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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, April 2002

Was ist mit dem Professor los? Diese Frage stellte sich jeder Freund guten Dubs angesichts der ziemlich uninspirierten jüngeren Veröffentlichungen aus dem Hause Ariwa. Was ist aus den superben Mixing- und Production-Skills des Neil Fraser geworden? Angesichts des neuen Albums „Mad Professor & Mafia & Fluxy: From Mars With Dub“ (Ariwa/Zomba) scheint sich eine Antwort geradezu aufzudrängen: Der Professor hatte seine Skills nicht verlernt – alles was ihm fehlte, waren gute Musiker, die ihm das „Rohmaterial“ für seine Kreationen lieferten. Doch das Problem ist nun gelöst: Mit Mafia und Fluxy, den Rhythm-Twins des britischen Reggae, hat er zwei wahre Rhythmus-Künstler gefunden, die mit ihm zum Mars geflogen sind und dort ein fantastisches Dub-Album aufgenommen haben; das beste seit vielen Jahren. Als wären die alten Tage zurückgekehrt, krachen die Rhythms mit gewaltigem Druck aus den Speakers und der Mad Professor dreht wie ein verrückter Professor an Reglern, Köpfen, Sounds und Effekten. Er scheint seinen Dub-Style im Zustand vollkommener Extase zu zelebrieren: viel ist ihm nicht genug, mehr ist besser! Kein Tackt bleibt ohne Effekt, in allen Ecken und Enden seines dreidimensionalen Klanggebildes zischt, tschirrpt und brummt es, die Bassdrum detoniert im four-to-the-floor-Stakkato, die Bassline windet sich durch die Oktaven und Echos pendeln unaufhörlich zwischen den Kanälen bis man das Gleichgewicht verliert. Es gibt keinen Zweifel – an keinem Dub-Album der letzten Monate habe ich mehr Spaß gehabt als an diesem Juwel, das viel weniger Science Fiction als Ariwa-Old-School-at-it’s-best ist. Noch besser aber: es ist der erste Teil einer hoffentlich lang laufenden Serie.

Auch das britische Dub-Kollektiv Zion Train hat wieder Boden unter den Füßen. Bekanntlich waren sie in der zweiten Hälfte der 90er nach Ihrem großen Crossover-Erfolg „Homegrown Fantasy“ 1995 bitterlich abgestürzt. Ihr selbstbewusster Mix aus (Acid-)House Elementen und Roots-Dub geriet immer mehr ins Fahrwasser des Pop und verlor schließlich jegliche Eigenständigkeit. Doch mit ihrem neuen Album „Original Sounds Of The Zion“ (Universal Egg/EFA) haben sie – der Titel legt es nahe – zu ihrem „originalen“ Sound zurückgefunden, der sich am ehesten mit dem von Dreadzone vergleichen läßt: High-Speed-Stepper-Rhythms, schöne, melodiöse (Bläser-)Synthie-Sätze und eine Menge elektronisches Gezirpe. Gelegentlich mischt sich ein astreiner House-Track dazwischen, oder ein wunderschönes Gesangsstück von Vokalistin Molara – Vielfalt, aber keineswegs Beliebigkeit. Alles vereint sich zu einem berauschenden, trancehaften Flow, der Dub ohne wenn und aber als Dance-Music definiert.

Dass es auch ganz anders geht, beweist uns Dubital mit der Compilation „Suitable #2“ (Suiteque), die sich auf langsamere und oftmals vertracktere Rhythmen konzentriert. Von „straight forward“ kann hier nicht die Reede sein, jeder Track steht singulär und fordert Aufmerksamkeit. Dubital hat die Chance ergriffen, die herausragendsten und eigenwilligsten Tracks seiner Kollegen (u.a. Mad Professor, Twighlight Circus und Zion Train) auf einem Longplayer zu versammeln. Im Gegensatz zu Zion Train, bedarf dieser Dub eher einer analytischen Rezeption, um seine Wirkung entfalten zu können.

Noch einen Schritt weiter geht der Bassist Jah Wobbel (früher Bassist von PIL) auf seinem Album „Shout At The Devil“ (30 Herz). Ähnlich wie Bill Laswell, experimentiert er intensiv mit Worldmusic und hat nun, nachdem er sich ausgiebig der keltischen Musik gewidmet hatte, orientalischen Sounds und dem Reggae zugewandt. Es ist kaum zu glauben, aber die Musik Nordafrikas und Arabiens passen geradezu kongenial zu den Beats aus Jamaika (Big Man – Rai meets Reggae und Bhangra-Dancehall hatten es ja schon nahe gelegt). Jah Wobbel und Dubulah (Transglobal Underground), der für die Beats verantwortlich zeichnet, haben aus diesen beiden Welten ein faszinierendes Sound-Universum erschaffen, in das man eintaucht um auf den Wogen der tiefen, fließenden Bassline die Dimensionen des Sounds zu erkunden. Tablas verhallen im Echo, Streicher durchschneiden den Raum, Stimmfetzen erklingen aus dem Nichts und versinken in dunklen Tiefen. Eine magische Stimmung durchzieht das Album, faszinierend und unheimlich zugleich. Orientierung und Halt bieten nur die Stimmen der Gast-Vokalisten Natasha Atlas, Shahin Badar und Nina Miranda. Schwerelos schweben ihre Stimmen über den Beats und besingen die Berge des Mondes oder die Winde Afrikas.

O.k., kommen wir auf den Boden zurück. Die passende Platte dafür ist „Dub Inna De Cave Vol.1“ (Jet Star/Import) der Cave Crew. Alle Tracks sind in Jet Stars Cave studios aufgenommen worden und dienten als Backings für verschiedene Jet-Star-Artists (z.B. Rasites, Daweh Congo, Glen Washington). Produziert von Danny Ray und gemixt von Fitz Blake repräsentieren sie solides Dub-Handwerk. Hier geht es geradeaus, da weiß man was man hat. Was nicht heißen soll, dass es keine schönen Dub-Mixes wären, oder dass die Rhythms langweilig wären. Im Gegenteil: beides ist vorbildlich. Es wird lediglich aufs experimentieren verzichtet – und das ist auch gut so (um mit des Kanzlers Worten zu sprechen), denn Dub will gelegentlich auch mit dem Bauch statt mit dem Kopf gehört werden.

Es ist immer wieder erstaunlich, alte Produktionen der Dub-Foundation im Vergleich zu den aktuellen Aufnahmen zu hören. King Tubby, Errol T., Lee Perry… kaum zu glauben, welche Qualität die alten Meister mit ihrem simplen Equipment vor mehr als 20 Jahren zustande brachten. Manchmal frage ich mich (ein wenig ketzerisch), ob Dub-Music überhaupt je Fortschritte gemacht hat. Ein Anlass für solchen Zweifel ist von King Tubby und Prince Jammy gemixte Yabby You-Album „Dub It To The Top“, das soeben auf dem Blood and Fire-Label (Indigo) wieder veröffentlicht wurde. Die dort versammelten Tracks stammen aus den Jahren 1976-79 und sind damals auf dem Album „Yabby You Meets Michael Prophet: Vocal & Dub“ und mehren Single-B-Seiten erschienen. Aufgenommen im Channel One Studio, weisen sie schon deutlich in Richtung Dancehall. Kraftvolle, energiegeladene Rhythms, großartige Bläsersätze und die unvergleichlichen Mixing-Skills des Königs und seines Prinzen haben ein Album hervorgebracht, das zweifellos zu den großen Klassikern des Genres gehört. Schon der Anfang setzt Maßstäbe: drei Versionen des Shank Kai Shek-Riddims bringen das Album ins rollen. Es folgen noch andere Klassiker: Michael Prophets Dub-Version von „Heptones Gonna Fight“, oder „Rock With Me Baby“, ebenfalls in einer Michael-Prophet Dub-Version. Man kann das Album nicht genug preisen: kauft es!

Nur wenig später wurden die Aufnahmen auf dem Album „Sly & Robbie Meet Bunny Lee At Dub Station“ (Jamaican Recordings/Import) im Channel One-Studio aufgenommen. Bunny Lee produzierte und von Sly und Robbie spielten die Rhtyhms ein. Die meisten dienten zuvor als Backings für Johnny Clarke und präsentieren Sly Dunbars „Rockers-Style“ in Perfektion. Für den Dub-Mix gibt es keinen Credit auf der Platte, mich würde es aber nicht wundern, wenn hier Prince Jammy am Werk gewesen wäre.

Ebenfalls ein großes Album der Dub-Foundation: „Dennis Brown In Dub“ (Heartbeat/EFA), produziert von Niney The Observer. Militante Observer-Rhythms, von King Tubby durch die Echo-Chamber gejagt und mit Dennis’ Vocals garniert… Was soll man dazu viel sagen?

Abschließend möchte ich noch kurz auf vier schöne Compilations mit Tracks des Nu-Dub hinweisen: „Roots Of Dub Funk 2“ (Tanty Records), „A News Breed Of Dub – Issue Three“ (Dubhead/EFA), „Nu Shoots Inna Roots – Dub Version Style“ (Free Radical Sound/EFA)und „King Size Dub – Chapter Eight“ (Echo Beach/Indigo). Mit Ausnahme des letzten stammen alle Alben aus England und bieten genau das, was man vom Nu Dub erwartet. Besonders gut hat mir „Roots Of Dub Funk 2“ gefallen, das interessantere Tracks als „A New Breed…“ bietet und unverbrauchter klingt als die „Nu Shoots…“, die sich als Vocal-Version schon erschöpfend oft auf meinem Plattenteller gedreht hat. King Size Dub  vom Hamburger Echo-Beach-Label setzt – wie gewohnt – seine eigenen Maßstäbe: „File Under Logical Dubgression“ steht auf dem Cover und macht damit deutlich, dass hier Innovation und Offenheit den Weg weisen. Dieser führt dabei oft in angrenzende Genres wie Triphop, Worldmusic oder Pop. Mit von der Partie sind u.a. Groove Armada, Rhythm & Sound, Noiseshaper, Tackhead – nicht immer ganz frisch, aber fröhlich. Happy End.

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