Dass Joe Gibbs und Errol Thompson einige der schönsten Reggae-Klassiker der 70er Jahre produziert haben, dürfte nach dem Erscheinen der Hommage von Steely & Clevie wieder nachdrücklich in Erinnerung gerufen worden sein. Dass Gibbs und Thompson, „The Mighty Two“ aber auch hervorragende Dub-Versions ihrer Hits produziert haben, belegt das neue Pressure-Sounds-Album “ Joe Gibbs and the Professionals: No Bones For The Dogs“ (Pressure Sounds/Zomba), das sich ihrer Dub-Werke von 1974-1978 widmet. Vier Jahre mit großartigen Hits wie „Heart and Soul“ von Leo Graham, „See Them A Come“ von Culture über den Heavy-Rock-Rhythm, „Burn Babylon“ von Sylford Walker, oder auch, ganz groß, „Two Seven Clash“, ebenfalls von Culture, die hier einem Dub-Treatment der Extraklasse unterzogen werden. Höchst spannende Instrumental-Arrangements, witzige Samples (Autorennen, Hundegebell, Schüsse etc.), Sound-FX galore, Hall und Echo und vor allem eine virtuose Beherrschung des Sounds sind die wichtigsten Ingredienzien der Dub-Versions von Gibbs & Co. Doch diese Zutaten allein wären nichts wert gewesen, wenn Gibbs und Thompson nicht so hervorragendes Rohmaterial gehabt hätten. Denn ein starker Rhythm, gut arrangiert, mit swingender Bassline und ggf. schönen Gesangsmelodien ist eine Conditio sine qua non für einen guten Dub Track. Und so erstaunt es nicht, dass die Dubs auf „No Bones For The Dogs“ die 24 bis 28 Jahre seit ihrer Entstehung gut überstanden haben und heute noch so interessant und abwechslungsreich klingen, wie zu ihrer Entstehungszeit.
Bleiben wir bei den Klassikern: Nach dem kleinen Wackies-Special in der letzten Kolumne, seien hier zwei weitere Rereleases von Dub-Alben des legendären amerikanischen Reggae-Labels vorgestellt: „Jamaica Super Dub Session“ und „Natures Dub“ (beide: Wackies/EFA). Beide Alben bestechen durch ihre melodiösen Tracks und den unvergleichlichen und immer wieder faszinierenden Wackies-Sound. Mix-technisch sind die beiden Werke aus den frühen 1980er Jahren eher durchschnittlich, Groove-technisch hingegen stehen sie ganz weit vorne – was im übrigen nicht verwundern sollte, wenn man weiß, dass u. a. Koryphäen wir Leroy Sibbles und Jackie Mittoo dafür mitverantwortlich zeichnen. „Natures Dub“ startet mit einem wahren Four To The Floor-Stomper, den man eher in den 1990ern als Anfang der 1980er vermuten würde. Gerne griff Produzent Lloyd „Bullwackie“ Barnes auf das Studio One-Erbe zurück (wie alle in dieser Zeit), was seinen Rhythms diese wunderbar rollenden Basslines bescherte (und vielleicht sogar dabei half, auch seine Aufnahmen zu Klassikern werden zu lassen). Auf „Natures Dub“ bietet er uns jedenfalls eine unübertroffen minimalistische Interpretation von Rockfort Rock, nahezu komplett gestrippt auf puren Drum & Bass mit fistelnden HiHat-Anschlägen und sparsam eingesetztem Echo. Solche Tracks dürften die Minimal-Techno Produzenten Mark Ernestus und Moritz von Oswald bewogen haben, das komplette Oeuvre das Wackies-Label neu herauszubringen. Vielen Dank dafür! Der Sound auf der „Super Dub Session“ ist weicher und typisch für die Lovers-Produktionen des Labels. Sanfte Melodien und viel Hall und Echo bestimmen hier den Sound. Vor allem der aus dem Black-Ark-Studio abgehörte Drumsound drückt den Tracks seinen Stempel auf. Die Arrangements sind üppiger und musikalischer, gelegentlich gibt es sogar zaghafte Bläsersätze.
Von der Bronx geht’s nun rüber nach Brooklin, wo das Clocktower-Label seinen Sitz hat. Hausherr Brad Osbourne musste sich nie mit solchen Kleinigkeiten wie Aufnahmesessions oder mit Reggae-Artists abgeben. Er kaufte einfach in Jamaika bei Bunny Lee und Lee Perry komplette Session-Tapes ein und mixte daraus dann seine eigenen Dubs – denen er selbstverständlich auch sein Copyright verpasste. Nun sind wieder ein paar dieser Dub-Obskuritäten erhältlich: „Clocktower Records Presents Clocktower Dub“ (Abraham/Import). Hier sind u. a. schrammelige Dub-Versionen von Hits von Junior Byles, Johnny Osbourne, Dennis Brown, Augustus Pablo und den Heptones zu hören, immer wieder bunt gemischt mit Aufnahmen aus Perrys Black Ark-Studio. Obskur, schräg und eigenwillig sind die passenden Adjektive, die diese Dub-Sammlung aus den 70ern am besten charakterisieren.
Da wir gerade bei schrägen Dubs sind: „Hallucinogen In Dub“ (Twisted/EFA) legt noch eins drauf: Ein Dub-Ambient-Soundgeflecht, das zweifellos unter dem Einfluss von kleinen Pilzen entstanden ist. Sphärische Synthie-Flächen und buntes Elektronik-Gedudel sind hier die vorherrschenden Stilmittel. Sie stehen durchaus in spannungsvollem Kontrast zu soliden Reggae-Grooves und satten Basslines und machen dieses Werk für Reggae-Freunde konsumierbar. Manche Stücke klingen wie Dreadzone auf Drogen, andere wie Stockhausen auf Reggae. Eine gewisse Toleranz gegenüber musikalischen Experimenten sollte der Hörer deshalb schon mitbringen. Allerdings beruhigen sich die Tracks nach einem fulminanten Start dann doch meist etwas und entfalten schließlich eine eher meditative Stimmung. Wer open minded genug ist, der wird an diesem Album Spaß haben – wer nicht, den wird bereits das Cover abschrecken.
Da ich – ohne jeden Zweifel – open minded genug bin, habe ich mir auch das Album von Brain Damage, „Always Greener (On The Other Side)“ (Hammerbass/Import) aus Frankreich angehört. Hier erwarten den Hörer ungemein langsame, monotone Rhythmen mit fetter Sound-FX-Garnitur. Rhythm & Sound meets Wordsound meets Alpha & Omega – könnte man das Konzept kurz zusammenfassen. Allerdings ist Brain Damage weniger minimalistisch als Rhythm & Sound, nicht so experimentell wie Wordsound und nicht so düster wie Alpha & Omega. Trotzdem übt das Album eine eigenartige Faszination aus. Die meditativen Grundstimmung, der Schwebezustand zwischen Disharmonie und Groove, die Trägheit der Bassline… Es ist nicht leicht diese Faszination auszuleuchten – und es ist auch nicht leicht, sich ganz auf das Album einzulassen. Tut man es aber, dann hört man ein ganze Menge: Leise Anklänge orientalischer Melodien und indischer Harmonien z. B. oder mysteriöse Wortfetzen, die sich aus dem Sound-komplex herausschälen. Zwei schöne Akzente setzen zudem die beiden Vocal-Tracks mit Tena Stelin.
Bleiben wir in Frankreich, einer Musiknation, deren Reggae- und Dub-Schaffen erst langsam und ganz allmählich für uns sichtbar wird. Der Dub-Produzent und -Mixer Miniman befindet sich mit seinem selbstbewusst französisch betiteltem Album „En Marche Pour Sion“ (Age Of Venus/Import) auf dem Weg zum Königreich der Rastas (wie Gentleman). Daran, dass er diesen Weg festen Schrittes bewältigt, lassen seine stampfenden Steppers-Rhythms keinen Zweifel. Das ganze Album erscheint wie ein Dejà-vu aus den 90er Jahren, Disciples, Rootsman und Zion Train lassen grüßen. Doch das scheint Miniman nicht zu stören: Er kümmert sich nicht um den aktuellen Trend im Business, er legt keinen Wert darauf,Käuferschichten außerhalb der französischen Reggae-Gemeinde zu gewinnen und er braucht keine zugkräftigen Gäste, die seine Tracks voicen. Er macht einfach seine Musik – kompromisslos und konsequent. Was soll daran schlecht sein? Da passt es nur zu gut, dass er sich in seinem Ikea-Schlafzimmerstudio fotografieren lässt. So viel Selbstbewusstsein muss man haben!
Die Groove-Corporation aus Birmingham steht hingegen für den modernen Club-Sound des Dub, der vielfältige Einflüsse der elektronischen Musik einbezieht und ganz im Hier und Jetzt verortet ist. Mit „Dub Plates From The Elephant House Volume Two“ (Different Drummer/EFA), packen sie zum zweiten Mal ihre Dub-Plate-Kiste aus und zeigen, wo sich der Status Quo des Genres zurzeit befindet. Ihr Spektrum reicht von spannenden Crossover-Sounds (wie „Clever Kid“, das wie ein Dub-Remix des Gotan Projects klingt) über Trip-Hop-Experimente bis hin zu knallharten Dancefloor-Steppers-Rhythmen. Vielfalt scheint das grundlegende Prinzip bei G-Corp zu sein, denn jeder Track hält neue Arrangements, neue Sounds und neue Überraschungen bereit. Eine Eigenschaft, die gerade im Dub viel zu selten ist. Sie lassen keinen Zweifel daran, welch großartige Potential in diesem Genre steckt und wie sein Weg in die Zukunft auszusehen hat. Musikern wie G-Corp ist es zu verdanken, dass Dub seinen Platz im Reigen zeitgenössischer elektronischer Musik gefunden hat und dort seine unüberhörbaren Einflüsse geltend macht. Insofern sind die Dub-Plates der Groove Corporation die exakte Antithese zu den Tracks von Miniman: Moderne Club-Sounds mit starken Wurzeln im Reggae.
Wie stark Dub die gegenwärtigen Club-Sounds zu beeinflussen vermag, zeigt im Übrigen das neue Album der Thievery Corporation, „The Richest Man In Babylon“, dessen Titel schon deutlich macht, dass es dem Reggae nicht fern steht. Hier finden sich einige astreine Dub-Tracks, auf die selbst die vorgenannte Corporation aus Birmingham neidisch sein dürfte. Rob Garza und Eric Hilton, die beiden Eklektizisten in Person, haben gut aufgepasst und ihre eigenen Dub produziert, die sie zwischen wunderschönen Lounge-Tracks mit kräftigem Worldmusic-Einschlag eingebettet haben. Doch das nur am Rande. Wenden wir uns lieber einem anderen Dub-Außenseiter zu: den Bad Brains. Die dreadgelockten Punkmusiker aus Washington haben mit „I’n’I Survive Dub“ (Reggae Lounge/Groove Attack) doch tatsächlich ein lupenreines Dub-Album vorgelegt. Lupenrein…? Nicht ganz, denn es kann schon mal vorkommen, dass brachiale Gitarren-Punk-Einsprengsel den moderaten Groove der Basslines unterbrecheb und ohne Rücksicht auf Verluste die Ohren freifegen. Erstaunlicherweise harmoniert das sogar ganz gut. Die „normalen“ Dub-Tracks sind in der Tat recht normal – abgesehen davon, dass sie handgespielt sind, was man deutlich hört, zumal auch der Sound nach Live-Atmosphäre klingt. Arrangements, Instrumentierung und Dub-Mixes bleiben ziemlich auf dem Teppich und mancher Track dürfte gerne auch etwas druckvoller gespielt sein. Schön hingegen ist die Bläser-Sektion, die heute im Reggae leider viel zu selten ist. Unweigerlich stellt sich bei diesem Album die Frage, für wen es wohl gemacht ist. Für Reggae-Fans wohl kaum, denn dann müsste es mehr bieten. Und ob sich Freunde des Punk ein Dub-Album zu Gemüte führen, muss an dieser Stelle leider eine offene Frage bleiben. Hört man sich aber manche Hardcore-Dancehall-Produktionen an, dann scheinen sich die Grenzen zwischen Punk und Reggae ohnehin aufzulösen …