Man muss konstatieren: Corona hat auch sein Gutes! Diese beiden (!) Alben, nämlich: High Tone Meets Zenzile – Zentone, Chapter 2 (Jarring Effects). Was für ein fulminantes Dub-Werk! Hervorgegangen aus der deprimierendsten aller Pandemien, fünfzehn Jahre nach dem „Chapter 1“. Offenbar haben die neun Musiker der zwei profiliertesten Dub-Bands Frankreichs es in der Einsamkeit ihrer Homeoffices nicht länger ausgehalten und sich ganz konspirativ für eine Woche in Lyon im Studio eingeschlossen, um – ja unglaublich – von Angesicht zu Angesicht miteinander zu musizieren. Ohne viel Studio-Rocket Science (ganz im Gegensatz zu „Chapter 1“). Statt dessen mit einem einfachen Sound System-Setting, spontan, direkt und improvisiert. Alles, was zählte war der zwischenmenschliche Vibe. Das Ergebnis ist atemberaubend. Zwei Alben voller fantastischer, inspirierter Kompositionen mit insgesamt 22 Tracks, die vor Wärme, Intensität und echter Schönheit nur so strotzen. Katalysator dieser Qualität war offenbar die pure Lust an der persönlichen Begegnung – vielleicht gepaart mit ein paar während der Lockdowns angestauten musikalischen Ideen aller Beteiligten. Substanz statt Effekt lautete das Motto. Alle Tracks wurden live produziert und anschließend auf analogen Konsolen gemixt. Der Sound ist warm, komplex und voller Dynamik. Hier stimmt einfach alles. Und natürlich passt zu solch einem Ansatz die Einbeziehung von Sängern. Ja, tatsächlich! Ich bin eigentlich Dub-Purist, aber hier liefern Nai-Jah, Nazamba, Jolly Joseph und Rod Taylor einen absolut essenziellen Beitrag zur musikalischen Vielfalt, ohne dabei den Dub-Vibe auch nur im Geringsten zu schmälern. Ihre Performances – vor allem Nai-Jahs und Nazambas – sind einfach grandios.
Okay, jetzt muss aber noch die Geschichte mit den zwei Alben aufklärt werden: Zenzile und High Tone haben während ihrer Woche in Lyon insgesamt zehn Rhythms aufgenommen. Zenzile hat sich anschließend alle zehn Stück vorgeköpft, gemixt und zu einem Album zusammen gestellt, das als CD oder Download gekauft werden kann. High Tone hat sich hingegen nur die vier Rhythms vorgenommen, für die ein Sänger aufgenommen wurde und präsentiert sie im Showcase-Style: Vocal-Version, Instrumental-Version, Dub-Version – und kommt so auf zwölf Tracks, die als Doppel-Vinyl angeboten werden (sie könne aber auch als Download erworben werden). Um die Sache jetzt aber schön kompliziert zu machen, gibt es noch eine Streaming-Variante. Diese besteht aus den zehn Zenzile-Mixes sowie den vier Vocal-Versions von High Tone. Alles klar?
Echte Dub-Nerds werden die Mixes natürlich miteinander vergleichen und feststellen, das High Tone traditioneller ans Werk geht und mit seinen Mixes auf den Sound System-Einsatz zielt, während Zenzile zu etwas verspielteren, Sofa-kompatiblen Ansätzen neigt. Ich kann mich aber gar nicht entscheiden, was mir besser gefällt – deshalb höre ich stets beide Alben hintereinander.
2 Antworten auf „High Tone Meets Zenzile: Zentone, Chapter 2“
Heyii René…
dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Wirklich ein Dub-Highlight im Doppelpack…
Kaum hatte ich dieses Werk in meinem Kanka-Kommentar erwähnt, ist es hier von dir beschrieben online… waren wohl gleichzeitig am Schreiben… hehehe!
Für mich der heisseste Anwärter auf die Dub-Scheibe des Jahres 2021 bisher…
Und auch ich höre beide Scheiben immer schön hintereinander und kann mich nicht entscheiden, aber das braucht’s auch gar nicht: Genuss pur!!!
Au weiha !
Ich glaube, jetz isses soweit. Ich befürchte ich habe DubCorona. Ich finde ja sowohl High Tone als auch Zenzile sehr durchwachsen. Von beiden kenne ich geniale DubTunes aber auch den gewöhnlichsten schlaffen MusikSound, den Musiker so zu bieten hatten und haben. Manchmal war mir besonders High Tone auch zu brutal, was Rhythmik und Instrumentierung angeht aber gleichzeitig hatten die anfänglich auch die abgefahrensten Ideen, die mir im Dub so begegnet sind. Die haben KopfKino in bester Alfred Hitchkock- Manier bei mir erzeugt und ich würde mich bis heute noch als High Tone Fan bezeichnen. Auch wenn ich seit „Ekphrön“ nicht mehr dabei bin.
Als ich die Rezension hier gelesen habe, dachte ich schon, endlich gibts mal wieder was für meine durchgeknallte Birne aber ich muss gestehen, ich bin wohl krank. Ich finde das hier alles viel zu gewöhnlich und schon fast harmlos. Was stimmt denn mit mir nicht ? Selbst die Vocal Tunes, ja sogar den mit Rod Taylor kann ich unter „ferner liefen“ abheften. Ich muss ja keinesfalls wegrennen aber ich kann beim Besten willen keine Begeisterung empfinden. Habe ein ganz normales ( beschissenes ) Montagsfeeling und leider konnten all diese Tunes nix daran ändern.
Eventuell sollte ich es morgen nochmal versuchen. Vielleicht liegt es aber auch daran :
„Ohne viel Studio-Rocket Science (ganz im Gegensatz zu „Chapter 1“). Statt dessen mit einem einfachen Sound System-Setting, spontan, direkt und improvisiert.“
„Spontan, direkt und improvisiert“ hört sich eigentlich sehr vielversprechend an aber ich glaube ich brauche einfach die volle Ladung „Studio-Rocket Science“ damit meine Rakete genug Schub bekommt, um den gewöhnlichen Orbit zu verlassen.
Eventuell sollte ich lieber Peter Schilling hören !?! ………………………. lemmi