Manchmal, wenn im Hafen der Nebel hängt und ein dumpfer Bass aus dem Inneren eines Clubs durch die Speicherstadt wabert, glaubt man ihn hören zu können – den Nachhall jenes fiktiven Traumstrandes, von dem Martha & The Muffins 1980 in ihrem Song „Echo Beach“ sangen. Was einst bloß eine Metapher war, hat sich längst verortet: Der Echo Beach liegt in Hamburg. Hier nämlich, am Elbufer, gründete Nicolai Beverungen 1995 ein Label, das seither wie kein zweites den Dub-Sound hierzulande verbreitet, erweitert und erforscht hat. Zum 30-jährigen Bestehen kehrt das Label nun mit der Compilation „King Size Dub – Hamburg“ (Echo Beach) zu seinen Ursprüngen zurück – und zeigt eindrucksvoll, dass Dub in dieser Stadt mehr ist als ein Stil: Es ist Soundtrack, Haltung, Geschichte.
Als Echo Beach 1995 mit der ersten King Size Dub-Compilation auftrat, war das ein Statement. Während sich der UK-Dub in kleinen Soundsystem-Communities verfestigte, übersetzte Nicolai den Sound für ein kontinentales Publikum und ließ seine eigene Punk-Vergangenheit einfließen. Schnell folgten Compilations aus Neuseeland, Südafrika, Italien, Jamaika und den USA, dazu Reissues und Neuinterpretationen, die Dub mit Dance, Punk, Minimal und Pop in Verbindung brachten. Der Labelkatalog wurde zum offenen Archiv des globalen Dub-Geschehens – ohne dabei den Blick für die lokale Szene zu verlieren.
Denn Hamburg war von Anfang an Teil dieser Bewegung: Mit Formationen wie Dub Me Ruff, Dub Division, Di Iries und Arfmanns Projekten (Turtle Bay Country Club, Kastrierte Philosophen) gab es schon in den 90ern eine vitale Szene, die nicht jamaikanische oder britischen Dub kopierte, sondern weiterdachte. Genau hier setzt „King Size Dub – Hamburg“ an – und führt all diese Fäden in einem dichten, 33 Tracks starken Kompendium zusammen.
Diese Compilation ist dabei keine simple Rückschau. Sie dokumentiert nicht nur, sie kuratiert, aktualisiert, verknüpft.
Der Opener – ein hypnotischer Disco-Dub von Station 17, gemixt von DJ Koze – zeigt exemplarisch, wie der klassische Dub-Ansatz (Reduktion, Raum, Rhythmus) auf aktuelle Produktionsweisen trifft. Dass sich Udo Lindenberg und Jan Delay auf der Reeperbahn begegnen (aber nur auf der Vinyl-LP), ist mehr als ein Marketing-Gag: Es ist eine Reminiszenz an das popkulturelle Selbstverständnis der Stadt – aufgelöst in Echo und Hall durch Guido Craviero, den Live-Soundmagier von Seeed und Peter Fox. Matthias Arfmann, einer der Gründerväter des deutschen Dub, tritt gemeinsam mit seinem Sohn Chassy auf. Es ist eine schöne Analogie: Wie das Label Echo Beach musikalische Generationen verbindet, so tun es auch seine Protagonisten. Lee „Scratch“ Perry ist ebenso vertreten wie Elbtonal Percussion, deren Max-Romeo-Cover in Zusammenarbeit mit Prottassov avantgardistisch über den Tellerrand schaut. Auch das Politische hat Platz: TC Sunshines Agit-Dub über Nikel Pallats legendären Auftritt bei einer TV-Talkshow 1971 (bei dem ein Tisch zu Bruch ging) klingt wie ein Stück akustischer Erinnerungskultur. Knarf Rellöm Arkestra prangert in „Die Mieten sind zu hoch“ die soziale Realität vieler Großstädte an – und wird von Dub Spencer & Trance Hill aus der Schweiz kongenial in Dub übersetzt. Hier verbinden sich Musik und Milieu zu einem urbanen Klangbild, das weit über Hamburg hinausweist.
Hamburgs Szene lebt nicht nur von ihren Soundsystems, sondern von der Durchlässigkeit der Genres. Das macht sich besonders auf dieser Compilation bemerkbar: Heinz Strunk bringt mit „Black Jets Dub“ Pubertät auf den Punkt, Jacques Palminger & Kings of Dubrock gendern Chaka Khan mit hanseatischer Lässigkeit. Prince Istari und Legoluft liefern Dub in der Tradition des DIY-Geists, und mit Kein Hass Da (die Bad Brains auf Deutsch covern) schließt sich ein Kreis zwischen Punk, Dub und Subversion. Auch Größen wie Deichkind, Erobique, Sam Ragga Band, Fettes Brot oder die Goldenen Zitronen sind vertreten – nicht als Stars, sondern als Teil eines Kollektivs, das die Vielfalt dieser Szene ausmacht. Es ist der Sound einer Stadt, die sich nie festlegen ließ – schon gar nicht in musikalischer Hinsicht.
Was „King Size Dub – Hamburg“ so schön macht, ist die Symbiose aus Rückblick und Vision. Sie zeigt, wofür Echo Beach seit 1995 steht: für das ständige Re-Kontextualisieren eines Genres, das seine Stärke gerade in der Experimentierfreudigkeit findet. Das Label hat Dub nicht nur importiert, sondern geprägt, adaptiert, geformt – bis hin zu den gefeierten Tributes an The Clash, David Bowie, Kraftwerk oder Grace Jones und die Ramones. Die Stadt, in der das alles begann, bekommt mit diesem Album ihre Dub-Hommage – rau, verspielt, tief, durchzogen von Spuren, Stimmen und Geschichten. Hamburg ist nicht nur Kulisse, sondern Klangquelle. Und Echo Beach bleibt das Leuchtfeuer am Horizont.
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King Size Dub – Hamburg

3 Antworten auf „King Size Dub – Hamburg“
Sehr schön. In diesem Fall kam ich einfach nicht umhin, mir neben der LP auch die Doppel CD zu kaufen. Es sind einfach zu viele gute Tracks, die auf Vinyl keinen Platz gefunden haben. Bis auf ein paar Ausnahmen (in meiner Wahrnehmung) harmonisiert das alles sehr gut miteinander und ist vorzüglich kompiliert. Mein persönliches Sahnehäubchen ist das Cover, das ein Freund von mir gemacht hat.
Hamburg hatte ich in Sachen Dub ja schon immer auf der Karte, nicht zuletzt wegen Jan Delay :D
Eine störende Unart heutiger Veröffentlichungen ist ja dass die Anzahl der Tracks dauernd schwankt. Dass auf eine 12″ Vinyl LP nur eine begrenzte Anzahl Minuten pro Seite passt, speziell bei bassiger Musik, sollte klar sein. Aber warum nun bei den Streaming-Links 33 Songs gelistet sind während die Doppel-CD es auf zweimal 18 Titel bringt? Das derzeit unpopuläre aber zugleich unglaublich praktische und sehr haltbare CD-Format stellt damit die „Vollversion“ dar.
Und was bedeutet wohl „Flut Version“? Als ich die Veröffentlichung Ende Juni am Rheinufer in der Sonne liegend erstmalig genoss gab es keine andere.
Nun ja. Musikalisch gefällt das meiste. Vielseitigkeit bedeutet auch immer dass einzelne Titel zu skurril erscheinen (und eine Woche später ertappt man sich dabei diese besonders zu feiern)
schnoddrige Lindenberg-esque Stimme : „Da sind schon ein paar Perlen dabei“
Anstrengend !
Ich muss mich durch zu viel wischiwaschi-musik kämpfen um dann doch mal was spannendes zu finden. Trotzdem wird die DoppelCD wohl wieder von mir gekauft werden ……………..
Wer kauft Vinyl, wo nicht alles drauf ist ?!? Is mir auch schon passiert, weil ich es nicht besser wusste aber meine Gedanken dazu sind „mörderisch“ und können deshalb hier nicht hingeschrieben werden …….