Ehrlich gesagt frage ich mich gerade, zu welchem Künstler, welcher Künstlerin oder Kunststil dieses „Album“ passt. Keine Ahnung! Aber es müsste etwas Vielseitiges sein, das trotzdem eine gewisse Einheit und einen roten Faden erkennen lässt. Genau genommen handelt es sich ja auch nicht um ein klassisches Dub-Album, es sind vielmehr drei 12″ Vinyl-Veröffentlichungen, die insgesamt sechs verschiedene Riddims enthalten, einen auf jeder Plattenseite („The Vibe / Reggae Rub-A-Dub“, „Born As A Winner / Mr Officer“, „À mes Youths / Babylon Tremble“). Und diese Songs finden sich allesamt auf dem Album „MIXXTAPE“, welches im Dezember 2023 veröffentlicht wurde, damals einfach ohne Dub-Versionen und wohl deshalb an mir vorbei ging, ohne dass ich Notiz davon nahm. Was auffällt: in der digitalen Bundle-Version sind die Titel anders angeordnet, als wenn ich die drei einzelnen LPs nacheinander in Reihenfolge auf den Plattenteller legen würde. Die Original Bass Foundation präsentiert hier ein Werk, das experimentell, brachial, energiegeladen, psychedelisch, schräg, poppig, elektronisch, eingängig, deep, groovy, technoid, punky und wohl noch einiges mehr in einem Guss ist und einen gewissen Sog entwickelt: ich will es immer wieder hören, ohne genau zu wissen weshalb.
O.B.F ist ein Sound System, das im französischen Grenzgebiet vor Genf (Schweiz) angesiedelt ist und seit den Nullerjahren vor allem in Genf und der damaligen Hausbesetzerszene aktiv war. Der Produzent und Selektor Rico O.B.F, Operator G und Manager Stef bilden den Kern der Crew und haben von Genf aus nach den Squats (besetzten Häusern) in den letzten zwei Jahrzehnten langsam die Dancehalls in Europa und dann der ganzen Welt erobert. Ich muss sagen, dass ich längst nicht alles mag, was über das hauseigene Dubquake Records-Label herausgebracht wird. Einige wenige EPs und Singles habe ich mit den Jahren jedoch richtig ins Herz geschlossen (erwähnenswert „Do me right“, „Katibim“ oder „Heavyweight Sound“). Vieles ist mir jedoch zu elektronisch, zu brachial oder zu geradeaus stepperlastig mit durchgehend treibenden „Four-on-the-floor“-Beats. Persönlich habe ich es lieber im Roots Reggae-Style oder akustischer. Nichtsdestoweniger bin ich von diesem Album sehr angetan und feiere die verwendeten Synthesizer-Sounds, Beats und die Synth-Basslines geradezu. Insbesondere die Dub-Versionen sind schlicht genial und nicht konventionell, sondern mutig und zum Teil ziemlich experimentell gemischt und mit Effekten versehen.
Der „Born As A Winner“-Riddim ist simpel, praktisch aus einem Piano-Lick, aufgemotzt mit einem unisono Bass, Offbeat und einem rhythmischen elektronischen Blubbern versehen (als wäre gerade eine dicke Sauce am Köcheln). Zwischenzeitlich ertönt eine einstimmige Synthie-Melodie. Zwei verschiedene Vocal-Versionen, einmal eher partymässig von Rider Shafique, einmal eher conscious-rastamässig von Mikey General. Danach der „Dub as a Winner“, mit viel Hall, ein- und ausgeblendeten Spuren, Delay, Filterdrehen, Stopps. Sehr spannend und intelligent, ich stehe auf Dub-Versionen dieser Art. „À mes Youths“ danach ist ein harter (aber logischer?) Wechsel, vor allem vom Sound der Synthesizer her gesehen. Ein treibender Stepperbeat peitscht dieses Instrumental vorwärts, fast als wäre da ein apokalyptischer Reiter hinter ihm her, hart und irgendwie elektronisch verzerrt, um zuletzt wieder mit dem anfänglich sanften Synthieteppich den Kreis zu schließen. Die Version davon „À mes Anciens“ ist dann ein erster Höhepunkt. Rico O.B.F zieht den Riddim in die Länge und erzeugt dabei eine drückende Stimmung voller innerer Unruhe, der man sich nicht entziehen, sondern hingeben will und was er da mit den Reglern und Drehern am Mischpult und an den Effektgeräten alles macht, würde ich gerne einmal Live erleben. Zeitweise ist es nur noch am Rauschen und Vibrieren, groß. Er ist mutig, wagt etwas und gewinnt meiner Meinung nach auf der ganzen Linie, da er die Hörer:innen wirklich überrascht und ihnen einiges abverlangt. Bei mir geht es aber immer nur so weit an die Grenze, dass ich voll dabei bleibe. Nie wird es mir zu viel. Mit dem unverschämt poppigen und dancehallartigen Beginn von „The Vibe“ folgt erneut ein Bruch, der erst irritiert, sofort aber mitnimmt und die gewisse Schwere von davor komplett vergessen lässt. Kurve gekratzt. Überraschenderweise ertappe ich mich dabei, wie ich diese elektronische Bassline richtig fühle. Danach wird es mit dem „Mr Officer“-Riddim thematisch militant und es geht soundmässig wieder härter zur Sache. Hört selbst in diese immer wieder sehr guten, aussagekräftigen und interessanten Mixes und Effektpassagen rein. Ich bin hin und her gerissen und doch zuletzt fasziniert immer wieder auf dieses Album zurückgekommen und bin mir sicher, dass dieser Sound eher polarisiert als vereint. Rico versteht sein Handwerk bis ins letzte Detail und liefert hier eine überdurchschnittlich gute und außergewöhnliche Arbeit ab. Dafür kann es nur ein „Sehr gut“ geben! Und doch fehlt beim fünften Stern die eine Hälfte!