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Dub (R)evolution Review

Dub Evolution, Januar 2009

 

Dub ist ein internationaler Style und die besten Dub-Produktionen kommen schon lange nicht mehr allein aus dem UK (ganz zu schweigen von Jamaika). Doch haben wir hier je über Kanada als Dubbin-Ground gesprochen? Abgesehen von Dubmatix, der hier lebt und arbeitet, schallten aus dem Norden des amerikanischen Kontinents bisher keine Echos zu uns herüber. Doch wie sich nun zeigt, lag das daran, dass wir nicht aufmerksam genug hingehört haben, denn bereits seit einigen Jahren veröffentlicht das kleine Label „Balanced Records“ eine hoch interessante musikalische Mixtur, in der Dub einige Volumenanteile ausmacht. Im Wesentlichen geht es bei „Balanced“ um Downtempo, Nu Jazz, Electro und Dub, das Ganze zusätzlich mit globalen Sounds gewürzt. Doch nun –  wahrscheinlich weil der Dub-Virus sich unaufhaltsam ausbreitet, hat er sein Opfer erst einmal infiziert – ist der Label-Sampler „Nothern Faction 4“ (balanced-records.com) ausgesprochen dublastig ausgefallen. Die Labelmacher haben sich dazu nicht nur ihres eigenen Musiker-Stalles bedient, sondern passende Tracks rund um den Globus lizensiert. Dabei sind 14 Artists zusammen gekommen, von denen ich bisher nur Noiseshaper, Dubmatix und das Subatomic Sound System kannte. Die meisten anderen sind im engeren Sinne auch keine Dub-Artists, was die Sache aber umso interessanter macht. Denn so finden sich die straighten Dubs eines Dubmatix z. B. in spannungsvollem Kontrast zu einem melancholischem Nu Jazz-Stückes oder einem harten Elektro-Track. Statt 70 Minuten stoisch im Offbeat-Tackt zu wippen, eignet sich „Nothern Faction 4“ eher zum aufmerksamen Hinhören und zum Einlassen auf unterschiedliche Stimmungen. Mit anderen Worten: Es ist ein etwas intellektuelleres, dafür aber gerade besonders erlebnisreiches Album, das sich mit Bauch und Kopf gleichermaßen genießen lässt.

Statt gradliniger, hypnotischer Dub-Alben, häufen sich diesmal eher etwas ungewöhnliche und vertrackte Werke auf meinem Tisch, Alben, die mehr am Rande des Genres, statt in dessen One-Drop-Zentrum zu operieren. Da wäre zum Beispiel das neue Album „Visions In Sonic Sense“  (Malicious Damage/Cargo) von Analogue Mindfield, das – wenn man es als physischen Datenträger kauft – mit psychedelischem Cover und beiliegender grün-roten 3D-Brille kommt. Während man im Raum fliegende 3D-Augen betrachtet, gibt es eine Musik zu hören, die sich dem Leftfield-Spektrum zuordnen lässt und ein wenig wie unveröffentlichte Dreadzone-Tracks klingt. „Akustische Klanglandschaften bestehend aus herausvordernder, aber trotzdem zugänglicher Musik“ sind das Ziel der irischen Band. Was sich hier so abstrakt anhört, lässt sich auch als eine Mischung aus Reggae-Dub (auch Old-School), Pop und Elektronik bezeichnen. Dabei gibt es (übrigens auch wie bei Dreadzone) überaus eingängige, fast schon chartstaugliche Stücke, aber auch experimentelle und schräge Dubs zu hören. Kennzeichnend sind stets mal kleine, mal große Melodien, die sich in den Gehörgängen einnisten. Dazu kommen schnelle und vielfach synkopierte Beats und ein ganzes Universum diverser kleiner Sounds, kleiner Synthie-Melodiefolgen und Vocal-Samples – manches grenzt schon an Überproduktion. Insgesamt herrscht eine leichte, gut gelaunte Stimmung und es macht unzweifelhaft Spaß, sich auf die „Visions In Sonic Sense“ einzulassen.

Weiter geht‘s mit einer Expedition an die Grenzen des Dub. Unser Guide heißt Harmonic 313 und unser Forschungsgebiet ist die Zeit, „When Machines Exceed Human Intelligence“ (Warp/Roughtrade). Jene futuristischen Sphären sind nämlich das Lieblingsbeschäftigungsfeld vom Marc Pritchard, jenem Elektro-Künstler, der sich seit Beginn der 1990er Jahre der so genannten „UK-Bass-Music“ verschrieben hat. Damit dürfte klar sein, worin der Bezug zum Dub hauptsächlich besteht: im Bass. „Bass! How Low Can You Go?“ fragte Public Enemy vor 20 Jahren. Pritchard liefert mit seinem neuen Album nun eine beeindruckende Antwort auf diese Frage. Seiner Auffassung nach wird die Tanzmusik Englands seit fast 20 Jahren vom Bass regiert: Dub, Jungle, Drum & Bass, Garage, Dubstep – und bei allen Styles hatte er ein Wörtchen mitzureden gewusst. Und so verwundert es nicht, dass die futuristisch-düsteren, aber auch harten und rationalen Sounds auf „When Machines Exceed Human Intelligence“ am ehesten an Dubstep erinnern (mit deutlichen Referenzen an Detroit Techno und 80er-Elektro). Reggae sucht man hier (abgesehen vom Intro-Sample) vergeblich, aber das Übermaß an Bass dürfte trotzdem jeden Freund des Dub in einen glückseligen Zustand versetzen. 

Da wir uns gerade schon so weit vom klassischen Dub-Terrain entfernt haben, bleiben wir noch ein wenig in diesem Grenzgebiet und hören mal in das Album „Underground Wobble“ (Jarring Effects/Alive!) von High Tone. Unter diesem Titel firmiert eine Gruppe von Dub-Alchemisten aus Lyon, die eine eklektizistische Musik aus Dub, Industrial, Hip-Hop, Trip-Hop und Ethno Samples zusammen basteln und das Ganze „Novo-Dub“ nennen. Zu hören gibt es teils schwere, teils wilde Break- und Offbeats, kreischende Synthies, orientalische Melodieornamente und hypnotische Keyboardsounds. Das richtige Material, um sich die vom Harmonic 313-Bass zugedröhnte Ohren freipusten zu lassen. Wer genau hinhört und den vollen, reichen Sound der Tracks durchdringt, der entdeckt faszinierende Details, wie z. B. sanfte Jazz-Einlagen, die von wildem Sirenengeheul kontrastiert werden, Synthie-Eskapaden (die ebenso gut Samples von Oper-Gesang sein könnten), sowie stets undeutliche, geheimnisvolle Funksprüche (in denen wahrscheinlich eine Verschwörungstheorie diskutiert wird). Statt eines durchgehend brachialen Sounds, folgen die einzelnen Stücke einer ausgeklügelten Dramaturgie voller Kontraste und Überraschungen.

Zum versöhnlichen Abschluss gibt‘s noch mal richtigen Reggae: „Infinite Dub“ von Midnite/Lustre Kings (Lustre Kings/Import). Dabei handelt es sich um die Dub-Version des Albums „Infinite Quality“, einer Zusammenarbeit von Midnite-Sänger Vaughn Benjamin mit dem Lustre-Produzenten Digital Ancient. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist – zumindest in Dub-Form – einigermaßen langweilig. Die Riddims doch recht durchschnittlich, der Gesang ist nur in winzigen Fetzen zu hören (ist ja Dub!) und die Produktion ist, nunja, sagen wir: wenig inspiriert. Irgendwie hört sich der Sound merkwürdig dumpf an. Tja, man sieht, das ich dem Album wenig Positives abgewinnen kann. Die Vocal-Version war gewiss besser, denn die wenigen Melodiefetzen, die das Dub-Treatment überstanden haben, hören sich vielversprechend an.

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