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Dub (R)evolution Review

Dub Evolution, September 2007

Obwohl Dub nur ein kleines Genre im großen Genre „Reggae“ ist, unterteilt er sich selbst auch wieder in diverse Spielarten, die manchmal national geprägt sind, sich manchmal aber auch auf einen viel kleineren Radius begrenzen und sich im Extremfall an einzelnen Labels festmachen. Birmingham ist so ein Radius und das dazugehörige Label heißt „Different Drummer“. Seit den frühen 90er Jahren entwickelte sich hier ein Dub-Sound, dessen klangliche nähe zu House-Music prägend für eine ganze Schule war. Den Anfang machten die Original Rockers, die sich nach dem ersten Release zu „Rockers HiFi“ umbenannten und das Different Drummer-Label gründeten. Schon damals waren Roberto Cimarosti und Brian Nordhoff im Dunstkreis des Labels zu finden. Ein Produzentenduo, das sich in den 80er Jahren noch um House gekümmert hatten und zu beginn der neuen Dekade unter dem Namen „Groove Corporation“ den Sound & Taste von Dub entdeckten. Spätestens mit der Produktion des legendären Rockers HiFi-Tunes „Push Push“, hatten sie die Hinwendung zum Dub vollzogen, wobei sie ihre Affinität für House geschickt in den neuen Sound zu integrieren wussten. Das Ergebnis war eine neue, frische und sehr zeitgemäße Interpretation von Dub, deren klanglicher Reichtum weit über dem Rangierte, was die durchschnittlichen UK-Dubber aus ihren Sythies pressten. Und so verwundert es kaum, das die Groove Corporation immer noch mit neuen Produktionen am Start ist, während den Dub-Traditionalisten schon längst die Ideen ausgegangen sind. 

Nach den erfolgreichen „Dub Plates From The Elephant House Volumne 1 & 2“ sollte „Dub Plates From The Elephant House Volume 3“ (Endulge/Rough Trade) neue, bisher unerforschte Wege beschreiten. Und so holten sich die beiden Elektronik-Tüftler drei Live-Musiker ins Studio, die „Mighty Tree“, angeführt vom Drummer Conrad Kelly, der bereits für Steele Pulse und UB40 spielte. Ihm zur Seite gesellten sich der Bassist Jeffrey Wright und der Gitarrist Robert Mullins. Das kreative Potential der hochkarätigen Musiker gepaart mit dem Talent der begnadeten Produzenten führte zu fantastischen Rhythm-Tracks, die so viel Song-Potential hatten, dass sich schnell Leute fanden, die sagten: „Hey, ich habe da etwas, dass großartig auf diesen Rhythm passen würde“. Und so wandelte sich das geplante Dub-Album bald zu einem Showcase-Album mit acht Vocal-Tunes. Der Sound der Stücke ist weniger deep, weniger elektronisch als bei den Vorgänger-Alben. Die Live-Aufnahmen lassen die Musik etwas luftiger und offener klingen, was ihr eine besondere Lebendigkeit verleiht. Hinzu gesellen sich wahre Ohrwurm-Melodien, sehr inspirierte Mixe und ein sehr abwechslungsreiches, detailverliebtes Arrangement. Mit anderen Worten: Ein perfektes Dub-Album, das den Brückenschlag zu einem sehr sehr guten Vocal-Reggae-Album vollzieht – und es zweifellos verdient, ins Blickfeld der eher Mainstream-orientierten Reggae-Community zu geraten. Übrigens liegt der CD das Kochbuch „Dub Food“ mit 24 jamaikanischen Rezepten bei!

Der Spätsommer scheint die Jahreszeit der Dub-Releases zu sein. Selten gab es so viel Neues zu hören – und zu kaufen, weshalb hier, statt der üblichen Besprechungen, dieses Mal eine Dub-Einkaufsliste zu finden ist – geordnet nach: „Beste Wertung zuerst“!

„Roots Of Dub Funk 6“ (Tanty-Records/Import). Nach wie vor eine der besten Dub-Sampler-Serien überhaupt und eine der ganz wenigen, die seit den 90er Jahren überlebt hat. Compiler Kevin R. gelingt es stets von neuem, die Dub-Perlen eines (oder mehrerer) Jahre herauszufiltern und zu einem wunderbar geschlossenen Album zusammen zu fügen.

„Dub Spencer & Trance Hill, „Return Of The Supercops“ (Echo Beach). Das zweite Album der schweizer Spaghetti-Dubber – die nun zur Hälfte neu besetzt sind. Dem gewohnten Sound tut der Besetzungswechsel kein Abbruch: Tiefe, handgespielte, manchmal psychedelisch angehauchte Grooves mit vielen Gimmiks, wie Rock-Gitarren-Soli oder Country & Western-Intros. Hervorragend gemixt!

Ashtech, „Walking Target“ (Subsignal/Interchill). Ein mir bisher völlig unbekannter Dub-Artist aus London, der hier ein superbes Dub-Album vorgelegt hat. Eine moderne Interpretation von Dub mit diversen musikalischen Einflüssen aus Londons Club-Szene, jedoch durchgängig mit einem Reggae-Beat als Fundament. Ungewöhnlich, inspiriert und daher sehr spannend. Eine besondere Empfehlung.

Vibronics, „Heavyweight Scoops Selection – Chapter 2“ (Soundsaround/Import). Ein Showcase-Album der Vibronics mit soliden Steppers-Rhythms und diversen Vocalisten wie Lutan Fyah oder Ranking Joe. Keines der Stücke ist für sich eine großartige Entdeckung, aber die Zusammenstellung und der schöne Rhythmus von Vocal und Dub lassen das Album zu einem sehr angenehmen Gesamterlebnis werden.

Michael Rose, „Warrior Dub“ (M-Records/Import). Ryan Moore ist ein Dub-Freak, weshalb man davon ausgehen kann, dass jedes der von ihm produzierten Alben auch als Dub veröffentlicht wird. So auch das eher enttäuschende neue Album von Michael Rose, das erst als Dub-Version überzeugen kann. Da Roses Melodien ohnehin auf einem Minimum an Inspiration basieren, ist es geradezu genial, dieses zu extrahieren und damit die Dubs zu pfeffern. So funktioniert es sehr gut: Solide Beats und kurze Melodiefetzen: Fertig ist ein neues Dub-Album vom Twilight Circus.

Tommy McCook & The Agrovators, „King Tubby Meets The Agrovators At Dub Station“ (Trojan/Rough Trade). Der um einige Bonustracks aufgestockte Rerelease der 1975 veröffentlichten LP. Als Produzent fungierte Bunny Lee, was den trockenen Offbeats deutlich anzuhören ist. Wer noch nicht genügend von Tubby veredelte Lee-Produktionen im Plattenschrank hat, kann hier zugreifen.

Prince Jammy Destroys The Space Invaders (Greensleeves/Rough Trade). Rerelease des Originals ohne Overdubs mit Spiele-Sounds.

Bullwackies All Stars, „Free For All“ (Wackies/Basic Channel). Sehr frühe Bullwackie-Produktion in verdammt schlechter Soundqualität. Vergleichbar mit Perry-Produktioen aus den frühen 70ern. Für Sammler ein Muss, alle anderen sollten zu späteren Produktionen des Hauses Wackies greifen.

„Essential Dub“ (Roir/Rattay-Music). Eine ziemlich obskure und keinesfalls als „essentiell“ nachvollziehbare Auswahl von Dubs. Hier steht Oku Onuora neben den Bad Brains und Niney neben Alpha & Omega. Lieber in die „Roots Of Dub Funk“ (s.o.) investieren!

Dubnight-Compilation Vol. 1 (Freier Download). Außer Konkurrenz läuft hier der Dub-Sampler von Phil Harmony, der eigentlich nicht auf eine Einkaufsliste gehört, da er kostenlos zu haben ist: Unter www.bigvibez.com kann das Album herunter geladen werden. Der Download lohnt sich, denn obwohl hier keine bekannteren Artists vertreten sind (was sich aber bei Vol. 2 ändern soll), ist die Auswahl der Stücke absolut überzeugend. Kaum zu glauben, dass diese Qualität als „Freeware“ zu haben ist. Ich bin gespannt, ob der „Open Source“ Gedanke in der Dub-Community eine Chance hat. Wünschenswert wäre es durchaus, böte die Abkehr von kommerziellen Erwägungen der Entwicklung von wirklich innovativer Musik doch viele Möglichkeiten.

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