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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, August 2005

Mad Professor ist einer meiner Helden. Seine „Dub Me Crazy“-Alben kamen zu Beginn der 1980er Jahre über mich wie eine Offenbarung. Als hätte ich geahnt, dass es im Reggae noch eine tiefere Dimension geben müsse, hörte ich seine metallisch donnernden Beats mit offenen Ohren, Kopf und Mund. Seine Dubs waren genau die richtige Mischung aus druckvollen, tief tönenden Beats und höchst kreativem Mix. Anders als bei Kollege Adrian Sherwood, gelang es ihm immer, seinen musikalischen Experimenten Bodenhaftung zu verleihen und seinen Stücken Seele einzuhauchen. In einem Interview erzählte er mir einmal, dass er glücklich sei, in England und nicht in Jamaika Musik zu machen, denn hier sei er vielfältigeren Einflüssen ausgesetzt, die ihn stets von neuem inspirieren und motivieren. Daraus spricht eine vollkommene Hingabe an die Musik. Nicht die Suche nach einem kommerziell verwertbaren „Style“ treibt ihn an, sondern die Erforschung der noch verborgenen Möglichkeiten von Dub. Wie weit er mit der Auslotung dieser Potentiale bisher gelangt ist, dokumentiert seine Doppel-CD-Jubiläums-Compilation „Method To The Madness“ (Trojan/Sanctuary) , die einen Querschnitt aus 25 Jahren Produktionstätigkeit des Professors präsentiert. Während die zweite CD vor allem seiner Remix-Tätigkeit (für Massive Attack, Jamiroquai u.a.) gewidmet ist, finden sich auf der ersten CD die wahren Großtaten des Professors. Weitgehend chronologisch wird hier der Bogen gespannt von 1979 („Kunta Kinte Dub“) bis 2004 („Ariwa Dub Rock“ – mit Sly & Robbie). Dabei ist es schon geradezu erschreckend, wie modern seine Produktionen aus den frühen 80ern klingen. So ausgefeilte, clever arrangierte und niveauvoll produzierte Rhythms haben selbst heute noch Seltenheitswert. Der Professor nutzte sie für seine großartigen Dubs, aber auch als Basis für viele Vocal-Produktionen mit britischen Artists wie Pato Banton, Ranking Ann, Sandra Cross oder natürlich Macka B, die hier alle mit ihren wichtigsten Stücken vertreten sind. Doch auch ehrwürdige Foundation-Artists haben Mad Professor immer interessiert und so gibt es wunderschöne Aufnahmen mit Johnny Clarke, Horace Andy oder Max Romeo zu hören. Insgesamt also eine ebenso vielschichtige wie essentielle Werkschau des verrückten Professors – die verrückt nach mehr macht.

Seit Trojan von Sanctuary geschluckt wurde, wird der gigantische Katalog des Labels wieder nach Kräften ausgewertet. Da ist natürlich jede Kompilation-Idee willkommen. Die neuste Idee im Hause Trojan: die klassische DJ-Kompilation, bei der ein bekannter Plattenaufleger seine Lieblingstracks aus dem Fundus auf einen Sampler packen darf. Das hat schon mit DJ Shortkut gut geklappt. Jetzt ist der BBC-Radio DJ Chris Coco an der Reihe und präsentiert seinen Dub Club: „Peace & Love & Dub“ (Sanctuary). Dafür hat er sich vor allem in den 1970er Jahren bedient und einige schon auf tausend anderen Samplern vorliegende  Stücke wie „King Tubby Meets Rockers Uptown“ oder „Cocain In My Brain“ (also nicht nur Dubs) aber auch echte Neuentdeckungen wie Dawn Penns „Love Dub“, Gregorys „African Woman Version“, Bobby Ellis „Shuntin“ oder Lee Perrys selbst gesungene (und leicht umgetextete) Version von Marleys „One Drop“ auf den Plattenteller gepackt. Das ist zwar alles nicht wirklich zwingend, macht aber Spaß und kommt vor allem Sonntagmorgens gut.

Doch damit nicht genug, denn mit dem „Trojan Dub Rarities Box Set“ (Sanctuary), setzten die Sanctury-Kompilatoren noch einen drauf: fünfzig Dub-Tunes aus den 1970er und frühen 1980er Jahren auf drei CDs. Zum Glück sind hier statt der üblichen Verdächtigen eher seltenere Stücke versammelt. Dabei handelt es sich allerdings oft nur um alternative Mixe, was den Neuigkeitswert natürlich schmälert. Aber es gibt auch kleine, funkelnde Dub-Perlen, die in der Geschichtsschreibung des Dub übersehen wurden, wie z. B. „Dub In Love“ von The In Crowd mit frühen Synthie-Melodien, oder Nineys „Iron Fist“ ein früher „computerized“ Dub. Doch angesichts der Tatsache, dass es an Seventies-Dub-Samplern zur Zeit nicht mangelt, stellt sich schon die Frage, ob diese „Rarities“ zwingend in die Dub-Sammlung gehören.

In jede Dub-Sammlung gehören allerdings diese beiden Alben: „Dub Massive Chapter 1“ und „2“ (Sanctuary). Zwei CDs mit je 18 Stücken, die niemand geringeres als Bill Laswell aus den Trojan-Archiven geklaubt hat. Doch der Meister des Bass hat hier nicht nur seine Lieblingsdubs der Seventies kompiliert, sondern hat sie zugleich einem sanften, das Orginal respektierenden Remix unterzogen. „Placed By Bill Laswell“ heißt es daher auch auf dem Cover (das übrigens aus je einer Einsteckpappe besteht und dem interessierten Hörer weitere Informationen schuldig bleibt), worunter Laswell offensichtlich vor allem subtile Veränderungen am Sound versteht (z. B. verstärkte Basslines, Verzerrungen, etc.), gelegentliche Soundsamples sowie ausgeklügelte Übergänge zwischen den ineinander gemischten Stücken. Jedes Album präsentiert sich somit als ein siebzigminütiger, kontinuierlicher Dub-Mix in dem die Beats unterschiedlicher Producer und unterschiedlicher Epochen zu einem faszinierenden Dub-Allover verschmelzen. Was Puristen als Sakrileg empfinden, versteht Laswell als „Interpretation“. Das trifft die Sache eigentlich ganz gut, denn statt sie neu und anders klingen zu lassen, arbeitet er vielmehr die Stärken und Besonderheiten der Originale heraus und unterzieht sie einem sanften soundtechnischen „Rebrush“. Wer das für ein Sakrileg hält, sollte sich die Alben erst recht anhören, denn wahrscheinlich wird er hier seine Lieblingsstücke ganz neu entdecken.

Damit genug an Trojan-Releases. Kommen wir zu einem anderen Lieblingslabel von mir: Echo Beach. Immer auf der Suche nach interessanten Dub-Manifestationen, ist der Labelchef nun auf ein Dub-Album der amerikanischen Ska-Band The Slackers, mit dem Titel „An Afternoon In Dub“ (Echo Beach/Indigo), gestoßen. Entstanden im Anschluss an Probe-Sessions, bei denen das Aufnahmeband laufen gelassen wurde, klingen die Tunes sehr entspannt und inspiriert – und gar nicht nach Ska. Hier dominieren eher langsame Reggae-One-Drop-Beats – nur gelegentlich schleicht sich ein Ska-Shuffle ein, der dann aber sehr erfrischend ist. Besonders schön sind natürlich die Ska-typischen Bläser und der raue, handgespielte Sound. Weniger überzeugend sind allerdings die Riddims und die teilweise etwas drucklose Spielweise. Überhaupt klingt das Album mehr nach einem Instrumental als nach einem reinrassigen Dub-Album, obwohl der Dub-Mix unüberhörbar ist. 

Ein wenig ist das auch bei dem neuen Album von Burning Babylon, „Stereo Mash Up“ (I-Tones/Import) der Fall. Auch hier ist der handgespielte Sound manchmal etwas trocken und das Timing nicht immer perfekt. Andererseits finden sich hier auch supertighte Stücke wie „Midnight To Six“, oder „Heavy Dread (eine Stalag-Version), die, bei voller Lautstärke gehört, durchaus in der Lage sind, das Dach abzudecken. Diese Überraschungen sind es denn auch, die das Album interessant machen. Statt eintönigem Standard-Sound stecken hier in jedem Stück eine Menge Ideen – Spiel- und Mixfreude sind unüberhörbar.

Bleiben wir in Amerika und wechseln von Massachusetts nach Brooklyn, zum Trumystic Soundsystem. Soeben haben sie ihr Doppel-Album „Dub Power“ veröffentlicht, dass entgegen des Titels überwiegend Vocal-Nummern enthält. Die Dub-Versions finden sich dann allerdings auf CD 2. Ebenfalls handgespielt, haben auch diese Tunes einen recht trockenen, analogen Sound, über dem die helle, kraftvolle Stimme der Sängering Kirsty Rock schwebt. Produziert wurden alle Songs von Keith Clifton aus dem Wordsound-Umfeld, was zunächst alle Alarmglocken läuten lässt, ebenso wie die Info, dass Trumystic bereits auf dem Pink-Floyd-Hommage-Album „The Dub Side Of The Moon“ zu hören waren. Und in der Tat: eine gewisse geistige Nähe zum Rock ist manchmal nicht ganz zu überhören. Andererseits gibt es auch sehr schöne, druckvolle Reggae-Rhythms – aber so richtig überzeugen kann mich das Album nicht. Dub ist eine im weitesten Sinne elektronische Musik. Um hier mit einem handgespielten, tendenziell rockigen Sound überzeugen zu können, muss man seine Sache schon richtig gut machen (wie z. B. das Dub Trio). Doch das will hier noch nicht recht gelingen. Trumystiks Stärken liegen hingegen in den Vocal-Stücken, bei denen eine schlüssige Songstruktur wichtiger ist als Sound und Präzision.

Komplett anders klingen Dub Resistance auf ihrem Album „World Receiver“ (www.maxelect.com). Hier geht es um House, Lounge und Dope Beats unter dem großen Prinzip Dub. Die Sounds sind demnach eher elektronisch, entspannt und fließend. Eine Musik, die gut in den Hintergrund passt, sie füllt den Raum mit Atmosphäre und Wärme. Es ist kaum möglich, genau hinzuhören. Immer wieder driften die Gedanken ab – nichts hält sie bei den Stücken. Hier fehlen Ecken und Kanten, Kraft und Energie. Nick Manasseh hat mit dem Cool Hipnoise-Album (auf Echo Beach) gezeigt, wie sich Lounge-Dub mit Charakter umsetzen lässt. Davon sind Dub Resistance leider noch weit entfernt. Etwas weniger Bescheidenheit und mehr Selbstvertrauen würden gewiss helfen.

Kommen wir nun zu einem Werk, dass wohl oder übel in diese Kolumne gehört: „The Dub Tribute To U2“ (www.vitaminrecords.com/Imp.) von WideAwake. Mag sein, dass ich schon immer ein Verächter von Rockmusik gewesen bin, mag aber vielleicht auch sein, dass man die U2-Originale kennen muss, um dieses Album genießen zu können. Mir jedenfalls gelingt es nicht einmal ansatzweise. OK, was die Produzenten da gemacht haben, ist zweifellos Dub, soll heißen: hier gibt es eine Menge Soundeffekte, viele (zu viele!) Breaks, Hall und Echo und was sonst noch dazu gehört. Doch dummerweise wurden die Basslines vergessen. Oder gehört es zum Rock-Tribute, dass sich der Bass nicht hören lässt? Dass statt des Basses vor allem Gitarren zum Einsatz kommen, macht die Angelegenheit nur noch schlimmer. Bleibt festzuhalten: druckvolle Rhythms, die Conditio sine qua non eines jeden ordentlichen Dubs, gibt es nicht! Ich will aber nicht leugnen, dass sich die Produzenten redlich Mühe geben und viele gut gemeinte Ideen in ihren Arrangements unterbringen. Doch wenn die Bas(s)is nicht stimmt, dann kann man den Rest leider vergessen. Übrigens ist ein Besuch der Website von Vitaminrecords ganz erhellend, denn das Label hat sich komplett auf Tribute-Alben spezialisiert. Hier gibt es Tribute zu Nine Inch Nails, Marilyn Manson, Rammstein oder Bon Jovi. Allerdings sind das keine Dub-Remixe, sondern meist klassisch orchestrierte Neuinterpretationen, die zum Teil richtig spannend sind (MP3 können Probe gehört werden). So interpretiert ein klassisches String-Quartett zum Beispiel die Musik von Sonic Youth im Minimal-Style eines Steve Reich oder Philipp Glass. Das gleiche Quartett hat sich auch eine Barock-Neuinterpretation von AC/DC vorgenommen!?

Schließen wir den Reigen versöhnlich mit dem neuen Album von Gabriel Le Mar: „Le Mar In Dub“. Gabriel Le Mar ist in Dub-, Ambient-, Downbeat-, Trance- und Techno-Gefilden schon seit den 1990er Jahren eine sehr präsente Gestalt. Meist verbirg er sich allerdings hinter Projekt- oder Labelnamen wie Aural Float, Saafi Brothers oder Banned X. Mir ist er vor rund zehn Jahren zum ersten Mal mit seinen Serious Dropout-Samplern aufgefallen, die mit ihrem Techno-Dub-Crossover ihrer Zeit weit voraus waren. Danach folgten die Auralux-Sampler, die den Reggae-Beat zusehends in Richtung Ambient und Elektronik verließen. Mit „Le Mar In Dub“ ist er wieder back on the track. Hier pulsieren wieder kraftvolle Offbeats mit einem deutlichen Schuss Techno. Einordnen ließe sich der Sound irgendwo zwischen Dreadzone und Kompakt – mit deutlicher Tendenz zu ersterem. In den Beats steckt jede Menge Druck und Vorwärtsdrang. Die Mixes sind fast Nebensache, obwohl sie sehr inspiriert und abwechslungsreich gelungen sind. Das gleiche gilt auch für die Trackauswahl. So finden sich hier heftig groovende Uptempo-Stücke, aber auch langsamere, loungige Dubs mit fließenden Basslines und sanften Sounds. Zu beginn des Albums gibt es sogar zwei Dancehall-Nummern, die allerdings ziemlich aus dem Rahmen fallen und auf dem Album eigentlich nicht viel verloren haben. Für den letzten Track hat Le Mar einen schönen Namen gefunden, dessen rhetorische Frage wir nur allzu gerne bejahen: „Alle Dubbed?“.

Einen hab’ ich noch: Aus Lyon kommen die Hightones, die mit „Wave Digger“ (Jarring Effects/Pias) ein ziemlich experimentelle und gleichermaßen dissonantes wie kickendes Album vorgelegt. Dub funktioniert hier im Wesentlichen in der Form tiefer, rollender Basslines über die so allerhand Chaos abgespielt wird. Mal besonnene Offbeats, mal hektischen Drumm & Bass, mal Hip Hop und mal absurde Samples. Ein Vergleich zur Asian Dub Foundation zwingt sich fast auf, obwohl die Hightones deutlich weniger Ethno-Anteile in ihre wirren Soundmuster verweben. Sehr sehr spannend das Ganze, auch wenn man es nicht unbedingt als Hintergrundmusik bei der Arbeit im Büro einsetzen sollte – sofern einem der Frieden mit den Kollegen lieb ist.

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