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Alborosie: Shengen Dub / Embryonic Dub

Um mit etwas Positiven zu beginnen: Alborosie ist mit seinem Shengen Clan ein großartiger Live-Act. Das war’s aber auch schon wieder. Dabei hat der Italiener mit landestypischer Reibeisenstimme (Umberto Tozzi, Gianna Nannini, Zucchero & Co lassen grüßen) zu Beginn seiner Solo-Karriere ordentlich abgeliefert: Wer erinnert sich nicht an den „Herbalist“? Und wer konnte ahnen, dass dieser Track die Blaupause für so ziemlich alles weitere sein würde, das da in Alborosie’s Shengen Studio produziert wird?

Voluminöse Drums, eine simple Bassline und Credibility-Samples verpackt in ein einfaches 80’s Rubadub-Arrangement ohne nennenswerte Hooklines; ein Italiener der sich in Patois versucht und vielleicht gerade deshalb knapp an gehaltvollen Inhalten vorbei schrammt: Das war alles noch halblustig beim „Herbalist“; aber eine ganze Karriere auf diesem Konzept aufzubauen… nun ja, das hat wider Erwarten tatsächlich funktioniert! Alborosie-Fans werden wohl nicht mit mir übereinstimmen, dass alle Alben gleich klingen und die Tracks austauschbar sind – das gilt, behaupte ich, für die Vocal- und insbesondere auch für die gepflegte Langeweile verbreitenden Dub-Alben. Auch der Künstler selbst scheint am Mischpult nicht so richtig Spaß zu haben:

Kommen wir also zu Alborosie’s aktuellen Dub-Release: Shengen Dub / Embryonic Dub (Greensleeves/VP Music Group) nennt sich die Stream-Version, die mit erstaunlichen 22 Tracks aufwartet. Dieser gefühlt niemals endende Gleichklang kann den einen oder anderen Hörer schon mal erschlagen – Freunde des Vinyls hingegen dürfen sich auf zwei Alben einstellen, die sehr wahrscheinlich besseren Sound bieten und allein schon durch die Aufteilung in zwei Portionen leichter zu verdauen sein dürften. Oder man macht sich’s einfach und schwindelt sich durch’s akustische Konvolut – im Sinne von: Hat man einen Track gehört, hat man alle gehört:

Um dann doch noch mit etwas Positiven zu enden: Alborosie ist mit seinem Shengen Clan ein großartiger Live-Act!

Bewertung: 2.5 von 5.
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Fire feat. Adrian Sherwood: Live

Meine Rezension möchte ich mit einem recht herzlichen Dank an lemmi beginnen. Er war derjenige, welcher mich auf dieses unglaublich fremdartige und doch faszinierende Projekt aufmerksam machte. Asche auf mein Haupt: Die Veröffentlichung im Januar dieses Jahres habe ich komplett verschlafen.

Mir ist sonnenklar, dass diese Platte nicht jedermanns Geschmack treffen wird. Möglicherweise gefällt sie mir gerade deshalb umso mehr. Die Aufnahmen zu „Fire feat. Adrian Sherwood“ (Salgari Records) sind bereits am 04. Oktober 2020 beim Turiner Jazz Festival, in Italien, entstanden. Ein musikalisches Audio-Video-Projekt, das so ambitioniert ist, dass ich die Biografie der Band gerne als Lackmustest für das heranziehe, was auf dieser Platte heraufbeschworen wird: Fire feat. Adrian Sherwood ist eine Kollision von elektronischer Musik, Dub, Jazz, Global Beats, Field Recordings und visueller Kunst. Es ist die Verdichtung musikalischer und visueller Sprachen, die sowohl für die Künstler als auch das Publikum allumfassend ist. Fünf gestandene Musiker, eine englische Dub-Legende – Adrian Sherwood, die absolute »Schutzgottheit« des englischen Dub – und ein Videokünstler lassen die Techniken des zeitgenössischen elektronischen Jazz mit Live-Dubbing und der Echtzeit-Aufführung eines Films kollidieren. Zwischen Publikum und Musikern wurde der Film auf der Bühne auf eine Leinwand projiziert.

Jetzt wurden endlich diese faszinierenden Live-Aufnahmen dem Publikum zugänglich gemacht. Das höchst bemerkenswerte Ensemble wurde vom Trompeter Ivan Bert (Dark Magus Orchestra, Emma for Peace, Jazz TO Nepal) gegründet. Zur Crew gesellten sich: Saxofonist Gianni Denitto (Zion Train, T.U.N., Kora Beat), der Vibraphonist und Perkussionist Pasquale Mirra – einer der vielseitigsten und inspiriertesten Jazz-Vibraphonisten Europas – (Mop Mop, C-mon Tigre), der Drumer Filoq (Italian Institute of Cumbia, Uhuru Republic, Vinicio Capossela), sowie der Multiinstrumentalist, Gitarist und Produzent Marco „Benz“ Gentile (Africa Unite, Meg, Architorti). Für die Visuals dieses Multimedia-Projekts war Riccardo Franco-Loiri aka Akasha verantwortlich.

Kurzum: Das Resultat ist lysergisch. Es wurden beruhigende und beunruhigende Atmosphären geschaffen. Die Wechsel zwischen menschlichen Stimmen und bizarren exotischen Elementen sowie zwischen Jazzelementen und postindustrieller Einsamkeit wurden perfekt in das Gesamtkonzept integriert. Die Band, aber auch Adrian Sherwood sind wahrlich »on fire«. Durch Sherwoods genialen Dub-Mix mit z. T. schon lange vergessenen Samples von Prince Far I, Andy Fairley, Dub Syndicate und Albert Einstein wird das Endprodukt noch überproportional verstärkt. Da sind sie, die ungehörten Sounds, denn On .U Sound presents: „Tunes from the Missing Channel“! Die Interaktion zwischen Fire und Sherwood ist atemberaubend. So etwas kann meines Erachtens nur der open-minded, schon immer alle Konventionen brechende, A. M. Sherwood. Einzigartig!

Bewertung: 4.5 von 5.
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King Size Dub 23

Nun ist das Jahr 2023 gekommen, das auf Echo Beach-Veröffentlichungen seit jeher als Produkionsjahr angegeben wurde, und mit Nummer 23 die neuste Ausgabe der Compilation-Reihe King Size Dub. Das Cover von King Size Dub 23 (Echo Beach) gehört schon mal zu den schönsten der Serie: Hier sehen wir also den legendären Echo Beach durch die Augen des slowenischen Künstlers ROK, der ja auch schon für Ariwa tätig war. Junge und Alte aller Herkünfte feiern unter Palmen das Sound System, und in der Tür lehnt lächelnd der Hausheilige King Tubby. Was also bringt der Sound? Zunächst mal eine Reihe alter Bekannter: Die eigentlich aufgelösten Noiseshaper eröffnen überraschenderweise mit einem quicklebendigen Dub-House-Track. Gleich danach wird es deep mit Mexican Dubwiser, einem der interessantesten aktuellen Label-Acts. Mit einer so humor- wie effektvollen Version von JJ Cales Koksklassiker „Cocaine“, gesungen von Earl 16, erklingt dann auch schon die erste von zahlreichen Coverversionen. Gut die Hälfte der Tracks sind Interpretationen von (hauptsächlich) Pop-, New Wave- und einigen Reggae-Klassikern, ein Feld, dem sich das Label in den letzten zehn Jahren mit besonderer Hingabe gewidmet hat. Dass dieser Maximalismus auf der Verbraucherseite gewisse Ermüdungs- und Abnutzungserscheinungen provoziert, ist verständlich. Aber auf dieser Strandparty mischt sich die Prominenz ganz unbefangen unter die ganz normalen Leute, und es lohnt sich den Partygesprächen genauer zuzuhören. Mit „Armagideon Time“ wird Willie Williams’ zeitlose Apokalyptik einmal mehr aktualisiert. Die Version von Seanie T und Aldubb orientiert sich melodisch an der von The Clash, Rob Smiths Onedrop Remix führt ihn einerseits rhythmisch wieder zurück zu seinen jamaikanischen Wurzeln, schreckt dabei aber auch nicht vor Streicher-Pizzicato zurück. The Clash recken noch mal ihr Haupt mit „Guns of Brixton“, minimalistisch auf Drums&Bass reduziert von Mannaseh, und eingespielt von den Schweizern Dub Spencer & Trance Hill, die ja ihre ganz eigenen Art von Reggae-Populismus entwickelt (und ihrem Hamburger Label damit den Floh mit den Coverversionen wohl erst so richtig tief ins Ohr gedrillt) haben. An dieser Stelle ist, was auf Albumlänge einfach zuviel des Guten und mitunter Mittelmäßigen war, richtig portioniert. Musikalisches Highlight ist die Version von Dub Syndicates „Mafia“ feat. Bim Sherman, ein Tune bei dem offenbar nicht viel falsch zu machen ist. Darüber hinaus sorgen Misled Convoy meets Uncle Fester on Acid nicht nur für den bodenlosensten Droput-Moment, sondern auch für die Verbindung zum verschwägerten On-U-Sound-Label. Für Highlights der eigenen Art sorgen schließlich Autor Alan Moore mit einem Spoken-Word-Beitrag und Kid Loco mit einer Version von Kraftwerks „Robots“, letztere ein leckerer Vorgeschmack auf kommende Ereignisse an diesem Strand. Abschreckendes Gegenbeispiel ist „Dub to be Wild“ von RE-201 ft. Awa Fall. Ein Steppenwolf im Dub-Pelz, diesen missglückten Kalauer kann auch ein Zion-Track-Remix nicht retten. Und auch Paolo Baldini hat sich in seiner Kollabo mit L.A.B. einfach einen etwas schwachen Track ausgesucht. Ansonsten gehört Volume 23 zu den Höhepunkten der dienstältesten Dub-Serie im deutschsprachigen Raum. Nicht nur wegen der Zahlenmagie, sondern dank des breiten Spektrums an Stimmen und Meinungen und einer gerade noch ausgewogenen Balance zwischen Altbekanntem und Neuem, Experimenten und Mainstream-Manövern. Mehr Frauen im Line-Up als auf dem Cover wären für die Zukunft wünschenswert. Und weniger Rocksongs.

Bewertung: 4 von 5.
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Rougher All Stars: Dub Me Like That

Erinnert sich noch jemand an den legendären Auftritt der Blue Riddim Band aus Kansas, Missouri? Die erste amerikanische Reggae-Band, die 1982 beim legendären Reggae Sunsplash auftrat und in den frühen Morgenstunden vor rund 14.000 Zuschauern den Jarrett Park in Montego Bay mit einem sensationellen Auftritt zum Kochen brachte. Die knapp 36-minütige LP „Alive in Jamaica“ (Flying Fish) aus dem Jahr 1986 dokumentiert diesen spektakulären Gig, der vom Rockers Magazine zur besten Performance des viertägigen Festivals gekürt und vier Jahre später für den Grammy Award für das beste Reggae-Album des Jahres nominiert werden sollte.

Ja, aber was haben die Rougher All Stars mit der Blue Riddim Band zu tun? Eine ganze Menge. Beide Bands kommen aus Kansas und sind im Grunde eins, wie das 2013 erschienene Album „Blue Riddim Band Meets Rougher All Stars: Enter The Riddim“ (Rougher Records) zeigt. Einige der beteiligten Musiker wie die Multiinstrumentalisten Todd „Bebop“ Burd aka „The Little General“ und Emily „Goldie/Goldilocks“ Madison spielten in beiden Bands. Die beiden waren auch für die Co-Produktion und den Mix des o. g. Albums verantwortlich, auf dem sich der Song „Do Me Like That“ befindet, der wiederum für den Titel des neuen Albums Pate stand, von dem hier die Rede sein soll.
Weitere zehn Jahre später erscheint nun „Rougher All Stars: Dub Me Like That“ (Rougher Records) und die Rougher All Stars sind inzwischen zum Duo geschrumpft. Die acht sorgfältig ausgearbeiteten Dubs und Instrumentals wurden von Todd „Bebop“ Burd und Emily „Goldie/Goldilocks“ Madison produziert, geschrieben und arrangiert. „Dub Me Like That“ spiegelt die Musik der Pioniere dieses Genres wider. Mit gebührendem Respekt vor dem musikalischen Erbe verkörpert dieses Album den Geist der ganz Großen des klassischen Reggae. Todd Burds und Emily Madisons Engagement für Authentizität ist in jedem Ton des Albums zu hören. Von pulsierenden Basslinien bis hin zu komplexen Bläserarrangements wurde jeder Track in Echtzeit mit Gastmusikern aufgenommen. Die Dub-Effekte wurden sparsam, aber gezielt eingesetzt, und das Spektrum der dargebotenen Tracks reicht von schnelleren Ska-ähnlichen Nummern bis hin zu klassischen Dub-Takes. Kurzum, das Ergebnis spiegelt unbestritten die wahre Essenz des zeitlosen Reggae-Dub-Sounds wider. Burd erklärt im Interview: „Wir wollten ein Album machen, das der goldenen Ära des Dub Tribut zollt, aber auf die uns eigene Art und Weise. Während wir unseren Wurzeln treu bleiben, verleihen die subtilen Jazz-Nuancen dem Sound eine einzigartige Note, was meiner Meinung nach zu einem fesselnden Erlebnis führt.“ Weiter fügt Emily Madison hinzu: „Wir wollten ein Album schaffen, das die Zeit überdauert. Darum hoffen wir, dass die Leute noch viele Jahre diese Stücke hören werden.“ Zu wünschen wäre es den Rougher All Stars allemal.

Bewertung: 4 von 5.
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Ras I Mothep: Orbital Dub System

Vor nahezu exakt einem Jahr habe ich mich dazu bekannt, das Album „Reconciliation“ von Ras I Mothep ganz schamlos gut zu finden, obwohl es ausschließlich ziemlich brutalistischen Steppers-Dub offeriert. Nun liegt mit „Orbital Dub System“ (Subsquad) das nächst Album des Sound Systems aus Aix-en-Provence vor, und schon wieder muss ich fasziniert hinhören. Simpelste digitale Produktionen, Rhythmus pur, Bass ohne Ende und ansonsten 4-to-the-floor. Wo bleibt die Raffinesse? Wo die Kunst? Wo der gute Geschmack? Ich weiß es nicht, und ich kann auch nicht darüber nachdenken, denn mein Kopf ist voll von Bass und digitalem Gepluckere. Im Ernst: Es fällt nicht leicht, über die Musik von Ras I Mothep eine differenzierte Review zu schreiben, aber andererseits sind die Dubs aus dem Süden Frankreichs zu betörend, um sie unter den Tisch fallen zu lassen. Sagen wir mal so: Der reichhaltige Sound von Dub lässt sich auch auf ganz simple Basics herunter brechen: Synkopierte Beats, Bass, Effekte. Genau das, und nicht mehr, bietet „Orbital Dub System“. Das Geheimnis liegt im Arrangement der Beats, das einer geheimen Formel folgt: Es verschränkt sich unmittelbar mit den Stoffwechselprozessen im menschlichen Gehirn und erzeugt unwillkürlichen Zwang. Zwang, den nächsten Track hören zu müssen. Dabei ist dem Zwangsbefallenen bewusst, dass er gegen seinen Willen an diese Musk gefesselt wird. Ein schreckliches Schicksal. Also überlegt euch gut, ob ihr das Album anspielt.

Bewertung: 4 von 5.
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The Grapes of Dub: Combat Dub

Fangen wir mal mit Fragen an: „Wer würde das im Radio spielen? Welcher Veranstalter würde es wagen, dieses Material live zu präsentieren? Woher kommt diese Musik?“ Der legendäre Moderator John Peel, einst eine Institution in der britischen Radiolandschaft, ist leider schon lange (2004) tot. Er hätte sicherlich „The Grapes of Dub: Combat Dub“ (Giant Pulse Records) in seiner Sendung ein Forum geboten und einem breiteren Publikum vorgestellt. Auch das ON .U-Sound-Mastermind Adrian Sherwood hat bereits Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre im Londoner Berry Street Studio einen ähnlich vertrackten Sound produziert und sich über alle existierenden Regeln, Gesetze und Grenzen hinweggesetzt.

Auch ich kann sagen, dass ich mich seit Erscheinen des Albums intensiv mit ihm beschäftigt habe, denn von Zeit zu Zeit braucht auch mein Geist solche, etwas schwer zugängliche, psychedelische Hörerlebnisse. Das liegt nicht unbedingt an der Einnahme irgendwelcher bewusstseinsverändernder Substanzen. Abstrakte Klänge, die durch den unverhohlenen Einsatz und Missbrauch modernster Technik entstehen, finde ich schon immer sehr spannend und erfrischend. Edgar Varèse, Karlheinz Stockhausen oder CAN sind da nur einige Beispiele.

Über die Grapes of Dub habe ich im »Netz« sehr wenig gefunden, außer, dass die Aufnahmen im Puzzle Studio in Barcelona entstanden sind und im Mai dieses Jahres veröffentlicht wurden. Weitere Information zu den acht Tracks habe ich keine … null, nix, nada. So bleibt mir nur die akustische Annäherung, und die hat es in sich. Zu hören ist eine freie Rhythmusgestaltung, die auf den Prinzipien des Reggae basiert und doch von musikalischer Avantgarde in Verbindung mit harter Punk-Ethik beeinflusst ist. Klanglich ist „Combat Dub“ eine weitgehend instrumentale Angelegenheit, mit Hunderten von Effekten, entfernt klingenden Geräuschen und ohne erkennbare Gesangssamples. Im Grunde lässt sich der Sound in keine bestimmte Kategorie einordnen. Die Klangexperimente mit aktiven Frequenzen, aus dem Takt geratenen Geräuschen, Rhythmen innerhalb von Rhythmen und endlosen Bandbearbeitungen finde ich wie zu alten African Head Charge, New Age Steppers und Barmy Army Zeiten extrem spannend. Ja, der On .U Sound Addict wird bei „Combat Dub“ mühelos viele Parallelen heraushören, dennoch ist den Grapes of Dub über 40 Jahre nach den Vordenkern aus dem Berry Street Studio ein sehr spannender Hightech-Rhythmus-Mix aus menschlichen, tierischen und maschinellen Geräuschen gelungen. Solche Sounds bekommt man leider viel zu selten zu hören. Diese Kopfmusik finde ich schlicht und ergreifend großartig!

Bewertung: 4 von 5.
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Spellbreakers: Spellbreakers

Hoboken ist ein Stadtteil an der Schelde im Süden von Antwerpen (Belgien) mit ca. 40.000 Einwohnern. Es war bis 1983 eine eigenständige Gemeinde und im 16. Jahrhundert auch Namensgeber für eine der zahlreichen niederländischen Siedlungsgründungen am Hudson, direkt auf der anderen Flussseite des heutigen New York. Hoboken-Studio, war da nicht mal was?

Kingston Echo, der Gitarrist, Produzent und Soundengineer der Spellbrakers, gibt die Richtung vor und erzählt: „Ich liebe jamaikanische Musik, seit ich ein Kind war. Dieses Projekt ist das Ergebnis meiner Experimente mit dem Aufnahmeequipment, das ich über die Jahre gesammelt habe, um meine Bands aufzunehmen. Ich habe versucht, dem rauen, ungeschliffenen Gefühl der alten jamaikanischen Aufnahmen, die ich so sehr liebe, treu zu bleiben. Das bedeutet, dass diese Aufnahmen komplett analog und alles andere als perfekt sind.“ So klingt das selbst betitelte Debütalbum der „Spellbreakers“ (Bona-Fi Records). Die Mission lautet: zurück zu den alten Spiel- und Aufnahmetechniken. Die Rhythmussektion wird live im Hinterhofstudio von Kingston Echo aufgenommen und mit altem analogen 16-Spur-Equipment abgemischt. Dabei präsentiert die Band aus dem Stadtteil Hoboken ihre ganz eigene, respektvolle Interpretation des Roots-Reggae der Blütezeit, mit sparsamen Anspielungen an den britischen Reggae der 70er und 80er Jahre.

Das Album beginnt mit dem über sechsminütigen Flame Of Clarity, das auf einem Riddim basiert, der stark an Bob Marleys „Natural Mystic“ erinnert. Von weitaus größerem Interesse für den Dubblog sind allerdings die sechs Dub-Versionen der vorhergehenden Vocal-Tracks, was keineswegs heißen soll, dass die Vocal-Tracks nichts taugen. Wie gesagt, auch der „Clarity Dub“ weckt Erinnerungen an Bob Marley. Beim darauf folgenden „Growing Dub“ glänzt eine bemerkenswerte Bläser-Sektion, das Tempo wird merklich angezogen und Carlton „Carlie“ Barretts „zischelnde“ Drum Patterns kommen mir dabei immer wieder in den Sinn. Offenbar ist Missing Link, der Drummer der Spellbreakers, ein glühender Verehrer von Carlies Drumming. Im grundsoliden „Deliverance Dub“ hören wir Gesangsfragmente, der brasilianisch stämmigen Sängerin Juli Jupter, die sich im Vergleich zu den zuvor veröffentlichten 12?-Singles stimmlich deutlich weiterentwickelt hat. Egal ob es sich um einen langsamen One-Drop oder einen schnelleren Riddim handelt, sie singt beide mit Finesse. Außerdem haben Juli Jupter und Missing Link auch das schöne Cover gestaltet. Bei den Spellbreakers liegt vom Mixing bis zum Coverdesign alles in den Händen der Band. Mir persönlich gefällt besonders „House of Dub“ mit seinem schleppenden Rhythmus und den immer wieder aufblitzenden Horn- und Orgelpassagen. Bei „Dub Your Step“ sind Gesangsfragmente von Missing Link zu hören, der im Original den Gesang übernommen hat.
Alles in allem ein solides Album mit sehr viel klassischem Touch, nicht mehr und nicht weniger. Ob man das noch braucht, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Der Gitarrist und Produzent Kingston Echo und der Drummer Missing Link sind beide Mitglieder der Hoboken Hi-Fi Hausband, die auch als Hi-Flyers bekannt ist.

Bewertung: 3.5 von 5.
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Zion Train: Dissident Sound

Diese Jahr wird Zion Train 35 Jahr alt. Damit zählt die Band, das Label, das Sound System, kurz: Neil Perch zu den absoluten Veteranen des Genres. Ich kann mich auch noch gut an ein von Nicolai (Echo Beach) 1994 in Köln organisiertes Konzert erinnern, wo ich Zion Train zum ersten Mal live erlebte. Im gleichen Jahr veröffentlichte Zion Train das wegweisende Album „Siren“ und unterschieb kurz danach beim Mayor-Label (heute Warner). Es war die Zeit, in der wir alle glaubten, Dub sei auf dem Weg zum Mainstream. Weit gefehlt! Und zum Glück, wie wir heute wissen. Ein Ausverkauf hätte dem Dub seiner Seele beraubt. Lange Rede, kurzer Sinn: Zion Train ist was ganz besonderes und ich freue mich immer sehr über die (seltenen) Releases. Jetzt ist es endlich wieder so weit. Soeben erschien „Dissident Sound“ (Universal Egg). Ich vermute, dass die außergewöhnliche Qualität der Produktionen von Neil Perch darin besteht, dass er Dubs wie Songs versteht und entwickelt. Wie ein guter Song, braucht auch ein Dub eine Idee, ein zentrales Element, dass ihn einzigartig macht. Das kann eine außergewöhnliche Bassline sein, melodiöse Bläsersätze, ein inspiriertes Soloinstrument, oder ähnliches. Wesentlich ist der melodiöse Aspekt. Die Melodie macht aus dem Dub ein songähnliches Instrumentalstück. Und genau das ist die Spezialität von Zion Train. Jedes Album (abgesehen vom Frühwerk) ist ein Werk von ganz eigenem Charakter – unverwechselbar und einzigartig. Hinzu addieren sich natürlich noch die notwendigen Tugenden der Dub-Produktion: Inspirierte Instrumentierung, cleveres Arrangement, sauberes Handwerk (mit echten Instrumenten), crisper Sound, fetter Bass, radikaler Dub-Mix. Warum zähle ich das alles auf? Weil „Dissident Sound“ das alles in Idealform bietet. Ich lasse mich sogar dazu hinreißen zu behaupten, dass es eines der besten Alben von Zion Train überhaupt ist. Wie schon der Vorgänger „Illuminate“, wurde auch „Dissident Sound“ in Deutschland aufgenommen. Auch hat Paolo Baldini wieder Bass und Gitarre beigesteuert und Sängerin Cara ist auf drei Tracks ebenfalls zu hören. Das Album wurde vollständig mit „echten“ Instrumenten eingespielt und von Neil mit analogem Equipment gemixt. Auch wenn ich sonst ein Verfechter digitaler Produktionen bin, so muss ich konstatieren, dass „Dissident Sound“ massiv von dem analogen und handgemachtem Sound profitiert – was aber auch mit der Anarcho-Attitüde zusammen hängen kann, die das Album mit Titel und Cover so ostentativ vertritt.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Mad Professor Meets Channel One: Round Two

Der Verrückte Professor und das Channel One Sound System lassen es gemütlich angehen. Zwischen der ersten und der zweiten Runde ihres Schlagabtauschs liegen inzwischen sieben Jahre. Eine Zeitspanne, die ich massiv unterschätzt hatte, denn die erste Rund war mir noch allzu präsent – was allerdings nicht unbedingt an der Musik lag, sondern vielleicht eher daran, dass ich die beiden Kontrahenten generell sehr schätze und sich mir vor allem das großartige Cover eingeprägt hatte. Die Dubs der ersten Runde waren nämlich durchaus enttäuschend. Vor allem der Sound der Channel One-Dubs war grottenschlecht. Nun liegt mit Mad Professor Meets Channel One: „Round Two“ (Ariwa) das Nachfolgealbum vor und eines fällt sofort auf: Zumindest das britische Sound System hat dazu gelernt. Der Sound ist nämlich schon mal ganz ordentlich, die Produktionen jedoch (keine Ahnung, wer sie eingespielt hat), sind mir im Vergleich zu den furiosen Live-Auftritten von Channel One immer noch zu harmlos. Nur der letzte Track, „Straight to Mad Professor’s Head“ hat die Magie und die Wucht, die ich von einem Sound System vom Schlage Channel One’s erwarte. Leider weiß sich der Professor nicht adäquat zu wehren. Seine Dubs sind – wie gewohnt – komplex arrangiert und virtuos gemixt und der Sound ist über jeden Zweifel erhaben, aber wie fast immer in jüngerer Zeit, sind sie kompositorisch enttäuschend. Die Tracks haben einfach keine Ecken und Kanten. Sie bleiben blutleer, die Basslines sind schwach und Melodien kaum vorhanden. Aber gut, der Professor hat sein Lebenswerk längst vollbracht. Er hat so viele brillante Dubs gezaubert, wie wahrscheinlich niemand anderes. Freuen wir uns lieber darüber, dass er es verweigert in Rente zu gehen und immer noch an den Knöpfen dreht.

Bewertung: 3 von 5.
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Elijah Salomon: Salomon Dub

Wie gut ein Old School-Dub-Konzept heute umgesetzt werden kann, beweist Elijah Salomon mit seinem Album „Salomon Dub“ (One Champ). Es wurde von der Züricher Band Dubby Conquerors handgespielt und in Jamaika von Bobby Digital in dessen Digital B-Studio aufgenommen, anschließend von John John in King Jammy’s Studio und von Joe Ariwa im Londoner Ariwa-Studio gemixt. Zudem basiert es auf einem Vocal-Album („Salomon“ von 2022). Klassischer geht es kaum. Und so klingt es auch – allerdings in einer überragenden Sound-Qualität, wie sie im Zeitalter der Klassik undenkbar gewesen wäre. Der schweizer Sänger, Multiinstrumentalist, Komponist und Produzent Elijah Salomon ist vor allem durch seine auf Schweizerdeutsch gesungenen Texte bekannt geworden. Ich hatte ihn jedoch nicht so richtig auf meinem Schirm. Das hat „Salomon Dub“ jetzt schlagartig geändert. Dass klassisch interpretierter Dub so frisch und inspiriert klingen kann, ist eine wahre Freude. Auch haben mich die Mixes von John John und Joe Ariwa positiv überrascht. Ersteren hatte ich als digitalen Dancehall-Produzenten abgespeichert und letzteren stets als einigermaßen uninspirierten Sohn von Mad Professor abgetan. Beide belehren mich nun eines besseren, denn sie liefern hier perfektes Handwerk und ein Feuerwerk an Ideen. Wahrscheinlich kommt die Inspiration von der exzellenten Produktion, die Elijah selbst verantwortete und den beiden vorgelegt hat. Credit dafür dürfte auch den Dubby Conquerors gebühren, denn die Präzision ihres Spiels ist atemberaubend. Ich kann mir „Salomon Dub“ weniger in einem Sound System, als vielmehr mit Kopfhörern in der U-Bahn vorstellen, denn den vielen Details der Produktion und den Mixes will aufmerksam gelauscht werden.

Bewertung: 4.5 von 5.