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Ghost Dubs: Extended Damaged Versions

Das letztjährige Album „Damaged“ (Pressure) von Ghost Dubs (alias Michael Fiedler, alias Jah Schulz) stieß ja bereits gewagt tief in den Grenzbereich des Genres vor. Jetzt ist mit „Extended Damaged Versions“ die – äh – Dub Version von „Damaged“ erschienen. Dem Titel nach also wörtlich „ausgedehnte Versionen der Beschädigung“ – das verheißt nichts Gutes. Es gab ja schon zu „Damaged“ Stimmen, die Fiedler Musik als „Studio-Testsounds“ bezeichneten. Ich würde präzisieren, dass es insbesondere um einen Test der Membranschwingungstiefe von Subwoofer-Scoops ging. Aber im Ernst: Die Musik von Ghost Dub ist streng genommen eine Neuinterpretation jener Sounds von Basic Channel/Rhythm & Sound aus den frühen 2000er Jahren, die damals das Spannungsfeld zwischen Minimal Techno und Dub austesteten. Im Vergleich zu „Damaged“ bricht Mr. Ghost Dubs bei den „Damaged Versions“ das typische Shuffle-Muster des Originals auf, fordert die Hörgewohnheiten noch weiter heraus, dreht den Bass noch mehr rein und lässt die Musik dadurch noch abstrakter, noch dunkler, noch böser werden. Auch wenn wir glaubten, „Damaged“ geht an die Grenzen dessen, was Dub sein kann, so belehrt und Fiedler: Es geht noch weiter. „Exdended Damaged Versions“ ist eine Reise durch dystopische Klanglandschaften, ein Sounddesign-Labyrinth, das mehr mit experimenteller Elektronik als mit Roots-Ästhetik gemein hat. Und doch steckt tief unter den dicken Schichten aus Bass und Delay der treibende Beat von Reggae, dekonstruiert und in super Slow Motion, aber doch auch organisch und dynamisch. Tracks wie „Dub Regulator“ brechen mit roher Wucht aus den Boxen, ein massiver, technoider Groove, der sich hypnotisch voran wälzt. „Chemical Version“ hingegen ist ein Strudel aus Delay-Spiralen, eine klangliche Täuschung, die in ihrer Tiefenstruktur an die besten Werke des deutschen Techno-Pioniers Porter Ricks erinnert. „Thin Dub“ ist ein weiteres Highlight, eine klangliche Verdichtung aus Hall, Echo und minimalistischer Percussion, die sich im Nichts aufzulösen scheint und doch alles andere als substanzlos wirkt. Die Essenz dieses Albums liegt in der völligen Hingabe an das Mischpult als Instrument, an das Prinzip der klanglichen Dekonstruktion. Fiedler zerstückelt seine eigenen Tracks, transformiert sie in neue Gebilde, die fragmentarisch, aber keineswegs unzusammenhängend wirken. Besonders das abschließende „Lobotomy Version“ zeigt, dass hier nicht einfach nur Dub produziert wurde, sondern eine Art sonisches Ritual stattgefunden hat – ein hypnotischer, ambienter Abstieg in die tiefsten Regionen der Bass-Abgründe.

Bewertung: 4.5 von 5.

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Danny T & Tradesman: Wicked City

Ich muss gestehen, Danny T und Tradesman hatte ich schon fast vergessen. Das Produktionsduo aus Leeds, spezialisiert auf Dancehall und UK-Steppers, ist nämlich nicht gerade für seine Produktivität bekannt. Ein Blick in seine Diskographie zeigt: Ein Album von 2017 und ein Remix von 2019, das war’s bisher. Aber jetzt, nach satten sieben Jahren, melden es sich zurück mit einem neuen Werk: „Wicked City“ (Moonshine Recordings). Das Album enthält zwar nur sechs Tracks (also weniger als einen pro Jahr), aber wie sagt man so schön? Was lange währt, wird endlich gut. Die Tracks sind digitale Produktionen, ganz klar mit dem Fokus auf Sound System Sessions produziert. Also Dubs, die ordentlich Härte mitbringen und keinen Hehl daraus machen, dass sie digitalen Ursprungs sind. Was mir besonders auffällt, sind die erstaunlich fantasievollen Arrangements. Schöne Drumpatterns und Percussions, brutale, elektronisch verzerrte Basslines und viele kleine Melodien, die sich geschickt einfügen. Klar, eigentlich das übliche Zeugs, könnte man sagen. Aber hier ist es so umgesetzt, dass man es auch bewusst anhören und gemütlich zuhause auf dem Sofa genießen kann. I like it.

Bewertung: 3.5 von 5.
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Five Star Review

Hornsman Coyote Meets House of Riddim: Madman Slide

Was für ein schönes Album: Hornsman Coyote Meets House of Riddim, „Madman Slide“ (House of Riddim)! Eines der beeindruckendsten Werke, die ich in den letzten Wochen gehört habe. Die Rhythms sind satt, dynamisch, voller Wärme und Emotion – und dazu dieses beeindruckende Lead-Instrument: die Posaune. Sie klingt einfach majestätisch. Wahrscheinlich liegt es an ihrer dunklen Klangfarbe und dem relativ hohen Tieftonanteil im Vergleich zur Trompete, dass sie so warm, entspannt und souverän klingt – genau das, was perfekt zu Dub passt. Kein Wunder, dass auch die Band Message jüngst die Posaune als Lead-Instrument einsetzte. Hornsman Coyote zeigt uns, wie vielseitig das Instrument sein kann: mal sanft und groovend, mal energetisch und treibend. Manchmal umschmeichelt sie den Rhythmus, manchmal klingt sie wie die Posaunen von Jericho. Sieben Tage lang Posaunenspiel lässt die stärksten Mauern einstürzen – so behauptet es die Bibel. Hornsman spielt die Posaune 11 Tracks lang, was sich auf 43 Minuten addiert, bei der richtigen Lautstärke aber auch Wände wackeln lässt. Wichtig: Wer bei „Instrumentalalbum“ und „Posaune“ an Dean Frasers Saxophon-Exkursionen denkt, braucht hier keine Angst zu haben. Anders als bei Fraser, wo das Saxophon oft etwas isoliert über den Rhythms schwebt, interagiert Hornsmans Posaunenspiel harmonisch mit den Backings, ist darin geradezu eingebettet und verbindet sich organisch mit den Rhythms, ohne je aufdringlich zu wirken. Dazu wendet Hornsman einen cleveren Trick an: Er spielt die Posaune häufig auf zwei Spuren, die im Mix übereinander gelegt werden, was das Instrument weicher und sanfter klingen und es noch stärker mit den Rhythms verschmelzen lässt. Aber all das wäre nur halb so beeindruckend ohne die grandiosen Backings von House of Riddim. Diese österreichische Band gehört wirklich zu den Besten – ihre Produktionen sind handwerklich meisterhaft und zeigen, wie gut Reggae und Dub klingen kann.

Bewertung: 5 von 5.
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Charts Review

Dubblog Jahres-Charts 2024

Es ist wieder so weit: Wir servieren euch unsere Dub-Top 5 des zu Ende gehenden Jahres. Wie ihr seht, zählt bei uns Diversity. Wie sollte es bei einem so facettenreichem Genre auch anders sein? Wir sind auf eure Kommentare gespannt.

Top 5 von René

Message: Showcase II

Großartige, live eingespielte Intrumentals, zusätzlich mit Dub-Versionen. Was will man mehr?

Pinnacle Sound: In Dub Vol. 1

Kein Remake sondern ein Newmake mit den fantastischen Stilmitteln der Vergangenheit – und ein großartiges Dub-Album.

Philipp Greter: Greter than Dub

»Greter« meint hier wohl »über Dub hinaus«, denn genau das liefert dieser faszinierende Stilmix, der zeigt, was Dub alles sein kann.

Dreadsquad: Reggae From the Desert

Dreadsquad is back – und so ganz anders, als erwartet. Erwachsen geworden! Schöne, inspirierte Instrumentals, superb ausgeführt und mit perfekten Sound.

Message: Showcase I

Überragendes Album. Unter der Regie von Roberto Sánchez eingespielte Instrumentals und Dubs. Selten so viel Spielfreude gehört.

Top 5 von Ras Vorbei

Christos DC: Kung Fu Action Theatre

Kein überbordendes Dub-Feuerwerk, sondern ein exzellenter meditativer Klangteppich mit ruhig mäandernden Riddims ohne viel Schnickschnack.

Horace Andy: Showcase (Deluxe Edition)

Ein lange verschollenes Album erlebt seine Renaissance.

Roots Architects: From Then ‚Til Now

Ein wunderbares musikalisches Vermächtnis.

Keith Hudson: Playing It Cool & Playing It Right (Re-Release)

Ein ganz eigener Sound, den nicht nur ich hypnotisierend finde.

Mick Dick: A Dub Supreme

Eine vierteilige kulturübergreifende Reise, bei der sich Reggae-, Jazz-, Dub- und Trip-Hop-Grooves zu einer kinematischen Palette verbinden.

Top 5 von gtk

Adubta & Roots Organisation: A Tale Of Dubbing Horns

Platz 1 geht diesmal nach… Bayern! Adubta verwandelt ein eher jazzig gehaltenes Album der Grazer Roots Organisation in ein basslastiges Monster mit Mörder-Dynamik. Schmäh-ohne!

Ras Teo: Ion Man in Dub

Ras Teo, Zion I Kings und Lone Ark machen gemeinsam Musik – das konnte wenig überraschend nur gut gehen, sowohl in der Vocal- als auch in der Dub-Version. Das gilt für Teil 1 der Aufnahmesession…

Ras Teo: Up Fi Jah in Dub

… als auch für Teil 2. Bei beiden Alben treffen die Melodien von Ras Teo auf die musikalischen und produktionstechnischen Qualitäten von Roberto Sanchez, David Goldfine und Laurent Alfred, die sich hier wunderbar ergänzen.

Hornsman Coyote Meets House of Riddim: Madman Slide

Wer’s eher knackig-rockig mag, kommt an Sam Gilly’s House of Riddim nicht vorbei – das gilt auch für diese Kollaboration mit Posaunisten Hornsman Coyote. Da wird auch nicht mit Effekten gegeizt!

Prince Fatty: Dub Battle For Seattle

Da hat uns Prince Fatty tatsächlich 13 Jahre auf die Dub-Version von Little Roy’s ebenso feinem wie kuriosem „Battle for Seattle“-Album warten lassen. Wie konnte er nur!

Top 5 von Philipp K

Emanuel & The Bionites: Nations Shall Know

Dieses Werk dreht am meisten Runden auf meinem Teller. Gross! Seit der Veröffentlichung „Zipporah“ (2020) bin ich dem Sound und der Magie von Emanuel & The Bionites verfallen. Kaum zu glauben, dass diese Musik Made in France ist.

Spiritual Food: Hooligan / Point Finger Pon

Wie bereits in der Rezension nachzulesen, begeistern mich diese beiden Riddims und ihre Versions sehr. Reggae und Dub vom Feinsten, Seelennahrung pur.

Dennis Bovell: Sufferer Sounds

Eine Compilation, die das beste und ausgesuchte Versionen und Mixes vom Blackbeard aus den Jahren 1976 – 1980 versammelt und das Sufferer Sound System nochmals hochleben lässt. Relevant.

Dub Shepherds: Tape Me Out Vol. 5

Mein Dub-Jahr 2024 geht eindeutig an Frankreich. Das Label BAT Records und die Dub Shepherds stehen für unglaublich gute und hochstehende Reggae- und Dub-Produktionen, die mich in den meisten Fällen vollumfänglich überzeugen.

Dreadsquad: Reggae From The Desert

‚Welche Wüste?‘, frage ich mich gerade. Ist eventuell die Dub- und Reggae-Wüste Polen gemeint? Keine Ahnung und egal, denn dieses instrumentale Album ist Reggae-Dub-Ethio-Jazz vom Feinsten. Orgel, Saxophon, Flöte, Melodica (gehört einfach dazu) und gutes Arrangement stechen für mich heraus…

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Statik Sound System: In Dub, Vol. 1

Das Label Echo Beach hatte ja schon immer eine Vorliebe für historisches Dub-Material im Crossover-Bereich, und ich muss sagen, die Tracks auf dem Album „In Dub, Vol. 1“ von Statik Sound System passen perfekt ins Label-Repertoire. Statik Sound System war eine Trip-Hop-Band aus Bristol, die Mitte der 90er vier Alben und ein paar Singles veröffentlicht hat. Echo Beach hat sich durch dieses Archiv gewühlt, die neun dub-kompatibelsten Tracks herausgefischt und auf ein Album gepackt. Die meisten davon sind zwar kein klassischer Reggae (dafür gibt’s aber vier Drum ’n’ Bass-Tracks), aber wenn man – wie ich – z. B. Dreadzone oder More Rockers mag, kann man auch mit dem Statik Sound System einiges anfangen. Ihr bekanntester Track, „Revolutionary Pilot“, der durch die DJ-Kicks-Compilation von Kruder & Dorfmeister weltweit bekannt wurde, ist auch hier ein zentraler Punkt. Mehrere Remixes, darunter einer von More Rockers und eine Version von Rob Smith, sorgen für Abwechslung. Das Album ist für mich eine sentimental-nostalgische Reise in die Vergangenheit, in eine Zeit, in der diese Sounds echte Avantgarde waren. Tracks wie „Secret Love“, „Free to Choose“, „Vacuum“ und das emotionale „So Close“ klingen so wunderschön nach den 1990er Jahren – und zeigen zugleich die ganze Bandbreite der Band. „In Dub, Vol. 1“ ist ein Erinnerungsstück an eine Ära, in der fette Beats, verträumte Melodien und das Spiel mit Dub-Rhythmen die Musikwelt verzauberten. Ja, der Sound ist eindeutig historisch, aber irgendwie klingen die Tracks in meinen Ohren trotzdem noch frisch. Vielleicht liegt es daran, dass es eben kein klassischer Dub ist, sondern eher ein stilistisch nicht ganz so leicht verortbares Dub-Experiment.

Bewertung: 4 von 5.

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King Size Dub 24

Und da ist sie wieder, die neue „King Size Dub“! Aktuell ist es „King Size Dub 24“ (Echo Beach). Fünf Jahre wurden unterschlagen, denn Reihe existiert schon seit 29 Jahren. 2024 steht also ein Jubiläum an! Die aktuelle, 24igste Ausgabe präsentiert satte 23 Tracks – laut Label sind 90 Prozent davon exklusive Titel. Natürlich sind die bekannten Namen aus dem Echo Beach-Stall dabei, unter anderem Noiseshaper, Dubblestandart, Dub Spencer & Trance Hill, Dub Syndicate, Illbilly Hitec, Dubinator und – wie sollte es anders sein – Martha & The Muffins. Aber es gibt auch eine ganze Menge frischer Artists außerhalb des bekannten Echo Beach-Universums. So überraschen Blundetto & Soul Sugar mit dem bescheidenen, ruhigen „Don’t Cry, It’s Only the Rhythm“ – eine wirklich äußerst schöner Tune. aDUBta liefert eine dumpfe, drückende und irgendwie magische Version des Cassava Piece-Riddims ab, die mich in ihren Bann zieht. Captain Yossarian kontert mit dem funkigem „Expensive Shit“. Insgesamt empfinde ich das Album als wunderbar frisch – es präsentiert mal wieder das große Spektrum des Dub. Label-Inhaber Nicolai ist ja bekannt dafür, dass er nicht viel von Genregrenzen hält, und genau diese Einstellung lässt jede neue King Size Dub zu einem spannenden Überraschungspaket werden. Ich bin jetzt schon gespannt auf die #30. No pressure, aber die muss groß werden!

Bewertung: 4 von 5.
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Ashkabad: Outernational Skankers

Als Dub-Liebhaber habe ich das Duo Anthony Antcliffe und Bastien Raymond, besser bekannt als Ashkabad, schon länger auf dem Schirm. Die beiden Musiker aus Avignon sind spätestens seit ihrem Album „Fire Drop“ von 2022 in der Dub-Szene ein Begriff. Ihr Debüt „International Skankers“ erschien bereits 2016, jetzt liefern sie mit „Outernational Skankers“ die Remix-Version nach. Acht der ursprünglich zehn Tracks haben sie aktuellen Größen der Dub-Szene für Remixes überlassen – mit dabei sind unter anderem Ondubground, Alpha Steppa, Tetra Hydro K und Bukkha. Das Ergebnis ist ein kraftvolles Update der beinahe schon historischen Aufnahmen von vor acht Jahren. Der Begriff „Remix“ ist hier Programm: Es handelt sich um echte Reworkings und nicht nur um Dub-Mixe. Das bringt reichlich Abwechslung, denn die Remixer haben jedem Track neue Rhythms verpasst. So ist Alpha Steppas Mix ist unverkennbar Deep-Dub, Tetra Hydro K liefern einen dubbigen Drum’n’Bass-Track ab, und Ramiya steuert ein elegisches Downtempo-Stück bei. Immer wieder höre ich musikalische Zitate und Samples aus exotischen Musikkulturen – ein Element, das ich generell sehr schätze. Für Dub-Puristen mag „Outernational Skankers“ vielleicht etwas zu extrovertiert wirken und gelegentlich die Genregrenzen überschreiten. Aber wenn man seine Ohren mal mit frischem Wind durchlüften möchte, findet man hier genau die richtigen Klänge – und sei es nur, um anschließend umso lieber wieder in die vertraute Welt des klassischen Dub zurückzukehren.

Bewertung: 4 von 5.
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Alpha Steppa: Collision of an Ancient Mind and a Modern World

Mich fasziniert der meditative, melancholische und abgrundtiefe Sound von Alpha Steppa. Die DNA von Vater und Tante, also von Alpha & Omega ist unverkennbar, und es gibt kaum einen aktuellen Dub-Artist mit einem so einzigartigen Signature Sound. Mad Professor war früher ähnlich erkennbar – und natürlich Alpha & Omega. Mit seinem Stil setzt sich Alpha Steppa deutlich von der konventionellen Steppers-Szene ab, bleibt aber zugleich hundertprozentig Sound System-kompatibel. Auch beim aufmerksamen Zuhören über Kopfhörer hat seine Musik viel zu bieten: Sie ist vielschichtig, komplex und nie langweilig. Zudem hat der Thronfolger in der Dub-Dynastie ein geniales Händchen für begnadete Vocal-Artists. Nai-Jah war für mich eine solche Entdeckung, aber auch Awa Fall und Wellette Seyon, mit denen er komplette Solo-Alben veröffentlichte. Sein neues Album „Collision of an Ancient Mind and a Modern World“ (Steppas) besticht wieder mit großartigen Vocal-Tunes. In der digitalen Version ist das Album zweigeteilt: Disc 1 enthält zwölf Vocal Tunes, unter anderem von Joe Yorke, Tanganyika, Sheila Langa, Fikir Amlak und Ras Tinny in einem Acapella-Solo. Disc 2 liefert dann die Dub-Versionen nach. „This album features some of my favourite voices in contemporary reggae and beyond, from Jamaica, the UK, Zimbabwe, the Seychelles, Brazil, the USA, Senegal, Italy, and Spain“, erklärt der Dub-Produzent. „With this record I set out to build a unique sound and atmosphere, the idea was to blend the rich heritage of dub with a vibrant, futuristic musical landscape.“ Beim Thema „Atmosphäre“ habe ich keine Einwände – im Gegenteil: Es ist hier immer wieder die Atmosphäre seiner Musik, die mich einnimmt und fasziniert. Wer allerdings bei „futuristic musical landscape“ an Einflüsse unterschiedlicher Musikkulturen denkt, liegt meiner Meinung nach falsch. Hier ist alles 100 Prozent Reggae und Dub und typischer Alpha Steppa-Sound. Nichtsdestotrotz liefern die Vocalists durch die Bank richtig gute Songs ab. Jeder einzelne Track präsentiert eine ausgefeilte Melodie, und fast alle glänzen sogar mit cleveren, sozialkritischen Texten auch jenseits Reggae-typischer Themen. Vielleicht ist auch der Albumtitel auf diese sozialkritische Tonalität gemünzt, denn linke, auf Gerechtigkeit und Diversität zielende Haltungen werden in unserer modernen Welt ja unverkennbar immer seltener.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Message: Showcase II

Ich liebe den hypnotischen, harten Dub-Sound von Soundsystem-Sessions – diese repetitiven Rhythmen ziehen mich immer wieder in ihren Bann. Aber in letzter Zeit wächst meine Begeisterung für handgemachte, analog produzierte Musik noch stärker. Ich habe das Gefühl, dass sie „reicher“ und der Klang komplexer ist – natürlich nur, wenn sie richtig gut gespielt, aufgenommen und produziert ist. Abgesehen davon hege ich eine richtig große Wertschätzung für talentierte Musiker und Musikerinnen. Es ist einfach eine wahre handwerkliche Kunst, gute Instrumentals und Dubs manuell präzise und im perfekten Timing einzuspielen. Nachdem ich mich zuletzt ausführlich mit KI-generierter Musik beschäftigt habe, ist meine Wertschätzung für von Menschen geschaffene Musik noch einmal gewachsen. Und genau in dieser Stimmung fällt mir jetzt das neue Album von Message, „Showcase II“ (Messengers), in die Händen – und was soll ich sagen? Bereits „Showcase I“ hat mich begeistert, und jetzt bin ich bei „Showcase II“ erneut verzückt. Am Konzept hat sich – zum Glück – nichts geändert. Das Album enthält sieben Instrumentals und sieben Dub-Versionen. Lead-Instrumente sind wieder meist Melodica, Posaune und manchmal auch ein Keyboard. Alle Stücke sind Eigenkompositionen der Band, wurden live im Lone-Ark-Studio in Santander (Nordspanien) eingespielt und auf gutem, alten Magnetband aufgenommen. Studio-Mastermind Roberto Sánchez saß selbst an den Drums und übernahm auch die Aufnahme. Und natürlich wird das Ganze erneut als Hommage an den jamaikanischen Reggae der 1970er Jahre verstanden. Schon beim ersten Hören ist zu hören, dass Message nicht einfach nur kopiert, sondern die Essenz des Genres einfängt und neu interpretiert. Das gelingt den Musikern nicht zu letzt durch die Live-Aufnahme perfekt, denn nur so gelingt es wirklich, die Energie und die Vibes einzufangen, die den Roots Reggae so besonders machen. Es verleiht dem Album eine besondere Magie und einen authentischen, lebendigen Klang, der digitalen Produktionen oft vorenthalten bleibt (die dafür aber andere Qualitäten haben!). „Showcase II“ ist ein Werk, das nicht nur die musikalischen Architekten des Genres – also die jamaikanischen Musiker der 1970er Jahre – ehrt, sondern auch zeigt, wie die Band Message ihren eigenen Weg innerhalb dieser Tradition gefunden hat. Jeder Track auf „Showcase II“ strahlt den Spirit der Band aus, das Gemeinschaftsgefühl und die Liebe zur Musik. Hier kommt das Beste, was der Reggae zu bieten hat zusammen: Handwerkliche Brillanz, perfekte Produktion und nicht zuletzt richtig gute Kompositionen. Mal abwarten, ob ich bei „Showcase III“ wieder solche Lobeshymnen anstimmen muss. Ich hätte jedenfalls nichts dagegen.

Bewertung: 5 von 5.
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Five Star Review

Dub Shepherds: Tape Me Out #5

Die Serie begann während der Corona-Zeit: „Tape Me Out #1“ wurde vor drei Jahren als YouTube-Video veröffentlicht. Zu sehen ist nicht viel. Die beiden Freunde Dr Charty und Jolly Joseph (= The Dub Shepherds) sitzen am Mischpult und mischen 50 Minuten lang live Dubs mit Material ihres Labels Bat Records. #2 und #3 erscheinen in schneller Folge. Dann passierte lange nichts, bis Anfang dieses Jahres #4 erschien, parallel zu ihrem Album „Night and Day“. Bis dahin stand „Tape Me Out“ für reine Videoproduktionen – was den Namen erklärt. Im Juli erschien nun „Tape Me Out #5“ als Video UND als reguläres Dub-Album. Die Mixe auf dem Album entsprechen exakt denen des Videos. Das gesamte Dub-Album wurde in einem Take gemixt – ein Prozess, den man im Video quasi live mitverfolgen kann. Ein wirklich schönes und einzigartiges Konzept, das nicht zuletzt auch von der Meisterschaft der beiden Musiker zeugt, 11 Dub-Tracks hintereinander fehlerfrei zu mixen. Während sie in den ersten Folgen der Serie noch recht entspannt am Mischpult sitzen, ist ihnen bei #5 die Konzentration und Anspannung anzumerken. 45 Minuten Dub-Mixing am Stück ist echte Schwerstarbeit.


Obwohl in diesen typischen Dub-Mixing-Videos nicht viel zu sehen ist, ziehen sie mich immer wieder in ihren Bann. So auch hier. Seltsamerweise ist es faszinierend zu sehen, wie die Musik am Mischpult entsteht. Ich finde es manchmal sogar spannender, als einem Musiker oder einer Musikerin beim Spielen eines Instruments zuzusehen. Das liegt vielleicht daran, dass eine Person am Mischpult alle Instrumente steuert und nicht nur eines. Zu sehen, wie ein Dreh an einem Knopf oder das Bewegen eines Schiebereglers den Sound verändert, Effekte auslöst oder Instrumente an- oder abschaltet – wie Musik also „gestaltet“ und gesteuert wird, ist für Dub-Nerds wie mich wirklich spannend. Allerdings höchstens so spannend, wie die Musik gut ist. Und daran gibt es bei den beiden Franzosen keinen Zweifel. Ihre eigenen Produktionen und die anderer Künstler auf ihrem Bat-Label (z.B. Pinnacle Sound) gehören zum Besten, was der europäische Reggae zu bieten hat. Wie so viele von uns Europäern lieben sie den Reggae-Sound der 70er und 80er Jahre, dem sie mit allen Veröffentlichungen ihres Labels huldigen. Natürlich wird alles analog aufgenommen, analog abgemischt und analog auf Magnetband gespeichert. Nicht selten zitieren sie historische Riddims, arbeiten mit Deejays und Sängern der goldenen Ära und mixen ihre Dubs natürlich im Stil der alten jamaikanischen Meister. Doch ähnlich wie beispielsweise Prince Fatty und andere Retro-Fetischisten in good old Europe spielen sie nicht einfach Klassiker nach, sondern liefern eine frische und originelle Interpretation dieser Musik und ihres Sounds. Und so ist auch Tape Me Out #5 kein Remake, sondern ein absolutes Newmake mit den fantastischen Stilmitteln der Vergangenheit – und ein großartiges Dub-Album.

Bewertung: 5 von 5.