Nach Inna de Yard sind die Kingston All-Stars der neuste jamaikanische Retro-Hype. Ein Club alter Herren, allesamt Veteranen des analogen Zeitalters, virtuose Handwerker und überhaupt, Protagonisten einer besseren Zeit. Da schwingt Reggae-Romantik mit. Mich erinnert es fatal an den Buena Vista Social Club der 1990er Jahre. Aber egal, wenn die Musik stimmt, kann auch das Marketing nicht böse sein. Deshalb danken wir dem kanadischen Musiker, Toningenieur und Produzenten Moss Raxlen, der das Projekt auf die Beine gestellt hat und von dem gesagt wird, er sei auch die treibende Kraft hinter dem Film „Rocksteady: The Roots Of Reggae“ gewesen, einer sehr schönen Hi-Fidelity-Filmdokumentation über die letzten lebenden Helden des Rocksteady (auch hier drängt sich eine Erinnerung an Wim Wenders Buena Vista Social Club-Film auf). Wie für „Rocksteady“ hat Raxlen auch für die Kingston All-Stars ein kleines, feines Who is Who der besten Musiker der 1970er Jahre zusammen getrommelt: Sly Dunbar, Mikey „Boo“ Richards, Jackie Jackson, Robbie Lynn, Ansel Collins, Mikey „Mao“ Chung und andere mehr. Vokalisten waren auch mit von der Partie: u. a. Stranger Cole, Cedric Myton und Prince Allah. Im April erschien dann das wirklich großartige Album „Presenting Kingston All-Stars“, von dem nun – auch das ist wunderbar Old School – die Dub-Version vorliegt: „Kingston All-Stars Dubwise“ (Roots & Wire). Dub-Version? Moment mal, da kann ich mir die Ohren wund hören, aber einige der Tracks lassen sich keinem Original zuordnen. Sehr schön, „dubwise“ ist hier offensichtlich musikalisches Konzept und nicht Zweitverwertung. Aber so sehr ich Dub liebe – ich muss gestehen, dass ich das Original-Album „Presenting Kingston All-Stars“ lieber mag als „Dubwise“. Und das keineswegs, weil die Dub-Versions schlecht wären. Im Gegenteil: Kebra Dub gefällt mir z. B. besser als das Original-Istrumental „Tribute to Kebra Hi-Fi“. Der Grund für die Überlegenheit von „Presenting“ besteht darin, dass dieses Album schlichtweg die besseren Stücke abbekommen hat – mehr von dem A-Material, während „Dubwise“ mit dem B-Material vorlieb nehmen musste. So fantastische Instrumentals wie z. B. „Swing Back“ oder „Eastern Ska“ von „Presenting“ sucht man auf „Dubwise“ vergeblich – was aber auch daran liegen könnte, dass einige der Stücke so sehr von ihrer fantastischen Instrumentierung und wunderschönen Lead-Melodien leben, von der Energie und Spielfreude der Musiker, dass ihnen eine Dub-Dekonstruktion einfach nicht bekommen ist, da sie genau das verloren haben, was ihren ursprünglichen Reiz ausgemacht hat. Okay, lange Rede, kurzer Sinn: Wer kann, hört einfach beide Alben.
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