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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, Juli 2002

Bekanntlich soll man aufhören, wenn’s am besten ist – und so verabschiedet sich die Blood & Fire-Remix-Serie mit einem Höhepunkt: „Select Cuts from Blood & Fire – Chapter 3“ (Select Cuts/Indigo). Nicolai Beverungen, der Dub-Masterchief aus Hamburg, hat zum großen Abschiedsfest das nahezu komplette Who is Who der britischen Dub-Szene eingeladen, Reggae-Klassiker aus dem Blood & Fire-Katalog zu remixen. Als Antwort ist er mit grandiosen Dub-Tracks beschenkt worden, die klar machen, wo der Dub heute steht: im Zeichen der Club-Culture. Groove Corporation, Dreadzone, Smith & Mighty, Different Drummer und die anderen lassen keinen Zweifel daran, dass moderner Dub längst aufs Vortrefflichste verschmolzen ist mit dem Sound von Techno, House, Drum&Bass, Garage, Electro etc. und sich damit seinen Weg in die Zukunft gebahnt hat. Entscheidend ist aber, dass diesem Dub die Reggae-Wurzeln nicht abhanden gekommen sind, dass seine Beats und Dub-FX auf dem warmen, weichen Bett rollender Basslines ruhen: z.B. „Rockfort Rock“ bei Groove Corporation, „Stalag“ bei Smith & Mighty, oder „Greedy Girl“ bei Pressure Drop. Schön zu sehen, wie die Konstanten der Reggae-Evolution nun im 21. Jahrhundert angekommen sind – und immer noch überraschend neu klingen können. So zählt Smith & Mightys Version von Stalag mit Abstand zum Besten, was an Dub in der letzten Zeit produziert wurde. Gleiches gilt für den Dreadzone-Remix zweier Prince Allah-Klassiker, der von einem hüpfend synkopierten uptempo-Beat in Garage-Pop-Gefilde hinübergetragen wird, oder, ebenfalls überragend: Don Letts Remix der Prince Allah/Pablo Moses-Tracks „Great Stone/One People“. Ein Heavyweight Stomper ohne Gleichen, der noch in so manchen Clubs und Dancehalls für Furore sorgen wird. Letts ist interessanterweise der Regisseur des Films „Dancehall Queen“ (und von über 300 Musikvideos) – ein wahres Multitalent. Fazit: eine superbe Remix-Platte, an dem nur eines stört: dass sie die Letzte ist.

Mark Ernestus und Moritz von Oswald (Rhythm & Sound, Basic Channel), den beiden Berliner Minimal-Techno-Produzenten, hat die Reggae-Community mehr zu verdanken, als so manchem reinblütigen Reggae-Labelchef, denn diese beiden haben jüngst die verstaubten Archive des ältesten amerikanischen Reggae-Labels Wackies geöffnet. Wahre Perlen der Reggae-Historie haben sie dort aus dem Zustand obskurer, längst verschollener Knister-Vinyl-Pressungen befreit, liebevoll in Reproduktionen der alten Cover-Artwork gekleidet und in einer schönen Edition neu herausgebracht. Nach einigen großartigen Vocal-Alben (unbedingt hören: The Love Joys) gibt es nun mit „African Roots Act 2“ und „Act 3“ (EFA) die ersten Dub-Alben von Wackies zu hören. Beide wurden Anfang der 1980er von Lloyd „Bullwackie“ Barnes in dem kleinen Studio hinter dem Wackies-Plattenladen, im Herzen der Bronx produziert. Neben wunderschönen Versionen alter Studio One-Riddims wie „Fight it to the Top“, „Love Won’t Come Easy“, „Real Rock“, „Love Me Always“ u.a. und hauseigenen Kompositionen, bestechen die Aufnahmen vor allem durch ihren eigentümlichen Sound, der Bullwackie-Produktionen so berühmt (und berüchtigt) gemacht hat. Er ist irgendwo zwischen Black Ark, Studio One und Channel One anzusiedeln. Kein Wunder, dass er die audiophilen Minimal- Enthusiasten aus Berlin in seinen Bann gezogen hat. „Act 3“ ist übrigens die Dub-Version von Sugar Minotts  „Wicked Ago Feel It“-Album.

Nach soviel Lobhudelei nähern wir uns nun wieder dem Normalmaß gegenwärtiger Dub-Alben. Aus Frankreich kommt Dub-Produzent Manutension, dessen 2001 produziertes Album „Stricktly for Sound System Dub (Dub Attacks the Tech Vol. 1)“ (Import) nun in Deutschland veröffentlicht werden soll. Obwohl Manutension im Wesentlichen auf ziemlich heftige Steppers-Rhythms setzt, ist sein minimalistisch arrangiertes Album außerordentlich experimentell geworden. Er stellt einmal mehr unter Beweis, dass Dub eine Musik für Bauch und Kopf zugleich ist: aufmerksames, bewusstes Zuhören ist hier genau so spannend, wie das Wummern des Basses in der Magengrube angenehm ist. Hoffentlich findet das Album einen guten Vertrieb hierzulande.

Einen ähnlichen Sound pflegt Multiinstrumentalist und Dub-Mixer Ryan Moore, der in seinem Amsterdamer Studio mithilfe analoger Röhrenverstärker schwergewichtige Floorshakers produziert, deren Sound fetter nicht sein könnte. Unter dem Namen Twilight Circus Dub Sound System bringt er nun die dritte Folge seiner „Dub Plates“-Serie (Cargo) heraus. Alle elf Tracks sind manuell von ihm eingespielt und gemixt worden. Konsequenter kann man Musik kaum produzieren und kompromissloser kann Dub eigentlich auch nicht klingen. In seiner formalen Reinheit bewundernswert, zugleich aber vielleicht auch ein wenig zu gleichförmig, zu ereignislos. Eine Gefahr, der viele am New Dub der 1990er-Jahre orientierte Dub-Produktionen erliegen. Selbst der Steppers-Meister himself, Jah Shaka, konnte sich ihr mit seinem neuen Album „Authentic Dubwise – Jah Shaka Meets Fire House Crew“ (Blow) nicht entziehen. Ein Album ohne Höhen und Tiefen ist ihm da „passiert“, dessen Sound sich nicht zwischen London und Jamaika entscheiden kann. Schade. Geschickter gehen da schon die Love Grocers auf ihrem neuen Album „Fresh Produce“ (Dubhead/Indigo) zu Werke. Die Stücke der „Liebes-Lebensmittelhändler“ Chris Petter und David Fulwood leben von den charmanten, weichen Bläsermelodien, die die beiden eigenmündig eingespielten. Außerdem haben sie sich Gast Vokalisten wie Earl 16 oder Cheshire Cat eingeladen, die helfen, das Album abwechslungsreich und interessant zu machen. Getoppt werden die Love Gocers allerdings von Tom Tattersall aka Mungo’s HiFi aus Glasgow, dessen Debut-Album „Mungo’s HiFi Meets Brother Culture“ (Dubhead/Indigo) ein uneingeschränkt schönes Dub-Album mit prägnanten Melodien, warmen Beats und interessanten Arrangements ist. Unterstützung bekommt Tattersall hier von Jah Shaka Sound-Mike-Man Brother Culture, Old-School Microphon-Chanter, der etwa der Hälfte der Tracks Dancehall-Flair verpasst und damit ein eindeutiges Signal setzt: Dub zum Skanken. 

Statt Purismus sein nun wieder ein wenig Crossover gewagt: Aus Wien kommen Dubblestandart und ihr neues Album „Streets of Dub“ (Indigo), das Remixes älterer Aufnahmen mit neuen Tracks vereint und sich soundtechnisch zwischen Trip Hop, Dub und manchmal sogar (man wagt es kaum auszusprechen) ROCK bewegt. Schön ist der Mad Professor Steppers-Remix und Rootsmans Dillinger-Remix, die anderen Tracks variieren mehr oder weniger stark zwischen uninspirierten Beats und richtig spannenden Stil-Experimenten, wie z.B. dem Fatsquad D’n’B-Remix.

Noch mehr Crossover gibt es allerdings auf Lightning Heads Debut „Studio Don“ (Sonar Kollektiv). „Debut“ ist ein wenig unpassend, wenn man weiß, dass sich hinter dem Pseudonym „Lightning Head“ (der Name stammt aus einem Lee Perry-Interview!) Glyn „Bigga“ Bush verbirgt, die ehemalige Hälfte von Rockers HiFi. Spätestens dann hat man auch eine Vorstellung davon, in welche Richtung der Sound des Albums weist: Intelligent Dub Grooves (schönes Label, oder?), angereichert mit Batucada-Rhythmen (Samba), Latin Piano-Riffs und Funk-Beats – alles klar? Nun, man könnte auch sagen, das Album sei eine musikalische Reise von Kingston über Havanna, die Bronx, Brixton und den Stax-Sound von Memphis bis nach Dorset (dem englischen Nest in dem Bush sein Studio hat). Auf dieser Reise hat Bigga Bush vier hervorragende Vokalisten getroffen: Farda P (kennt man von Rockers HiFi), Colliston White (aus Wien), Monterria (eine Soul-Sängerin aus Atlanta) und Patrice. Kaum nötig zu erwähnen, dass wir es hier mit einem außerordentlich vielseitigen Album zu tun haben, zu dessen Genuss schon offene Ohren und ein offener Geist gehören. Aber das zeichnet uns Dub-Freunde natürlich aus!

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