Hinter dem schönen Namen Jahtari verbirgt sich ein kleines Label aus Leipzig, das vor einigen Jahren als Experiment gestartet ist und sich zunächst – wie der Name vermuten lässt – dem 8Bit-Sound früher Computer wie Atari und dem C64 mit seinem berühmten dreistimmigen SID-Soundchip verschrieben hatte. Das Experiment bestand darin, eine so beseelte Musik wie Reggae mit Hilfe von mathematischen Algorithmen zu spielen. Ein Experiment übrigens, das King Jammy und Steely & Cleevie bereits Mitte der 1980er Jahre gelungen war. Doch während Jammys „Computerized Reggae“ aufgrund des Unvermögens damaliger Computertechnik retortenmäßig „digital“ klang und dieses Stadium mit der Verfügbarkeit besserer Soundchips alsbald überwunden wurde, ist für Jan Gleichmar, dem Gründer und Chef von Jahtari, genau dieser Sound das Ziel allen Strebens. Er hat ihm das Jahtari-Label auf den Leib geschneidert und sammelt hier seine eigenen Produktionen wie auch die Gleichgesinnter Laptop-Frickler. Die „Jahtarian Dubbers“-Alben, dessen zweites Kapitel jetzt ganz frisch vorliegt, sind so etwas wie die Manifeste dieses Sounds. „Jahtarian Dubbers, Vol. 2“ (jahtari.org/) präsentiert uns nun 13 Tracks vollsynthetischen „Digital Laptop Reggaes“, durch etliche Software-Echo-Chambers gejagt und mit Space-Invaders-Sounds angereichert. Manche Stücke bieten zudem grundsolide Vocals wie z. B. „Puff That Weed“, auf dessen pluckernden Bit-Folgen die virtuose Soom T reitet wie auf einem rasenden Bobby-Car. Vor dem geistigen Auge sieht man billige Netbooks heißlaufen und China-iPhone-Clones vibrieren. Und genau hier liegt der Reiz dieser schrägen Musik: Das (absichtlich) primitive Instrumentarium sondert richtig echte, wirkliche und wahrhaftige Reggae-Tunes ab. Fetter Bass, steifer Offbeat, solide Drums und groovender Beat. Der ganze Klangkosmos „Reggae“ schrumpft hier auf seine minimalen, konstruktiven Elemente – und klingt dabei auch noch richtig gut. Super Mario trifft auf Basic Channel, reggaewise. Nur ein interessantes Experiment, oder gelungene Musik, die auch ohne mitgelieferte Theorie bestehen kann? Die Antwort lautet: 42!
Dub-Reworkings bekannter Pop-Songs sind offensichtlich en vogue. Easy Star Records hat sich bereits Pink Floyd, die Beatles und Radiohead vorgenommen, Echo Beach unterzog The Police einer eingehenden Verdubbung und nun trifft es mit „Shatter The Hotel“ auch den ehemaligen Clash-Sänger Joe Strummer. Ausgelöst wurde diese Welle von „Dub Side Of The Moon“, einem Album, das seit 2003 unglaubliche 90.000 mal verkauft wurde. Je bescheuerter das Konzept, desto erfolgreicher, scheint es. Und da Konzepte dieser Art leicht zu erdenken sind, versucht jeder mal sein Glück. Dies ungefähr waren meine Gedanken, als ich „Shatter The Hotel“ (www.strummerville.com) in die Finger bekam. Fast schon widerwillig hörte ich rein. OK, das war passabel. Nach dem zweiten Hören war es dann schon ganz in Ordnung. Beim dritten Hören ertappte ich mich dann schon beim Mitsingen. Mittlerweile – muss ich zugeben – bin ich ganz angetan von Joe Strummers posthumem Dub-Tribute. Das große Plus des Albums ist schlicht und ergreifend die solide Songbasis. Richtige Ohrwürmer sind das! Umgesetzt in saubere, funktionale und unaufgeregte Dub-Versions kann man nichts dagegen sagen. Angetrieben durch die eingängigen Melodien und häufigere Gesangsbegleitung ist hier so etwas wie guter Pop-Dub-Reggae entstanden. Anders als bei den oben genannten Alben, wurden die Stücke auf „Shatter The Hotel“ nicht alle von einer Band eingespielt, sondern von bekannten wie unbekannten Produzenten der internationalen Reggae-Szene beigesteuert. So macht der unfehlbare Dubmatix aus Kanada mit „London Calling“ den Anfang, wird dann von Dub Antenna, den Creation Rockers und den Dub Cats sowie einer Reihe weiterer unbekannter Produzenten/Bands gefolgt. Sound und Style gleichen sich aber so sehr, dass sich alles zu einem homogenen Album verbindet – um es positiv auszudrücken. Die Verkaufserlöse gehen übrigens an die Joe Strummer-Stiftung, die junge Musiker fördert.
Anfang des neuen Jahrtausends veröffentlichten Mafia und Fluxy eine Albenserie unter dem Titel „Reggae Heights“, in der sie alte Vocals auf von ihnen neu eingespielte Backings kopierten. Ein Album der Serie war Barry Browns Oeuvre gewidmet und präsentierte sieben Dubs als Bonus-Material. Wem das zu wenig war, der hat jetzt die Möglichkeit mit dem Album „Barry Brown In Dub“, das nur als digitaler Release erhältlich ist, weitere sechs Dubs zu erwerben. Und da die beiden britischen Rhythm-Brothers wirklich grundsolide Instrumental- und Mixarbeit geleistet haben, ist diese Anschaffung wärmstens zu empfehlen. Und wer dann noch mehr Dub-Stoff braucht, der kann mit „Dub Anthems“ gleich zur vollen Dröhnung greifen. Hier bieten Mafia & Fluxy gleich 15 ihrer besten Dubs aus jener Zeit. Fette, fette, fette Tracks, deren massive Basslines die Teller vom Tisch vibrieren. Einen Innovationspreis gibt es zwar nicht aber die Dub-Handwerkskammer vergibt eine Auszeichnung für herausragende Verarbeitungsqualität (gesponsert von der Porzellanindustrie). Hier wird so mancher alte, gut bekannte und lieb gewonnene Riddim zu Gehör gebracht („Anthems“ halt) wie z. B. „King Tubby Meets Rockers Uptown“, Marleys „Forever Loving Jah“, „Open The Gate“, „Warriors Charge“ und natürlich „Realrock“.
Bevor unsere vergnügliche Dub-Stunde zu Ende geht, werfen wir noch einen Blick in die Revival-Selection und finden hier wieder einmal ein ultra-rares Album, das (wie sollte es anders sein) das Pressure Sounds Label für uns ausgegraben hat: „Prince Jammy Presents Strictly Dub“ (www.pressure.co.uk). Aufgenommen in den späteren 1970er Jahren und Anfang der 1980er in Kleinstauflage in New York erschienen, bietet es uns einen Einblick in Jammys Frühwerk, das noch an Tubbys Mischpult in der Dromilly Avenue entstanden ist. Produziert, arrangiert, gemixt und geremixt wurde es vom Prince himself, eingespielt von Jamaikas Cream der Session-Musiker jener Zeit: Sly & Robbie, Ansel Collins, Gladstone Anderson, Bobby Ellis, Deadly Hedley, Sticky Thompson (u. a.). Eine illustre Combo, die hier schöne Versionen klassischer Rhythms wie etwa „Baba Boom“, Ali Baba“ oder „Shenk I Sheck“ zum Besten geben. Interessant sind die Titel der Stücke: „Brookly Dub“, „Bronx Fashion Dub“, „Immigrant Dub“ oder „42nd Street Dub“. Marketing jamaica-wise, denn die Veröffentlichung des Album war schließlich für New York vorgesehen. Und wie hört es sich an? Gut! Nicht spektakulär, aber sehr schön. Dank der Klassiker stimmt die Basis und Dank der brillanten Musiker stimmt auch die Umsetzung. Locker, uptempo gespielt, luftiger Klang, volle Arrangements mit sehr, sehr schöner Percussion. Jammys Mix ist nett und angemessen. Richtig spannend wird es dann bei den beiden Bonus-Tracks, die aus einer – laut Presseinfo – „etwas späteren Periode“ stammen. Sie klingen geradezu experimentell im Vergleich zum Rest. Heftigerer Sound, ordentlich Druck und ein charmanter Distortions-Effekt, der zwischen die Beats fährt. Da hat Jammy in kurzer Zeit offenbar viel dazu gelernt.