An Mellow Mood – der italienischen „en vogue“ Reggae Combo mit den Dreadlocks-Zwillingen an den Mikros – mögen sich die Geister scheiden: Den einen ist’s zu viel Dancehall, den anderen zu viel Roots und dann gibt’s noch jene, die Patois singende Wohlstands-Europäer für hochnotpeinlich halten. Zum Glück interessiert uns Mellow Mood hier nur peripher, denn tatsächlich geht’s in erster Linie um Paolo Baldini, der als Produzent, Tontechniker und Mix-Meister bei allen Produktionen der Band eine federführende Rolle einnimmt.
Über Baldini braucht man wohl keine großen Worte mehr zu verlieren – seine Produktionen für diverse Künstler sind generell von hoher Qualität; richtig glänzen kann er aber bei seinen Dub-Mixes: Das sind musikalische Rammböcke, deren Punch die Speaker-Membranen einer Zerreißprobe unterziehen. Da jagt ein Dub-Effekt den anderen; zwischen Echo- und Hall-Attacken fiept’s und blubberts, dass es eine Freude ist.
Das gilt natürlich auch für Mellow Mood’s aktuellen Release „Mañana Dub„, den Baldini im Gegensatz zum extrem komprimiert klingenden Vokal-Album „Mañana“ herrlich basslastig tönen läßt: So gesättigt und gleichzeitig dynamisch muss Dub 2023 klingen.
Damit wäre der „Mañana Dub“ eigentlich ein Anwärter für eine 5 Sterne-Review, wenn… ja wenn da nicht der Wunsch nach etwas moderneren Sounds bestünde. Mellow Mood bzw. Produzent Baldini zeigen sich hier nicht sonderlich experimentierfreudig, siehe/höre die Drum- und Percussions-Samples oder die Synth-Sounds. Das mag Meckern auf hohem Niveau sein – soll aber aufzeigen, dass da doch noch ein wenig Luft nach oben ist.
Ist es wirklich schon mehr als 20 Jahre her, dass Groundation’s Meilenstein-Album „Hebron Gate“ erschienen ist? Ich erinnere mich noch, dass mich der famose, aber längst nicht mehr aktive Ixtulluh-Vertrieb mit dem Album bemusterte. Es war keinesfalls Liebe auf den ersten Blick; es hat damals schon seine Zeit gebraucht, bis ich mich mit dem Release auseinandergesetzt habe: Braucht man denn noch eine unbekannte Band, wenn – ganz im Gegensatz zu heute – massenhaft andere neue Releases um Aufmerksamkeit buhlen? Mein Zögern war nachträglich gesehen ein Fehler, denn beim ersten Reinhören ist mir die Kinnlade gefühlt in den Schoss gefallen. Das war Reggae, wie ich ihn mir schon seit Jahren gewünscht hatte: Bodenständiger Roots mit ansprechenden Texten und diversen Jazz- und Blues-Sprenkeln, die das Ganze so richtig interessant machten: Hier waren offenkundig versierte Musiker am Werk, die Einflüsse aus anderen Genres geltend machten. Dass das Album unter der Ägide von Jim Fox eingespielte wurde und entsprechende (Sound-)Qualitäten hat, steigerte das Interesse – offensichtlich nicht nur meines, wie das Feedback der Reggae-Community gezeigt hat (obwohl es auch einige Vorbehalte gegenüber Harrison Stafford’s gewöhnungsbedürftiger Stimme gab). Ein Vergleich mit den beiden Vorgänger-Alben offenbart den Quantensprung in der Entwicklung von Groundation – und so wurde „Hebron Gate“ letztlich die (noch nicht so elaborierte) Blaupause für alle nachfolgenden Alben der Band; zumindest so lange diese Besetzung – u.a. mit Marcus Urani und David Cachere an Hammond-Orgel bzw. Trompete – existierte. Was folgte, war eine steile Karriere im Reggae-Universum – insbesondere in Europa, wo Groundation als erfolgreicher Live-Act quasi alles bespielte, was den Namen Bühne verdiente; die großen Festivals sowieso.
Nach „Hebron Gate“ erschienen die EP „Dragon War“ bzw. das Album „Dub Wars“, die Dub-Versionen einiger Album-Tracks enthielten – sehr geschmackvolle Arbeiten dank Jim Fox, der die schlichte Schönheit der Instrumentals in den Vordergrund stellte und sie einem unaufgeregtem Dub-Treatment unterzog.
Fast Forward nach 2023; Groundation gibt’s noch immer (wenn auch in nahezu gänzlich anderer Besetzung) und hat’s nach wie vor drauf, wie der letztjährige Release „One Rock“ eindrucksvoll bewiesen hat. Urgestein Harrison Ford – der sich offensichtlich die Rechte am Groundation-Katalog sichern konnte – nimmt das „Hebron Gate“-Jubiläum zum Anlass, sich nochmal mit dem Album auseinander zu setzen. Das hätte durchaus eine remasterte Deluxe-Ausgabe werden können – mit unveröffentlichten Tracks, die damals schon zu schlecht für den Release waren, oder mit holprigen Studio-Outtakes, die niemand wirklich braucht. Stattdessen hat er die Idee, die Originalbänder Martin Nathan aka Brain Damage zu überlassen, der die Tonspuren auseinanderdröselt, einmal soundmäßig hochglanzpoliert, das Ganze dann (mitunter höchst eigenwillig) wieder zusammensetzt und mit einigen zusätzlichen Instrumentalspuren bzw. Soundeffekten versieht. Es ist wohl kein Zufall, dass sich im Titel “Dreaming from an Iron Gate“ (Baco Records) das Wort „Dub“ nicht wiederfindet; das wäre auch zu kurz gegriffen. Das neue Album ist vielmehr eine tiefgehende, mitunter psychodelische Reise in die Eingeweide von „Hebron Gate“.
Hier gibt’s Vieles zu entdecken, dass im Originalmix untergegangen war und erst jetzt durch den an heutige Hörgewohnheiten angepassten Sound offenbart wird – etwa die fein ziselierte Drum- und Beckenarbeit von Paul Spina oder so manche Background-Vocals, die offenbar vor 20 Jahren der Mix-Schere zum Opfer fielen. So entsteht des öfteren der Eindruck, als befände man sich mitten in einer akustischen Dokumentation über die alten Aufnahmen, in der immer wieder auf zuvor niemals gehörte Besonderheiten hingewiesen wird. Ob allerdings die neu eingespielten, zusätzlichen Tonspuren notwendig waren, kann man durchaus hinterfragen: Oft sind sie hilfreich, um die Atmosphäre zu verdichten; manchmal hingegen scheinen sie sich wohl selbst die Sinnfrage zu stellen. Strittig auch die Ausflüge ins… nun ja, ins Psychodelische. An und für sich keine uncharmante Idee, es bremst aber den natürlich Flow der Riddims: Da grooved’s ganz fein dahin und mit einem Mal, bar jeglicher Vorwarnung, dröhnen und schwurbeln (neu eingespielte) Synths dahin… ein wenig Richtung Pink Floyd, möchte man meinen. Dass kann man als Bereicherung sehen oder als Sakrileg, gewöhnungsbedürftig ist es allemal.
Womit vieles, wenn auch nicht alles zu diesem Release gesagt ist. Für weitere Meinungen und Diskussionen bieten sich wie immer das nachstehende Kommentar-Tool an. Bleibt noch die Einschätzung des Rezensenten, der sich hin- und hergerissen sieht: Einmal verblüfft und begeistert das Album, dann langweilt es, dann wiederum entdeckt man Neues und Ungehörtes; manchmal tut der Ausflug ins Psychodelische gut, manchmal nervt er nur. Hängt die Stern-Vergabe gar von der Tagesverfassung ab? Ich gehe also bei der Bewertung auf Nummer sicher und setze zeitgleich auf das eigenständige Urteilsvermögen der hiesigen Dubologen: Was haltet Ihr von „Dreaming from an Iron Gate“?
Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mehr, was ich noch über Alpha & Omega schreiben soll. Ich habe es nicht gezählt, schätze aber, dass ich bereits ca. 5000 Rezensionen zur Musik der beiden verfasst habe. Darin wurde alles gesagt – mehrfach! Aber andererseits hat das Duo einen festen Platz in meinem Dub-Herz, so dass ich es nicht über mich bringe, einen neuen Release der beiden zu ignorieren. Deshalb also, hier ist er, Alpha & Omega: „Dubplate Selection Vol. 4“. Darauf gibt es das zu hören, was immer von A&O zu hören ist: Mystischer Dschungel-Dub, etwas nachlässig produziert und meist von mittlerer bis schlechter Sound-Qualität. Aber die hypnotische Kraft, die ihren Dubs zueigen ist, wirkt auch hier mit unverminderter Wucht. Auf der „Dubplate Selection Vol. 4“ haben sie zum vierten Mal Aufnahmen versammelt, die zuvor als Dubplates im Einsatz waren. Darunter verstehen die beiden alternative Mixe ihrer Produktionen, die sie exklusiv für bestimmte Sound Systems erstellen. Da das Duo recht produktiv ist und ständig neue Dubs produziert, wächst auch die Zahl ihrer exklusiven Dubplate-Mixe. Kurz: Es war also Zeit für ein Volume 4. Richtig gut gefällt mir hier der Umgang mit den Vocal-Fragmenten von Ras Tinny, Nai-Jah und Joe Pilgrim. Absolut minimalistisch eingesetzt, prägen sie die Dubs mit winzige Melodien. Sie blitzen auf, wie Sonnenstrahlen, die auf den Grund des Dschungels vordringen. Schöne Vorstellung!
Was man früher noch als Kuriosum bestaunt hätte, ist heute selbstverständliche Realität: Roots-Reggae und Dub haben ihre Heimat in allen Ecken der Welt gefunden. So auch in der chinesischen Sichuan-Provinz, wo sich die siebenköpfige Combo JahWahZoo zusammengefunden hat, um erstaunlich authentisch klingenden Reggae zu spielen. Gleich ihr Debut „Zoo Party“ und dessen Dub-Counterpart „Zoo Dubby“ wurden von Nick Manasseh vor ort produziert – was durchaus Rückschlüsse auf das musikalische Können der Band zulässt.
Das zweite Album war – nicht weniger erstaunlich – eine Kollaboration mit I Kong, dem aus der im Reggae-Universum nicht unbekannten jamaikanischen Kong-Familie stammenden Veteranen mit chinesischen Wurzeln. „Zoo to the Roots“ wurde 2020 veröffentlicht und kann sich ob der gelungenen Tunes hören lassen: Roots to the core, made in Chengdun.
In guter alter Tradition ist nun (endlich) das entsprechende Dub-Album erschienen: „Zoo to the Dub“ – mangels Mandarin-Kenntnissen muss ich nicht nur beim Namen des Labels passen, sondern auch bei den weiteren Details zur Produktion. Die Recherche legt nahe, dass Skunga Kong – der Sohn von I Kong – am Mischpult saß; genaueres weiß unter Umständen der eine oder andere Leser und teilt es hier mit. Letztlich zählt aber was sich in unseren Gehörgängen wiederfindet; und das ist fein abgemischter Dub, dem solide, handgeklöppelte Riddims zugrunde liegen.
Dazu gibt’s zwei Empfehlungen – eine, sich voll und ganz auf „Zoo to the Dub“ einzulassen und sich an den Dubs zu erfreuen; die andere Empfehlung wäre, sich wieder mal durch das Oeuvre von I Kong zu hören – der Vokal-Release „Zoo to the Roots“ bietet sich als passender Einstieg an.
Guido Craveiro’s Projekt „Dubxanne“ meldet sich nach langer Pause wieder zurück – sind denn wirklich schon unglaubliche 15 Jahre seit „Police in Dub“ vergangen? Hört man sich einmal quer durch’s neue Album „Popwave in Dub“ (Echo Beach) spielt Zeit keine Rolle mehr: Craveiro’s Produktionen sind damals wie heute einwandfrei produziert und abgemischt, der Sound sehr ausgeglichen und hochglanzpoliert. Womit wir aber schon beim ersten Kritikpunkt wären: So brilliant-saubere Produktionen begeistern vorderhand, nach mehrmaligen Hören machen sich allerdings Ermüdungserscheinungen breit. Alles ist so schön ordentlich, dass man Kratzer ins Vinyl machen möchte um ein wenig Schäbigkeit zu generieren. Bevor sich die Vinyl-Freunde unter uns empören: Diese Rezension basiert auf dem Stream des Albums.
Der Albumtitel „Popwave in Dub“ gibt die Richtung vor: Reggae-fizierte Coverversionen von 80er-Jahre Titel, irgendwo zwischen New Wave und simplen Pop angesiedelt – einmal querbeet sozusagen. Das gelingt manchmal beeindruckend gut, wie die vorab-Auskoppelungen von Kate Bush’s „Running Up That Hill“ und Blondie’s „Heart of Glass“ oder das furiose „Tainted Love“ zeigen; manchmal weniger gut (Depeche Mode’s „It’s no good“, Visage’s „Fade to Grey“) und einmal überhaupt nicht: Cindy Lauper’s Kaugummi-Pop „Girls Just Want to Have Fun“ gibt’s hier in der männlichen Variante, die jegliche Spritzigkeit des Originals missen läßt.
Das Album bietet schlussendlich noch sechs Dub-Versionen an, die uns naturgemäß am meisten interessieren: Die Mixes sind zeitgemäß, aber bei den Effekten etwas zurückhaltend. Letzteres muss nicht immer von Nachteil sein, insbesondere wenn man das repetitive Element in den Vordergrund stellen oder schlicht die Atmosphäre verdichten möchte. Siehe (bzw. höre) die gelungenen Dub Versionen von The Cure’s trägem „Lullaby“ und Blondie’s „Heart of Glass“. „Girls Just Want to Have Fun“ hingegen ist auch als Dub ein Reinfall – da war nichts mehr zu retten.
So ein hit & miss-Album ist schwer zu bewerten, und die Anzahl der Sterne kann nur ein bedachter Kompromiss sein. Auf der Haben-Seite gibt’s also ein nette Idee, eine gekonnte Produktion und einige schöne Titel und Dubs. Negativ machen sich der klinisch-saubere Sound und der eine oder andere Fehlgriff bei der Song-Auswahl; den Cindy Lauper-Totalausfall kann man auch nicht ignorieren. Möge sich daher jeder seine eigene Meinung bilden; für’n Rezensenten überwiegen letztlich die Positiva.
Der Multiinstrumentalist Nicola Giunta ist auch Filmemacher, Klangkünstler und Komponist von Soundtracks für Kurzfilme, Werbespots, Dokumentarfilme, Videokunst, Stummfilme, Tanzperformances und Animationen. Darüber hinaus ist er ein international anerkannter bildender Künstler, dessen Xerox-Kunstwerke als Plattencover und Poster für zahlreiche Musikerkollegen dienten. Außerdem ist er Gründer und Mastermind der Lay Llamas, einer der wichtigsten Bands des sogenannten New Italian Occult Psychedelic, die bereits eine beachtliche Anzahl von Alben und mehrere Singles veröffentlicht haben. Der Musikstil der Lay Llamas lässt sich kurz als eine intelligente Mischung aus Hawkwind, den frühen Talking Heads und dem repetitiven Stil deutscher Krautrockbands wie CAN und NEU beschreiben. Nicola Giuntas Faible für Krautrock zeigt sich besonders in der Zusammenarbeit mit Damo Suzuki, dem legendären CAN-Sänger, der mit seiner unverwechselbaren Stimme Can-Stücke wie „Spoon“, „Vitamin C“ und „Mother Sky“ – zumindest für mich – einzigartig gemacht hat.
Zu den zahlreichen Metamorphosen von Nicola Giunta gehört nun auch „The Thugs: Holy Cobra Dub“ (Love Boat Records). The Thugs sind Nicola Giunta und Edoardo Guariento, der auch Schlagzeuger der Metal-Core-Band 3ND7R aus Padua ist. Die Idee entstand im Sommer 2021, als Nicola Giunta Edoardo Guariento einige Songs von Jah Shaka aus der „Commandments Of Dub“-Reihe vorspielte. Dieser war sofort so begeistert, dass er zur nächsten Session sein Schlagzeug in Giuntas Heimstudio mitbrachte. Die beiden nahmen einige Takes auf, bei denen Giunta auch als eine Art Live-Dubmaster mit einem kleinen Mischpult und ein paar Echo- und Hallpedals improvisierte. Nach einigen dieser Sessions wählte Giunta die besten Takes aus und baute darauf die ersten beiden Thugs-Tracks, wobei er Gitarre, Bass, Orgel und Percussion selbst einspielte. In den folgenden Monaten entwickelte Nicola Giunta immer wieder neue Tracks, bei denen er auch verschiedene Drumcomputer aus den 70er und 80er Jahren einsetzte, um so einen eher post-punkigen und psychedelischen Sound zu entwickeln. Aber „Holy Cobra Dub“ ist kein Indie-Album geworden, sondern ein vom Reggae beeinflusstes Dub-Album, das am Ende des Tages immer noch wie ein Indie-Album klingt, wenn auch mit jamaikanischen Gewürzen und Zutaten. Der Geist von Lee Perry, King Tubby und vor allem Adrian Sherwood schwebt über dem ganzen Projekt. ON .U Sound Kenner hören Anleihen bei Mark Stewart, African Head Charge, Audio Active, aber auch bei den Suns of Arqa. Ja, „Holy Cobra Dub“ entpuppt sich schon nach wenigen Sekunden als exzellentes Dub-Album. Die zwölf Tracks wurden fast ausschließlich mit Vintage-Instrumenten eingespielt und tauchen in den Roots-Sound der mittleren bis späten 70er Jahre ein. Sie haben genau diese raumgreifende, tiefgründige Attitüde, dieses Gefühl des ständigen Erfindens, das auch die Arbeiten eines Lee Scratch Perry ausmachte. Gleichzeitig haben die Tracks diese psychedelische Zentrifugalkraft, die entweder explizit oder öfter in den Details versteckt ist. Das erinnert mich dann eher an den düstersten Post-Punk von damals. Der Gesang wurde mit einem alten 70er-Jahre Audiometer aufgenommen. Das gesamte Design und Layout wurde komplett von Nicola Giunta entworfen und soll an den Look jamaikanischer Dub-Alben aus dieser Zeit erinnern. Kurz zum Konzept: Thugs oder Thuggees ist ein englisches Lehnwort aus dem Sanskrit und bedeutet ursprünglich „Betrüger“ oder „Gauner“. Es ist aber auch der Name einer historischen Bruderschaft von religiös verbrämten Mördern und Straßenräubern. Die Schätzungen über die Zahl ihrer Opfer schwanken zwischen 50.000 und über einer Million. Ihre Blütezeit erlebte die Bruderschaft im vorkolonialen Indien. Sie wurde Anfang des 19. Jahrhunderts von der britischen Kolonialmacht zerschlagen. Nicola Giunta gefiel die Vorstellung, dass sich diese Sekte in unterirdischen Heiligtümern trifft und geheimnisvolle Rituale für ihre Göttin Kali (Göttin des Todes) vollzieht. Jedes Lied und jeder Titel handelt auf die eine oder andere Weise von ihren Aktivitäten. Der „Holy Cobra Dub“ erscheint mit seiner vertrauten und zugleich unbekannten Musik wie ein geheimnisvoller Fund aus einer Zeit, die man zwischen 1975 und 1982 datieren kann.
⭐⭐⭐⭐⭐
Bewertung: 4.5 von 5.
“Holy Cobra Dub is truuuly immersive – a Great Leap Forward” – Mark Stewart (The Pop Group, Maffia, New Age Steppers, On-U Sound)
Was sind schon 7 Jahre wenn es um den Nachfolger des gepriesenen „Natural Heights„-Album des dänischen Guiding Star Orchestras geht! Der neue Release „Communion“ (Tribe 84Records) beinhaltet im Gegensatz zum Vorgänger zwar nur acht Tracks (diesmal keine Dubs, was auf ein separates Dub-Album hoffen lässt), die sich aber hören lassen können: Feinster instrumentaler Roots-Reggae mit elaborierten Bläser-Sätzen und gar nicht mal so dezenten Dub-Effekten, der auch live bestens funktioniert:
Dass da versierte Musiker am Werk sind, ist von der ersten Note an zu hören und gipfelt in den Soli der Bläser – grandiose Arbeit an Posaune, Querflöte und Saxophon. Trotzdem würde ich dem Ganzen nicht den Jazz-Stempel aufdrücken, dazu grooved das Ding einfach zu gut: Bass & Drums gebärden sich als treibende Kräfte – mal als Rockers, mal als One Drop.
Letztlich ist „Communion“ zweifellos ein superbes Album, aber verdient es auch fünf Sterne? Nicht ganz, denn Fade-outs sind gerade bei durcharrangierten Instrumentals wirklich nicht mehr nötig oder angebracht. Dann muss man auch ein paar Worte zum Sound des Albums verlieren: Hier hat man sich im Vergleich zu „Natural Heights“ in etwas basslastigere Gefilde begeben. Was ja per se nichts Schlechtes und im Genre sogar erwünscht ist – wenn es denn nicht auf Kosten der Höhen geht. Ein Vergleich der beiden Alben des Guiding Star Orchestras verdeutlicht den klanglichen Unterschied. Das mag Meckern auf hohem Niveau sein und den einen oder anderen Hörer nicht im Geringsten tangieren – vor allem aber soll es niemanden davon abhalten, sich mit dem Album auseinanderzusetzen, zumal es um 35 Minuten feinste Musik geht.
Hier ein brandneues Album, dass starke Erinnerungen an einen Hit aus den 1970ern weckt – einer Zeit, in der ich mir des Dubs noch nicht bewusst war, aber diese im Radio rauf- und runter gespielten Single liebte: „Egyptian Reggae“ von Jonathan Richman & The Modern L0vers – wer outet sich altersmäßig und erinnert sich auch noch daran?
Ähnlich gitarrenorientierten Reggae mit leicht kauzig-skurrilem Ansatz bieten jetzt Lucky Salvadori und Chalart58 auf ihrem Album „Chicha Dub“ (La Panchita Records). Wobei ich das Wort „Dub“ im Titel etwas übertrieben finde – „Chicha Instrumentals Dubwise“ trifft’s da schon eher, aber wer mag schon derart sperrige Titel…
Gitarrist Salvadori und Schlagzeuger/DJ/Produzent Chalart58 sind im weitesten Sinn dem Dunstkreis Manu Chaos zuzurechnen; Ersterer tourt mit ihm, Zweiterer ist in der Dub-Szene kein Unbekannter und hat erst kürzlich mit Chao ein Reggae-Album veröffentlicht. Gemeinsam veröffentlichen die Beiden mit „Chicha Dub“ nun ein Album, dass von upbeat-Riddims lebt und vermutlich gute Laune verbreiten soll. Das Ganze ist leicht, schön und sauber produziert; hervorragend der Perkussionist, der sich in den Arrangements ausleben kann. Und trotzdem hat dieser Release ein paar eklatante Schwachstellen – als da wären: Der Bass ist für ein Dub-Album zu leise gehalten und geht im Mix fast unter; und wenn wir schon von Dub sprechen, so sind die einschlägigen Effekte alle da und auch gut platziert, aber der Funke will nur überspringen, wenn die allgegenwärtig quengelnden Gitarren mal eine Auszeit nehmen:
Der „Chicha Dub“ hätte durchaus auch als Soundtrack zur TV-Serie „The Munsters“ durchgehen können, so kurios geben sich manche Tracks. Mir hingegen fehlt die schleppende, oft mystische Schwere, auf denen sich ein Dub mit Hilfe diverser studiotechnischen Effekte aufbaut. Hier gibt’s das Gegenteil davon – wer das mag, wird das Album feiern.
Dass hätte leicht ins Auge gehen können: Ikone David Bowie „in Dub“. Auch, weil die bisherigen Dub-Tributes des Echo Beach Labels extremst zwischen Hit (Police in Dub) und Miss (Palmer in Dub) schwankten. Nun ist es also da, dass etwas pseudo-witzig benannte „Dubby Stardust: Spaced Oddity„. Man hätte es auch einfach „David Bowie: Spaced Oddity“ oder wenn das aus urheberrechtlichen Gründen gar nicht geht, dann meinetwegen „The Thin White Duke: Spaced Oddity“ nennen können. Aber der Rezensent verliert sich wieder mal in Details…
Wie auch immer, das Album gilt es zu besprechen und nicht dessen Namen. Produzent Lee Groves hat sich ein paar Juwelen aus Bowie’s Katalog gekrallt, neu eingespielt und dem Dub-Treatment unterworfen. Dazu hat er noch einige stimmlich passende Sänger gefunden – mit der Betonung auf Sänger, denn ein Track (und noch dazu „Heroes“!!!) massakriert eine belanglos klingende Sängerin, deren Namen ich wohlweislich vergessen habe. Der Rest der Tracks aber… ja, der kann sich sehen (sprich: hören) lassen.
Wie Eingangs erwähnt, hätte das ein musikalisches Himmelfahrtskommando werden können, aber tatsächlich funktioniert’s: Die Sounds und Arrangements sind schwermütig, bassbetont und mit hypnotisch langsamen One Drops versehen (einzig „Let’s Dance“ hätte etwas mehr Wumms vertragen); der Dub Mix gelungen und sehr nah am Puls der Zeit. Das kann man vom aktuellen Konkurrenz-Produkt, Easy Star All-Stars‘ „Ziggy Stardub“ nicht behaupten, kommt es doch ziemlich konservativ (um nicht zu sagen: altbacken) rüber. Lee Groves hingegen ist der Spagat gelungen, viel vom Geist der Originale in die neuen Dub-Versionen überzuführen (besonders gelungen: „Black Star“, „Space Oddity“ oder „Ashes to Ashes“); Bowie-Enthusiasten mögen das unter Umständen anders sehen.
Summa summarum – trotz einiger weniger Kritikpunkte – ein durchaus gelungenes Album, dass der Rezensent on repeat rauf und runter streamt. Und offen gesagt: Da muss ein Volume 2 her; Bowie hat noch viele andere Meisterwerke zu bieten und Lee Groves ist offensichtlich der richtige Mann um a) die Tracks als Dubs zu inszenieren und diese b) mittels Sound und Mix zeitgemäß zu interpretieren. Inszenierung und Zeitgeist… letztlich zwei Qualitäten, derer sich gerade auch David Bowie kräftig bediente.
Auch wenn man es vordergründig meinen könnte: Kubix ist keinesfalls der Sohn von Talentix, dem „Sichelmacher“ aus Lutetia (Paris), der einigen aus dem Asterix-Band V „Die goldene Sichel“ bekannt sein dürfte. Vielmehr ist Kubix ein äußerst talentierter Gitarrist, Produzent und Komponist, der bereits 2005 sein eigenes Label, Attik Productions, gründete. In den Jahren 2015 und 2017 gewann er einen Grammy Award als Gitarrist. Geboren wurde Xavier ‚Kubix‘ Bègue 1980 in einem der Pariser Vororte. Begeistert vom Gitarrenspiel seines Vaters, beschloss er als Teenager auch dieses Instrument zu lernen. Danach spielte er relativ schnell in Rock- oder Reggae-Bands. Seine Virtuosität an der Gibson führte bald dazu, dass er als Begleitmusiker Künstler wie Barrington Levy, Lee Scratch Perry, IJahman Levi, Horace Andy, Ken Boothe, Mo’Kalamity und viele andere auf den größten Festivals begleitete. Als gefragter Session-Musiker spielte Kubix auch bei einigen französischen Reggae-Bands wie Meta & The Cornerstones und den Colocks, deren „Sur Les Sentiers Du Dub“ aus 2013, leider auch im Dubblog bisher keinerlei Erwähnung fand. Ein weiterer überzeugender Beweis, dass die Franzosen weit mehr als nur langweiligen, monotonen Steppers drauf haben.
Sein erstes Solo-Album „Kubix: Guitar Chant“ (Attic Productions) erschien 2020. Im November 2022 wurden die ursprünglichen elf Tracks um fünf zusätzliche Vocal-Tracks erweitert und als Deluxe Edition erneut veröffentlicht. Das Hauptelement des Albums ist natürlich die Gitarre, aber Kubix hat es tatsächlich verstanden, renommierte Musiker um sich zu scharen, die alle genügend Freiraum erhielten, ihre Virtuosität und Spielfreude unter Beweis zu stellen. So hören wir die japanische Pianistin Aya Kato (Kymani Marley, Sean Paul, Mykal Rose, Meta & The Cornerstones …), den Keyboarder Marcus Urani (Groundation) oder noch wesentlich überraschender: Der legendäre Bassist und Sänger der Gladiators, Clinton Fearon, spielt bei dem Gladiators-Trademark-Track „Mix Up“ den Bass. Bei „Still Standing“ mit klassischen Nyahbinghi Drums und „The Walk“ hören wir den legendären Vin Gordon an der Posaune (Bob Marley, Skatalites, Burning Spear …). Weitere bekannte Gäste auf dem Album sind: Eric „Rico“ Gaultier (Faya Dub & Faya Horns) und Matthieu Bost (Bost & Bim) am Saxofon, Manjul an den Percussions und Manudigital am Bass. Das Album wurde zwischen Paris (Wise Studio) und New York (Rift Studio) aufgenommen und vereint nicht weniger als 21 Musiker. Geleitet wurden die Aufnahmen von Fabrice Boyer alias Fabwize (Bost & Bim) und/oder Sébastian Houot (Tu Shung Peng), der auch für das Mixing verantwortlich zeichnet. Zum krönenden Abschluss übernahm Jim Fox in den Lion & Fox Recording Studios das Mastering. Ein unglaublich schönes Album, das auch seine Inspirationen aus Kubix’ musikalischen Fähigkeiten und Erfahrungen seiner langen Karriere schöpft. Mal klingt die Gitarre nach George Benson, mal nach Wes Montgomery, mal nach Ernest Ranglin. Kurz: Wem jazzlastige Instrumental-Alben à la Monty Alexander und Ernest Ranglin gefallen, wird auch bei „Guitar Chant“ genüsslich mit der Zunge schnalzen. Wieder einmal ein vom Dubblog viel zu spät entdecktes Meisterwerk.