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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, 27. Januar 2002

Deutschlands Reggae-Impressario No. 1 kennt sich aus in seinem Genre. Zielsicher bedient sich Dr. Ring-Ding stets aufs Neue im großen Pool der jamaikanischen Musikgeschichte, mischt das Gefundene mit seinem brillanten Songwriter-Talent und produziert sich damit an die Spitze des deutschen Ska und Reggae. Auch mit „Dr. Ring-Ding & The Senior Allstars Meet Victor Rice (Pick Up The Pieces)“ (Grover) greift Dr. Ring-Ding eine schöne, alte Reggae-Tradition auf, indem er eine Dub-Version seines letzten Albums „Big Up“ vorlegt. Gedubbt wurden die Tracks von Victor Rice, Produzent, Mixer und umtriebiger Musiker hinter unzähligen US-Ska-, Reggae- und Jazzgrößen wie dem New-York-Ska-Jazz-Ensemble, den Stubborn Allstars oder der aktuellen Formation der Skatalites. Vier Tage und vier Nächte hat der Meister alles kräftig durchgemixt, bis ein Album mit kräftig wummernden Bässen und endlos wiederhallenden Echos entstanden ist. Ein mutiges Experiment, denn Dub-Versionen von Ska-Stücken sind nicht gerade an der Tagesordnung. Doch das Experiment ist geglückt: Selbst postmodern-schrammelige Ska-Stücke sind hier erfolgreich durch den Dub-Wolf gedreht worden und klingen nun wie ein Skatalites-Konzert auf dem Mond. Absolut Old-School-Stylee – ein Werk echter Handarbeit.

Ein anderes kleines Dub-Meisterwerk jenseits der üblichen Pfade ist das 2. Album von einem Dub-Duo aus Spanien: Loud & Lone. Ihr Album „Better Collie and Loud & Lone 1998-2001“ (Oidos Sordos/Import) könnte fast als ein Frühwerk von Lee Perry durchgehen. Produziert auf einem 4-Spurgerät in einem winzigen Studio in Santander, klingt es beinahe so atmosphärisch wie eine Black Ark-Aufnahme. Die beiden spanischen Dub-Frickler Roberto Sanchez und Borja Juanco verstehen es wie Meister Lee mit einfachsten Mitteln ein faszinierendes Soundgebilde zu kreieren. Sie nutzen hierfür sowohl klassische Riddims, als auch eigene Kompositionen, aus denen sie pulsierende, stark synkopierte Rhythmus-Tracks entwickeln. Gelegentlich wird das Ganze mit etwas Gesang garniert – was allerdings nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Je älter die Tracks desto mehr klingen sie nach „klassischen“ Perry-Produktionen, bis schließlich tatsächlich Perry-Stücke als Cover-Versions erklingen. Sollte man das als Eklektizismus rügen? Nein, man sollte lieber die Botschaft verstehen: In Spanien gibt es großartigen Reggae.

Doch auch in anderen europäischen Ländern gibt es Neues an der Dub-Front: So ist z. B. die dritte Ausgabe der Hi-Fidelity Dub Sessions (Guidance/EFA) in gewohnter Qualität erschienen: deep, slow and warm. Interessant ist vor allem der sechste Track des Samplers, der auf dem Cover mit „Moments in Dub“ von Nick Holder betitelt ist – tatsächlich aber eine Linval Thompson Channel One Produktion aus den frühen 80ern ist. Hat Holder den Track aus Originalsamples akribisch nachgebaut, oder was hat sein Name da zu suchen? Kann mir das mal jemand erklären?

Dass man eine Dub-Vorlage (selbst ursprünglich nichts anderes als ein „Remix“ der Originalversion) mittlerweile wieder remixen kann, ist nicht neu. Dass Alpha & Omega jedoch ihren Dub-Track „Show Me A Purpose“ gleich mehrfach von verschiedenen Dub-Producern remixen lassen und diese Remixes dann auf einem (!) Album mit dem Titel „Show Me A Purpose“ (Hammerbass/Import) veröffentlichen, ist – obschon gelungen – wirklich heftig. Die beiden haben aber auch ein ganz „normales“ Dub-Album draußen: „Serious Joke“ (Import). Der Sound ist unverändert, der Rhythmus hingegen ist schneller geworden, was irgendwie nicht so richtig zu passen scheint.

Sehr experimentell präsentiert sich hingegen die französische Dub-Szene. Das neue Album „Combat Dub“ (Hammerbass/Import) von Bangarang ist dafür ein gutes Beispiel: vertrackte Soundspielereien und Elektronik-Einflüsse kreuzen sich hier mit wuchtigen Reggae-Basslines. Hier haben sich NuRoots-Veteranen wie The Disciples, Zion Train oder Alpha & Omega über die Bangarang-Tracks hergemacht. Aber auch die Crooklin-Fraktion von Wordsound hat einige Noise-Tracks abgeliefert. Langsam scheint es, als würde man als Dub-Enthusiast um das französische Hammerbass-Label nicht mehr länger herumkommen. Wird Zeit, dass sie einen ordentlichen deutschen Vertrieb bekommen!

Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, sei hier noch ein Hammerbass-Album besprochen: Dub Wiser, „A New Millenium of Dub“ (Hammerbass/Import). Leider erreicht es nicht die Qualität der beiden oben besprochenen Hammerbass-Veröffentlichungen. Dub Wiser ist zu sehr dem Mid-90er New-Dub-Sound verhaftet, was – mit Verlaub – heute keinen rechten Spaß mehr macht. Spaßig ist hingegen das türkische Intro des ersten Tracks…
Auch vom Mad Professor gibt es etwas Neues: ein Duett mit Lee Perry auf „Techno Dub“ (Ariwa/Zomba) und eines mit Scientist  auf „At The Sound Table With LSP“ (Ariwa/Zomba). Wenn sich Dub-Legenden treffen klingt das nach höchst spannenden Alben, was aber in diesem Fall leider überhaupt nicht zutrifft. Langweilig und uninspiriert ist noch das mildeste Urteil, was ich hier verkünden möchte. Was ist mit dem verrückten Professor los? Hat er vergessen, wie guter Dub funktioniert? Oder fehlen ihm schlicht die Ideen? In diesem Fall ist es natürlich nicht hilfreich, Kollegen einzuladen, die ebenfalls unter chronischem Ideenmangel leiden. Interessanter waren da schon seine Remixes fur Rut’s DC, die nun auf dem Hamburger Label Selected Cuts als Doppel-CD inklusive der Remixes von Zion Train unter dem Titel: Rhythm Collision Vol. 1 & Remix Versions“ neu herausgekommen sind.
Dass auch in Hamburg in Sachen Dub viel los ist, beweist auch der Hamburger Produzent Matthias Halfmann mit seinem Turtle Bay Country Club: „Dub Decade“ (Island/Mercury). Hier versammelt der ehemalige Chef der Kastrierten Philosophen die Dub-Versionen seiner Produktionen für Patrice, Absolute Beginners, Jan Delay, Di Iries und andere. Wunderschön und absolut open minded führt er vor, wie sich das Prinzip „Dub“ auf verschiedene Genres anwenden lässt und dass es auch die Nähe zum Pop souverän aushält. Was allerdings nicht heißt, dass es hier keinen Reggae-Dub zu hören gäbe. Im Gegenteil: mit „Castrated Dub“ oder „Di Iries – Dub“ hat er knochentrockene, minimalistische Neo-Dub-Tracks im Gepäck, die jeden Mainstream-Plattenkäufer das Weite suchen lässt. Experimentierfreude, das Aufbrechen von Genre-Schranken und perfekte Production-Skills ergeben hier ein großartiges Dub-Album aus deutschen Landen. Schön, dass es so etwas gibt.

Ebenfalls ziemlich open minded ist das neue Remix-Album der Groove Corporation aus Birmingham: „G-Corp Presents Remixes From the Elephant House“ (Guidance/EFA) Die „Chemical Brothers des Dub“ präsentieren hier ihre Remixes der Tracks von Dillinger, Bob Marley, Rockers HiFi, The Congos, UB40, Luciano, Bobby Womack, Ennio Morricone und anderer. Der typische Birmingham-Sound, wie man ihn von Rockers HiFi oder Smith&Mighty kennt, klingt hier aus jedem Byte, und nicht selten sind die Stücke dem Post-House-Dancefloor näher als dem Reggae – was hilft, die Ohren freizuspülen. Auch hier ist es wieder faszinierend zu sehen, wie sehr der Dub sein Home-Genre verlässt und seinen Einfluss auf assoziierte Musikstile ausübt. 

Und da wir gerade beim Crossover sind: Die Berliner Minimal-Technologen Mark Ernestus und Moritz von Oswald legten vor einigen Wochen ihr zweites Album auf dem Rhythm & Sound-Label vor, das Tracks der vergangen vier Jahre versammelt: „Rhythm&Sound“ (Rhythm&Sound/EFA). Wie gewohnt verschmilzt hier abstrakte Elektronik mit Reggae-Dub unter dem großen Prinzip des Minimalismus. Eigentlich führen die beiden Berliner nur das konsequent weiter, was im Dub per se angelegt ist: geradezu autistische Monotonie. Das ist aber keineswegs langweilig. Im Gegenteil, der Minimalismus erschafft einen eigentümlich-faszinierenden Eindruck von musikalischer Gegenwart. Das absichtlich unter die Tracks gelegte Rauschen verstärkt dies noch, da man sich unwillkürlich als „Hörenden“ wahrnimmt. Extreme Sounds für extreme Hörer.

Ähnlich experimentell, wenn auch bei weitem nicht so extrem, präsentiert sich das Produkt der Zusammenarbeit derbeiden Bassisten JahWobble und Bill Laswell: „Radioaxiom“ (Palm/Mercury) Im weitesten Sinne dem Reggae-Kontext verhaftet ist das Album ein großes Sound-Experiment auf tieffrequenter Ebene. Gewaltig und dröhnend schwillt hier der Bass, taucht alles in einen See von warmen Frequenzen und dunklen Klängen, aus dem sich ab und an der helle Klang einer Jazz-Trompete erhebt oder der feine Gesang afrikanischer Sängerinnen. Sehr meditativ, sehr gelassen und doch hochspannend. Hier ist der Dub bei sich selbst: reiner Klang ohne materielle Referenz.

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