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Dubbin‘ Darryl: Textures (EP)

Reggae und sein Subgenre Dub haben sich bekanntlich über den ganzen Globus verbreitet und so ist es nicht verwunderlich, dass auch aus „Down Under“ hochinteressante Reggae & Dub Alben erscheinen (siehe Rezension „Nachur“). Nachdem die Springtones bereits die Reggae-Version des Kings Go Forth Kulthits „High On Your Love“ als One Drop und Dub-Version veröffentlicht hatten, folgte die Dad Bod Dubs Interpretation von „Sweet Dreams“ der Eurythmics. Präsentiert wurde das Ganze vom australischen Dub-Label Cry No More Recordings, das nun das Debütalbum von „Dubbin‘ Darryl: Textures“ veröffentlicht.
Inspiriert von der funkigeren Seite des instrumentalen Reggae, verleiht Dubbin‘ Darryl Keyboards, Orgel und Melodica seine ganz eigene Note und schafft so ein fesselndes musikalisches Erlebnis.
Die EP „Textures“ ist eine nur vier Songs umfassende psychedelische Reise durch Dub-Rhythmen mit supercoolen Jazz-Vibes. Dubbin‘ Darryl zeigt uns überzeugend, dass er mühelos tief in eine Welt aus Echos eintauchen kann. Direkt aus einem Schuppen in Witchcliffe, Südwestaustralien, kommt er mit einem eindringlichen Schwall halliger Echos über perlenden Percussions und groovenden Guiro-Beats. Darryl, der auch als Schlagzeuger der Improvisations-Dubband Dad Bod Dub bekannt ist, lässt sich von der funkigeren Soul-Seite des instrumentalen Reggae inspirieren und fügt mit verfremdeten Keyboards, Orgel und Melodica seine eigene musikalische Note hinzu. Heute nur ein Beispiel: „Muckaround Dub“ klingt, als hätte der legendäre Lee ‚Scratch‘ Perry seine magischen Finger mit im Spiel gehabt. Oder ist es doch nur ein sirenenartig gedubter Hahn, der aus den Feldern widerhallt?


„Textures“ ist die dritte Veröffentlichung des neuen australischen Dub-Labels Cry No More Recordings das von den Lebenspartnern Kellie Bennett (Bass, Guitar, Horn Samples & Production) und Clay Chipper (Beats, Guitar, Keys, Horn Samples & Production) gegründet wurde. Hier können sie ihrer Liebe zu Reggae- und Dub-inspirierten Klängen mit einer Prise Soul und Funk frönen.
Was mir zusätzlich größten Respekt abverlangt ist die Tatsache, dass alles nachhaltig produziert wird. Kellie und Clay sind der Meinung, dass gute Musik nicht die Welt kosten muss, deshalb pressen sie auf 100% recyceltem Vinyl, verwenden recycelte Verpackungen und betreiben ihr kleines Unternehmen mit Solarenergie. Außerdem respektieren und unterstützen sie die Ältesten der Whadjuk und die Gemeinschaften der First Nations. Raspekt!

Bewertung: 4 von 5.
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Bazille Noir: Goes Dub

Auf meinen gelegentlichen Streifzügen nach neuer Musik bin ich eher zufällig auf das Album „Bazille Noir Goes Dub“ gestoßen.

Das Projekt besteht in erster Linie aus dem in Hamburg beheimateten Produzenten und Musiker Jens Paulsen, der seit 2001 Musik unter dem Namen „Bazille Noir“ und in den letzten Jahren vermehrt unter „Paulsen & Stryczek“ veröffentlicht hat. Für dieses Dub-Album hat er sich mit dem Bassisten und Keyboarder Matthias Zoeller zusammengetan. Beides sind für mich unbekannte Namen und ich habe nicht näher nach Infos gesucht. Die Musik soll sprechen. Veröffentlicht wurde das Album digital auf dem Label Lemongrassmusic, das für mich bisher eher für Ambient-, Downtempo-, Electronic- oder Chillout-Veröffentlichungen stand. „Goes Dub“ vermag mich dabei sehr zu überzeugen, doch die neun Tracks beinhalten leider auch Musik, die ich gerne wegzappe, aber dazu später mehr. Es ist eher ein experimentelles Herangehen an die Thematik Reggae und Dub, was die beiden machen und genau das gibt durchaus gelungene und reizende musikalische Ergebnisse.

Der Opener „Mutualism“ beginnt mit einem entspannten, deepen Reggae-Groove-Bass, mit Bassdrum-Akkzenten auf 2 und 4, wo mir insbesondere die Hi-Hat-Arbeit sehr positiv auffällt. Auch die Basslinie ist gelungen, einzig die eingespielten Stimm-Samples, bräuchte ich nicht unbedingt. Die vom Baritonsaxophon dominierten Bläser-Arrangements, die ab der Mitte des Songs dezent, aber seidenfein dazukommen sind erste Sahne. Und mein Herz erfreut’s, denn der Song hat ein Ende und kein Fadeout. Weiter geht es mit „Rainmaker“, der in ähnlichem Stil weitergeht, Deepbass vom Feinsten. Dazu muss ich feststellen, dass der Mix und die benutzten Effekte sehr gekonnt, unaufdringlich und songdienlich daherkommen. Als Blasinstrument fungiert hier aber eine Flöte, die eher spärlich zum Einsatz kommt – also genau richtig dosiert. Auch der dritte Track passt. Es wird jedoch vom Sounddesign her etwas elektronischer und Keyboard-Arpeggios und -Delays stechen erstmal heraus, aber auch eine fette Hammond-Orgel, eine fast minimalistisch eingesetzte Trompete und eine schüchterne E-Gitarre haben ihre Auftritte. Bis jetzt bin ich begeistert und erahne bereits Ende Mai einen Anwärter auf das Album des Jahres.

„Blues Skank“ kommt dann, zwar erst nach einem gut einminütigen Intro, mit einem für meine Ohren aber zu plumpen House-Beat daher, ansonsten immer noch okay, die Gitarre ziemlich inspiriert sogar, aber eben, dieser Beat geht für mich gar nicht. Ich weiss, dass das Geschmackssache ist und es wird sicher Hörer:innen geben, die das mögen, vielleicht sogar bevorzugen, egal. So geht es dann (leider) die nächsten zwei Songs weiter.

Die drei abschliessenden Tracks sind wieder ganz in meinem Sinne. Insgesamt ist die Ästhetik des Werks sehr schön ausgewogen und kompakt gehalten. Alles passt zusammen, ich bemerke ein Konzept, ein richtiges Album aus einem Guss, das ich, abgesehen von den erwähnten drei mittleren Songs, mittlerweile schon ziemlich oft durchgehört habe. An zwei drei Stellen fantasiere ich mir sogar Anleihen am Sounduniversum von Dub Spencer & Trance Hill dazu. Durchweg ein bemerkenswert gut gelungenes Werk, das von mir dennoch nicht die Höchstnote bekommt – aber das ist reine Geschmackssache. Meinen Respekt und Goodwill haben die beiden Macher jedenfalls in hohem Maße.

Bewertung: 4 von 5.
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Alborosie: Dub Pirate

Die Dub-Alben von Alborosie haben mich bisher selten überzeugt. Natürlich bewundere ich seine technischen Fähigkeiten und auch seine Fixierung auf analoges Equipment ringt mir Anerkennung ab. Aber seine bisherigen Dub-Alben wirkten mir zu sehr nach Lehrbuch ausgeführt. Es fehlte Kreativität, Spannung und vor allem die Absicht, die Regeln des guten Geschmacks außer Kraft zu setzen. Vielleicht waren auch die den Dubs zugrund liegenden Produktionen nicht stark genug. Genau das jedenfalls vermeidet Alborosie bei seinem neuesten Dub-Werk: „Dub Pirate“ (Evolution Media), denn es basiert auf dem herausragenden Album „Soul Pirate“ aus dem Jahre 2008, mit dem ihm bekanntlich der Durchbruch als Reggae-Artist gelang. Zu Recht, denn es ist nach wie vor ein brillantes Album, von dem es allerdings bis zum heutigen Tag keine Dub-Version gab. Verrückt, da Alborosie doch ein großer Liebhaber von Dub und Studioarbeit ist. Wir wissen nicht, was ihn nun, 18 Jahre später, veranlasste, sich die alten Tracks zu schnappen und Dubs daraus zu mixen – natürlich mit seinem historischen Studio Equipment, das zuvor King Tubby oder Coxsone Dodd gehörte. Alborosie nutzt übrigens nicht nur das Equipment dieser Legenden, sondern pflegt natürlich auch die Ästhetik seiner großen Vorbilder. Daher verwundert es nicht, dass „Dub Pirate“ ganz im Stile King Tubbys gemischt wurde. Großzügig eingesetzte Echoeffekte, meisterhafte Manipulation von Hoch- und Tiefpassfiltern, virtuoses An- und Abschalten diverser Instrumentalspuren sowie teils heftige Klangmanipulation. Auf „Dub Pirate“ geht Alborosie viel rabiater, ja geradezu radikal mit den Originalaufnahmen um. Kein Vergleich zu seinen späteren Dub-Alben. Vielleicht brauchte es die historische Distanz zum Material, um „destruktiv“ damit umzugehen. Die Dubs von „Dub Pirate“ sind jedenfalls alle bemerkenswert, all Killer, no Filler. Trotzdem stechen einige besonders hervor. Z. B. „Still Dub Blazing“, mit den starken Echoeffekten auf der Gitarre, die eine surreale und packende Atmosphäre schaffen. Oder „Precious Dub“, ein Stück, das den Fokus geschickt auf die Bläsersektion legt und deren mächtige, äußerst kreativ manipulierte Klänge faszinieren. Eine besondere Stärke von „Dub Pirate“ ist zweifellos die kreative Dekonstruktion von Alborosies größten Hits. Immer schön, Anklänge an wohlbekannte Songs zu erkennen und deren Dub-Rekonstruktion zu bewundern. Zum Glück verzichtet Alborosie dabei weitestgehend auf die Verwendung von Vocal Snippets. Das Album glänzt ganz besonders mit „Natural Dub Mystic“, der Dub-Neuinterpretation seiner Zusammenarbeit mit Kymani Marley. Dieser starke Riddim war geradezu prädestiniert für ein Dub-Treatment, und Alborosie exekutiert dieses absolut meisterhaft. Das Herzstück des Tracks liegt in der treibenden Basslinie und den wiederkehrenden Bläserpartien, die von verrückt wirbelnden, räumlichen Klangeffekten umhüllt werden. Ein faszinierendes Dub-Erlebnis – wie das Album als Ganzes.

Bewertung: 4.5 von 5.
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The Loving Paupers & Victor Rice: The Ghost of Ladders

Ein Jahr nach ihrem gefeierten Album „Ladders“ legen die aus Washington DC stammenden Loving Paupers eine äußerst schöne Dub-Version desselben vor: „The Ghost of Ladders“ (Easy Star Records) – ein Titel, der sich allzu offensichtlich auf das legendäre Burning Spear-Album „Garvey’s Ghost“ bezieht und damit das Erwartungslevel unweigerlich maximal hochschraubt. Doch da niemand Geringeres als Victor Rice hier die Remix-Aufgabe übernahm (er war auch Toningenieur von „Ladders“), gibt es eine große Wahrscheinlichkeit, dass die Erwartungen erfüllt werden. Klar, seine Musik ist nicht das, was man im Soundsystem spielen würde. Irgendwie klingt sein Sound – insbesondere im Kontrast zu Burning Spear – immer ein wenig zu leicht, zu poppig, zu sehr nach Ska. Aber fürs heimische Sofa, oder als Kopfhörerbegleitung bei den täglichen Wegen durch die Stadt, sind seine Dubs eine wundervolle Musik. Der legendäre britische DJ Don Letts beschrieb den ursprünglichen Sound der Loving Paupers als beeinflusst von Sechzigerjahre Pop und Siebzigerjahre Reggae – eine Mischung, die ihre Musik einzigartig resonanzfähig mache. Womit er absolut recht hat. Ich musste beim Hören durchaus an UB40 oder Hollie Cook denken. Wobei der Sound selbstredend meilenweit vom repetitiv-schnulzigen Lovers Rock entfernt ist. Es ist poppiger Reggae im besten Sinne. Die Frage ist nun: Was wird im Dub-Mix daraus? Bekanntermaßen einem Treatment, das Stücken generell mehr Schwere und Erdung verleiht. Was wird da vom leichten Pop-Appeal übrig bleiben? Die Antwort lautet: Genau die richtige Dosis! „The Ghost of Ladders“ ist ein schlichtweg super angenehmes Dub-Album, das die vielschichtigen Arrangements der Aufnahmen offenlegt und die wahre Qualität der Musik offenbart, die sich im Original allzu gut hinter dem hellen Gesang Kelly Di Filippos verstecken konnte. Und mit dem Gesang verschwindet reduziert sich auch das Pop-Flair deutlich. Die Anspielung auf „Garvey’s Ghost“ ist vielleicht etwas zu hoch gegriffen, doch eine Analogie wird deutlich: Während „Ladders“ ein nettes Pop-Reggae-Album ist, entfaltet „The Ghost of Ladders“ regelrechte Dub-Magie – also genau jene unbeschreibbare Qualität, die auch Burning Spears Dub-Album in den Status eines Kult-Werkes hievte. Rices meisterhafter Dub-Mix nutzt die bekannten Ingredienzen Hall und Delay, um das Vertraute in etwas völlig Neues und Überirdisches zu verwandeln. „The Ghost of Ladders“ beweist wieder einmal eindrücklich, wie es Dub mühelos gelingen kann, zum Kern der Musik vorzudringen und sie in eine magisch-abstrakte Erfahrung von reinem Klang zu transzendieren. Nun soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, als würde Rice irgendwie verkopfte Kunstmusik fabrizieren. Im Gegenteil: Durch die poppige Grundanlage der Musik bleibt sie auch in der Dub-Version zugänglich und sorgt beim Hören unweigerlich für gute Stimmung. Für mich eines der schönsten Dub-Alben der letzten Monate.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Message: Showcase 1

Das A-Lone Ark Muzik Studio in Santander hat sich zu einer der aktuell interessantesten Produktionsstätten für modernen Roots Reggae entwickelt. Superbe Produktionen, handwerklich perfekt eingespielte Riddims, brillante Soundqualität und schlicht großartige Kompositionen gehören zum Markenzeichen des Studios. Hinter diesem Studio in Santander, Spanien, steckt Roberto Sánchez, ein Multiinstrumentalist, Sound Engineer und Produzent, der hier eine Gruppe höchst begnadeter spanischer Reggae-Musiker um sich geschart hat. Er und seine Crew sind verantwortlich für einige der spannendsten Alben der letzten Zeit. Z. B. Inés Pardos „My Time“, Ras Teos „Ion Man“ und I Man Cruz’ „In A Mission“, um nur einige der jüngsten zu nennen. Doch nun haben sich Sánchez und seine Mitstreiter selbst übertroffen und ein geradezu überragendes Instrumental- und Dub-Album vorgelegt: „Showcase 1“ von Message (A-Lone-Reggae). Es wurde innerhalb nur eines Wochenendes im Ark-Studio eingespielt, live, pur und direkt – und natürlich auf Magnetband, ganz so, wie es früher die Musiker in Jamaika auch gemacht haben. Genau ihnen, und dem Reggae-Sound der 1970er Jahre, zollen Sánchez & Co. mit ihrem Showcase-Album Tribut. „The soundtrack of our lives“, wie Sánchez sagt. Ihre Hommage enthält 7 Instrumentals und 7 Dub-Versionen. Lead-Instrumente sind Melodica, Posaune und manchmal auch ein Keyboard. Alle Stücke sind eigene Kompositionen der Band. Was mich am meisten begeistert, ist die tighte Produktion der Stücke. Was für ein fulminantes, energiegeladenes Spiel, welche Präzision und was für ein perfektes Timing! Ich bin überzeugt, dass sich handgemachter Reggae heute nicht besser einspielen lässt. Auch die „Song-Qualität“ der Stücke überzeugt gleichermaßen, ebenso die Arrangements. Bleibt also nur noch die Frage nach den Dub-Versionen. Da bei dem Ausgangsmaterial eigentlich nicht viel schiefgehen kann, beantwortet sie sich fast von selbst. Roberto Sánchez hat die Beats fest im Griff: Die Dubs sind spannend und abwechslungsreich – und natürlich stricktly Old School. Die Lead-Instrumente wurden hier erwartungsgemäß ihrer Dominanz beraubt, wodurch die Qualität der restlichen Musik aber nur noch deutlicher hervortritt. Wer das Album in physischer Form kauft, wird zudem mit ausführlichen Liner Notes zum Produktionsprozess beschenkt und bekommt ein paar Schwarzweißfotos der Musiker zu sehen – auch das ganz im Stil von Seventies-Vinyl.

Bewertung: 5 von 5.
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Roman Stewart: Give Thanks ‚Showcase‘

Obwohl er es mehr als verdient gehabt hätte, stand er nie in der ersten Reihe der erfolgreichen jamaikanischen Sänger. Aus diesem Grund sind die Informationen über ihn sehr spärlich. Dennoch wage ich eine These: Ohne Roman Stewart hätte es keinen Dennis Brown gegeben. Wie man in der einschlägigen Literatur nachlesen kann, hat Roman Dennis das Singen beigebracht. Die stimmlichen Ähnlichkeiten sind in der Tat frappierend, man schließe die Augen und lausche. Wen hört man? Nein, nicht den jungen Dennis Brown, sondern Roman Stewart mit einem „verschollenen“ Album. Ganz abgesehen davon, dass „Roman Stewart: Give Thanks ‚Showcase‘ “ (Thompson Sound) nie als Album konzipiert war. Einige Titel wurden bereits 1979 von Linval Thompson auf seinem Label Thompson Sound als Singles oder Maxi-Singles veröffentlicht und waren seitdem nie wieder erhältlich. Außerdem sind drei unveröffentlichte und völlig neue Tracks und ihre Dub-Versionen zu hören: Give Thanks, Give Thanks Dub, I’m In A Bad Mood, I’m In A Bad Mood Dub, Hello Baby und Hello Baby Dub.

Seine Karriere startete der 1957 geborene Roman Stewart, als kleiner Junge auf der Straße und am Pier, wo die Kreuzfahrtschiffe anlegten. Dort sang er für die Touristen, und sein Freund Freddie McGregor sammelte das Geld ein, das die Leute zu geben bereit waren. Roman war 1968 gerade 11 Jahre alt, als er seine erste Aufnahme „While I Was Walking“ als Romeo Stewart And The Tennors With Tommy McCook And The Supersonics aufnahm. Im Jahr 1974 hatte Roman seinen ersten Hit „Hooray Festival“. Ein Song aus der Feder seines älteren Bruders Neville alias Tinga Stewart und Willie Lindo. Nach seinem ersten Durchbruch gelang ihm 1976 mit dem von Tommy Cowan produzierten „Hit Song“ ein weiterer Erfolg.
Im Großen und Ganzen waren die frühen 1970er Jahre eine erfolgreiche Zeit für Roman. Er begann, neue Songs für bekannte Produzenten wie Glen Brown (Never Too Young), Derrick Harriott (Changing Times), Everton Da Silva (Rice & Peas), Phil Pratt (Fire At Your Heel) und Linval Thompson aufzunehmen. Obwohl er 1976 in die USA emigrierte, hielt er stets engen Kontakt zu seinem Heimatland und machte dort weiterhin zahlreiche Aufnahmen. Man sagt, „Rice and Peas“ sei sein bekanntester Song, den er 1979 auch für Linval Thompson aufnahm. Insgesamt nahm er mehr als 70 Singles und eine gute Handvoll Alben auf und konnte auf eine mehr als 30 Jahre währende Karriere zurückblicken. Am 25. Januar 2004 starb Roman alias Romeo oder Romie Stewart im Alter von nur 46 Jahren an einem Herzinfarkt. Am Abend zuvor hatte er ein Konzert seines guten alten Freundes Freddie McGregor besucht. Danach ging Roman zu einer Geburtstagsfeier, wo er noch zwei Lieder sang. Als Roman sein drittes Lied singen wollte, soll er das Mikrofon ausgeschaltet und über Schmerzen in der Brust geklagt haben. Später brach er zusammen und wurde ins Krankenhaus gebracht, wo er im Koma lag und am nächsten Tag starb.

Über zwanzig Jahre nach diesem tragischen Ereignis kommt nun Linval Thompson mit den verschollenen geglaubten Bändern um die Ecke. Der Gesang von Roman Stewart und die kraftvollen Riddims der Roots Radics Band wurden im Channel One Recording Studio der Hookim Brüder in der Maxfield Avenue in West Kingston, Jamaika, aufgenommen. Wie gesagt, Linval Thompson fand die Originalbänder und beauftragte Roberto Sánchez, sie in seinem A-Lone Ark Muzik Studio im spanischen Santander neu abzumischen. Dank der sachkundigen Konservierung des analogen Vintage-Sounds fühlt sich der Hörer in die frühe Dancehall-Ära zurückversetzt. Der kraftvolle Titeltrack „Give Thanks“ ist ein klassischer Roots-Song, der noch nie zuvor veröffentlicht wurde. Der Track und sein Dub-Pendant bieten einen fantastischen, basslastigen Riddim. Mit „Baby Come Back“ wendet sich Roman Stewart einem Liebeslied zu. Der Song wurde ursprünglich in England als 12? Vinyl von Cool Rockers veröffentlicht, einem kurzlebigen Ableger von Greensleeves Records, der sich auf Lovers Rock konzentrierte. Als Begleitband wurden The Revolutionaires genannt. Dass Roman sowohl in der Roots- als auch in der Lovers-Sparte des Reggae zu Hause ist, zeigt er überdeutlich. „Mr. Officer“ ist ein Stück, in dem es um die Probleme geht, die der Besitz des grünen Krauts (Herb, Lambsbread, Ganja, Kaya, Collie) mit sich bringt. Die restlichen Tracks auf dieser LP beschäftigen sich eher mit Herzensangelegenheiten, insbesondere mit Problemen, die zu Komplikationen in Beziehungen führen. Jeder Track hat seine eigenen Vorzüge und ist es wert, mehr als nur einmal gehört zu werden. Gesanglich glänzt Roman Stewart bei jedem Stück, und auch die schwergewichtigen Dubs von Roberto Sánchez sind ein echter Hörgenuss. Ein weiteres Mal hat der Dubmaster aus Nordspanien demonstriert, dass er erfahren genug ist, aus historischen Aufnahmen ein zeitgemäßes Album mit dem klassischen Sound des goldenen Zeitalters des Reggae zu schaffen.

Bewertung: 4 von 5.
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O.B.F & Iration Steppers: Revelation Time

Die Iration Steppers dürften aktuell das bekannteste Soundsystem des Globus sein. Die Sessions von Mark Iration und Dennis Rootical zählen zu den Höhepunkten der großen Soundsystem-Festivals. Ihr geradezu brutalistischer Sound in ohrenbetäubender Lautstärke ist in der Tat ein intensives Erlebnis. Ein Erlebnis, das sich allerdings zuhause auf dem Sofa, bei gemäßigter Lautstärke, kaum reproduzieren lässt. Dafür sind die Produktionen dann doch etwas zu unterkomplex. Seit einiger Zeit touren die Steppers mit dem Franzosen Rico und dessen Soundsystem O.B.F durch die Welt und mischen gemeinsam diverse Dub-Events auf. Rico und Mark liefen sich 2004 erstmals über den Weg, freundeten sich an und beschlossen, eine langfristige Zusammenarbeit zu starten. Nun liegt das albumgewordene Ergebnis dieser Zusammenarbeit vor: „Revelation Time“ (Dubquake). „We locked ourselves in the studio, writing lyrics, cooking up riddims, perfecting our production recipes, secret techniques and octopus mixes.“, beschreibt Rico die Entstehung des Albums. Herausgekommen sind 16 beeindruckende Tracks, heftig, monströs und brutal. Interessanterweise verzichtet keiner der Tracks auf Vocals – was für ein Dub-Soundsystem äußerst ungewöhnlich ist. Vielleicht haben sie ja selbst gemerkt, dass die Riddims kaum für ein instrumentales Dub-Album taugen. Allerdings muss man einwenden, dass die Vocals diesen Mangel nicht immer auszugleichen vermögen. Abgesehen von der Hymne „Love Sound System“, die einen schönen Text mit einer wirklich catchy Melodie vereint, bleibt der Rest der „Songs“ ziemlich blass. Auch wenn sich Mark, Dennis und Rico laut eigener Aussage bereits im Dub-Jahr 4000 wähnen, klingt das Album ein wenig gestrig. Statt bei jedem Track auf Massivität und Bass-Impact zu setzen, wäre ein sorgfältiges Songwriting und/oder eine differenzierte Produktion und inspiriertes Mixing angeraten gewesen. So bleibt eigentlich nur die Option, die Tracks in einem Soundsystem zu spielen, um ihre eigentliche Qualität zu „spüren“. Aber wer hat das schon zuhause?

Bewertung: 3.5 von 5.
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Linval Thompson Meets Roberto Sanchez At The Ark: Marijuana Sessions In Dub

Das 1978 erschienene Album „I Love Marijuana“ war Linval Thompsons erstes selbst produziertes Album. Stimmlich war Linval Thompson 1978 auf dem Höhepunkt seiner Fähigkeiten. Seine Stimmlage und sein selbstbewusstes Auftreten – nicht unähnlich dem von Ken Boothe – machten ihn so einnehmend wie die amerikanischen Soulsänger, die in den 60er und 70er Jahren nicht wenige junge jamaikanische Sänger inspirierten. Dem Erfolg seiner Hitsingle „I Love Marijuana“ folgte die gleichnamige LP und mit ihr einige der besten Songs seiner Karriere. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen brachte Thompson einige ausgesprochen starke Stücke mit ins Channel One Studio der Hookim Brüder, zum anderen hatte er mit The Revolutionaries eine der besten Bands Jamaikas an seiner Seite. Am Bass hören wir Aston Barrett oder Robbie Shakespeare, am Schlagzeug Horsemouth Wallace oder Sly Dunbar, an der Orgel Ossie Hibbert, gefolgt von Ansel Collins am Piano. Die Gitarre zupfte Earl Stanley Smith, besser bekannt als „Chinna“ Smith. Das Endergebnis war eine äußerst raffinierte LP mit Reggae aus den späten Siebzigern. Auf dem Album trifft die Wärme und Romantik des Rock Steady auf den knallharten Sound der damals aufkeimenden Natty Roots-Szene. Auf der Original-LP war als Leckerli nur der letzte Track ein Dub, „Jamaican Colley (Version)“, eine Dub-Version des Titelstücks. Obwohl der Engineer nicht namentlich genannt wurde, deutet vieles darauf hin, dass entweder Tubby selbst, Philip Smart oder Prince Jammy an den Reglern saßen. Zu den Höhepunkten des Albums gehören neben dem Titeltrack das funkige „Dread are the Controller“ und Ken Boothes rätselhaft widersprüchlicher 1969er Klassiker „Just Another Girl“ aus dem Studio 1. Das von Tony Robinson produzierte 1975er-Album von U-Roy „Dread in a Babylon“ enthält ebenfalls einen fantastischen Toast von „Just Another Girl“ namens „Runaway Girl“.
Seitdem hat sich Linval Thompson auch als Produzent einen Namen gemacht und Arbeiten mit und von Dennis Brown, Barrington Levy, The Viceroys, Revolutionaries, Scientist und unzähligen anderen Künstlern veröffentlicht.

Kommen wir nun zu „Linval Thompson meets Roberto Sanchez At The Ark: Marijuana Sessions In Dub“ (A-LONE PRODUCTIONS). Linval Thompson, der in den letzten Jahren immer wieder mit dem spanischen Musiker, Soundengineer und Produzenten Roberto Sanchez zusammengearbeitet hat, hat Roberto Sanchez die Originalbänder zur Verfügung gestellt, um daraus ein ebenso geniales Dub-Album zu basteln. Und was die beiden im A-Lone Ark Studio im nordspanischen Santander zusammengeschraubt haben, kann sich hören lassen. Wir kennen viele Beispiele, bei denen ein solches Unterfangen – gelinde gesagt – brutal in die Hose ging. Doch weit gefehlt, Roberto Sanchez und Linval Thompson haben es mühelos geschafft, einen Klassiker in die Jetztzeit zu transferieren. Herausgekommen ist ein zeitloses Dub-Album mit wunderbaren Basslines à la Aston ‚Familyman‘ Barrett, fetten Riddims und frei im Raum schwebenden Songfragmenten von Linval Thompson, das tatsächlich so klingt, als wäre es in der Blütezeit des Reggae entstanden. Was soll man da noch meckern? Angesichts der Tatsache, dass die Nachfrage nach Reggae-Klassikern nach wie vor stetig steigt, kann man Sanchez und Thompson zu diesem Ergebnis nur gratulieren und ausrufen: „Well done men, I like it very much!

Bewertung: 4 von 5.

Das Album wird am 24.05.2024 auch als Schallplatte veröffentlicht.

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Roots Architects: From Then ‚Til Now

Was für ein wunderbares musikalisches Vermächtnis wird uns hier präsentiert? Ein Album, das im Grunde bereits 1978 seinen Anfang nahm, sich als geistiges Kind weiterentwickelte und 2017 in die Tat umgesetzt wurde, um schließlich 2024 mit der Veröffentlichung seine Vollendung zu finden. Aber zuerst alles der Reihe nach.

Das Coverbild von „Roots Architects: From Then ‚Til Now“ (Fruits Records) zeigt eine typische Straßenszene in Kingston. Hunde fressen weggeworfene Essensreste vom Bürgersteig. Eine junge Frau im Hintergrund starrt den Betrachter misstrauisch an. Ältere Männer sitzen auf einer Bank und blicken mit unendlicher Geduld auf die staubige Straße, während sich ein ergrauter, bärtiger Herr mit einem Gehstock uns nähert. Ein ganz normaler Tag auf Jamaika.

Wenn wir uns mit der Geschichte des Reggae beschäftigen, wird diese meist über Sänger, Produzenten und Soundsysteme erzählt. Ein Sänger oder Toaster wurde engagiert, um über einen bereits existierenden Rhythmus zu singen oder zu skandieren. Der Produzent bezahlte die Aufnahmekosten und testete den Song bei einem Dance, um zu sehen, ob er ein Hit werden könnte. In den 1970er Jahren, als der Reggae dekonstruiert und in seinen avantgardistischen Ableger Dub verwandelt wurde, rückten die Toningenieure, die ihre Studios als Instrumente benutzten, immer mehr in den Mittelpunkt. Die engagierten Studiomusiker, die die eigentlichen Rhythmen produzierten, werden dabei oft übersehen. Außer vielleicht von ein paar Liebhabern, die immer auch ein Augenmerk auf die beteiligten Instrumentalisten hatten.

Der jamaikanisch-chinesische Roots Reggae Sänger I Kong – alias Errol Kong, Neffe des legendären Leslie Kong – veröffentlichte 1978 die LP „The Way It Is“ mit einer einzigartigen Besetzung, die fast alle führenden Session-Musiker der Insel umfasste. Obwohl das Album von den Kritikern hochgelobt wurde, floppte es finanziell, und I Kong ging in ein selbst auferlegtes musikalisches Exil aufs Land. Anfang der 2010er Jahre wurde er vom Schweizer Produzenten und Vintage Reggae Liebhaber Mathias Liengme kontaktiert. Liengme hatte sich 2011 mit Leroy „Horsemouth“ Wallace angefreundet. „Horsemouth“ dürfte vielen aus dem Rockers Film und als Schlagzeuger der frühen Burning Spear Aufnahmen bekannt sein. Einige Zeit später fand sich Liengme in Jamaika wieder, wo er die lebenden Legenden der goldenen Reggae Ära aufnahm, die das Land und den Reggae weltberühmt gemacht hatten. Durch I Kong lernte Liengme Robbie Lyn kennen. Robbie Lyn hatte auf „The Way It Is“ und Hunderten anderer berühmter jamaikanischer Aufnahmen Keyboards gespielt. Nach der gemeinsamen Arbeit an I Kongs lang erwartetem Album „A Little Walk“ wandte sich Liengme für sein ehrgeiziges Vorhaben an Lyn. Robbie Lyn öffnete sein Adressbuch, ließ seine Beziehungen spielen und das ambitionierte Projekt nahm Gestalt an. Das Werk des Schweizer Pianisten und Produzenten Mathias Liengme ist ein wahres Veteranentreffen. Im Februar und März 2017 reiste Mathias Liengme zum fünften Mal nach Kingston, um die Musiker zu ehren, die seit seiner Jugend seine Ohren erfreuten und ihn dazu brachten, eine Doktorarbeit über die jamaikanische Musik zu schreiben. Er wollte mit möglichst vielen der noch lebenden Veteranen unter den Session Musikern aufnehmen. Mit Hilfe einiger von ihnen wie Robbie Lyn, Fil Callender oder Dalton Browne gelang es ihm, mehr als 50 Musiker im Alter von 54 bis 85 Jahren für neun Instrumentalsongs zusammenzubringen. Fünfzig der größten Studiomusiker in der Geschichte Jamaikas, deren Arbeit von den Anfängen des Reggae Ende der 1960er Jahre bis heute reicht und die zum internationalen Erfolg des Reggae beigetragen haben. Dieses großartige Instrumentalalbum ist eine Hommage an die unbekannten Helden, die all diese fantastischen Riddims erschaffen haben. Allein die Namen sprechen für sich: Ernest Ranglin, Sly & Robbie, Karl Bryan, Vin Gordon, Glen DaCosta, Robbie Lyn, Ansel Collins, Dougie Bryan, Mao Chung, Boris Gardiner, Jackie Jackson, Lloyd Parks, Bo Pee, Dalton Browne, Flabba Holt, Fil Callender, Mikey Boo, Barnabas, Horsemouth, Dean Fraser, Ibo Cooper, Cat Coore, Derrick Stewart, Dwight Pinkney, Bubbler, Lew Chan, etc… Sie alle sind verantwortlich für Tausende von Aufnahmestunden und Millionen von Minuten, die von Musikliebhabern auf der ganzen Welt gehört wurden.

So sind die Roots Architects, die Legenden des Reggae, in die Studios von Kingston zurückgekehrt, um das zu tun, was sie schon immer am besten konnten: gemeinsam Instrumentalmusik machen. Herausgekommen ist ein großartiges Album, das für alle Liebhaber jamaikanischer Musik, instrumentalen Reggaes oder einfach schöner Musik unverzichtbar ist. Für Musiker ist „From Then ‚Til Now“ das, was „Inna de Yard“ für Sänger ist. Schlicht und einfach, eine Hommage an die ganz Großen. Doch leider ist „From Then ‚Til Now“ inzwischen auch zu einer Art Epitaph für die Musiker geworden, die seit den Aufnahmen im Jahr 2017 verstorben sind. Winston „Bo Pee“ Bowen, der Namensgeber des Albums, starb am 26. März 2019 im Alter von 62 Jahren an einem tödlichen Herzinfarkt. Arnold Brackenridge verstarb am 7. Oktober 2020 im Alter von 70 Jahren an Prostatakrebs. David Trail starb zu einem unbekannten Zeitpunkt in diesem Jahr. Dalton Browne war 64 Jahre alt, als er am 1. November 2021 an den Folgen einer schweren Herz-OP starb. Bongo Joe starb im Alter von 86 Jahren am 5. September 2021. Mikey Boo, dessen Schlagzeugspiel durch einen Schlaganfall und anschließende Demenz beeinträchtigt war, starb am 28. November 2021 im Alter von 74 Jahren. Nur zehn Tage später erlag Robbie Lyns guter Freund Robbie Shakespeare im Alter von 68 Jahren einer Nierenoperation. Ihm folgte noch im selben Monat der 71-jährige Mikey Chung. Der jüngste Musiker des Projekts, Bassist Christoper Meredith, starb am 27. Juli 2022 im Alter von nur 54 Jahren. Nach einer Reihe gesundheitlicher Komplikationen verstarb Lyns geliebter „großer Bruder“ und ehemaliger Bandleader Fil Callender am 27. Mai 2022 im Alter von 75 Jahren. Robbies Keyboard-Kollege und enger Freund Tyrone Downie starb am 5. November 2022 im Alter von 66 Jahren in einem Krankenhaus in Jamaika. Ihr Keyboard-Kollege Ibo Cooper verstarb am 12. Oktober 2023 im Alter von 71 Jahren.

Mögen sie alle in Frieden ruhen, während ihre unsterbliche Musik Lautsprecher, Körper und Seelen für viele zukünftige Tänze zum Schwingen bringt.

Bewertung: 5 von 5.

Diese Rezension widme ich meinem lieben Freund Endi (pfälzisch für Andi), der sich nach langer Krankheit ins Reich der Ahnen aufgemacht hat. Er ist, so wie die oben genannten Helden, nicht von uns gegangen, sondern lediglich vor uns.

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The Aggrovators & The Revolutionaries: Guerilla Dub (Re-Release)

Ok, so wie ich den Kommentaren im Release-Radar entnehme, sind zu dem vorliegenden Album noch einige Fragen offen, die ich gerne zum Anlass nehme, um ein wenig mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Mal ganz abgesehen davon, dass Burning Sounds seine 1978 eingeschlagene Fehlinformation beibehält, wie zum Beispiel der Name The Aggravators weiterhin falsch geschrieben bleibt, sind auch falsche Angaben über das Studio zu lesen, in dem die Bands die Riddims aufgenommen haben sollen. Entgegen der Angabe auf dem Cover wurden die Tracks niemals in King Tubbys Studio aufgenommen. Die Aufnahmen der Tracks fanden vielmehr im Channel One der Hookim Brüder und im Harry J Studio statt. Später wurden die Tracks von Oswald ‚Ossie‘ Hibbert in King Tubbys viel kleinerem Studio abgemischt, das, wie wir bereits aus Helmut Philipps genialer Dub Konferenz wissen, nur für die Vertonung und den Mix genutzt wurde.

Also, Burning Sounds hat das Album „The Aggravators (The Aggrovators) & The Revolutionaries: Guerilla Dub“ anlässlich des diesjährigen Record Store Day (RSD) erneut aufgelegt. Ursprünglich wurde Guerilla Dub 1978 von der britischen Plattenfirma auf transparentem Vinyl veröffentlicht, im Jahr 2016 wurde das 10-Track-Album auf CD und 180-Gramm-Vinyl-LP neu aufgelegt. Jetzt wurde anlässlich des RSD die LP noch einmal veröffentlicht, diesmal als rot gefärbte Vinyl-LP.

Die Aggrovators, sind benannt nach Bunny ‚Striker‘ Lees Plattenladen Agro Sounds. In den 1970er und 1980er Jahren war die Band mit ständig wechselnder Besetzung die wichtigste Session-Band für ‚Striker‘. Im gleichen Zeitraum waren The Revolutionaries die Hausband des Channel One Studios. Wie bereits erwähnt, wechselte die Besetzung beider Bands häufig, wobei Bunny Lee und die Hookims den Bandnamen für die Musiker, mit denen sie gerade zusammenarbeiteten, beibehielten. Musiker wie Aston & Carlton Barrett, Sly & Robbie, Bertram McLean, Tommy McCook, Bobby Ellis, Vin Gordon, Ossie Hibbert, Earl „Chinna“ Smith etc. spielten zeitweise in beiden Bands.

Kommen wir nun zum „Guerilla Dub“, auf dem sich ebenfalls fast die gesamte Crème de la Crème der damaligen jamaikanischen Musikszene tummelt. Als Beispiel bleibe ich jetzt nur mal bei den Riddim Sections: Am Bass hören wir Aston Barrett, Robbie Shakespeare, George ‚Fully‘ Fullwood, Bertram ‚Ranchie‘ McLean, Lloyd ‚Sparks‘ Parks und Earl ‚Bagga‘ Walker und an den Drums: Carlton ‚Carly‘ Barrett, Lowell ‚Sly‘ Dunbar, Lloyd ‚Tin Leg‘ Adams, Basil ‚Benbow‘ Creary und Carlton ‚Santa‘ Davis. Der „Guerilla Dub“ enthält Dub-Pendants von Jimmy Rileys LPs „Majority Rule“, „Showcase“ und „Tell The Youths The Truth“ aus den späten 70ern, von denen einige zuvor als 7 Inch-Singles in Jamaika veröffentlicht wurden. Dank einiger Gesangsschnipsel, die in den meisten Tracks enthalten sind, ist es für den Hörer relativ einfach, sie mit den ursprünglichen Gesangsaufnahmen in Verbindung zu bringen. Die Reise in den Dub beginnt mit „Cuddoe Dub“, einem schönen Riddim im Rockers-Stil mit subtilen Orgelparts. Es folgt der fesselnde „Garvey Dub“, das Dub-Gegenstück zu Jimmy Rileys Titeltrack auf der „Majority Rule“ LP. Der „Garvey Dub“ ist, wenn auch anders abgemischt, auch als „The Conqueror“ von The Revolutionaries bekannt. „Paul Bogle Dub“ ist eine Version von Jimmy Rileys Hit „Nyah-Bingi“, der auf seiner „Showcase“ LP zu hören ist und der „Malcolm X Dub“ ist der Dub zum Vocal-Cut „A You“, der ebenfalls auf der „Showcase“ LP zu finden ist. Abgerundet wird die A-Seite mit dem „Martin Luther Dub“, einem Remix von Alton Ellis‘ „Can I Change My Mind“ Riddim. Die B-Seite der Platte bietet die gleiche Art von klassisch schönen Ossie Hibbert Dubs. Zu den bemerkenswertesten Beiträgen gehören der Titeltrack „Guerilla Dub“ und „Maroon Dub“, eine Version von „Cleaning Up The Streets“, das in den 1970er Jahren ein großer Hit für Jimmy Riley war.

Auch wenn die Ossie Hibbert Dubs auf „Guerilla Dub“ heute nicht mehr die absoluten Sahnehäubchen sind, gehört der 2012 an einem Herzinfarkt verstorbene Musiker, Sound Engineer und Produzent für mich zu den vielen unbesungenen Helden der jamaikanischen Musikszene. Einige kennen von ihm sicher auch „Crueshal Dub“, „Leggo Dub“ und „Earthquake Dub“ – alles sehr schöne, energiegeladene Dub-Werke aus der Blütezeit des Reggae/Dub. Trotzdem hat mir das Wiederhören dieses Klassikers wieder enorm viel Spaß gemacht.

Bewertung: 3.5 von 5.