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Khokhmah: Khokhmah I

Khokhmah ist hebräischen Ursprungs, spricht man „chochmah“ aus und kann mit „Weisheit“ übersetzt werden. Das Album stammt denn auch von einem in die Jahre gekommenen Engländer, der im Jahr 1967 im Londoner Stadtteil Stepney geboren wurde: Kirk Degiorgio. Für mich ein völlig unbeschriebenes Blatt, aber seit den frühen 1990er-Jahren hat er offenbar als Musiker, Musikproduzent, DJ und Plattenlabel-Betreiber für Furore gesorgt. Wohl weil er vorwiegend in der Techno-Szene aktiv und bekannt war, ist er komplett an mir vorbei und auch sein Pseudonym „As One“ ist mir bisher nie begegnet. Später hat er auch als „Kirk Degiorgio’s Offworld“ veröffentlicht, was stilistisch als „Future Jazz, Broken Beat, House und Downtempo“ eingestuft wurde. Da ist er also bereits vom Detroit Techno seiner Anfänge abgekommen und hat neue musikalische Stile für sich entdeckt und ausgelotet. In den letzten Jahren hatte er im Zuge der Covid-Pandemie vermehrt mit der Gesundheit zu kämpfen und sagt von sich selbst, dass er sich seit einer langwierigen und schwerwiegenden Covid-Erkrankung im Jahre 2020 nie mehr zu 100% fit gefühlt hat. Letztes Jahr ist er sogar als DJ zurückgetreten, nachdem er sich einen Herzschrittmacher einsetzen lassen musste. Die Jahre in der Techno- und Party-Szene sind nicht spurlos an ihm vorbeigegangen und der Einsatz von Kopfhörern und deren elektromagnetische Strahlung sowie die Nähe zu großen Monitorboxen ist für Herzschrittmacher problematisch und kann die filigrane Technik beeinträchtigen oder gar beschädigen.
Und jetzt, das interessiert die Leser:innen hier hoffentlich am meisten und darauf lege ich nun meinen Fokus, scheint er endgültig auf den guten Geschmack gekommen zu sein und hat sein erstes Reggae-Dub-Album „Khokhmah: Khokhmah I“ produziert und veröffentlicht. Das Album gibt’s Stand heute (05.08.2024) einzig in digitaler Form über Bandcamp zu kaufen und dort kann man für einmal „for free“ nur einige wenige Tracks ganz Probehören, die restlichen bekommt man nur bei einem Kauf. Zudem schreibt er prominent „Unauthorised copying of this recording is strictly forbidden“ auf das Cover (ist ja eigentlich klar). Ich respektiere diese Meinung, habe es aber persönlich eher mit John Lennon’s „Music is everybody’s possession. It’s only publishers who think that people own it“, möchte hier jedoch keine Urheberrechtsdiskussion lostreten.

Die grosse Frage ist eher, kann ein Techno-DJ und -Produzent Dub? Hier definitiv ja! Er schreibt, dass er an dem Album ganze zwei Jahre lang gearbeitet hat. Die acht Riddims sind durchwegs Eigenkompositionen, die er „mit Respekt vor den ursprünglichen Originalen dieser wundervollen jamaikanischen Kunstform“ in Eigenregie produziert und gedubbt hat. Khokhmah ist eine „ehrfürchtige Referenz an das erste goldene Zeitalter des Dubs“, sprich die 1970er-Jahre, so das Eigenlob. Das trifft für mich absolut zu und bedeutet überhaupt nicht, dass die hier zu hörenden Tracks ein verstaubter Abklatsch von eben diesen hinlänglich bekannten Originalen sind. Es tönt modern, druckvoll, aktuell, nach 2024 und vor allem die Drums sind extrem lebendig gespielt (oder programmiert – es wirkt für mich jedenfalls gespielt). Es hat einige Steppas-Riddims mit dem typischen Four-on-the-Floor-Bassdrum dabei, die jedoch erfrischend und energetisch daherkommen, ohne die dumpfen, langweiligen und abgestumpften Steppas-Dub-Plattitüden zu bedienen, die leider im Dub allzu oft anzutreffen sind. Des Weiteren sind die Sounds der Instrumente gut und sorgfältig gewählt und kommen eher analog daher, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass die Grundriddims digital produziert wurden. Darauf schließe ich wegen des musikalischen Hintergrunds von Degiorgio und einige Keyboard- und Bläsersounds tönen für mich sehr nach der elektronisch-digitalen Ecke (kann aber sein, dass ich mich da auch täusche). Degiorgio gibt an, dass er für die Dub-Bearbeitung der zwölf Dubs (vier Tracks sind mit zwei verschiedenen Versionen veröffentlicht) ausschließlich Techniken aus der frühen Mitte der 1970er-Jahre verwendete. Und gerade diese Dub-Mixes und der Einsatz der Effekte sind bei den soliden Riddims meiner Ansicht nach sehr gut gelungen und machen das Hörerlebnis zum wahren Genuss. Da setzt einer die einzelnen Spuren und Effekte wahrlich weise ein (und aus) und hat genau das richtige Händchen für die ideale Dosis. Spätestens da merkt man, dass Degiorgio viel Erfahrung am Mischpult mitbringt und seine Vorbilder und Idole gut studiert hat. Und ja, eine gute Soundanlage mit viel Bass ist empfehlenswert, Kopfhörer habe ich nicht ausprobiert. Ein tolles Dub-Album, wie ein gut gealterter Rotwein! Fehlt eigentlich nur noch eine Vinylveröffentlichung.

Die Sternebewertung überfordert mich ehrlich gesagt gerade, ich wanke zwischen vier und fünf Sternen hin und her, denn ich kann mir gut vorstellen, dass das Album Ende Jahr den Sprung in meine Jahres-Top-fünf schafft. Die vier Sterne gebe ich für letztendlich nach meinem Geschmack doch zu wenig prägnante und eher mässige Basslines…

Bewertung: 4 von 5.
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Groundation, Jim Fox: Dub Rock

Bei der Band Groundation bin ich bisher immer an der Stimme von Harrison Stafford hängen geblieben, sprich, ich ertrage seine Stimme nicht über eine Albumlänge, zu eigen, zu krächzend, nichts für meine Ohren. Musikalisch hingegen war ich immer angetan von der ureigenen Interpretation der Reggaemusik dieser Truppe, die seit 1998 aktiv ist. Ich erinnere mich z.B. gerne an das Jahr 2006, als ich meine Wohnung damals in einem alten Bauernhaus neu strich (in den Farben grün, gelb und rot, was denn sonst?) und mich dabei aus einem riesigen Ghettoblaster mit viel Bass ununterbrochen von der Platte „Dub Wars“ berieseln ließ. Meine erste CD der Band und ich weiß noch genau, wie mich vor allem die jazzig gespielten Bläser in den Bann zogen.

Beim vorliegenden Album „Dub Rock“ handelt es sich um die Dub-Version des 2022 erschienenen Albums „One Rock„. Verantwortlich für den Dub-Mix ist der legendäre Toningenieur Jim Fox, bekannt für seine Arbeit bei LION & FOX Studios. Es ist nach 2005 mit dem Album „Dub Wars“ die zweite Zusammenarbeit von ihm mit der Band. Die Dub-Mixe sind eher dezent und Jim Fox setzt Effekte eher auf Understatement ein und ich entdecke bei jedem Hördurchgang wieder Neues, was für ein großes Dub-Verständnis und eine große Erfahrung im Mischen spricht. Die sehr spärlich erscheinenden Vocal-Schnipsel empfinde ich ebenfalls als erträglich und gut gewählt. Obwohl ich mir das „One Rock“-Album wegen besagter Vocals-Aversion vorher nie angehört habe, ist mir aufgefallen, dass die Titel der einzelnen Songs auffällig kreativ gestaltet und keineswegs nur mit „Dub“ ergänzt oder besetzt werden, wie das ansonsten bei Dub-Alben üblich ist. Das wurde für den Albumtitel ausgespart. Da wird zum Beispiel der Song „Greed“ in der Dub-Version zu „World of Love“, „Day When the Computer Done“ zu „So Soon“ oder „Market Price“ zu „The Human Soul“. Es scheint sich jemand einige tiefschürfende Überlegungen gemacht zu haben, was für mich auf ein sorgfältig durchdachtes Werk rückschließen lässt und beim Bemerken einfach Freude macht. Nun zum Wichtigsten für die Freundinnen und Freunde des Dubblogs: der Musik. Da ist alles, was ich an Groundation musikalisch schätze: Die jazzigen Bläser, die Orgel, das differenziert und spannend gespielte Schlagzeug, der perfekt und songdienlich gespielte Bass, die vielfältig eingesetzte Perkussion und eine E-Gitarre, die im richtigen Moment auch mal zu einem rockigen Solo ansetzt („Vision for the Future“). Dazu kommen in den Songs „Astray“ und „World of Love“ Streicher-Arrangemente zum Einsatz, die mich zuerst etwas irritiert haben, dann aber immer mehr faszinieren und dem Ganzen eine weitere Komponente geben, die die Musik definitiv bereichert. Auch das Piano hat an zwei, drei Stellen eine kleine, doch sehr prominente Rolle: Im Stück „The Human Soul“ zum Beispiel bestreitet es das Intro an klassische Musik erinnernd und bei „Demons and Pagans“ ist es furios fast free-jazzig gespielt, mir kommt da unweigerlich Sun Ra in den Sinn, auch das für meine Ohren ein Highlight und eben, es gibt zart dosiert echt unerwartete Hörerlebnisse. Auch die Bläsersätze sind professionell und prägnant eingesetzt, aber nie störend oder gar anbiedernd und erzeugen immer wieder Spannung. Allgemein finde ich, dass auf diesem Werk sehr gut mit Dynamik umgegangen wird und sehr gekonnt intensive groovende Parts leisen und sanften Teilen gegenüberstellt werden. Eine ausgewogene Sache also, ich muss sagen, ich bin sehr angetan von diesem Werk.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Bazille Noir: Goes Dub

Auf meinen gelegentlichen Streifzügen nach neuer Musik bin ich eher zufällig auf das Album „Bazille Noir Goes Dub“ gestoßen.

Das Projekt besteht in erster Linie aus dem in Hamburg beheimateten Produzenten und Musiker Jens Paulsen, der seit 2001 Musik unter dem Namen „Bazille Noir“ und in den letzten Jahren vermehrt unter „Paulsen & Stryczek“ veröffentlicht hat. Für dieses Dub-Album hat er sich mit dem Bassisten und Keyboarder Matthias Zoeller zusammengetan. Beides sind für mich unbekannte Namen und ich habe nicht näher nach Infos gesucht. Die Musik soll sprechen. Veröffentlicht wurde das Album digital auf dem Label Lemongrassmusic, das für mich bisher eher für Ambient-, Downtempo-, Electronic- oder Chillout-Veröffentlichungen stand. „Goes Dub“ vermag mich dabei sehr zu überzeugen, doch die neun Tracks beinhalten leider auch Musik, die ich gerne wegzappe, aber dazu später mehr. Es ist eher ein experimentelles Herangehen an die Thematik Reggae und Dub, was die beiden machen und genau das gibt durchaus gelungene und reizende musikalische Ergebnisse.

Der Opener „Mutualism“ beginnt mit einem entspannten, deepen Reggae-Groove-Bass, mit Bassdrum-Akkzenten auf 2 und 4, wo mir insbesondere die Hi-Hat-Arbeit sehr positiv auffällt. Auch die Basslinie ist gelungen, einzig die eingespielten Stimm-Samples, bräuchte ich nicht unbedingt. Die vom Baritonsaxophon dominierten Bläser-Arrangements, die ab der Mitte des Songs dezent, aber seidenfein dazukommen sind erste Sahne. Und mein Herz erfreut’s, denn der Song hat ein Ende und kein Fadeout. Weiter geht es mit „Rainmaker“, der in ähnlichem Stil weitergeht, Deepbass vom Feinsten. Dazu muss ich feststellen, dass der Mix und die benutzten Effekte sehr gekonnt, unaufdringlich und songdienlich daherkommen. Als Blasinstrument fungiert hier aber eine Flöte, die eher spärlich zum Einsatz kommt – also genau richtig dosiert. Auch der dritte Track passt. Es wird jedoch vom Sounddesign her etwas elektronischer und Keyboard-Arpeggios und -Delays stechen erstmal heraus, aber auch eine fette Hammond-Orgel, eine fast minimalistisch eingesetzte Trompete und eine schüchterne E-Gitarre haben ihre Auftritte. Bis jetzt bin ich begeistert und erahne bereits Ende Mai einen Anwärter auf das Album des Jahres.

„Blues Skank“ kommt dann, zwar erst nach einem gut einminütigen Intro, mit einem für meine Ohren aber zu plumpen House-Beat daher, ansonsten immer noch okay, die Gitarre ziemlich inspiriert sogar, aber eben, dieser Beat geht für mich gar nicht. Ich weiss, dass das Geschmackssache ist und es wird sicher Hörer:innen geben, die das mögen, vielleicht sogar bevorzugen, egal. So geht es dann (leider) die nächsten zwei Songs weiter.

Die drei abschliessenden Tracks sind wieder ganz in meinem Sinne. Insgesamt ist die Ästhetik des Werks sehr schön ausgewogen und kompakt gehalten. Alles passt zusammen, ich bemerke ein Konzept, ein richtiges Album aus einem Guss, das ich, abgesehen von den erwähnten drei mittleren Songs, mittlerweile schon ziemlich oft durchgehört habe. An zwei drei Stellen fantasiere ich mir sogar Anleihen am Sounduniversum von Dub Spencer & Trance Hill dazu. Durchweg ein bemerkenswert gut gelungenes Werk, das von mir dennoch nicht die Höchstnote bekommt – aber das ist reine Geschmackssache. Meinen Respekt und Goodwill haben die beiden Macher jedenfalls in hohem Maße.

Bewertung: 4 von 5.