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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, September 2005

Steve Barrow – unermüdlicher Reggae-Historiker und Reissue-Papst – zeichnet neben Blood & Fire nun für ein neues Label verantwortlich: „Hot Pot“, angesiedelt im Haus von Cooking Vinyl (wie passend!). Nach „Earthquake Dub“, das bereits im März erschien, kommt jetzt „Leggo Dub“ (Hot Pot/Indigo), beides Werke des Produzenten Oswald „Ossie“ Hibbert. „Leggo Dub“ ist ein schönes, raues und energiegeladenes Dub-Album, das von Sly Dunbars Drums unerbittlich durch 16 Tracks gepeitscht wird. Im Wesentlich basiert es auf Gregory Isaacs Album „Mr. Isaacs“ und bietet Dub-Versions so glorreicher Hits wie „Smile“, „Storm“, Sacrifice“ oder „The Winner“. Doch Barrow wäre nicht Barrow, wenn er es dabei belassen hätte, und so hat er sechs Bonus-Tracks aus Ossies Archiv hinzugefügt: darunter „Lion Fence Version“, eine Ranking Trevor-B-Seite oder „Special Version“ und „Loving Version“, beides U. Brown-B-Seiten. Doch die Gregory-Rhythms sind nicht zu toppen. Knochentrocken und kraftvoll stürmen die Beats voran, garniert von wunderschönen Gregory-Melodien, die von Bläsern angespielt werden und dann verhallen, um Drum & Bass den Vortritt zu lassen. Gelegentlich hat Hibbert, der hier auch Sound Engineer war, Soundsamples, wie Hundegebell oder Telefonklingeln beigemischt. Hat er wohl bei Errol T. abgeguckt, klingt auf „Leggo Dub“ aber doch eher deplatziert. Ansonsten kann Hibbert seine Nähe zu King Tubby nicht verleugnen – was aber nicht zuletzt am Sound der Backing Band (Revolutionaries/Soul Syndicate/Aggrovators) liegt, die auch für Bunny Lee unzählige Rhythm Tracks aufgenommen hat. Wer also die Blood & Fire-Dub Rereleases mag, wird an Leggo Dub seine Freude haben.

Mein lieber Plattendealer aus Münster hat ein interessantes französisches Dub-Label mit dem grandiosen Namen „Sounds Around“ ausgegraben, das sich irgendwo im Spektrum zwischen Neo-Dub, Elektronik, Techno und Drum ‚n’ Bass verorten lässt. Mit „Dub Excursion“ (Pias/Import) legte das Label – gewissermaßen als Gründungsmanifest – einen Sampler vor, auf dem Namen wie Manutension, Tomaski, Brain Damage, Hybrid Sound System, aber auch mir gänzlich unbekannte Acts wie Elastik, Uzina Dub oder Heckel & Jeckel versammelt sind. Den Grundtenor des Samplers bestimmen wuchtige Neo Dubs mit schweren Basslines und stoisch steppenden Drumbeats. Aber alles klingt ein wenig experimenteller, elektronischer und verspielter. Hier wird undogmatisch musiziert, was der Labtop hergibt – und im Falle von Rawa Dub ist es eine grollende Bassline, die ihresgleichen sucht. Ein wahres Dub-Gewitter! Fantastisch sind auch Heckel & Jeckel, die hier einen UB 40-Sample durch den Fleischwolf drehen. Entlassen wird der Hörer von Elastik, der scheinbar einen Muhezin in der Mangel hatte. Schräg und schön.

Ein weiteres Album auf Sounds Around ist „Dub Strike“(Pias/Import) von Sism-X, die irgendwie nach einer Hardcore-Version von Seven Dub klingen. Machtvoller Roots-Dub ohne Firlefanz. Druckvoll und Kompromisslos. Völlig redundant, einen Titel tatsächlich „Stepper Dub“ zu nennen – nichts anderes macht das gesamte Album mit Bravour.

Das Hybrid Sound System – bereits mit einem Titel auf dem Sampler vertreten – legt mit „Synchrone“ (Pias/Import) auch ein komplettes Album auf Sounds Around vor. Hier geht es schon experimenteller zu. Viele der wuchtigen Dubs sind um orientalische Harmonien und arabische Vokal-Samples herumgewebt. So beginnt der Track L’Uzure wie ein arabisches Volkslied, um sich dann allmählich in einen kraftvollen Steppers-Dub zu verwandeln. „Nordick“ hingegen beginnt wie ein langsamer, schleppender Dub, um im Laufe des Tracks zu einem brachialen Drum ‚n’ Bass-Stück zu werden. Da werden die Ohren nachhaltig frei geblasen!

Beruhigend traditionell geht es hingegen auf dem Vibronics-Album „Heavyweigt Scoops Selection“ (Pias/Import) zu, das ebenfalls auf Sounds Around erschienen ist. Versammelt sind hier scheinbar Vocal-Stücke und Dub-Versions diverser Vibronics-Produktionen – gewissermaßen ein Vibronics-Labelportrait. Nach den frischen französischen Dubs wirken die typischen UK-Dub-Synthie-Sounds der Vibronics irgendwie abgestanden, obwohl die Vokalisten einige nette Melodien beisteuern. Vor allem Madus’ „Book Of Revelation“ ist ein brillanter Song, der auch von einem schön kraftvollen Rhythmus unterstützt wird.

Bleiben wir noch ein wenig in Frankreich und hören in ein Album, dessen Titel ausgesprochen vielversprechend klingt: „Night of the Living Dread“. (Import) Urheber dieses Horror Dub-Albums – auf dessen Cover dreadgelockte Riesen-Roboter gegen Zombies in blauen Banker-Anzügen kämpfen – sind Sonarcotic aus Marseille. Dub-Avantgarde darf man hier zwar nicht erwarten, aber ein sehr schönes, interessantes und ziemlich abwechslungsreiches Dub-Album, dass keineswegs zum Fürchten ist. Im Gegenteil: ruhige, entspannte, aber doch spannungsvoll pulsierende Beats bestimmen den Sound. Die Arrangements stecken voller kleiner Ideen und sorgen dafür, dass jeder Song Eigenständigkeit und Prägnanz besitzt. Entgegen aller Erwartung wird der Hörer hier nicht mit blöden Samples aus Horrorfilmen genervt – der Titel scheint (zum Glück) lediglich ein nettes Wortspiel zu sein. 

Es gibt wieder eine neue Scientist-Platte! „Nightshade meets Scientist“ (Organized Elements/Import) heißt das Teil und bietet 13 Dub-Mixes eines – noch nicht erschienenen – Albums der Ami-Band Nightshades. Gemixt wurde es von Hopeton Brown a.k.a. Scientist in Hollywood. Die Tracks sind alle von Hand gespielt und klingen auch so – typisch amerikanischer Reggae: traditionell, rootsig, latent trocken. Scientist liefert einen soliden Job: traditionell, rootsig, latent trocken. Spannendere Rhythm-Tracks hätten ihn wahrscheinlich etwas mehr aus der Reserve gelockt. Doch ein Album ohne Höhen und Tiefen hat auch Stärken: So eignet es sich hervorragend als Hintergrundmucke im Büro, gewissermaßen als Stress-Absorber.

Nachdem im letzten Jahr die große Jah-Wobble-Werkschau in Form von einer 3-CD-Box erschienen ist, wagt sich Wobble nun, ein  Album mit aktuellen Werken vorzulegen. Um diesem eine angemessene Bedeutung zu verleihen, hat er den Titel „Mu“ (Trojan/Rough Trade) gewählt, was laut eigener Aussage aus dem Chinesischen stammt und nichts geringeres als „Gott“ oder auch „Ursprung“ meint. Damit dürfte klar sein, dass Mr. Wobbles Esoterik-Trip noch andauert. Diesmal führt er uns über Indien in den fernen Osten, auf einem mit sphärischen Dubs und warmen Bassläufen gepflasterten Weg. Seine Soundcollagen aus asiatischen Harmonien, Breakbeats, Sampels, Keyboard-Flächen und natürlich subsonischen Bassfrequenzen haben zwar nur bedingt mit Reggae zu tun, dafür aber umso mehr mit Dub, Zen-Dub, um genau zu sein. Jeder Track besteht aus einer nicht genau definierbaren Anzahl von Soundebenen, die sich transparent überlagern und aus denen immer wieder einzelne Instrumente oder Stimmen hervortreten und eine kleine Melodie anstimmen oder synkopierte Beats beisteuern. (Für diesen faszinierenden Sound zeichnet übrigens Mark Lusardi verantwortlich, der auch schon The Orb, Duran Duran und David Bowie hat gut klingen lassen). Wobbles Songs stecken voller Ideen und lassen eine allzu einfache Klassifizierung nicht zu. So ist „Kojak-Dub“ zum Beispiel ein funkiges Uptempo-Stück und „Love Comes/Love Goes“ ist lupenreiner Pop. Aber das ist ja kein Widerspruch, denn alles entspringt ja bekanntlich dem große „Mu“.

Eine Antwort auf „Dub Revolution, September 2005“

Mu (jap. ?) oder wú (chin. ? / ?), ist ein Wort, das man im Deutschen ungefähr mit nicht(s) oder ohne übersetzen kann. Es wird typischerweise als Präfix verwendet, um die Abwesenheit von etwas anzuzeigen (z. B. ??, musen „drahtlos“). Jedoch gibt es das Wort Mu auch für sich allein genommen.

(aus http://de.wikipedia.org/wiki/Mu_(Philosophie))

Ergibt sich doch gleich eine ganz andere „Esoterik“, oder?

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