Am Anfang stand Dubullah – ein Mann mit einer Vision. Selbst begeisterter Dubhead (hätte man bei dem Namen kaum anders erwartet), Gründungsmitglied von Transglobal Underground und Syriana, hatte den Traum, Reggae und Dub mit der Musik Äthiopiens zu verbinden. So flog er 2006 nach Addis Abeba, lernte dort viele großartige Musiker kennen, gründete mit ihnen die Band Dub Colossus und nahm zwei Alben auf. Aber was so ein richtiger Dubhead ist, der nimmt nicht einfach so zwei Alben auf, ohne diese dann durch den Dub-Wolf zu drehen. „Dub Me Tender Vol. 1 + 2“ (Real World) ist Ergebnis dieses Vorgangs und man kommt nicht umhin, Dubullah die Beherrschung seines Handwerks zu attestieren. Was nämlich ursprünglich eine Mischung aus Ethiojazz und Reggae à La Abyssinians oder Mighty Diamonds war, ist nun – formal betrachtet – astreiner Dub. Sehr leichtfüßig gespielt, mit einem Sound, der an Live-Aufnahmen erinnert. Es mag vielleicht kein Album sein, das uns Hardcore-Dub-Maniacs vom Hocker reißt, aber die Zielgruppe des Real World-Labels dürfte nicht schlecht staunen, eine Musik präsentiert zu bekommen, die so viel spielerischer und musikalischer ist, als das, was sie bisher unter Reggae zu kategorisieren gewohnt war. Und genau diese Spielfreude, die aus der Musik förmlich heraus sprüht, ist es, die mit den Konventionen des (meist elektronisch produzierten) Dub bricht und hier eine ganz neue Erfahrung unseres Lieblings-Genres ermöglicht. Ob es aber eine rundum positive Erfahrung ist, wage ich bescheiden in Frage zu stellen. Mag sein, dass ich den klassischen Dub-Konventionen zu sehr hörig bin, mag aber auch sein, dass die Konventionen Ergebnis eines natürlichen und folgerichtigen Prozesses sind und somit zu Recht bestehen; in meinen Ohren entwickelt der Dub Colossus jedenfalls nicht jene Faszination, die dem „richtigen“ Dub-Sound inne wohnt. Nach meinem Verständnis bedeutet Dub stets „weniger“, also Minimalisimus, Repetition und puren Sound. Dub Colossus hingegen bietet „mehr“, musikalische Fülle statt Minimalismus, Variation und Spielfreude statt Repetition und instrumentale „Songs“ statt purem Sound. Der Mix hat hier nicht die Aufgabe der Destruktion, sondern ist selbst ein „mehr“, indem er sich zur Musik hinzu addiert und ihre Komplexität steigert. Trotz Dub haben wir es bei „Dub Me Tender“ also nicht wirklich mit Dub zu tun – davon abgesehen aber durchaus mit einer interessanten musikalischen Erfahrung.