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Dub (R)evolution Review

Dub Evolution, Juni 2010

Und da sind sie wieder. Nach 14 Jahren Stille, gab‘s vor acht Monaten mit „Sonn und Mond“ das definitiv spannendste Dub-Album des Jahres zu hören. Und nun folgt mit „We So Horny“ schon ein weiteres Werk von Hey-O-Hansen! Was ist in die beiden Tiroler und Wahl-Berliner gefahren? Sind Michael Wolf und Helmut Erler von der Muse geküsst worden? Wenn man den kreativen Gehalt ihrer Alben zu Grunde legt, dann muss diese Frage zwingend bejaht werden. Etwas so Ungewöhnliches, Schräges und doch absolut Stimmiges ist mir ist schon seit langer Zeit nicht mehr untergekommen. Keine Sorge, wir haben es hier nicht mit verkopften Studio-Experimenten zu tun, sondern mit, wenn auch merkwürdig verschroben, so doch ganz wunderbar groovenden Dubs. Es sind Dubs, die mit Nachdruck zeigen, welch enorme kreative Spielräume das Genre bietet, und wie diese überzeugend genutzt werden können. Anders als „We So Horny“ war der Vorgänger „Sonn und Mond“ das Destillat aus 14 Jahren Dub-Forschungsarbeit und hinsichtlich des Ideenreichtums kaum zu überbieten. „We So Horny“ enthält hingegen gänzlich neues Material und opfert zwangsläufig die Vielfältigkeit des Vorgängers einer größeren stilistischen Geschlossenheit. Während „Sonn und Mond“ mit jedem Track eine andere Überraschung bot, ermöglicht es „We So Horny“, sich in den merkwürdigen (angeblich von Tiroler Volksmusik und ihrem eigenwilligen Offbeat beeinflussten) Dub-Sound der beiden Studio-Frickler einzuhören. Und was macht den Sound so eigenwillig? Gar nicht so einfach zu sagen. Vielleicht lässt es sich mit dem Begriff der „Künstlerischen Widerborstigkeit“ am besten beschreiben. Hier klingt nichts „glatt“ oder konventionell. Im Gegenteil. Die Frage lautet: Wie viel Dub-Konvention darf man über Bord werfen, ohne dass die Musik aufhört Dub zu sein? Hey-O-Hansens Antwort lautet: alles außer Echo, Bass und Offbeat. Und das Erste, was hier über Bord geht, ist das klassische Instrumentierungsschema. Deshalb hören sich die Hey-O-Hansen-Dubs zunächst falsch gespielt an, nur um im nächsten Moment folgerichtig und zwingend zu klingen. Allein schon der massive Einsatz von Blasinstrumenten ist außergewöhnlich. Hinzu kommt eine eigenwillige Mischung aus elektronischen Sounds (à la Basic Channel) und handgespielten, akustischen Instrumenten sowie eine simple, aber doch irgendwie vertrackte Polyrhythmik. Wirklich beschreiben lässt sich Hey-O-Hansens Musik nicht. Nur eines lässt sich ganz klar sagen: Sie ist großartig.

Machen wir direkt weiter mit schräger Dub-Mucke: „Japanese Dub“ (30 Hertz) von Jah Wobble & The Nippon Dub Ensemble. Das letzte, was ich von Mr. Wobble gehört habe, war sein „Chinese-Dub“-Album „Mu“ von 2005. Mit „Japanese Dub“ knüpft er nahtlos an, wo er mit „Mu“ aufgehört hat. Er ist lediglich ein kleines Stückchen weiter gen Osten gezogen. Statt des chinesische Zeichens „Mu“ prangt nun das japanische „Ma“ auf dem Cover. Die Bedeutung ist die selbe: Leere, Abwesenheit – ein in der Zen-Meditation wesentlicher Begriff – und da Dub per se meditative Qualität hat, ist er natürlich prädestiniert für Jah Wobbles esoterische Exkursionen. Diesmal führt sie uns zu ritueller Shinto-Musik, Taiko-Trommeln und Shamisen-Klängen. Die Basis aller Stücke des Albums ist stets Wobbles grollender Bass und nicht selten auch von ihm programmierte Beats (natürlich auf japanischem Equipment). Das funktioniert gar nicht schlecht, zumal Wobble sich des öfteren auf Reggae-Beats stützt. Richtig abgefahren ist der traditionelle japanische Gesang. Wer hier nicht open minded ist, der dürfte einen Schock davon tragen. Dabei ist das intonierte Lied („Kokiriko“ – angeblich das älteste Lied Japans) eigentlich sehr schön und hat eine – selbst für westliche Ohren – unglaublich eingängige Melodie. Jah Wobble war so besessen von diesem Lied, dass er es gleich vierfach, gewissermaßen als Version Excursion, aufs Album gepackt hat. Außer diesem Lied, gibt es aber noch andere nette Dinge zu entdecken: Pentatonische und chromatische Tonleitern, Kabuki-Gesang und dröhnende Trommeln zum Beispiel. Jah Wobble schont seine Zuhörer nicht – aber genau das bietet ja die Chance auf neue Entdeckungen. Und dafür danken wir Mr. Wobble-bass.

Letztes Jahr erschien das Debutalbum von Dubkasm, „Transform I“ (Sufferah‘s Choice), ein dunkles, geheimnisvolles Dub-Roots Werk mit Gastvokalisten wie African Simba, Dub Judah und, interessanter Weise, auch brasilianischen Sängern jenseits der Reggae-Szene. Nun liegt mit „Transformed in Dub“ (Sufferah‘s Choice) die Dub-Version des Albums vor. Diese ist noch dunkler, noch intensiver, noch schwerer und – nach meinem Gefühl – auch noch interessanter geworden, denn hier gilt alle Aufmerksamkeit der Musik, dem Sound, den Finessen des Mixes. Hinter Dubkasm stecken zwei Jungs aus Bristol, Digidub und DJ Stryda, die sich schon seit Kindestagen (nach dem Besuch einer Show von Jah Shaka) ganz dem „orthodoxen“ Roots-Dub verschrieben haben. Daher darf man von den beiden keine neuen Dub-Erkenntnisse erwarten, sondern eher die liebevolle Pflege der guten, alten Dub-Tradition. Wie sehr sich die beiden Bristol-Dubber über ihr neues, analoges Mischpult freuen, lässt sich auf dubcasm.com in einem netten, kleinen Filmportrait sehen.

Ok, Dreadzone. Bei diesem Namen erwachen in mir Erinnerungen an die frühen 90er Jahre, Erinnerungen an ein riesengroßes Aha-Erlebnis, als ich auf dem Dreadzone-Album „360 Degrees“ zum ersten Mal das Crossover von Leftfield und Roots-Dub hörte. In der Folge erschienen von Dreadzone weitere sagenhafte Alben, die nicht nur die nächst höhere Evolutionsstufe von Dub präsentierten, sondern auf denen auch grandiose Songs und wahnsinnig eingängige Melodien erklangen. Daher muss ich wohl kaum erwähnen, dass ich die neue CD „Eye On The Horizon“ (Dubwiser Records/Soulfood) mit zitternden Fingern auspackte. Was dann kam, lässt sich vielleicht als eine Folge von Verwirrung, Enttäuschung und schlussendlich Gefallen beschreiben. Fest steht, dass das neue Album die gigantische Erwartungshaltung nicht einlösen kann. Es schließt zwar – vor allem was Songmelodien und Arrangements betrifft – an „Second Light“ oder „Biological Radio“ an, schafft es aber nicht auf das Niveau dieser Alben. Während diese auf virtuose Weise Techno/Dance, Leftfield und Pop unter der Vorherrschaft von Dub vereinten, steuert „Eyes On The Horizon“ ganz klar durch Pop- und nicht selten sogar durch Rock-Gewässer. Auch wenn der Titel „Eyes On The Horizon“ anderes vermuten lässt, haben sich Greg Dread & Co seit den vorgenannten Alben aus den 90er Jahren, aber auch seit dem 2005 erschienenen „Once Upon A Time“, nicht wirklich weiterentwickelt. Es ist zwar böse, so etwas zu schreiben, aber ich habe das Gefühl, dass Dreadzone bei ihrem neuen Album ein wenig zu sehr in Richtung Chart-Erfolg geschielt haben. Sicherlich ist diese Kritik ein Klagen auf hohem Niveau. Unzählige Dub-Producer würden dem Himmel danken, wenn sie nur annähernd ein Album in der Qualität von „Eye On The Horizon“ fabrizieren könnten. Denn: lässt man alle Erwartungshaltungen und Vorurteile über Pop und Rock hinter sich, so wird plötzlich offensichtlich: Das neue Dreadzone-Werk ist gut. Und woran merkt man es? Schlicht und einfach daran, dass man es immer wieder auflegt und Spaß hat, es anzuhören.

Nachdem wir nun schon einige Male das „absolut letzte Volume“ der King Size Dub-Serie hinter uns haben und letztes Jahr mit „Vol. 69“ ein Sampler „außerhalb der Reihe“ ins Haus flatterte, gibt es nun: „King Size Dub Chapter 13“ (Echo Beach) – und, das ist das Schöne an Traditionen, wieder mit einem Ruts DC-Remix. Aber – jetzt mal ganz im Ernst –, ich bin froh, dass Echo Beach die legendäre Serie fortführt, denn die Sampler (Vol. 1 erschien 1995!) bieten stets eine höchst geschmackssichere Auswahl aktueller Produktionen. So auch Chapter 13, wo uns diesmal, neben einer Menge hauseigener Artists wie Noiseshaper, Up, Bustle & Out, DubXanne, Dub Spencer & Trance Hill oder Dubblestandart, auch Tracks von Dreadzone, The Vision, Aldubb oder Herbst in Peking zu gehör gebracht werden. Eine hervorragende Selection – Echo Beach weiß eben, wo der Bass spielt.

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