Kategorien
Review

Christafari: Dub Supreme

Eine Band, die regelmäßig Platz 1 der Reggae Billboard-Charts besetzt und eine entsprechende große Anzahl von Verkäufen und Streams vorzuweisen hat – aber trotzdem von der Reggae-Community weitgehend ignoriert wird? Eine Band, die jährlich weit über hundert Konzerte weltweit gibt, aber trotzdem heftigen Angriffen, mitunter auch körperlicher Gewalt ausgesetzt ist – etwa durch Buju Banton, der Bandmitglieder angegriffen und verletzt haben soll?

Das ist Christafari, ein Musikerkonglomerat rund um Pastor Mark Mohr und Avion Blackman – allesamt hingebungsvolle Christen, die mit ihrer Musik entsprechende Botschaften verbreiten. Das wird offensichtlich von Reggae-Enthusiast*innen nicht geschätzt, obwohl die Texte inkl. der ausgiebigen Verwendung des Wortes „Jah“ und Zitaten von Haile Selassie nahezu identisch sind mit Rasta-zentrierten Lyrics anderer, allgemein anerkannter Künstler*innen. Da helfen auch keine Dreadlocks oder perfektes Patois, das sich Mark Mohr in seiner langen Tätigkeit als Missionar in Jamaika angeeignet hat. Wer, wie er, Rastafari kritisch gegenübersteht, Haile Selassie nicht als Gottheit sondern als gewöhnlich-sterblichen Christen begreift und noch dazu Drogen jeglicher Art ablehnt, hat’s schwer in der Community.

Musikalisch macht sich die Abstinenz erwartungsgemäß nicht bemerkbar – Christafari sind versierte Musiker*innen, die sich vorwiegend im klassischen Roots Reggae-Genre, aber auch versiert im Dancehall, bewegen – inklusive der allseits beliebten Wiederverwertung altbekannter Riddims. Der eindrucksvolle Back-Katalog belegt das regelmäßige Erscheinen neuer Alben, allesamt aufgenommen im bandeigenen Studio und veröffentlicht auf dem zugehörigem „Lion of Zion“-Label. Dass man so ohne Zeitdruck am Sound feilen kann, ist unüberhörbar: Die Arrangements sind ausgefeilt, der Mix und das Mastering präsentieren sich makellos. Dieser produktionstechnische Vorteil birgt aber auch eine Gefahr: Zuviel des Guten wirkt sich mitunter negativ aus, verwässert die musikalische Essenz und ermüdet das Ohr der Hörer*in.

Christafari’s Dub Alben, die die Vocal-Releases komplettieren, sind weit von dieser Gefahr entfernt; „Dub Supreme“ (Lion of Zion Entertainment) ist hier keine Ausnahme. Als Roots-orientierter Dub-Companion zu den Alben „99.4.1 (Reckless Love)“ und „Original Love“ präsentiert es für Christafari-Verhältnisse zurückhaltende Versions, die die oft überbordenden Vocals als wohldosierte etherische Klangfetzen nutzen. Auch der klassische Dub-Mix und das Mastering sind von bester Qualität – und doch: Wenn die Produktion nicht ganz so fehlerlos und rein wäre, wenn ein wenig mehr Ecken und Kanten zu finden wären und wenn man die glatte Oberfläche mit ein klein wenig Schmutz behandelt hätte … dann stünde einer erstklassigen Bewertung nichts mehr im Weg. So aber bleibt es ein gutes Album, das seine Stärken am besten ausspielt, wenn man es laut und mit gehörigem Wumms hört.

Bewertung: 4 von 5.
Kategorien
Review

Ras Teo Meets Lone Ark: Ten Thousand Lions

Selten, aber doch schafft ein Album gleich mit dem ersten Track zu beeindrucken – wenn etwa einer der Lieblings-Riddims des Rezensenten aus den Boxen wummert. So geschehen bei Ras Teo’s neuem Release, der sich beim Opener „Country Living” bei den  Roots Radics bedient – im Original zu finden als „Material Man“ auf Gregory Isaacs legendärem „Night Nurse“-Album. 

Ras Teo liefert mit „Ten Thousand Lions“ (A-Lone/Rebel Sounds Records)  ein massives Doppel-Album ab, das neben zwölf Vocal-Tracks auch die entsprechenden Dub Versions präsentiert und wohl deshalb unter „Ras Teo meets Lone Ark“ firmiert. Der Sänger mit der samtweichen Stimme ist Angeleno armenischer Abstammung – was seine mitunter zutiefst spirituellen, im breiten Patois vorgetragenen Texte in einem etwas seltsamen Licht erscheinen lassen, zumal sich kein entsprechender ethnischer Konnex zu Jamaika finden ließ. Der Gesang selbst erzeugt gemischte Gefühle: Der Mann hat eine angenehme Stimme und trifft die Töne, aber es fehlt an Energie. Wer hier eine natürliche, dynamische Spannbreite von leise bis laut erwartet, wird enttäuscht werden – zu laut und gleichförmig plätschert der Gesang dahin. Die Vocals sind zudem produktionstechnisch stark komprimiert; was sich beim mehrstimmigen Chorus durchaus gut machen kann, hinterlässt beim Lead-Gesang einen schalen Eindruck und ermüdet auf Dauer den Zuhörer. Schade, zumal mangelnde Dynamik ein generelles Manko des ansonsten gelungenen Albums ist.

Was hier natürlich besonders interessiert, sind die Dub Versionen. Die Instrumentals, produziert von Roberto Sanchez in seinem spanischen Lone Ark-Studio, haben einen starken Bezug zu den 70ern, und mitunter möchte man meinen, dass es sich um Aufnahmen der Revolutionaries aus dem Jahr 1978 handelt. „Bad Friday Dub“, „Hitey Tighty Dub“ und „Babylon Crooked Dub“ sind dafür exemplarische Beispiele; vor allem Sly Dunbar’s Einfluss ist hier unüberhörbar. Die Backing-Tracks und insbesondere die Dubs präsentieren sich damit als eine Zeitreise, die beeindruckender nicht sein könnte – hier stimmt alles: Von den Drums (inkl. Syndrums!) und Percussions über Keyboards bis hin zu den hervorragenden arrangierten Bläsern hat die „Lone Ark Riddim Force“ scheinbar mühelos ein Album der Meisterklasse abgeliefert. Das ist umso bemerkenswerter, als hier der Produzent den Löwenanteil der Instrumente selbst eingespielt und abgemischt hat; lediglich Keys, Percussions und Bläser stammen nicht von ihm. Roberto Sanchez zeigt damit einmal mehr, dass er ein profunder Kenner der Materie ist, präzise Vorstellungen vom Sound seiner Produktionen hat und offensichtlich die Dub-Schule von Scientist, Mad Professor, King Tubby & Co besucht hat. Wer hier Gefallen am Sound von Sanchez‘ „Lone Ark Riddim Force“ findet, der wird auch andere Lone Ark-Produktionen wie etwa Earl Sixteen‘s „Natty Farming“ oder Earl Zero‘s „And God Said To Man” schätzen.

Bewertung: 4 von 5.
Kategorien
Review

Dubblestandart & Firehouse Crew present Reggae Classics

„Ich wollte schon lange Songs aufnehmen, die in meinem Leben große Bedeutung haben und mich inspirieren. Es war an der Zeit für eine Verbeugung vor ein paar handverlesenen Artists“, umschreibt Paul Zasky die Idee hinter dem neuen Album von Dubblestandart. Was nach einer verklärten Rückschau klingt, ist tatsächlich ein in vielerlei Hinsicht gehaltvoller Release geworden, der sich an Roots-Perlen der späten 70er und 80er Jahre heranwagt. Wer dahinter das x-te Bob Marley-Cover vermutet, wird überrascht sein: Hier wird Schwergewichten wie Matumbi, den Twinkle Brothers, Steel Pulse oder Burning Spear die Ehre erwiesen.

Zasky, Mastermind und Bassist der Wiener Formation Dubblestandart, geht diesmal auch produktionstechnische neue Wege – nicht umsonst überrascht das Album mit dem Titel „Dubblestandart & Firehouse Crew Present Reggae Classics“ (Echo Beach). Initiiert von Producer Devon D. fanden die Aufnahmen mit der Firehouse Crew 2017 und 2018 in Kingston’s legendärem Anchor Studio statt. Das Ergebnis ist eine für Dubblestandart-Verhältnisse sehr zurückgenommene und auf’s Wesentliche konzentrierte Produktion, die stark vom Spiel der Firehouse Crew geprägt ist.

„Wir haben wenig bis gar nicht nachproduziert, um die Sounds so original wie möglich hinzubekommen – dadurch ist ein sehr transparentes Klangbild zustande gekommen. Da spielt natürlich auch der einzigartige Aufnahmeraum des Anchor Studios eine große Rolle; dort bekommt man einen Drumsound hin, der einfach den richtigen Rootsvibe hat“, so Zasky, der sich bei den Aufnahmen weniger als Bassist denn als Sänger eingebracht hat. Auch das eine Überraschung, setzen Dubblestandart doch üblicherweise auf Samples und Guest Vocals – etwa von Marcia Griffiths oder Lee „Scratch“ Perry. 

Wer bislang das Thema „Dub“ vermisst hat, sei beruhigt: In bester Showcase-Manier folgen auf Vocal-Versionen die korrespondierenden Dubs, abgemischt in Robbie Ost’s Wiener GoEast-Studio. Auch hier zeigt sich eine ungewöhnliche Zurückhaltung: Solide Dubs, die in erster Linie von Danny Axeman’s groovenden Basslines leben. Mehr Mut zum Klangabenteuer hätte gut getan, zumindest bei den Dubs auf der CD- bzw. Streaming-Version des Albums. Die Vinyl-Variante von „Dubblestandart & Firehous Crew Present Reggae Classics” hingegen wartet exklusiv mit rauheren und etwas gewagteren Dubs auf. Wer einen Plattenspieler sein eigen nennt, ist hier klar im Vorteil (und die CD gibt’s zum Vinyl gratis dazu).

Klangtechnisch ist am Album einiges zu bemängeln; so könnten die Mitten zugunsten von Bass und Höhen etwas weniger prägnant sein, aber dem allgegenwärtigen Trend zum „hot mastering“ kann sich auch Reggae und Dub nicht entziehen. Dem einen oder anderen wird George Miller’s extrem trocken klingende Kick-Drum auffallen, dafür gönnt sich Paul Zasky ein mehr als ausgiebiges Hall-Bad für seine Vocals. Das kann, muss man aber nicht mögen – trägt jedoch viel zum charakteristischen Sound von „Dubblestandart & Firehouse Crew Presents Reggae Classics“ bei.

Bleibt noch die Frage, ob Paul Zasky’s Album-Konzept aufgeht – selbst gesungene Cover-Versionen schwergewichtiger Songs von 70er/80er Roots Reggae-Ikonen mit der Firehouse Crew als Backing-Band. Eine schwierige Aufgabe, die nur mit Abstrichen gelingt – mal besser (Twinkle Brother’s „I’m No Robot“), mal schlechter (Johnny Clarke’s/Culture’s „Jah Jah See Dem A Come“), mal überraschend gut (Burning Spear’s „Fly Me To The Moon“). Der Knackpunkt ist Zasky’s wenig charismatische Stimme, die an den übermächtigen Originalen scheitert und auch die Einordnung des Albums im Dubblestandart-Oevre schwierig macht: Ist es ein von der Firehouse Crew eingespieltes Solo-Album des Band-Bassisten oder doch eines des Kollektivs Dubblestandart? Vielleicht wäre das bessere Konzept gewesen, ein Album mit dem Titel „Dubblestandard presents Reggae Classics in Dub“ herauszubringen und sich damit vorbehaltlos auf ein großes Soundspektakel einzulassen. Aus meinen Speakern wummern jedenfalls vorwiegend die Dubs – und zwar die von der Vinyl-Version des Albums.

Bewertung: 3 von 5.