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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, März 2006

Wer von Dub-Samplern spricht, denkt zweifellos an die 1990er Jahre, der Blütezeit des Genres, als der Musikmarkt mit Dubware geradezu überschüttet wurde. EFA-Records (Gott habe sie seelig) importierte was das Zeug hielt und brachte hunderte von Dub-Compilations in die deutschen Läden. Doch diese schöne Zeit ist leider unwiederbringliche Vergangenheit, und nachdem auch Echo Beach das Erscheinen der King Size Dub-Sampler eingestellt hat, ist diese Spezies ausgestorben. Ganz ausgestorben? Nein, ein kleines, unbeirrbares Label im UK leistet Widerstand und publiziert unverdrossen eine traditionsreiche Compilation-Serie. Die Rede ist von Tanty Records (www.tantyrecords.com) – oder besser gesagt – von Kelvin Richards, der One-Man-Show hinter der Labelfassade. Seit den frühen 1990er Jahren trägt er mit höchst individuellem Geschmack ausgewählte Dub-Releases zusammen und publiziert sie unter dem irreführenden Titel „Roots Of Dub Funk“. Mit Funk hat seine Auswahl nämlich wenig zu tun, dafür umso mehr mit tonnenschweren Bässen, trägen Beats und 100% One Drop. Hier geht es also nicht um Crossover, Experiment oder gar Avantgarde. Nein, hier geht es um Traditionspflege im besten Sinne, es geht um das, was landläufig unter UK-Dub verstanden wird, wobei – und das ist eine äußerst spannende Entwicklung – von den 14 Tracks des neuen Albums „Roots Of Dub Funk 5“ (Tanty Records/Import) nur 5 tatsächlich aus dem UK stammen. Dub ist heute eine ganz und gar internationale Musik, deren Protagonisten von Kelvin zu Recht „today’s global dub warriors“ genannt werden. Versammelt hat er hier, auf der 5. Ausgabe der „Roots Of Dub Funk“, Dub- Krieger aus Kanada, den Niederlanden, den USA (Groundation), Australien, Schweden, Brasilien und Frankreich (Peter Broggs). Aus Großbritannien kommen die bekanntesten Namen: Vibronics, Alpha & Omega, Abassi All Stars und Mad Professor. Was hier disparat klingt, fügt sich akustisch zu einem wunderbar homogenen Dub-Album auf höchstem Niveau – auf dem es definitiv keinen einzigen Filler gibt. Ein Album, das zwar keinen Innovationspreis verdient, dafür aber einen Orden für Traditionspflege und unbeirrbar guten Geschmack – abgesehen von der miserablen Covergestaltung – was aber bei Dub leider auch schon Tradition ist.

Ein Album, das soundtechnisch perfekt zu „Roots of Dub Funk 5“ (siehe Kasten) passt, ist der „Showcase“ (Wibbly Wobbly) von den Abassi All Stars. Hinter den All Stars steht tatsächlich nur eine Person, nämlich Neil Perch, Labelchef von Universal Egg, Deep Root und Kopf von Zion Train. Dass er seit den frühen Zion-Train-Meisterwerken nicht verlernt hat, kraftvolle, inspirierte und schön melodiöse Tracks zu produzieren, zeigt dieses spannende Album. Anders als der Titel vermuten lässt, werden hier ausschließlich Vocal-Tracks präsentiert, von überwiegend unbekannten UK-Artists. Lediglich Earl 16, Luciano und Dubdadda sind einem größerem Publikum bekannt. Alle beteiligten Artists liefern äußerst schöne, prägnante und hervorragend gesungene Tunes ab. Earl 16s Opener „Stem the Tide“ legt die Latte bereits sehr hoch, doch der Höhepunkt ist wohl Sis Sanaes Track „Suffering“, in dem die Sängerin ihre sanfte aber starke Melodie selbstbewusst dem brachial treibenden Beat entgegenstellt. Lucianos Tune „What We Gonna Do“ ist ungewohnt düster und schwer, während Fitta Warri seine Interpretation von Sizzla über einem bemerkenswerten Uptempo-Steppers abliefert. Zwei Tracks weiter meldet er sich nochmals mit „Never Sell My Soul“ zu Wort und präsentiert einen weiteren herausragenden Track des Albums. Hier hat Perch ein weiteres kleines Meisterwerk geschaffen. Es ist kaum zu glauben, dass er nach rund 15 Jahren im Geschäft noch immer geradezu übersprudelt vor Ideen. Dafür ist es andererseits umso enttäuschender, dass es nur einen MP3-Release (iTunes) des Albums geben wird. Times are changing. 

Verändern wir allmählich den Sound und werden ein wenig experimenteller: „Negril To Kingston City“ (Nocture/Rough Trade) heißt das Album der Transdub Massive, dessen hervorstechendes Merkmal der reizvolle Kontrast zwischen der Beständigkeit des Beats und der Dissonanz eingestreuter, sperriger Soundeffekte ist. Beat und Mix arbeiten hier scheinbar gegeneinander. Immer wenn eine der beiden Seiten droht, die Überhand zu gewinnen, wendet sich das Blatt. Eben wollten die Stimmfetzen und das Melodikaspiel sich verselbständigen, schon setzt der ruhige Bass ein und holt sie auf den Boden zurück. Sehr interessant ist das – und auch äußerst schön. Natürlich kaum geeignet im Hintergrund vor sich hinzupluckern und warme Atmosphäre zu verbreiten. Aber beim konzentrierten Hinhören bietet es eine phantastische Reise durch das Zauberland des Sound. Abgesehen davon, dass es sich hier um französische Produzenten handelt, ist wenig über Trancedub Massive bekannt. Aber nach diesem Album wird sich das bestimmt ändern.

Das Manifest des experimentellen Dub formulierte 1978 (zwei Jahre vor Adrian Sherwoods „Starship Africa“!) der britische Künstler und Musiker David Cunningham unter dem Titel „The Secret Dub Life Of The Flying Lizards“ (Piano). In jenem Jahr bekam er ein Mono-Tape mit Produktionen von Jah Lloyd ausgehändigt, mit dem Auftrag, es für Virgin Records zu remixen. Cunningham – ein Freund minimaler Sounds – war verzweifelt, denn das zusammenkopierte Mono-Material war praktisch „unremixbar“. Also ging er mit dem Werkzeug des Minimal-Musikers ans Werk, schnitt, loopte und filterte das Tape nach allen Regeln der Kunst und jagte es durch diverse Effektgeräte. Das Ergebnis ist ein gänzlich untypisches, dezent verkopftes, minimalistisches, dafür aber maximal faszinierendes Dub-Werk, das seiner Zeit um rund 30 Jahre voraus war – weshalb es jetzt, zum richtigen Zeitpunkt, rereleased wird.

Zum Schluss eine starke Dosis Old School: „Soul Syndicate Dub Classics“ (Jamaican Recordings). Niney the Observer ist bekannt für seine schweren, wuchtigen und kraftvollen Rhythms, über die er mit Bravour Sänger wie Dennis Brown, Barry Brown, Max Romeo und Gregory Isaacs produzierte. Wäre es nicht spannend, diese Rhythms einmal pur zu hören, ihren Sound auszukosten und sich von der Energie mitreißen zu lassen? Jah Floyd, vom Reissue-Label Jamaican Recordings, hat nun 14, der von King Tubby gedubbten B-Seiten bekannter Niney-Singles, zu einem Album zusammengestellt. Hierunter finden sich ganz erstaunliche Cuts. Unglaublich ist z. B. „Dub in Heaven“, die Dub-Version von Horace Andys „You Are My Angel“. Dieser knochentrockene, alles dominierende Bass gehört zum Erstaunlichsten, was ich aus den 70er Jahren je gehört habe. Stripped to the bone – im wahrsten Sinne. „Dub A Long“ ist ähnlich fundamental, nur das Rockers-Schlagzeug bringt eine gewisse Leichtigkeit in den Track. Interessant ist auch „Niney’s Dub Crown“, ein Dub, der später als Augustus Pablos Version „555 Crown Street“ weltberühmt wurde – hier ist das Original zu hören. Selten waren brillant gespielte Rhythms und hochinspirierte Tubby-Mixe so perfekt vereint wie hier.

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