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Groundation Meets Brain Damage: Dreaming from an Iron Gate

Ist es wirklich schon mehr als 20 Jahre her, dass Groundation’s Meilenstein-Album „Hebron Gate“ erschienen ist? Ich erinnere mich noch, dass mich der famose, aber längst nicht mehr aktive Ixtulluh-Vertrieb mit dem Album bemusterte. Es war keinesfalls Liebe auf den ersten Blick; es hat damals schon seine Zeit gebraucht, bis ich mich mit dem Release auseinandergesetzt habe: Braucht man denn noch eine unbekannte Band, wenn – ganz im Gegensatz zu heute – massenhaft andere neue Releases um Aufmerksamkeit buhlen? Mein Zögern war nachträglich gesehen ein Fehler, denn beim ersten Reinhören ist mir die Kinnlade gefühlt in den Schoss gefallen. Das war Reggae, wie ich ihn mir schon seit Jahren gewünscht hatte: Bodenständiger Roots mit ansprechenden Texten und diversen Jazz- und Blues-Sprenkeln, die das Ganze so richtig interessant machten: Hier waren offenkundig versierte Musiker am Werk, die Einflüsse aus anderen Genres geltend machten. Dass das Album unter der Ägide von Jim Fox eingespielte wurde und entsprechende (Sound-)Qualitäten hat, steigerte das Interesse – offensichtlich nicht nur meines, wie das Feedback der Reggae-Community gezeigt hat (obwohl es auch einige Vorbehalte gegenüber Harrison Stafford’s gewöhnungsbedürftiger Stimme gab). Ein Vergleich mit den beiden Vorgänger-Alben offenbart den Quantensprung in der Entwicklung von Groundation – und so wurde „Hebron Gate“ letztlich die (noch nicht so elaborierte) Blaupause für alle nachfolgenden Alben der Band; zumindest so lange diese Besetzung – u.a. mit Marcus Urani und David Cachere an Hammond-Orgel bzw. Trompete – existierte. Was folgte, war eine steile Karriere im Reggae-Universum – insbesondere in Europa, wo Groundation als erfolgreicher Live-Act quasi alles bespielte, was den Namen Bühne verdiente; die großen Festivals sowieso. 

Nach „Hebron Gate“ erschienen die EP „Dragon War“ bzw. das Album „Dub Wars“, die Dub-Versionen einiger Album-Tracks enthielten – sehr geschmackvolle Arbeiten dank Jim Fox, der die schlichte Schönheit der Instrumentals in den Vordergrund stellte und sie einem unaufgeregtem Dub-Treatment unterzog.

Fast Forward nach 2023; Groundation gibt’s noch immer (wenn auch in nahezu gänzlich anderer Besetzung) und hat’s nach wie vor drauf, wie der letztjährige Release „One Rock“ eindrucksvoll bewiesen hat. Urgestein Harrison Ford – der sich offensichtlich die Rechte am Groundation-Katalog sichern konnte – nimmt das „Hebron Gate“-Jubiläum zum Anlass, sich nochmal mit dem Album auseinander zu setzen. Das hätte durchaus eine remasterte Deluxe-Ausgabe werden können – mit unveröffentlichten Tracks, die damals schon zu schlecht für den Release waren, oder mit holprigen Studio-Outtakes, die niemand wirklich braucht. Stattdessen hat er die Idee, die Originalbänder Martin Nathan aka Brain Damage zu überlassen, der die Tonspuren auseinanderdröselt, einmal soundmäßig hochglanzpoliert, das Ganze dann (mitunter höchst eigenwillig) wieder zusammensetzt und mit einigen zusätzlichen Instrumentalspuren bzw. Soundeffekten versieht. Es ist wohl kein Zufall, dass sich im Titel “Dreaming from an Iron Gate“ (Baco Records) das Wort „Dub“ nicht wiederfindet; das wäre auch zu kurz gegriffen. Das neue Album ist vielmehr eine tiefgehende, mitunter psychodelische Reise in die Eingeweide von „Hebron Gate“. 

Hier gibt’s Vieles zu entdecken, dass im Originalmix untergegangen war und erst jetzt durch den an heutige Hörgewohnheiten angepassten Sound offenbart wird – etwa die fein ziselierte Drum- und Beckenarbeit von Paul Spina oder so manche Background-Vocals, die offenbar vor 20 Jahren der Mix-Schere zum Opfer fielen. So entsteht des öfteren der Eindruck, als befände man sich mitten in einer akustischen Dokumentation über die alten Aufnahmen, in der immer wieder auf zuvor niemals gehörte Besonderheiten hingewiesen wird. Ob allerdings die neu eingespielten, zusätzlichen Tonspuren notwendig waren, kann man durchaus hinterfragen: Oft sind sie hilfreich, um die Atmosphäre zu verdichten; manchmal hingegen scheinen sie sich wohl selbst die Sinnfrage zu stellen. Strittig auch die Ausflüge ins… nun ja, ins Psychodelische. An und für sich keine uncharmante Idee, es bremst aber den natürlich Flow der Riddims: Da grooved’s ganz fein dahin und mit einem Mal, bar jeglicher Vorwarnung, dröhnen und schwurbeln (neu eingespielte) Synths dahin… ein wenig Richtung Pink Floyd, möchte man meinen. Dass kann man als Bereicherung sehen oder als Sakrileg, gewöhnungsbedürftig ist es allemal.

Womit vieles, wenn auch nicht alles zu diesem Release gesagt ist. Für weitere Meinungen und Diskussionen bieten sich wie immer das nachstehende Kommentar-Tool an. Bleibt noch die Einschätzung des Rezensenten, der sich hin- und hergerissen sieht: Einmal verblüfft und begeistert das Album, dann langweilt es, dann wiederum entdeckt man Neues und Ungehörtes; manchmal tut der Ausflug ins Psychodelische gut, manchmal nervt er nur. Hängt die Stern-Vergabe gar von der Tagesverfassung ab? Ich gehe also bei der Bewertung auf Nummer sicher und setze zeitgleich auf das eigenständige Urteilsvermögen der hiesigen Dubologen: Was haltet Ihr von „Dreaming from an Iron Gate“?

Bewertung: 4 von 5.

6 Antworten auf „Groundation Meets Brain Damage: Dreaming from an Iron Gate“

Oft ist es das Album mit dem ich eine – für mich neue Band – kennengelernt habe, welches sich im Nachhinein als das Beste herausstellt. Als ich „damals“ „Hebron Gate“ zu meinen ReggaeSchätzen dazu gesellen durfte, war es für mich ebenfalls so, daß ich darauf unbewusst schon lange gewartet habe. Ich fand das richtig FETT ! Abgesehen von dem Gesang mal wieder. Ich glaube inzwischen zu wissen, das wir DubFans schon „von Geburt an“ ein gewisses „Problem“ mit Gesinge haben. Auch im Reggae gibt es viel Geplärre und das ganz besonders inna DancehallStyle und auch bei den Lovermännern, die die LoverGirls anschmachten, bekomme ich oft eine nach innen gerichtete Gänsehaut. Ja und der Gesang von Harrison Stafford ist in der Tat auch gewöhnungsbedürftig. Bis heute brauche ich dafür eine TopTagesForm. Wenn diese aber stimmt, dann isses super. Weil „Hebron Gate“ so gut bei mir gewirkt hat, habe ich mir natürlich noch einiges nachgekauft und bin dann bis zum Erscheinen von „Here I Am“, nahezu kritiklos ein Fan von Groundation gewesen. Inklusive eines LiveKonzerts in Berlin, welches ich aufgrund des herausragenden Pecussionisten niemals nie vergessen werde. Dieses Konzert konnte Groundation leider selbst nie wieder erreichen, wenn ich dabei war. Bei „Here I Am“, kam ich dann aber plötzlich nicht mehr so gut klar. Die Riddims konnten mich nicht mehr so gut vom Gesang von Harrison ablenken und irgendwie haben die oder ich eben den Groove verloren. Ich habe mir sogar noch „Building An Ark“ zugelegt aber letztenendes hat es in der Beziehung zwischen mir und Groundation bereits arg gekriselt. Und ab „Miracle“ half dann auch kein Eheberater mehr. Groundation und ich gingen getrennte Wege. Lediglich die Zusammenarbeit von Harrison und Brain Damage „Liberation Time“ hat mich nochmal aufhorchen lassen und bis heute gefällt mir die Scheibe sehr gut.
Alles in Allem würde ich sagen, das mir die Kombinationen mit den Congos und Don Carlos mal wieder am allermeisten zusagen und bis heute sind diese Tunes unerreicht geblieben. War noch was ?
Ach ja, hier geht es ja eigentlich um „Dreaming from an iron gate“. Ich bin geneigt zu sagen, „ja schön, träum weiter“.
Das kommt dann aber doch zu schlecht rüber. Nachdem ich den Kommentar von Philipp gelesen und natürlich auch die Rezension aufmerksam und mit Vorfreude auf das Album genossen habe, war ich natürlich sehr gespannt. Und es geht auch richtig gut und voll nach meinem Geschmack los. Ein Intro, welches richtig schön spannungsgeladen und voller mystischer Energie mit fantastischen DrumImprovisationen und noch besseren Bläser – bzw. TrompetenFragmenten, ein Album der Superlative einleitet. Dachte ich ! Doch schon im ersten Tune fühlte ich mich an die Worte von Philipp im Kommentar erinnert. Stafford wollte kein „nacktes“ DubAlbum. Ja, dachte ich mir, dann träum, bzw. sing halt weiter. Insgesamt ist mir das Album, ja sogar jeder einzelne DubTune zu durchwachsen. Sehr magische Momente wechseln mit verkopften und – für meinen Geschmack – zu komplizierten sehr stark jazzig angehauchten Fasen innerhalb eines DubTunes. Das kommt manchmal gut aber häufig geht es leider auch zu weit über meinen Tellerrand hinaus. Wahrscheinlich ist es wieder mal so, das man das Album wesentlich öfter hören muss, damit man es genug kennt, um sich überhaupt eine fundierte Meinung bilden zu können. Es ist hier aber wie so oft, ich habe mir schon eine Meinung gebildet und die ist sehr durchwachsen. Das hat dann oft zur Folge, dass es das für mich schon gewesen ist. Dennoch gibt es hier mal wieder viel zu entdecken und wenn man auch auf Archäologie steht und nix gegen das gebuddele in der Erde hat, sollte einem das Album durchaus auch Freude bereiten können.

Greetings ……………….. lemmi

Könnte schon sein, dass Dubologen Probleme mit dem Gesang haben… ich selbst kann mit den Texten nicht, das ist eine ganz andere Welt als meine. Dann finde ich noch das Gebrülle bei Soundsystem-Events absolut unerträglich, ich versteh’s auch akustisch nicht… „LIIIIIIGHTAAAAAA“ und so Schrei-Wortens halt.

Ich habe ebenfalls einige feine Groundation-Gigs besucht, aber am eindrücklichsten ist mir der letzte in Wien in Erinnerung geblieben: Totale Aggro-Stimmung auf der Bühne. „Miracle“ (was ich für das beste Groundation-Album halte… perfekt produziert, tolle Hooklines) war zuvor herausgekommen und die Bandauflösung stand offensichtlich kurz bevor.

Welchen Kommentar von Philipp meinst Du? Er zitiert da den Pressetext…

Ja, man muss sich echt exakt und unmissverständlich ausdrücken. Ich kann das nach wie vor nicht so gut aber ich verspreche, ich arbeite dran.
Ich meinte den von Philipp im Kommentar zitierten PresseText, der seinerseits Harrison Stafford zitiert ;-)
„And I don’t want just a bare dub album!“
Ich glaube das mit „Miracle“ hatten wir schon mal. Wenn ich doch blos Bock hätte, das Teil zuhause nochmal aufzulegen. Ich habs ja inna Schublade aber es gab bisher nur eine Begegnung und die war für mich enttäuschend. Ein bischen Quatsch muss sein :
Du weißt ja, ich bilde mir gern ein, das absolute Gehör zu haben und eventuell bin ich ja in der Lage, es herauszuhören, das die Band schon bei der Produktion von „Miracle“ kurz vor der Trennung stand und das hat sich insgesamt auf die Chemie der Musik negativ ausgewirkt ;-)
Gibts von dem Konzert in Wien einen Mitschnitt auf u – tube ? Ich bin ja auch nur ein Mensch und ich stehe auf Sensationen und Skandale.

Ach ja und ich könnte jetzt aus voller Leidenschaft über 99 % der SoundsystemFuzzies ablästern. Ich meine vor allem die, die die beste Musik im WarmUp gespielt haben ;-) Aber das muss ich mir wohl für später aufheben. Außerdem wäre das hier nicht das erste mal, das ich meine Wahrnehmung über diese Kunstbanausen zum Beste gebe.

Also, so long erst mal ………………. lemmi

Meine Sozialisierung mit Groundation war das Album „Dub Wars“. Damals zog ich gerade in ein altes Bauernhaus und habe beim Streichen der Wände nonstop diese CD im Ghettoblaster drehen lassen (habe ich deswegen alle Wände gelb, die Decken-Balken grün und Türrahmen und Türen rot gestrichen? Was für ein Zufall!)… und alles, was ich mir später von Groundation noch anhörte, fand ich zwar kurz gesagt überdurchschnittlich gut, was das Musikalische betraf, aber eben, da war diese Stimme… ich gehöre da genetisch wohl zum selben „Stamm“ wie lemmi… wohldosiert oder einige wenige Ausnahmen, die die Regel bestätigen, ansonsten sind für mich Stimmen und Gesängen eher störend, lästig und unerwünscht.
Nun habe ich im Release-Radar-Komment einfach gerade mal frisch von der Leber weg meinen ersten Höreindruck verarbeitet… bin gerade beim zweiten wirklich konzentrierten Hördurchgang (diesmal in guter Lautstärke) und finde die ersten beiden Stücke wieder sehr stimmig (ich persönlich hätte Harrisons Gequängele wohl noch sparsamer eingesetzt als Martin Nathan, aber die Background-Vocals gefallen mir).
„Spitfire“ beginnt psychedelisch, mit viel Delay und Hall auf Orgel und Gesang, und das melodica-ähnliche Orgelsolo bevor die Trompete übernimmt, gefällt mir. Ich stehe eben auch auf diese jazzigen Ausschweifungen, dann etwas abrupt das Ende, welches nochmals kurz nachklingt (weshalb? hätte ich weggelassen)…
Das beste ist für mich wirklich die Orgel (Marcus Urani hat’s einfach drauf), „Deaf Ears“ ist jedenfalls auch sehr gut gelungen in dieser Version…
„All I’ve seen today“ hat dann tendenziell wieder zu viel Gesang beigemischt und tönt bis zu ca. Minute 2:30 eigentlich fast wie ein unbearbeiteter Albumsong (und ja, das Original „Hebron Gate“ habe ich schon länger nicht mehr gehört). Zum Schluss gibt’s dann noch so einen Synthie-Ausklang, der tatsächlich etwas plötzlich und ziemlich irritierend wirr reinfährt, aber für meinen Hörgenuss alles im grünen Bereich.
Beim nächsten Stück, „A New Star“, geht es quasi weiter wie vorher, zumindest bis zur Hälfte des Songs… danach wird’s einen Moment lang etwas wilder, bis die Stimme wieder einsetzt und der Song fast normal zu Ende geht… der Schlussschluss wird dann reichlich durch Filter gezogen und fadet quasi darin aus.
„Dreaming from an Iron Gate“ kommt nach einem eher jazzigen „They are wrong“ bei mir wieder sehr deep und mystisch an. Und ich mag diese feinen elekronischen Spielereien, die da eingesprenkelt werden, schön dezent, nicht zu aufdringlich, aber doch prägend… danach singt die Stimme (ist diesmal Don & Cedric?) über peitschende Delayrhythmen, ein Windsynthie-Klang pfeift auch mal noch vorbei und es wird immer wilder, die Drums geben Gas unddrehen auf, kurz vor dem Exzess beruhigt sich das Ganze wieder und der Gesang beendet das Stück…
Zu guter Letzt noch ein Nyabinghi-Rhythmus im Intro (schade, dass er den nicht voll bis zum Ende puristisch durchzieht)…
Insgesamt muss ich nun doch sagen: generell zu viele Vocals und Gesang! Da wäre weniger für mein Empfinden mehr gewesen.
Im Gegensatz zu gtk stören mich hingegen die feinen Ausflüge ins Psychedelische nicht im geringsten, auch fühle ich die Übergänge nie als zu abrupt oder störend, aber diese Wahrnehmungen mögen sehr individuell geprägt sein.
Für mich sicherlich ein Album, das wieder und wieder gehört werden wird und nicht wie so manches andere nach wenigen Hördurchgängen unter den Radar fliegt und vergessen geht… ob’s dann im Dezember tatsächlich in die Top Ten reicht? We will see… that’s it!

Danke für Deine Eindrücke, Philipp!

Ich denke auch, dass „Dreaming from an Iron Gate“ ein Album ist, mit dem man sich lang beschäftigen kann – vor allem wenn man „Hebron Gate“ gut kennt & liebt. Verstehen muss man es nicht unbedingt… wichtig sind die individuellen Gefühle, dass die Arbeit auslöst.

Ob’s in die Top10 (bzw. Top 5’s im dubblog) kommt, kann man noch nicht sagen – mal gucken (hören), ob die anderen 2023er-Releases irgendwie besser oder schlechter sind….

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