„Dub Evolution“ ist nun schon seit geraumer Zeit der Titel dieser Kolumne (früher hieß sie „Dub Revolution“). Nun gibt es endlich die passende CD-Box dazu: Die „Dub-Anthology“ (Wagram/SPV), die den Bogen von den 1970er Jahren bis in die Gegenwart schlägt und die Evolution des Genres an Hand von 60 (!) Tracks nachzeichnet. Vier Jahrzehnte Dub auf vier CDs, wobei sich die 1970er und 1980er Jahre jedoch eine CD teilen müssen, während die 1990er unterteilt in „International Dub“ und „French Dub“ auf zwei CDs Platz finden. Die „New School“ wird dann auf CD4 in aller Breite präsentiert. Natürlich hat die Welt schon einige Anthologien des Dubs gesehen – wer kennt nicht Rodigans „Dub Classics“, den „Rough Guide To Dub“ oder die Trojan-Boxen mit Dub-Material aus den eigenen Archiven. Aber noch keine Anthologie hat versucht, die Geschichte des Dub so umfassend dar zu stellen, wie die die vorliegende Box. Meist wird die Grenze vom jamaikanischen Old School Dub, zum Dub Revival der 1990er Jahre nicht übersprungen – geschweige denn, dass ein Blick auf innovative Produktionen der Gegenwart geworfen würde. Das ist hier anders: Die Reise durch Zeit und Raum des Dub beginnt mit Augustus Pablos „Cassava Piece“, führt an King Tubbys „Belly Dub“ und einigen Dubs von Sly & Robbie (auch in den Reinkarnationen der Revolutionaries und Skin Flesh & Bones) vorbei, umschifft dann einige eher abwegige Stücke, (von denen manche zudem nur äußerst wenig mit Dub zutun haben) um anschließend geradewegs auf den großartigen – aus bester Black Ark-Zeit stammenden – Lee Perry-Dub „Bird in Hand“ zuzuhalten. CD 2 macht dann einen großen Schritt ins England der 1990er Jahre und präsentiert hier die üblichen Verdächtigen: Alpha & Omega, Twilight Circus oder Bush Chemists. Statt die zwingenden Namen wie Zion Train, Rootsman, Rockers HiFi, Dreadzone, The Disciples oder natürlich Jah Shaka und Mad Professor aufzuführen, bietet das Tracklisting mit Rhythm & Sound, Oku Onuora, Burnt Freidman, Thievery Corporation oder Tosca zwar eindrucksvolle, doch in diesem Kontext etwas unvermutete Namen. Weiter geht die Reise nach Frankreich, dessen Dub-Szene die komplette CD 4 gewidmet ist. Der Grund für die so ausführliche Darstellung des französischen Dub-Schaffens liegt nicht etwa darin, dass es so unglaublich reichhaltig oder stilprägend wäre, sondern schlicht darin, dass die „Dub Anthology“ in Frankreich (und natürlich mit besonderem Blick auf den französischen Markt) produziert wurde. Trotzdem ist die französische CD die bisher spannendste, weil sich hier auch für umtriebige Dub-Connaisseure noch neue Entdeckungen verbergen – oder hat jemand schon von Ez3Kiel, Pilah oder dem Löbe Radiant Dub System gehört? CD 4 gehört ganz der Gegenwart. Das älteste Stück ist gerade mal 2 Jahre alt, das neuste stammt (laut Angabe auf dem Cover) aus dem Jahr 2023 – aktueller geht es nicht. Der Zeitreisende findet hier – wen wundert‘s – auch überwiegend französische Namen (u. a. die wichtigen Protagonisten des sehr der elektronischen Musik zugetanen französischen Labels „Sounds Around“, Lena, Molecule, Roots Massacre). Ein wenig Internationalität bringen dann Dub-Experimentatoren wie Noiseshaper, Dubmatix oder Nucleus Roots ins Spiel. Zugegeben: Würde man eine amtliche Anthologie des Dub zusammen stellen, dann sähe die Auswahl der Stück wohl ziemlich anders aus. Aber fraglich wäre, ob diese auch so viel Spaß machen würde, wie die vorliegende CD-Box. In der amtlichen Version wären natürlich alle wirklich wichtigen Klassiker enthalten, doch – ehrlich gesagt – wer will diese noch zum tausendsten Male hören? Ich lasse mir da lieber ein paar obskure aber spannende Franzosen durch die Gehörgänge jagen.
Das feine englische Re-Issue-Label Auralux hat erneut seiner Schwäche für Dub-Klassiker der 1970er Jahre nachgegeben und mit „Dread At The Controls Dub“ (Auralux/Rough Trade) ein frühes Dub-Album von Gussie Clarke wiederveröffentlicht. Richtig gelesen: Gussie Clarke und nicht Mikey Dread. Letzterer war angeblich zwar „irgendwie“ beteiligt gewesen, aber er hat kein Instrument gespielt, keinen Dub komponiert und vor allem: auch nicht gemixt. Gussie und Mikey waren einfach nur befreundet – und da sich gute Freunde unter die Arme greifen, hat Mikey Gussie seine „Dread At The Controls“-Marke einfach nur ausgeliehen, damit sich das Album besser verkaufte (laut Aussage von Mr. Clarke in den sehr lesenswerten Linernotes). Ursprünglich 1978 veröffentlicht, präsentiert das Album 10 Tracks, eingespielt natürlich von den Revolutionaries mit (unverwechselbar) Sly Dunbar an den Drums. Die Rhythms sind tight und das Timing der Musiker ist perfekt. Doch was nützt das, wenn die Riddims und der Mix zu langweilig sind? Toller Produzent, Top-Notch-Musiker und zudem noch brillanter Sound – aber nach 10 Minuten hört niemand mehr zu, denn die Tracks plätschern einförmig und ohne Überraschungen dahin. Schade.
Da ist „DC Dub Connection“ (Auralux/Rough Trade) schon viel interessanter. Hinter den hier versammelten 10 Aufnahmen steckt der Heptones-Backgroundsänger Earl Morgan, der Ende der 1970er Jahre gelegentlich im Produzentensessel Platz nahm und mit Earl 16, Alton Ellis und Stranger Cole Alben aufnahm. Interessanterweise produzierte er die Rhythm-Tracks nicht selbst, sondern kaufte sie von diversen Produzenten zusammen. Selbst von Lee Perry sind zwei Tracks dabei. Genau aus diesem Umstand bezieht das (soundtechnisch allerdings nicht so brillante) Album seinen Reiz: Es bietet einfach mehr Abwechslung – was nicht zuletzt auch daran liegt, dass Prince Jammy und Scientist schön inspirierte Mixe abgeliefert haben.
Während die Reggae-Industrie weltweit zerbröselt, versucht sich das deutsche Label „Inakustik“ an einer neuen Reggae-Linie. Den Anfang macht u. a. ein Dub-Album: „Bebo In A Dub Style – Featuring Sly &Robbie“ (Tafari/Inakustik). Ursprünglich im Jahr des Slang-Tang, 1985, veröffentlicht, klingt „Bebo In A Dub Style“ fast schon antiquiert – wäre da nicht die Meisterschaft der 1A-Session-Musiker der Zeit: Sly & Robbie, Robbie Lyn, Willi Lindo, Dean Frazer und Sticky, Skyjuce & Scully. Ihr Timing ist so präzise, die Rhythms sind so tight und der Sound so glasklar, dass die Aufnahmen etwas zeitloses haben. Eigentlich hapert es nur an der Faulheit des Dub-Mixers Peter Chemist. Hätte er den Reglern seines Mischpultes etwas mehr Aufmerksamkeit gewidmet, dann dürfte „Bebo In A Dub Style“ seinen Titel zu recht tragen und wäre wohl auch zu einem Meilenstein der Dub-History geworden.