dekonstruiert und dem Moment erlaubt, durch Vibration und Resonanz eine Erzählung zu erschaffen. Eine Klanglandschaft, die dem jamaikanischen Vorbild am ähnlichsten ist. Mit dem mystisch klingenden „Dubness“ endet dieses höchst spannende Album mit einem Ausflug ins Trip-Hop-Genre der frühen 1990er.

Zusammengefasst ist dieses knapp 30-minütige Album mit den Worten von Mick Dick: „Eine vierteilige kulturübergreifende Reise, bei der sich Reggae-, Jazz-, Dub- und Trip-Hop-Grooves zu einer kinematischen Palette verbinden. Es vermischt jamaikanische Riddims, keltische Sufi-Beats, afrikanische Percussions und ethnische Instrumente wie Dholak und Kalimba in einem analogen Live-Mix, der dem Dub-Stil treu bleibt.“ Seine ganz persönliche Weltmusik-Dub-Hommage an John Coltranes „A Love Supreme“. Genau so isses! Seit langem mal wieder ein weiteres „Dubios Dub-Album“.

Bewertung: 4 von 5.
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Scientist: Direct-To-Dub

Vor über 44 Jahren habe ich mein allererstes Scientist-Album „Heavyweight Dub Champion“ zu Hause auf den Plattenteller gelegt – ein »Blindkauf«. Bereits nach den ersten Takten habe ich dieses Album geliebt. So etwas hatte ich noch nie gehört. Scientist zauberte aus Barrington Levys Song-Album „Robin Hood“ ein Dub-Album, wie es radikaler damals nicht hätte sein können. Zusammen mit dem Dreamteam Henry ‚Junjo‘ Lawes als Produzent, den Roots Radics und Scientist am Mischpult entstand ein satter, trockener Sound, den man so noch nie zuvor gehört hatte. Gerade fällt mir ein, dass Scientist auch zusammen mit Helmut Philipps auf dem Cover des Dub Konferenz Buches zu sehen ist. Warum wohl? Scientists Beitrag zum Dub ist meiner Meinung nach nicht einmal mit Gold aufzuwiegen, er hat ihn einfach radikal weiterentwickelt und auf ein neues Level gehoben. Viele Jahre und, wie man liest, rund 60.000 Aufnahmen später hat Hopeton Overton Brown alias Scientist bewiesen, dass er immer noch zu den einflussreichsten Persönlichkeiten des Dub gehört. Umso mehr freue ich mich, etwas Neues vom Großmeister auf die Ohren zu bekommen. Umgeben von analogem Vintage-Equipment entstand „Scientist: Direct-To-Dub“ (Night Dreamer) in einer Art und Weise, die an seine frühen Tage als Sechzehnjähriger bei King Tubby erinnert, wo alles begann. Für die Night Dreamer-Session versammelte Scientist Musiker aus der Londoner Reggae-Szene, darunter die Rhythmusgruppe Mafia (Bass) und Fluxy (Schlagzeug) von The Instigators, den Gitarristen Tony Ruffcut von Creation Rebel, den SingJay Donovan Kingjay, den Keyboarder Greg Assing von Jah Shaka oder den Twinkle Brothers und den Saxophonisten Finn Peters. Verstärkt wurde die Crew von Salvoandrea Lucifora, einem Posaunisten aus Amsterdam und Kopf der niederländischen Zebra Street Band, sowie den Backgroundsängerinnen Alyssa Harrigan und Peace Oluwatobi. Für die Aufnahmen nahm Scientist fast das komplette Studio auseinander und baute es nach seinen Vorstellungen wieder zusammen. Allein mit der Kick-Drum verbrachte er Stunden. Der High-Pass-Filter des Mischpults wurde neu verkabelt und zwei 18-Zoll-Subwoofer angebracht. Außer Fluxy am Schlagzeug versammelte Scientist alle Musiker im Regieraum und ließ den ganzen Raum unter den satten Bässen beben. So taucht er auf seinem neuen Album „Direct-To-Dub“ in diese längst vergangenen Zeiten ein. Für das Album wurden zunächst sechs Tracks mit den Top-Musikern aufgenommen. Anschließend mischte Scientist die Tracks in Echtzeit, wobei der Mix direkt auf eine Lackplatte aufgenommen wurde, von der dann die Vinyl-LPs gepresst wurden. Schon der Herstellungsprozess ist eigentlich eine Reise zurück in die 70er Jahre, denn das recht aufwändige Lackschnittverfahren wurde nur bis in die 80er Jahre zur Herstellung von Schallplatten verwendet. In einem Interview beschreibt Scientist diese Erfahrung als „zurück in der Zeit“. Der Meister am Mischpult spielt sein »Instrument« und weiß ganz genau, wann er etwas aus dem Mix herausnehmen oder behalten, ausdehnen oder wiederholen muss. Es gibt donnernde Bläser mit viel Hall, Snare-Knackser, die noch in Raum und Zeit widerhallen, während Bass- und Schlagzeugkicks dir einen Schlag auf den Solarplexus verpassen. Wir alle wissen, dass Dub in den falschen Händen zu einem undefinierbaren Brei werden kann, so als hätte jemand alle Effekte in eine Waschmaschine geworfen und auf das Beste gehofft. Aber unter der Obhut eines Meisters wie Scientist meint man zu wissen, wann nur ein Bächlein an Effekten aus den Boxen fließt und wann die Dub-Flut kommt. Jeder der sechs Tracks wird als erweiterter „Discomix“ präsentiert. Es gibt vier Songs im Showcase-Stil und zwei coole Dubs. Wie bereits weiter oben erwähnt sorgt für den Gesang der altgediente SingJay Donovan Kingjay, der seit den frühen 90er Jahren am Start ist und hier einige seiner Lieblingssongs neu aufnimmt, die alle vor etwa einem Jahrzehnt entstanden sind. „Missing You“ ist ein sanftes Liebeslied, das durch die Background-Sängerinnen Alyssa Harrigan und Peace Oluwatobi noch verstärkt wird. „Be Thankful“ wurde ursprünglich von Dougie Wardrop von Conscious Sounds produziert und ist ein aufrichtiger Rasta-Song, bei dem Scientists Soundspielereien die Bilder des Textes von Donner, Blitz und Vergeltung widerspiegeln. „Jailhouse“ befasst sich mit dem Thema Verbrechen und insbesondere Bestrafung. Es ist eine Kritik an den zunehmend schlechten Haftbedingungen, die wiederum die Gewinne und Dividenden derjenigen steigen lassen, die diese überfüllten Einrichtungen betreiben und besitzen. „Higher Meditation“ ist mit „a whiff of an Ital spliff“ eine klassische Ganja-Hymne. Beide Tracks erschienen erstmals auf Kingjays Album von 2014, auf dem auch Crucial Tony und Mafia & Fluxy zu hören sind.

Scientist schnitt die neuen Dubs in einem einzigen Live-Take auf Night Dreamers maßgeschneiderter Neumann-Schneidemaschine direkt auf die Platte. Wo andere sich unter Druck gesetzt fühlen, ist Scientist in seinem Element. Scheinbar mühelos und gekonnt nimmt Scientist die Dinge zurück und schafft Galaxien von Raum und Zeit zwischen den einzelnen Klangspritzern. Der Bass wummert und ist allgegenwärtig, die Orgel blitzt und blubbert. Die Blechbläser sind omnipräsent und verwandeln sich stellenweise in Notsirenen. Reich und raffiniert, mit unerwarteten und unvorhersehbaren Ausbrüchen von Wildheit und Radikalität, erinnert das Ergebnis an die Blütezeit des Dub und den verdienten kometenhaften Aufstieg eines genialen Soundengineers.

Bewertung: 4.5 von 5.

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Five Star Review

Dub Shepherds: Tape Me Out #5

Die Serie begann während der Corona-Zeit: „Tape Me Out #1“ wurde vor drei Jahren als YouTube-Video veröffentlicht. Zu sehen ist nicht viel. Die beiden Freunde Dr Charty und Jolly Joseph (= The Dub Shepherds) sitzen am Mischpult und mischen 50 Minuten lang live Dubs mit Material ihres Labels Bat Records. #2 und #3 erscheinen in schneller Folge. Dann passierte lange nichts, bis Anfang dieses Jahres #4 erschien, parallel zu ihrem Album „Night and Day“. Bis dahin stand „Tape Me Out“ für reine Videoproduktionen – was den Namen erklärt. Im Juli erschien nun „Tape Me Out #5“ als Video UND als reguläres Dub-Album. Die Mixe auf dem Album entsprechen exakt denen des Videos. Das gesamte Dub-Album wurde in einem Take gemixt – ein Prozess, den man im Video quasi live mitverfolgen kann. Ein wirklich schönes und einzigartiges Konzept, das nicht zuletzt auch von der Meisterschaft der beiden Musiker zeugt, 11 Dub-Tracks hintereinander fehlerfrei zu mixen. Während sie in den ersten Folgen der Serie noch recht entspannt am Mischpult sitzen, ist ihnen bei #5 die Konzentration und Anspannung anzumerken. 45 Minuten Dub-Mixing am Stück ist echte Schwerstarbeit.


Obwohl in diesen typischen Dub-Mixing-Videos nicht viel zu sehen ist, ziehen sie mich immer wieder in ihren Bann. So auch hier. Seltsamerweise ist es faszinierend zu sehen, wie die Musik am Mischpult entsteht. Ich finde es manchmal sogar spannender, als einem Musiker oder einer Musikerin beim Spielen eines Instruments zuzusehen. Das liegt vielleicht daran, dass eine Person am Mischpult alle Instrumente steuert und nicht nur eines. Zu sehen, wie ein Dreh an einem Knopf oder das Bewegen eines Schiebereglers den Sound verändert, Effekte auslöst oder Instrumente an- oder abschaltet – wie Musik also „gestaltet“ und gesteuert wird, ist für Dub-Nerds wie mich wirklich spannend. Allerdings höchstens so spannend, wie die Musik gut ist. Und daran gibt es bei den beiden Franzosen keinen Zweifel. Ihre eigenen Produktionen und die anderer Künstler auf ihrem Bat-Label (z.B. Pinnacle Sound) gehören zum Besten, was der europäische Reggae zu bieten hat. Wie so viele von uns Europäern lieben sie den Reggae-Sound der 70er und 80er Jahre, dem sie mit allen Veröffentlichungen ihres Labels huldigen. Natürlich wird alles analog aufgenommen, analog abgemischt und analog auf Magnetband gespeichert. Nicht selten zitieren sie historische Riddims, arbeiten mit Deejays und Sängern der goldenen Ära und mixen ihre Dubs natürlich im Stil der alten jamaikanischen Meister. Doch ähnlich wie beispielsweise Prince Fatty und andere Retro-Fetischisten in good old Europe spielen sie nicht einfach Klassiker nach, sondern liefern eine frische und originelle Interpretation dieser Musik und ihres Sounds. Und so ist auch Tape Me Out #5 kein Remake, sondern ein absolutes Newmake mit den fantastischen Stilmitteln der Vergangenheit – und ein großartiges Dub-Album.

Bewertung: 5 von 5.
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Khokhmah: Khokhmah I

Khokhmah ist hebräischen Ursprungs, spricht man „chochmah“ aus und kann mit „Weisheit“ übersetzt werden. Das Album stammt denn auch von einem in die Jahre gekommenen Engländer, der im Jahr 1967 im Londoner Stadtteil Stepney geboren wurde: Kirk Degiorgio. Für mich ein völlig unbeschriebenes Blatt, aber seit den frühen 1990er-Jahren hat er offenbar als Musiker, Musikproduzent, DJ und Plattenlabel-Betreiber für Furore gesorgt. Wohl weil er vorwiegend in der Techno-Szene aktiv und bekannt war, ist er komplett an mir vorbei und auch sein Pseudonym „As One“ ist mir bisher nie begegnet. Später hat er auch als „Kirk Degiorgio’s Offworld“ veröffentlicht, was stilistisch als „Future Jazz, Broken Beat, House und Downtempo“ eingestuft wurde. Da ist er also bereits vom Detroit Techno seiner Anfänge abgekommen und hat neue musikalische Stile für sich entdeckt und ausgelotet. In den letzten Jahren hatte er im Zuge der Covid-Pandemie vermehrt mit der Gesundheit zu kämpfen und sagt von sich selbst, dass er sich seit einer langwierigen und schwerwiegenden Covid-Erkrankung im Jahre 2020 nie mehr zu 100% fit gefühlt hat. Letztes Jahr ist er sogar als DJ zurückgetreten, nachdem er sich einen Herzschrittmacher einsetzen lassen musste. Die Jahre in der Techno- und Party-Szene sind nicht spurlos an ihm vorbeigegangen und der Einsatz von Kopfhörern und deren elektromagnetische Strahlung sowie die Nähe zu großen Monitorboxen ist für Herzschrittmacher problematisch und kann die filigrane Technik beeinträchtigen oder gar beschädigen.
Und jetzt, das interessiert die Leser:innen hier hoffentlich am meisten und darauf lege ich nun meinen Fokus, scheint er endgültig auf den guten Geschmack gekommen zu sein und hat sein erstes Reggae-Dub-Album „Khokhmah: Khokhmah I“ produziert und veröffentlicht. Das Album gibt’s Stand heute (05.08.2024) einzig in digitaler Form über Bandcamp zu kaufen und dort kann man für einmal „for free“ nur einige wenige Tracks ganz Probehören, die restlichen bekommt man nur bei einem Kauf. Zudem schreibt er prominent „Unauthorised copying of this recording is strictly forbidden“ auf das Cover (ist ja eigentlich klar). Ich respektiere diese Meinung, habe es aber persönlich eher mit John Lennon’s „Music is everybody’s possession. It’s only publishers who think that people own it“, möchte hier jedoch keine Urheberrechtsdiskussion lostreten.

Die grosse Frage ist eher, kann ein Techno-DJ und -Produzent Dub? Hier definitiv ja! Er schreibt, dass er an dem Album ganze zwei Jahre lang gearbeitet hat. Die acht Riddims sind durchwegs Eigenkompositionen, die er „mit Respekt vor den ursprünglichen Originalen dieser wundervollen jamaikanischen Kunstform“ in Eigenregie produziert und gedubbt hat. Khokhmah ist eine „ehrfürchtige Referenz an das erste goldene Zeitalter des Dubs“, sprich die 1970er-Jahre, so das Eigenlob. Das trifft für mich absolut zu und bedeutet überhaupt nicht, dass die hier zu hörenden Tracks ein verstaubter Abklatsch von eben diesen hinlänglich bekannten Originalen sind. Es tönt modern, druckvoll, aktuell, nach 2024 und vor allem die Drums sind extrem lebendig gespielt (oder programmiert – es wirkt für mich jedenfalls gespielt). Es hat einige Steppas-Riddims mit dem typischen Four-on-the-Floor-Bassdrum dabei, die jedoch erfrischend und energetisch daherkommen, ohne die dumpfen, langweiligen und abgestumpften Steppas-Dub-Plattitüden zu bedienen, die leider im Dub allzu oft anzutreffen sind. Des Weiteren sind die Sounds der Instrumente gut und sorgfältig gewählt und kommen eher analog daher, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass die Grundriddims digital produziert wurden. Darauf schließe ich wegen des musikalischen Hintergrunds von Degiorgio und einige Keyboard- und Bläsersounds tönen für mich sehr nach der elektronisch-digitalen Ecke (kann aber sein, dass ich mich da auch täusche). Degiorgio gibt an, dass er für die Dub-Bearbeitung der zwölf Dubs (vier Tracks sind mit zwei verschiedenen Versionen veröffentlicht) ausschließlich Techniken aus der frühen Mitte der 1970er-Jahre verwendete. Und gerade diese Dub-Mixes und der Einsatz der Effekte sind bei den soliden Riddims meiner Ansicht nach sehr gut gelungen und machen das Hörerlebnis zum wahren Genuss. Da setzt einer die einzelnen Spuren und Effekte wahrlich weise ein (und aus) und hat genau das richtige Händchen für die ideale Dosis. Spätestens da merkt man, dass Degiorgio viel Erfahrung am Mischpult mitbringt und seine Vorbilder und Idole gut studiert hat. Und ja, eine gute Soundanlage mit viel Bass ist empfehlenswert, Kopfhörer habe ich nicht ausprobiert. Ein tolles Dub-Album, wie ein gut gealterter Rotwein! Fehlt eigentlich nur noch eine Vinylveröffentlichung.

Die Sternebewertung überfordert mich ehrlich gesagt gerade, ich wanke zwischen vier und fünf Sternen hin und her, denn ich kann mir gut vorstellen, dass das Album Ende Jahr den Sprung in meine Jahres-Top-fünf schafft. Die vier Sterne gebe ich für letztendlich nach meinem Geschmack doch zu wenig prägnante und eher mässige Basslines…

Bewertung: 4 von 5.
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Rudebwai Stailee: Bassline Confidential

Nun ist es also soweit: Die ersten Reggae-Instrumentalalben einer künstlichen Intelligenz sind da. Irgendwann musste es ja passieren. Ich hätte nur nicht erwartet, dass es jetzt passiert. Ein Sleng Teng-Moment? Wohl kaum, denn die drei seit Mai 2024 erhältlichen Alben „Roots Rock Steady“, „Rhythms of the Grove“ und „Bassline Confidential“, alle von Rudebwai Stailee, haben bisher kaum Beachtung gefunden. Und doch ist es eine bedeutsame Entwicklung, denn so wie bei Sleng Teng die Studiomusiker:innen durch Computertechnik ersetzt wurden, geschieht es jetzt auch mit den Komponist:innen und Produzent:innen. Die Musik entsteht automatisch auf der Basis eines kurzen Biefings oder „Prompts“. Meine Erfahrungen mit generativer künstlicher Intelligenz im Bildbereich haben mich jedenfalls gelehrt, dass KI nicht nur bildtechnisch nahezu perfekt arbeitet, sondern auch ungemein kreativ sein kann. Was mit Bildern und Texten funktioniert, muss auch mit Musik möglich sein – und ist es im Prinzip auch, wie Rudebwai Stailee beweist.

Tja, und was machen wir jetzt damit? Irgendwie erzeugt es gemischte Gefühle, ein KI-Album zu hören. Einerseits ist da die Faszination, dass es überhaupt möglich ist. Dass die Stücke fast ohne menschliches Zutun entstehen und trotzdem ziemlich gut klingen, ist unglaublich. Zum anderen ist da dieses Unbehagen, dass die Musik kein:e Urheber:in hat. Keinen Artist, keinen (richtigen) Producer, niemanden, der Logic Pro bedient, geschweige denn ein richtiges Instrument spielt. Was, nebenbei bemerkt, die Musik gemeinfrei macht. Es gibt kein Copyright, jeder kann sie frei verwenden. Warum aber erzeugt die Nichtexistenz von Urheberschaft Unbehagen? Warum macht es keinen rechten Spaß, ein KI-Reggae-Album zu hören?

Grundsätzlich bin ich davon überzeugt: Das Wissen um den Entstehungsprozess von Musik kann zwar sehr aufschlussreich sein und auch die Rezeption von Musik beeinflussen, es darf aber keinen Einfluss auf die Beurteilung der Qualität von Musik haben. Entscheidend ist, „was hinten rauskommt“. Nur das zählt. Und da muss ich sagen, dass die drei KI-Alben ganz okay sind. Die Rhythms sind auf jeden Fall sehr solide, der Mix auch. Nur die Lead-Instrumente und die Soli klingen manchmal etwas schräg. Außerdem klingt das Ganze vielleicht etwas eintönig. Aber da sind wir schon bei Vorurteilen und kognitiven Verzerrungen. Klingt es eintönig, weil ich weiß, dass hier eine Maschine am Werk war und kein Mensch? Oder ist es gar gekränkte Eitelkeit, weil sich niemand wirklich die Mühe gemacht hat, die Musik zu erschaffen, der ich hier meine Zeit widme, um sie aufmerksam zu hören? Kann ich Musik genießen – wenn es keinen Artist gibt, dem es um mich als Hörer geht? Wenn da niemand ist, der mir gefallen will, der sich um mein Vergnügen bemüht, der mir im besten Fall etwas mitzuteilen hat? Kurz: Kann ich Musik genießen und wertschätzen, wenn keine Künstlerpersönlichkeit dahinter steht? Bei einer idyllischen Landschaft ist das seltsamerweise kein Problem. Auch hinter ihr steht keine Künstlerpersönlichkeit, und doch genieße und schätze ich sie inbrünstig. Das gilt auch für andere Naturschönheiten. Wie faszinierend ist der Anblick mancher Pflanzen oder Tiere, die ebenfalls nicht das Werk eines Künstlers oder einer Künstlerin sind. Warum sollte das bei Musik, Malerei oder – in Zukunft – beim Film anders sein? Vielleicht schafft es eine wirklich gute KI in Zukunft, nur noch gute Musik zu komponieren. All killer, no filler! Was wäre dagegen einzuwenden?

Die Situation erinnert frappierend an die Weigerung der Gesellschaft des Neunzehnten Jahrhunderts, die 1839 erfundene Fotografie als Kunst anzuerkennen. Die Argumente waren die gleichen, wie heute mit Blick auf die KI: Das fotografische Bild sei das Werk einer Maschine, es gäbe keinen menschlichen Schöpfer, weshalb es keine Kunst sein könne. Heute sehen wir das natürlich ganz und gar anders, aber nur, weil wir entdeckt haben, dass eine Fotografie keineswegs nur das Produkt einer Maschine ist. Durch die Hintertür haben wir den Menschen wieder ins Spiel gebracht, als denjenigen, der das Motiv auswählt, den Ausschnitt der Welt festlegt, den die Fotografie zeigt und darüber hinaus zahlreiche weitere kreative Entscheidungen trifft. Diese Strategie dürfte angesichts der künstlichen Intelligenz nicht mehr ganz so einfach sein. Klar, aktuell wird der Prompt noch von jemandem verfasst. Aber es ist nur noch ein minimaler kreativer Akt nötig – und wahrscheinlich wird selbst der in Zukunft obsolet, wenn sich der KI-Algorithmus einfach an den Vorlieben z. B. von Hörern und Hörerinnen orientiert.

Nun, liebe Dub-Fans, ihr seht mich ratlos. Ich neige aber zu der Annahme, dass das Verschwinden des Artists nur deshalb irritiert, weil wir es schlicht anders gewohnt sind. Es handelt sich hier um einen radikalen Bruch mit einer wichtigen Konvention, nämlich der Art und Weise, wie wir Kunst und Kultur verstehen und rezipieren. Meine Prognose wäre: In fünf Jahren wird es niemanden mehr interessieren, ob Musik von Menschen gemacht oder von KI generiert wird. Eine gewagte These: Vielleicht wird es in 10 Jahren kein Streaming von vorproduzierten Inhalten mehr geben. Die Musik, die wir hören werden, wird dann in Echtzeit für uns generiert – ganz nach unseren Vorlieben. Eine Horrorvorstellung? Schreibt mir, was ihr davon haltet.

Okay, zum Schluss noch ein paar Worte zum eigentlichen Thema dieser Rezension: „Roots Rock Steady“ ist ein akzeptables Instrumentalalbum. Die Rhythms haben Wumms, die Bässe rocken, es gibt richtige Melodien und überhaupt ist das ganze Arrangement sehr solide. Es gibt sogar einen richtigen Mix, der Sound ist druckvoll und die Instrumente klingen echt. Was mir nicht gefällt: Die generierten Tracks klingen, ja, es lässt sich nicht anders sagen: etwas generisch. Sie sind zu repetitiv aufgebaut. Etwas mehr Abwechslung und klangliche Komplexität wäre schön. Außerdem klingen die Lead-Instrumente nicht sehr natürlich. Dasselbe gilt für „Rhythms of the Grove“. Insgesamt wirken die Stücke hier etwas rootsiger und abwechslungsreicher. Das jüngste Werk „Bassline Confidential“ klingt nach 80er Reggae. Im Hintergrund laufen solide Backings, im Vordergrund spielt ein Leadinstrument. Insgesamt zu eintönig und dadurch etwas langweilig. Ja, wenn ich böse wäre, würde ich schreiben: Erinnert mich an Instrumentalalben von Dean Fraser – nur ohne Saxophon.

Aber gut, bedenkt, dass dies die ersten Gehversuche der KI sind. Denkt das Ganze fünf Jahre weiter, dann wisst ihr, was euch erwartet.

Bewertung: 3 von 5.
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Groundation, Jim Fox: Dub Rock

Bei der Band Groundation bin ich bisher immer an der Stimme von Harrison Stafford hängen geblieben, sprich, ich ertrage seine Stimme nicht über eine Albumlänge, zu eigen, zu krächzend, nichts für meine Ohren. Musikalisch hingegen war ich immer angetan von der ureigenen Interpretation der Reggaemusik dieser Truppe, die seit 1998 aktiv ist. Ich erinnere mich z.B. gerne an das Jahr 2006, als ich meine Wohnung damals in einem alten Bauernhaus neu strich (in den Farben grün, gelb und rot, was denn sonst?) und mich dabei aus einem riesigen Ghettoblaster mit viel Bass ununterbrochen von der Platte „Dub Wars“ berieseln ließ. Meine erste CD der Band und ich weiß noch genau, wie mich vor allem die jazzig gespielten Bläser in den Bann zogen.

Beim vorliegenden Album „Dub Rock“ handelt es sich um die Dub-Version des 2022 erschienenen Albums „One Rock„. Verantwortlich für den Dub-Mix ist der legendäre Toningenieur Jim Fox, bekannt für seine Arbeit bei LION & FOX Studios. Es ist nach 2005 mit dem Album „Dub Wars“ die zweite Zusammenarbeit von ihm mit der Band. Die Dub-Mixe sind eher dezent und Jim Fox setzt Effekte eher auf Understatement ein und ich entdecke bei jedem Hördurchgang wieder Neues, was für ein großes Dub-Verständnis und eine große Erfahrung im Mischen spricht. Die sehr spärlich erscheinenden Vocal-Schnipsel empfinde ich ebenfalls als erträglich und gut gewählt. Obwohl ich mir das „One Rock“-Album wegen besagter Vocals-Aversion vorher nie angehört habe, ist mir aufgefallen, dass die Titel der einzelnen Songs auffällig kreativ gestaltet und keineswegs nur mit „Dub“ ergänzt oder besetzt werden, wie das ansonsten bei Dub-Alben üblich ist. Das wurde für den Albumtitel ausgespart. Da wird zum Beispiel der Song „Greed“ in der Dub-Version zu „World of Love“, „Day When the Computer Done“ zu „So Soon“ oder „Market Price“ zu „The Human Soul“. Es scheint sich jemand einige tiefschürfende Überlegungen gemacht zu haben, was für mich auf ein sorgfältig durchdachtes Werk rückschließen lässt und beim Bemerken einfach Freude macht. Nun zum Wichtigsten für die Freundinnen und Freunde des Dubblogs: der Musik. Da ist alles, was ich an Groundation musikalisch schätze: Die jazzigen Bläser, die Orgel, das differenziert und spannend gespielte Schlagzeug, der perfekt und songdienlich gespielte Bass, die vielfältig eingesetzte Perkussion und eine E-Gitarre, die im richtigen Moment auch mal zu einem rockigen Solo ansetzt („Vision for the Future“). Dazu kommen in den Songs „Astray“ und „World of Love“ Streicher-Arrangemente zum Einsatz, die mich zuerst etwas irritiert haben, dann aber immer mehr faszinieren und dem Ganzen eine weitere Komponente geben, die die Musik definitiv bereichert. Auch das Piano hat an zwei, drei Stellen eine kleine, doch sehr prominente Rolle: Im Stück „The Human Soul“ zum Beispiel bestreitet es das Intro an klassische Musik erinnernd und bei „Demons and Pagans“ ist es furios fast free-jazzig gespielt, mir kommt da unweigerlich Sun Ra in den Sinn, auch das für meine Ohren ein Highlight und eben, es gibt zart dosiert echt unerwartete Hörerlebnisse. Auch die Bläsersätze sind professionell und prägnant eingesetzt, aber nie störend oder gar anbiedernd und erzeugen immer wieder Spannung. Allgemein finde ich, dass auf diesem Werk sehr gut mit Dynamik umgegangen wird und sehr gekonnt intensive groovende Parts leisen und sanften Teilen gegenüberstellt werden. Eine ausgewogene Sache also, ich muss sagen, ich bin sehr angetan von diesem Werk.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Ghost Dubs: Damaged

Das waren noch Zeiten, als Rhythm & Sound Ende der Neunziger bis Mitte der Nullerjahre mit der Fusion von Dub und Techno experimentierte. Seit dem Niedergang des Labels Burial Mix ist es ruhig geworden um diese Spielart des Dub. Natürlich gibt es Minimal-Techno-Produktionen, die unter dem Label „Dub“ vertrieben werden, aber es handelt sich dabei immer um Techno-Rhythmen, die nach Dub-Prinzipien produziert und gemixt werden. Bei Rhythm & Sound war es genau umgekehrt: Mark Ernestus und Moritz von Oswald spielten klare – wenn auch minimalistische – Reggae-Beats und mischten sie so reduziert, repetitiv und düster wie Minimal Techno. Das hat mir damals unheimlich gut gefallen. Die hypnotische, fast metaphysische Kraft der Musik hat mich tief beeindruckt. Zehn Jahre später trat Michael Fiedler, auch bekannt als Jah Schulz, auf den Plan und widmete sich dem stilistischen Erbe des Techno-Dub. Zunächst noch stärker an Steppers orientiert, dann aber immer tiefer, minimaler, konsequenter. Die beiden LPs „Dub Over Science“ und „Dub Showcase“ gaben einen deutlichen Vorgeschmack auf das, was Michael Fiedler nun unter dem Pseudonym Ghost Dubs mit seinem aktuellen Album „Damaged“ (Pressure) präsentiert. Lemmi fragte sich in seinem Kommentar bereits, „ob das wirklich noch unter dem Oberbegriff „Musik“ laufen kann, oder ob es sich nicht eher um Testtöne für Basslautsprecher handelt“. Hehe, das ist irgendwie eine genial passende Frage, denn Michaels Dubs sind so unfassbar minimalistisch, so unfassbar basslastig, so unfassbar slow motion, dass er damit wohl tatsächlich in einen Grenzbereich der Musik vordringt. Es scheint ihm mehr um das totale Erlebnis des reinen, abstrakten Sounds zu gehen, als darum, uns ein Musikstück im klassischen Sinne zu Gehör zu bringen. Dazu trägt auch das unglaubliche Mastering von Stefan Betke bei, das dem Sound eine gigantische Präsenz verleiht. Unverzichtbar sind auch das von Rhythm & Sound etablierte Rauschen und Vinylknistern sowie dieser dumpfe Unterwassersound. Das sind genau die Zutaten, die es braucht, um diese deepe, wattige und warme Atmosphäre heraufzubeschwören. Doch Atmo ist nicht alles, denn die wichtigste Zutat von „Damaged“ ist zweifellos der stets (zumindest latent) präsente Offbeat, der diese „Testklänge“ knapp, aber eindeutig im Genre des Dub verankert. Auch wenn Puristen und „Dub Connoisseurs“ wie Lemmi ein wenig die Nase rümpfen, muss ich gestehen, dass „Damaged“ für mich so etwas wie die Essenz des Dub verkörpert. Das Destillat aus 50 Jahren Bassmusik. Nur ein Quentchen weniger und es wäre kein Dub mehr, sondern wahrscheinlich ein Testton für Basslautsprecher.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Acoustic Vibes: Dub The Palace Prince Back Home

Heute werde ich den Beweis antreten, dass Reggae/Dub alle Kontinente der Erde erfasst und fest im Griff hat. Vom Südpazifik geht es direkt nach Schweden, in den hohen Norden der nördlichen Hemisphäre.

Vor einigen Jahren wandte sich Ras Teo, ein gebürtiger Schwede armenischer Abstammung, mit der Frage an Magnus „Daddy Natural“ Hjalmarsson: „Warum arbeiten wir nicht zusammen?“ Der Grund dafür war, dass der in Kalifornien lebende Ras Teo nach Hause kommen und ein Album mit schwedischen Musikern aus seiner Heimatstadt Uppsala machen wollte. Der Bassist, Produzent und Mann hinter dem Label King Solomon Productions ist Magnus „Daddy Natural“ Hjalmarsson. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der schwedischen Reggae-Pioniere Natural Way, die 1995 ein 17-Track starkes Album mit dem Titel „1924“ veröffentlichten. Also ließ „Daddy Natural“ seine Beziehungen spielen, trommelte ein paar Musiker zusammen und das Projekt „Coming Home“ mit Teodik Hartoonian alias Ras Teo konnte starten. Apropos Trommeln: Am Schlagzeug sitzt „Daddy Naturals“ Sohn Teodor Lindström alias „Junior Natural“. Der Kern von The Naturals besteht also aus Musikern aus Uppsala. Für die Backing Vocals sind einige schwedische Reggae-Acts wie z.B. Papa Dee und andere verantwortlich. Internationale Gesangsunterstützung kommt von Ashanti Selah und Roberto Sanchez, über dessen Label A Lone-Ark das Album vertrieben wird. Gleiches gilt für die Bläsersektion, die von Zoe Brown, Patrick „Aba Ariginal“ Tenyue und Trevor Edwards unterstützt wird.

Nach „Ras Teo & The Naturals: Coming Home“ folgt nun das Dub-Pendant „Acoustic Vibes: Dub The Palace Prince Back Home“ (King Solomon Records). Schon der erste Track „Dubkind“ beginnt mit einem schönen Nyahbinghi-Drumming, begleitet von einigen sehr schönen Flötenpassagen, die sich durch den ganzen Track schlängeln. Die eigentliche Magie des zweiten Tracks „Dub Timer“ kommt durch die Anklänge an andere Genres, wie z.B. die aus dem Jazz bekannten Blue Notes, die durch die Bläser ins Spiel gebracht werden. Natürlich könnte ich jetzt in diesem Stil weitermachen, aber ich möchte, dass ihr noch etwas zu entdecken habt. Das Album enthält unglaublich viele weiche, warme, soulige oder einfach nur schöne Klänge. Die Rhythmussektion ist immer pointiert, die gesamte Instrumentierung ist fantastisch. Butterweiche Leadgitarrenläufe, stoische Basslinien, wohltemperierte Bläser und eine etwas schräg klingende elektrische Orgel runden diesen herrlichen Sound perfekt ab.

Alles in allem ein Album, das ich schon viele Male mit wachsender Begeisterung gehört habe. „Dub The Palace Prince Back Home“ ist eine großartige Leistung aller Beteiligten. Es ist ein musikalisch mitreißendes Projekt, das von Roots über Dub zu Jazz, Soul und Nyabinghi und wieder zurück pendelt. Keine leichte Aufgabe, die hier aber mit Bravour gemeistert wurde. Gemastert wurde das Album von Tomas Boden, der hier sein ganzes Können zeigt und uns diese atemberaubende, nordisch unterkühle Platte schenkt. Ich mag diesen Sound – lasst ihn einfach auf euch wirken.

Bewertung: 4.5 von 5.

Trivia: Bisher wusste ich nicht, dass Ras Teos Familie direkte Verbindungen zu Haile Selassie I hatte. Laut Ras Teo wurde seine Familie nach dem Völkermord an den Armeniern 1915/16 von Haile Selassie aufgenommen und versorgt.

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Christoph El‘ Truento: Dubs From The Neighbourhood

Nach „Dubbin‘ Darryl: Textures“ folgt nahtlos ein weiteres Album aus dem Südpazifik, genauer gesagt aus Aotearoa, der heute am weitesten verbreiteten und akzeptierten Maori-Bezeichnung für Neuseeland. Christopher Martin James alias Christoph El‘ Truento ist für uns im Dubblog seit seinem Album „Peace Maker Dub“ kein unbeschriebenes Blatt mehr. Inzwischen hat sich Christoph El‘ Truento zu einem der besten Produzenten Aotearoas gemausert. Egal in welchem Genre – sein außergewöhnlicher Stil umfasst viele – El‘ Truento beweist immer wieder, dass es ihm in Fleisch und Blut übergegangen ist, denn er wandelt zielsicher durch die Genres und macht sie sich schlafwandlerisch zu eigen. Mit seinem neuen Album „Christoph El‘ Truento: Dubs From The Neighbourhood“ (Haymaker Records) macht er dort weiter, wo er 2019 mit dem Aotearoa Dub-Klassiker „Peace Maker Dub“ aufgehört hat und zollt den Erfindern des Dub durch seine einzigartige südpazifische Brille erneut Tribut. Das mit Spannung erwartete neue Album „Dubs From The Neighbourhood“ nimmt uns wie sein Vorgänger mit auf eine musikalische Reise, die von Roadtrips durch Kleinstädte, Sonnenschein, einsamen Stränden und tiefgrünen Urlandschaften inspiriert ist. Die Hörer erwartet ein an Komplexität gereifter Sound. Zu hören ist das klangliche Spiegelbild eines Künstlers, der ein Stück älter, reifer und weiser geworden ist. Während die idyllische Landschaft auf dem Cover typischerweise mit unbeschwerter Freude assoziiert wird, fügt das Album Details und Texturen hinzu, die auf die unvermeidliche Kehrseite von Trauer und Verlust hinweisen, die uns auf den Reisen und Unwegsamkeiten des Lebens widerfahren.

Insgesamt sind die Tracks des Albums stark vom Sound der 70er Jahre geprägt, haben aber gleichzeitig den einzigartigen psychedelischen Lo-Fi-Touch des Künstlers im modernen 2024-Stil. Lokale Einflüsse und der angenehm warme Sound des Dub-Maestros erweitern die Klangpalette. So erklingt im vorletzten Track des Albums „Things Done Changed“ eine Lap Steel Guitar, besser bekannt als Hawaii-Gitarre. Der Titeltrack erinnert an Perrys Arbeitsweise im Black Ark Studio und „Pep The Conqueror“ ist ein Remake des Cornell Campbell Klassikers „The Gorgon“, der einst auf Bunny ‚Striker‘ Lees Attack Label erschien. Wie schon auf dem Vorgängeralbum darf El‘ Truentos Sohn Pep auch diesem Klassiker seine Stimme leihen. Mit „Dubs From The Neighbourhood“ lässt El‘ Truento den Hörer von entspannten Sommertagen träumen, an denen man mit Freunden und einem guten Doobie am Strand oder am Flussufer abhängt und Gott einen guten Mann sein lässt. Auch Liebhaber des klassischen jamaikanischen Dub kommen auf ihre Kosten.

Bewertung: 4 von 5.
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Dubbin‘ Darryl: Textures (EP)

Reggae und sein Subgenre Dub haben sich bekanntlich über den ganzen Globus verbreitet und so ist es nicht verwunderlich, dass auch aus „Down Under“ hochinteressante Reggae & Dub Alben erscheinen (siehe Rezension „Nachur“). Nachdem die Springtones bereits die Reggae-Version des Kings Go Forth Kulthits „High On Your Love“ als One Drop und Dub-Version veröffentlicht hatten, folgte die Dad Bod Dubs Interpretation von „Sweet Dreams“ der Eurythmics. Präsentiert wurde das Ganze vom australischen Dub-Label Cry No More Recordings, das nun das Debütalbum von „Dubbin‘ Darryl: Textures“ veröffentlicht.
Inspiriert von der funkigeren Seite des instrumentalen Reggae, verleiht Dubbin‘ Darryl Keyboards, Orgel und Melodica seine ganz eigene Note und schafft so ein fesselndes musikalisches Erlebnis.
Die EP „Textures“ ist eine nur vier Songs umfassende psychedelische Reise durch Dub-Rhythmen mit supercoolen Jazz-Vibes. Dubbin‘ Darryl zeigt uns überzeugend, dass er mühelos tief in eine Welt aus Echos eintauchen kann. Direkt aus einem Schuppen in Witchcliffe, Südwestaustralien, kommt er mit einem eindringlichen Schwall halliger Echos über perlenden Percussions und groovenden Guiro-Beats. Darryl, der auch als Schlagzeuger der Improvisations-Dubband Dad Bod Dub bekannt ist, lässt sich von der funkigeren Soul-Seite des instrumentalen Reggae inspirieren und fügt mit verfremdeten Keyboards, Orgel und Melodica seine eigene musikalische Note hinzu. Heute nur ein Beispiel: „Muckaround Dub“ klingt, als hätte der legendäre Lee ‚Scratch‘ Perry seine magischen Finger mit im Spiel gehabt. Oder ist es doch nur ein sirenenartig gedubter Hahn, der aus den Feldern widerhallt?


„Textures“ ist die dritte Veröffentlichung des neuen australischen Dub-Labels Cry No More Recordings das von den Lebenspartnern Kellie Bennett (Bass, Guitar, Horn Samples & Production) und Clay Chipper (Beats, Guitar, Keys, Horn Samples & Production) gegründet wurde. Hier können sie ihrer Liebe zu Reggae- und Dub-inspirierten Klängen mit einer Prise Soul und Funk frönen.
Was mir zusätzlich größten Respekt abverlangt ist die Tatsache, dass alles nachhaltig produziert wird. Kellie und Clay sind der Meinung, dass gute Musik nicht die Welt kosten muss, deshalb pressen sie auf 100% recyceltem Vinyl, verwenden recycelte Verpackungen und betreiben ihr kleines Unternehmen mit Solarenergie. Außerdem respektieren und unterstützen sie die Ältesten der Whadjuk und die Gemeinschaften der First Nations. Raspekt!

Bewertung: 4 von 5.