Seit geraumer Zeit scheint es internationaler Trend zu sein, aktuellen Produktionen einen eindeutigen Zeitstempel zu verpassen – im Sinne von „back to the past“: Das Teil klingt zwar wie aus den 1970ern oder 1980ern, ist aber brandneu. Mitunter entsteht der Eindruck, dass man mit Musik zu tun hat, die originaler als das Original tönt. Sämtliche Ingredienzien, die anno dunnemal Reggae auf seinen Weg zum Zenit begleiteten, werden aufgeboten, um den Hörer*innen eine Déjà-vu-Erlebnis der besonderen Art zu bieten: Vintage-Instrumente und -Studioequipment, klassische Arrangements und ein Songwriting, wie man es heute im Genre nicht mehr kennt. Voilá: Alles wie in der guten alten Zeit, nur viel besser.
Wer sich so eine Produktion antut, muss seine Hausaufgaben gemacht haben und sich intensiv mit den historischen Aufnahmen auseinandergesetzt haben; muss wissen, wie man diesen speziellen Sound aus Instrumenten und Mischpult raus kitzelt; muss sich in die klassisch-genrespezifische Stimmführung bzw. deren Arrangements vertieft haben – Reggae-Pflichtfächer, sozusagen. Das kommt in etwa einem Uni-Abschluss im Fach „Vintage Reggae 101“ gleich, und ich ziehe meinen Hut vor jedem, der sich so gründlich mit der Materie auseinandersetzt.
Chapeau also vor Roberto Sanchez aka Lone Ark, der diese Aufgabe perfekt gemeistert und als Produzent verinnerlicht hat – wie man unter anderem auf Earl Sixteen’s „Natty Farming“ oder Ras Teo’s „Ten Thousand Lions“ nachhören kann, inklusive wunderbar-erdiger Dub Versionen. Nun ist Sanchez aber nicht nur Instrumentalist und Toningenieur mit eigenem Studio, er steht auch als Sänger vor’m Mikro – man erinnere sich nur an seine etwas steifen Vocals, die er als Frontmann seiner Basque Dub Foundation eingesungen hat. Dieses Manko hat er inzwischen behoben, wie man auf seinem neuen Release „Lone Ark Meets The 18th Parallel: Showcase Vol. 1“ nachhören kann:
Wunderbar, der Rezensent könnte nicht zufriedener sein: Superbe Produktion; klares, bodenständiges und druckvolles Mixing; Echo & Hall fliegen herrlich tief und nicht zuletzt: Schöne, weiche Vocals transportieren Harmonien im typischen Vokal-Trio-Stil. Und doch kommt gerade bei obigen „Build an Ark (Extended Mix)“ ein seltsames Gefühl auf. Hab‘ ich das nicht schon mal gehört? Der Chorus scheint von den Wailing Souls, die Strophen von Black Uhuru… ist das nicht die Gesangslinie von „Shine Eye Gal„? Der Text beginnt sogar ähnlich: „I rise early looking some tea…“ (Michael Rose) vs. „Early in the morning while I make i-self a cup of tea…“ (Roberto Sanchez). Hmmm… Stirnrunzeln ist angesagt – geht’s noch jemanden so?
Ob beabsichtigt oder nicht, Wiederholungen oder Ähnlichkeiten sind wohl unvermeidbar beim historisch akkuraten Heraufbeschwören der glorreichen alten Zeiten. Letztlich kann es aber nie zu viel des Guten sein, und wir haben mit dem Lone Ark/ The 18th Parallel-Showcase Vol. 1 einen sehr gelungenen Release vor uns, der vorbehaltlos weiterempfohlen werden kann – insbesondere auch was die Dubs betrifft: Sanchez läßt hier die Snare durch die Soundszenerie rollen, der Gesang spuckt stakkatoartig Echos aus – KingTubby hätte es vermutlich nicht anders gemacht. Mir dämmert: Man muß die Welt nicht beständig neu erfinden; manchmal ist es auch wohltuend, die alten Qualitäten aufzubereiten und damit ein Stück Geschichte im hier & jetzt zu zelebrieren. Soll heissen: Nach Vol. 1 kommt bekanntlich Vol. 2, und ich freu mich jetzt schon d’rauf.
5 Antworten auf „Lone Ark Meets The 18th Parallel: Showcase Vol. 1“
Heyii gtkriz
danke für die Ausführungen und Links… mir ist das ganze Retro- und Vintage-Nachmachen nicht gar so stark aufgefallen… für mich tönt die Scheibe durchaus aktuell, obwohl ich natürlich weiss, dass Roberto Sanchez sehr analog und traditionell arbeitet… mein Lieblings-Song Get You und der dazugehörige Dub passen durchaus zu einem fetten Soundsystem der Jetzt-Zeit und trotz aller Anleihen an die 70er, ist der Sound in meinen Ohren frischer und fetter als dazumals. Wie du schreibst ein sehr gutes Stück Musik, das mich auch bereits auf ein Vol. 2 hoffen lässt… mein Dubherz schlägt jedenfalls höher beim Hören…
Würde mich sehr freuen, wenn sich ein dubblog-Rezensent mal an die Tropical Dub Connection (Outtanational Steppas Mixtape Vol.1) oder an das Showcase-Album Tsadiq Nyahbinghi Section von Tsadqan machen würde… rotieren bei mir seit längerem heiss und sind beide auf Bandcamp zu finden… da wäre ich sehr gespannt auf eine andere, dezidierte Meinung und Analyse!
Danke für’s Feedback, Philipp.
Mich katapultiert der Release schnurstracks zurück in die späten 70er… Flashback der besten Sorte.
Ich hab‘ kurz via Notebook in Deine Bandcamp-Vorschläge reingehört – die klingenfein, mal schau’n ob hier einer der Kollegen zuschlagen möchte!
Ich weiß, ich war nicht gemeint aber ich konnte es nicht lassen und habe mir die Vorschläge auch angehört. Und natürlich habe ich dazu eine Meinung ;-)
Das Outtanational Mixtape hat mich jedenfalls nicht dazu veranlasst, es etwas abfällig gleich in die monotone „Steppers-Ecke“ zu stellen. Das Werk ist aber zu Umfangreich um es jetzt schon richtig beurteilen zu können. Insgesamt sind das aber eher SteppersRiddims, die mich durchaus positiv beeindruckt haben.
Die Tsadiq Nyahbinghi Section fühlte sich zunächst etwas befremdlich für mich an. Hört sich ein wenig so an, als ob ein deutscher ägyptisch singt. Da kann man sich vielleicht noch dran gewöhnen.
Aber die Dubs kann ich nur als richtig FETT (!) bezeichnen. „Komischerweise“ hauen die mich mehr aus jedem Sitz, als jede noch so ambitionierte Steppers-Scheibe. Das ist wie Fliegen mit großer Spannweite wie bei Flugsauriern. Dagegen flattern Steppers Riddims immer noch wie Kolibris. Allerdings muss ich diesen Vergleich wahrscheinlich nochmal überdenken.
Ich schwöre, das ich die Dubs auch schon super fand, bevor ich gelesen habe, das die von Nick Manasseh gedubbed, gemixt und gemastert wurden. Dennoch erklärt das für mich noch mehr, warum die Scheibe so gut ist. Gibt es sogar als Scheibe !
So long ……………………… lemmi
Nun, jeder Dubhead ist da irgendwie mitgemeint… ;)
ja, die beiden Scheiben sind sehr unterschiedlich und die Tsadiq Nyabinghi Section ist für mich so in etwa die Entdeckung des Jahres… und glaub mir Lemmi, die Lyrics haben mich anfangs so was von gestört, weil wirklich ein deutschsprachiger eine relativ eigene Englischaussprache an den Tag legt… singt z.B. in „Geneva Jugdement“ Europa voll deutsch ausgesprochen… inhaltlich hingegen find‘ ich die Texte gut, eigen und sehr conscious… und eben… mittlerweile hab ich mich an die Aussprache gewöhnt und das Ganze fühlt sich bei mir sehr irie an… und wie du, hab ich erst später Nick Manassehs Mitwirken entdeckt… was dem allem noch die spezielle Dub-Aura hinzufügt.
Mir gefällt vor allem der akustische Ansatz im Sound, der ohne Schlagzeug, nur mit perkussiven Nyabinghi Drums (Kete, Bassdrum…) daherkommt und trotzdem voll groovt und klingt. Hebt sich definitiv von der Masse der Releases ab…
Dasselbe lässt sich zur Tropical Dub Connection sagen… das hat wenig bis nichts mit monotonem UK-Steppa à la Vibronics oder Jah Shaka und Konsorten zu tun (das soll jetzt nicht abwertend gemeint sein, mag diesen Steppa an einem Dance durchaus sehr gerne, vor allem, wenn ich den Bass im ganzen Körper spüre… zuhause allerdings ist er oft etwas plump und langweilig)…
Was da aus den langen Mix-Geschichten gemacht wird (von wem eigentlich? Bisher sehe ich da noch nicht durch, wer oder wie viele sich hinter der Dub Connection verstecken…), wie da plötzlich ein Latin-Piano übernimmt, so smooth und geschmeidig gemischt, dann wieder fast Drum&Bass-Rhythms, aber nie nervend, nie brachial… und all die anderen Stilmixe, diese Platte ist echt eine Wundertüte ser Stile und trotzdem irgendwie immer mit einem straight dubby Feeling… aber echt jetzt, da höre ich lieber einfach zu als mir noch lange die Finger wund zu tippen…
greetz…
High gtkriz !
Ich bin ja vor allem ein sehr harmoniebedürftiger Mensch. Der allerdings auch für die verrücktesten DubExcursionen in die Grenzbereiche jeglicher Akustik open minded ist. Und so freut es mich immer sehr, wenn die Harmonie sich auch in vollkommener Einigkeit zeigt. Das ist hier mal wieder der Fall. Am schönsten ist es dann auch noch, wenn die, zurecht so hoch gelobte, Scheibe, dann auch tatsächlich noch als Scheibe (!) zu bekommen ist. In solchen Fällen ist meine kleine heile Welt komplett im Harmoniezustand und es stellt sich so etwas wie Glück ein.
Die Scheibe ist bestellt !!!
Wie klein doch die Welt wieder ist. Ich wusste ehrlich gesagt nicht, das Roberto Sanchez mal der Frontmann von Basque Dub Foundation war. Das erklärt für mich aber auch, warum mir seine Produktionen auch meistens sehr gut gefallen. Das was mir nicht sehr gut gefällt, gefällt mir aber immer noch gut ! Basque Dub Foundation gehörte und gehört für mich auch immer noch zu High Grade Reggae bzw. High Grade Dub. Gelegentlich denke ich, der Roberto könnte beim DubMix noch ein bischen mehr „rumspinnen“ aber das tut hier nix zur Sache, denn das ist lamentieren auf ganz abgehobenem Niveau.
Ich finde auch, das der Gesang hier extrem gut ausgewogen zum Rhythmusteppich aufgenommen wurde und auch ich empfinde die Vocals sehr schön und weich aber nicht im Sinne von verweichlicht, sondern im Sinne von harmonisch. Vor allem schmiegen sie sich an den Riddim, wie eine frisch verliebte Frau sich nicht viel besser anschmiegen könnte. UND (!) sie werden nicht durch überzogene Lautstärke „brachial“ über die Musik gestülpt. Da passt einfach alles ! Für mich ist das ein ganz wichtiges Qualitätskriterium und wird hier 1A umgesetzt. Ob das wirklich bei jedem Tune von Anfang bis Ende so ist, weiß ich jetzt noch nicht aber es war für mich zunächst auch ein ganz klares Argument für meine Kaufentscheidung. Zumal die Dubs auch wirklich gut sind.
Dann ist da noch die Frage zu „Shine Eye Gal“. Meine Antwort kommt dabei aus dem Bauch heraus und ich muss gestehen, das ich da zwar eine gewisse Ähnlichkeit wahrnehmen kann aber es ist noch sehr weit entfernt von einer Coverversion ( von der allerdings auch niemand etwas gesagt hat ;-) ).
„Mir dämmert: Man muß die Welt nicht beständig neu erfinden; manchmal ist es auch wohltuend, die alten Qualitäten aufzubereiten und damit ein Stück Geschichte im hier & jetzt zu zelebrieren. Soll heissen: Nach Vol. 1 kommt bekanntlich Vol. 2, und ich freu mich jetzt schon d’rauf.“
Dieser Satz erzeugt bei mir die größte Harmonie ! Der könnte 1:1 von mir stammen ! Außer das es mir dabei nicht nur dämmert, sondern das ist für mich eine unumstößliche Wahrheit.
Der Reggae von „damals“ war und ist perfekt ! Besser geht nicht ! Es geht – wenn überhaupt – nur genauso gut. Und das haben Lone Ark und The 18th Parallel richtig gut hinbekommen.
Und ich freue mich mich nahezu grenzenlos, das hier nicht nur wider meine Meinung steht ;-)
Greetings Phylipp K ( rs one ) ………………………….. lemmi