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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, September 2003

1992 hörte ich zum ersten Mal die Alpha & Omega-Debut-Alben „Daniel In The Lions Den“ und „King And Queen“. Sie waren eine Offenbarung, in einer Zeit, in der Reggae von „Computerized Rhythms“ bestimmt war und Dub in Jamaika zu existieren aufgehört hatte. Einen so tiefen, brummeligen, ungemein warmen Bass hatte ich in noch keiner Reggae-Aufnahme gehört. Die von mir wegen ihres deepen Sounds bis dahin geliebten Early-80ies-Dub-Tracks der Roots Radics klangen im Kontrast dazu federleicht. Wenn es einen Vergleich zu A&O gab, dann war es Lee Perry in seiner besten Black Ark-Zeit. Die mystisch-spirituelle Atmosphäre seiner Aufnahmen wiesen den Weg, den A&O fast zwei Jahrzehnte später fortsetzten  (und der sein vorläufiges Ende zur Zeit in den Produktionen von Rhythm & Sound findet). So machen die Süd-Londoner Bassistin Christine Woodbridge und ihr Partner John Spronsen auch keinen Hehl daraus, wer ihre Vorbilder sind: „Lee Perry, Augustus Pablo und Yabby You“. Was die Musik dieser drei Dub-Artists ausmacht, ist weniger der raffinierte Dub-Mix (wie z.B. bei King Tubby) als viel mehr ihr dichter, atmosphärischer Sound. Woodbridge und Spronsen haben diesen Sound nochmals verdichtet, reduziert und radikalisiert. Er ist einzigartig und unter allen UK-Dub-Aufnahmen eindeutig identifizierbar. Neben Christine Woodbridges tiefem, tiefem Bass-Gewummer, dessen Melodien kaum identifizierbar sind, und dem stoischen Steppers-Drumbeat, sind es vor allem sphärische an- und abschwellende Hintergrundgeräusche mit massig Hall, die den akustischen Eindruck eines Urwaldes heraufbeschwören und A&O-Stücke unverwechselbar machen. Typisch sind auch akustische Sounds wie der Nachhall riesiger Gongs, kurz angespielte Cembalo-Akkorde, Melodika-Sprengsel oder auch Percussions. Verblüffend ist, dass die Tracks, die als unendlich träge rollende Rhythms in Erinnerung bleiben, sich beim bewussten Hinhören oftmals als Uptempo-Stücke erweisen, die mit unaufhaltsamem Drang voranzuschreiten scheinen. Schön, dass A&O nicht das Schicksal vieler UK-Dub-Bands der 90er teilen und in der Versenkung verschwunden sind. Nachdem es viele Jahre vor allem Remixes ihres alten Repertoires zu hören gab, kommen nun wieder vollkommen neue Stücke aus dem Londoner Heimstudio. Das neue Album „Spirit Of The Ancients“ (Greensleeves/Zomba) teilen sich die beiden mit Jonah Dan und brillieren hier mit großartigen neuen Tracks und wunderschönen Vocal/Dub-Kombinationen. Jonah Dan, der die andere Hälfte des Albums produziert und eingespielt hat, passt hervorragend in das A&O-Konzept. Obwohl sein Style cleaner ist und die Tracks deutlicher strukturiert, ergänzen sich die beiden Sounds zu einem runden UK-Dub-Album, wie es in den letzten Jahren viel zu selten zu hören war. Wollen wir hoffen, dass davon einige Impulse für die UK-Dub-Szene ausgehen und sie zu neuem Elan motivieren.

Wahren Dub-Heads wird es nicht verborgen geblieben sein, dass die Sommer-Monate es an Nachschub fehlen ließen. Das einzige interessante Material, das ich auftreiben konnte ist ein Album der Dubwise Prayers mit dem Titel: „The Dubplate Series“. (Realeyes/Import). Dabei handelt es sich um eine Kleinstauflage mit handgebrannter CD und laserkopiertem Cover (von ausgesuchter Häßlichkeit). Sehr, sehr skeptisch legte ich die (für 16 Euro gekaufte) CD in den Player – und wurde angenehm überrascht. Klassischer UK-Dub war zu vernehmen, nicht sonderlich innovativ, dafür aber solide und erstaunlich abwechslungsreich. Von sehr schönen, geradlinigen  Steppers-Beats reicht das Spektrum bis hin zu eher experimentellen Mixes und knurrenden Synthie-Sounds. Vielen Tracks ist anzuhören, dass hier Alpha & Omega Pate gestanden haben. Sehr eigenständig sind hingegen die Stücke, auf denen das Violinenspiel eines gewissen J. Bloom zu hören ist – unendlich melancholisch und sehr mystisch. Es fällt schwer, die Stücke zeitlich einzuordnen, denn zu hören sind sowohl Sounds der 80er wie der 90er Jahre – und wer weiß, ob hier eklektizistische Genossen der Postmoderne am Werk waren und sich wahllos in der Reggae- und Dub-Historie bedient haben, oder ob wir es schlicht mit alten Aufnahmen zu tun haben? Geheimnisvoll das Ganze!

Da wir dieses Mal so schön viel Platz haben (um den Materialmangel positiv zu deuten), will ich die Gelegenheit nutzen, ein wenig über den Tellerrand des typischen Reggae-Dubs hinauszuschauen, und euch, lieben Raggae-Fans, ein Album nahe legen, dass ihr bei eurem House- und Techno-Dealer bekommt (z.B. www.kompakt.net): „Rocket In Dub: If Music Could Talk“ (Italic/Kompakt). Unbeachtet von der Reggae-Szene hat sich Dub in der Welt minimaler elektronischer Musik in den letzten Jahren einen festen Platz gesichert. Treibende Kraft war anfangs zweifellos das Berliner Basic Channel-Label, aus dem z. B. auch Rhythm & Sound hervorgegangen ist und deren Macher zur Zeit für die Wiederveröffentlichung des Wackies-Backkatalogs sorgen. Die Artists des Kölner Kompakt-Labels haben ihren eigenen Stil minimaler Dub-Music entwickelt, für den das vorliegende „Rocket In Dub“-Album ein gutes Beispiel ist. Hypnotisch vor sich hinpluckernde, kräftig synkopierte Shuffel-Beats mit vielen kleinen Click & Cut-Effekten und sattem Hall und Echo. Minimaler kann man die ohnehin schon recht abgespeckte Dub-Musik nicht auffassen. Alles Überflüssige ist eliminiert worden – der Kern des Dub-Sounds liegt bloß. Wie in einem Labor-Experiment, fein säuberlich herausseziert, analysiert und neu kombiniert. If music could talk, würde sie uns erzählen, wie es in der subatomaren Welt des Dub aussieht, würde uns sagen, ob der Mikrokosmos des Sounds der Computersimulation gleicht, die uns Rocket In Dub präsentiert. Ich bin gewillt, daran zu glauben.

Abschließend noch zwei Kurzmeldungen für Dub-Geeks: Soeben ist das von Sonja Pottinger produzierte und von Errol Brown gemischte  „Culture in Dub“-Album von 1978 unter dem Titel „Rare And Unreleased Dub“ (Revolver/Import) als südafrikanischer Import wieder veröffentlicht worden. Leider von recht knacksigem Vinyl gemastert. Ebenfalls wieder veröffentlicht wurde Burning Spears „Living Dub Vol.1“ – allerdings in Abgrenzung zu dem Heartbeat Rerelease von 1992 jetzt unter dem Titel: „Original Living Dub Vol. 1“ (Burning Spear/Import). Während die Heartbeat-Fassung das Album in einem neuen Mix von Barry O’Hare und Nelson Miller präsentierte, bietet „Original Living…“ den ursprünglichen, besseren Mix von Karl Pitterson und Benji Armbrister.

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