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Five Star Review

International Observer: Escape From the Dungeons of Dub (EP)

Wie sollte zeitgemäßer Dub klingen? Eine große Frage, auf die bestimmt jeder eine eigene Antwort parat hat. Nähern wir uns der Beantwortung mal ex negativo. 1. In Jamaika entsteht kaum noch Dub, was jamaikanischen Dub schon per se zu keinem aussichtsreichen Kandidaten im Sinne unserer Frage macht. Was von der Insel zu uns herüber schallt, klingt meist wie ein Update des klassischen Dub-Sounds von Tubby & Co. Es fehlt an Tiefgang, an Konsequenz und Magie. 2. Die Antithese zu diesem Sound wäre vielleicht UK-Steppers: Bass, Härte und düstere Magie. Ist Steppers damit moderner? Im Verhältnis schon, denn Steppers fusioniert klassischen Dub mit modernem Club-Sound. Doch obwohl der Stil härter und intensiver geworden ist, basiert er grundsätzlich auf einem in den 1990er Jahren entwickelten und seither verwendeten Muster. Wer schon einmal versucht hat, einen Steppers-Tune zu datieren, weiß wie schwer das ist. Also vielleicht auch keine überzeugende Antwort auf unsere Ausgangsfrage. 3. Dann wäre da noch der volldigitale Laptop-Dub, oft von Techno-sozialisierten Heimmusikern zusammen geschraubt. Ja, Dub aus der Perspektive elektronischer Musik ist schon grundsätzlich ein modernes Konzept. Auch wenn alle Traditionalisten die Hände über dem Kopf zusammen schlagen und von seelenloser Musik reden werden: Laptop-Dub ist definitiv eine zeitgemäße Form, auch wenn die Ergebnisse auf rein ästhetischer Ebene oft nicht überzeugen können. 4. Und noch eine mögliche Antwort auf unsere Frage: Retro-Dub à la Prince Fatty. Absolut eklektizistisch und damit natürlich eigentlich schon postmodern. Aber letztlich doch „nur“ ein cleveres Zitat des Originals. Aber da wäre noch eine mögliche Antwort: 5., der International Observer, aka Tom Bailey. Soeben legte er seine neue EP „Escape From the Dungeons of Dub“ (Dubmission Records) vor und damit meine persönliche Definition von modernem Dub. Es handelt sich um hundert Prozent Reggae-Dub in absoluter handwerklicher Perfektion, die sich aber zugleich völlig vom Reggae emanzipiert hat. Verrückt, oder? Aber genau das macht die Musik des Ex-Thompson-Twins-Kopfes Tom Bailey so modern. Sie ist einfach autonom. Eine ganz und gar eigenständige Musik, die sich zwar der formalen Ästhetik von Reggae bedient, die Genre-Konventionen aber ansonsten vollständig außen vor lässt, was ihr eine erstaunliche Unabhängigkeit verleiht. Es gibt einfach keine passende Dub-Schublade für sie. Doch es ist nicht allein ihre Autonomität, der Observer-Dubs ihre einzigartige Qualität verdanken. Es sind schlicht die großartigen Kompositionen, schöne Melodien, das ausgeklügelte Arrangement, das perfekte Timing und der unglaublich dynamische, saubere Sound. Mit jedem Beat wird deutlich, dass hier mit Tom Bailey ein Ausnahme-Talent am Werk ist, das sich jenseits kommerzieller Interessen und Szene-Credibility ganz egoistisch der reinen Lust an guter Dub-Music verschrieben hat.

3 Antworten auf „International Observer: Escape From the Dungeons of Dub (EP)“

„Wie sollte zeitgemäßer Dub klingen ?“
Ich, der aufgrund seiner Begeisterung für Reggae und Dub, schon manchmal in Größenwahn verfällt, habe die ultimative Antwort :
Zeitgemäßer Dub sollte immer Zeitlos klingen. Dann passt er in jede Zeit. Das gilt für jede gute Musik, die man sich länger als eine Woche anhören möchte. Ich bekomme heute immer noch Gänsehaut, wenn Kate Bush ihr „Wuthering Heights“ singt. Genauso ist das mit Passenger von Iggy Pop und ….. naja, die Liste würde ganz schön lang werden. Ich bin froh, das es alle Formen des Dubs gibt, die Du von 1 bis 5 aufgezählt hast.
Ich finde den International Observer auch spitze. Aber wenn es nur „seine Form“ von Dub geben würde, würden mir die ganzen anderen sehr guten Dubs, seit es Dub gibt, fehlen. Es sei denn, ich würde sie gar nicht kennen. Dann gilt, „was man nicht weiß macht einen nicht heiß“.
Mein spezielles Problem ist, das heutzutage nahezu jeder in der Lage ist, im Heimstudio Musik und eben auch Dubs zusammenzubasteln. Das Problem ist dabei nicht immer unbedingt die Qualität, sondern die schiere Masse an Produktionen, die mich in erster Linie zeitlich überfordert.
Daher wird es für mich immer schwieriger, mir die Creme de la Creme heraus zu picken. Es kann dann zu einer Art Übersättigung führen und ich muss mich auf die Creme de la Creme mit Sahnehäubchen oben drauf beschränken. Und da gehört – auch für mich – der International Observer definitiv mit dazu.
Ganz entscheidend ist, das der jeweilige Musiker eben über das nötige Talent verfügt. Talent ist dabei nur das wissenschaftliche Wort für Gottes Segen ! Ich bin zwar bei weitem nicht Gott ( Größenwahn lauert überall ) aber meinen Segen hat der International Observer.

Greetings …………………….. lemmi

Hi Lemmi,
es gibt ja unverkennbar eine Evolution populärer Musik. Die Stile wandeln sich, es kommen neue hinzu und auch unsere Hörgewohnheiten (ganz zu schweigen von den technischen Möglichkeiten) verändern sich. Siehe z. B. „Lee Scratch Perry & Subatomic Sound System: Super Ape Returns to Conquer“, wo sich das wunderbar ablesen lässt. Aber ich gebe dir in so fern Recht, als dass die Meisterwerke aus jeder Zeit ihre Gültigkeit behalten – sie damit aber keineswegs überzeitlich werden.
Wo du natürlich uneingeschränkt Recht hast: Musik sollte vielfältig sein. Dass macht den Spaß an ihr aus. Nur ein einzige gültiger Stil, eine Stil-Diktatur, wäre schrecklich. Aber da wir in so unglaublich pluralistischer Zeit leben, brauchen wir uns zum Glück keine Sorgen machen. Diversität ist die Zauberformel – künstlerisch wie auch gesellschaftlich.

Mal ganz nebenbei, ich höre gerade dieses grandiose Album: https://www.junodownload.com/products/frenchie-the-maximum-sound-black-star-dub/3587849-02/

Geht ja auch gleich wieder richtig gut los ! Ich weiß nicht, wie Soundboys diesen Riddim nennen aber ich nenne ihn „World A Music Riddim“. Obwohl die Bassline ja echt simpel ist, steckt da eine ungeheure Kraft dahinter. Das is meine Definition von Wumms ! Mir gefällt die ganze Scheibe ( ? ) bzw. mir gefallen die ganzen Daten, die mein Gehirn in Sound umwandelt. Naja, da is schon noch ne ganze Menge Technik davor.
Ganz besonders berührt mich auch No. 8 mit dieser Bassline, die mich extrem an einen der besten Skatalites -Tunes erinnrt, die ich kenne. Der lief mal in sonem Streifen von Aki Karismäki ( bin grad zu faul, zu gucken, wie der geschrieben wird ) im Hintergrund, während Tom Waits mit einem Rasta bei Cigaretts and Coffee ein kleines Reasoning abgehalten haben. Ich habe den ganzen Film nur in dieser Szene verstanden. Ansonsten hätte ich nicht gewusst, was das soll aber egal. Ja und der letzte Dub erinnert mich auch an eine der Sternstunden des Reggae. Plastic Smile von Black Uhuru. Sly and Robbie in Bestform und im Zenit ihres Schaffens !
Warum erwähne ich das ?
Psychologie ! Bzw. hat das was mit meiner und oder unserer Psyche zu tun ? Warum turnen mich die Riddims aus meiner Jugend immer noch am meisten an ? Wahrscheinlich, weil ich damals mit dem Wort Erektionsstörungen noch nix anfangen konnte !?! ( Au weia, manchmal sollte ich meine Gedanken doch lieber etwas mehr filtern …. ach egal, Hauptsache es groovt ).
Wie dem auch sei, es würde mich freuen, wenn eines Tages – noch zu meinen Lebzeiten – eine Scheibe rauskommen würde, auf der die besten Skatalites – Tunes ( gibt es überhaupt schlechte ? …. ja manchmal is das Saxophon echt zu laut und verzerrt ) von einem Dub Wizzard mal so richtig durch den Echo und Hall Transformator in eine ferne Zukunft katapultiert werden.

Überhaupt könnte ich noch mehr Dubs im Ska Tempo gebrauchen aber bitte nicht diesen hyperaktiven Punk Ska. Bzw. diesen sogenannten Ska, der sich selbst überholt und dadurch zu einer Nullnummer wird. Die Fase ist da so sehr verschoben, das sich die Taktfrequenz regelrecht überlagert und sich damit selbst auslöscht. Für die Logik dieser Aussage übernehme ich keine Haftung. Ich hoffe aber, das meine Verachtung dafür einigermaßen rübergekommen ist ;-)

„Cigaretts and Coffee is Healthy“ …………………….. lemmi

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