Der britische Saxophonist/Flötist Nat Birchall feierte bereits 2019 sein zwanzigjähriges Bestehen als Bandleader. Sein Spezialgebiet ist eigentlich zeitgenössischer, spiritueller Jazz im Stile von John Coltrane. Bevor Nat Birchall zum Jazz wechselte, war Reggae seine große Leidenschaft und ist es gewissermaßen auch heute noch. Er wuchs in den 1970ern auf, Reggaes Belle Epoque, als der Stil den Ton angab, der als „Roots-Reggae“ in die Musikgeschichte eingehen sollte. Birchall unternahm fast wöchentlich Einkaufstouren von seiner ländlichen Heimat Lancashire im Norden Englands in das nahe gelegene Liverpool, um die neuesten Jamaika Importe in den Fachgeschäften der Stadt zu kaufen. In einem Interview berichtete Nat Birchall: „Ich habe mein ganzes Geld für diese Platten ausgegeben und die meisten Leute in meinem Dorf kommentierten meinen Musikgeschmack mit: „Was zum Teufel ist das denn? Du bist aber schräg drauf!“
Für Birchalls musikalische Entwicklung ebenso prägend war Count Ossie (Oswald Williams), der Mann, der den typischen Nyahbinghi-Percussionsstil entwickelte, den Rastas bei ihren tagelangen Grounations spielen. Ein wesentliches und exemplarisches Beispiel dieser fabelhaften Grounations, in Rockfort nahe Wareika Hill im Osten Kingstons, ist die in nur drei aufeinanderfolgenden nächtlichen Sessions eingespielte „(Count Ossie &) The Mystic Revelation Of Rastafari – Grounation“ (Ashanti, 1973). Diese Triple-LP genießt einen sehr hohen Stellenwert in Birchalls Plattensammlung als auch seiner Musikwelt. Bei den meisten dieser legendären Aufnahmen war Cedric „IM“ Brooks sowohl Arrangeur als auch am Tenorsaxophon zu hören. Auf dem Meilenstein „Grounation“, der in keiner seriösen Sammlung fehlen sollte, ist der Jazz-Einfluss offenkundig und sprudelt aus jeder Rille – außer bei den Narrations. Die führenden Saxophonisten dieser Ära: Cedric „IM“ Brooks, Tommy McCook, Roland Alphonso weckten Nat Birchalls Interesse für dieses Instrument und beeinflussten ihn stark in seinem Entschluss, Saxophon zu spielen.
Im Jahr 2018 gründete dann Nat Birchall zusammen mit dem in Manchester ansässigen Dub-Produzenten Al Breadwinner „Tradition Disc“. Das Label veröffentlichte bisher die beiden, nicht nur in Fachkreisen hochgelobten, Alben Nat Birchall meets Al Breadwinner feat. Vin Gordon: „Sounds Almighty“ und Vin Gordon: „African Shores”.
Nun folgt der dritte Streich: Nat Birchall meets Al Breadwinner: „Tradition Disc in Dub” (Tradition Disc). Was wir diesmal serviert bekommen, ist ein richtig relaxtes Dub-Album mit schönen Nyahbinghi-Percussions à la Mystic Revelation Of Rastafari und klassischen Dub à la King Tubby. Wie nicht anders zu erwarten, ist „Tradition Disc in Dub” wieder ein sehr schönes, qualitativ hochwertiges Album geworden, das sicherlich auch all denen gefallen wird, die bereits „Soul Almighty” und „African Shores” zu schätzen wissen/wussten.
„Tradition Disc in Dub” wurde wieder mit Tape und analogem Equipment eingespielt. So wie wir das schon seit einigen Jahre von Al Breadwinner gewohnt sind. An der Besetzung wurde nichts Wesentliches verändert: Nat Birchall und Al Breadwinner spielen sämtliche Instrumente, außer Posaune (Vin Gordon) oder Trompete (David Fullwood von den Crispy Horns). Das neue Werk wird meines Erachtens eine ähnliche Begeisterung hervorrufen wie seine Vorgänger, die ich allen nur ans Herz legen kann. Herrlich rootsige Riddims, schöne Horn-Sections, schwere Bass-Lines, Nyahbinghi-Percussions und wie in einer Schlangengrube zischelnde Drums im klassischen flying Cymbals-Style ziehen in ihren Bann. Wie auf dem Album-Cover bereits zu erwarten, hören wir eine Hommage an die guten alten King Tubby/Bunny Lee/Augustus Pablo/Aggrovators Zeiten. Es herrscht eine milde, schon beinahe sanftmütige, magische Stimmung. Auf jeden Fall machen diese Dubs im klassischen Stil immer noch richtig Laune und sind so hinreißend, dass sie selbst einer Steinkopfstatue auf den Osterinseln ein Lächeln auf das Gesicht zaubern könnten.
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2 Antworten auf „Nat Birchall meets Al Breadwinner: Tradition Disc in Dub“
Der letzte Satz deiner Rezension hat mir speziell gefallen… und zauberte auch mir ein Lächeln ins Gesicht! Grosses Kino!
High RasVorbei !
Raum und Zeit sind wohl echt unzertrennlich miteinander Verbunden. Jedenfalls befinde ich mich jetzt wieder in dem Raum, wo ich auch wieder die Zeit finde, ein paar Kommentare abzugeben.
Dennoch möchte ich mich kurz fassen, da es mich nach vielen Kommentaren dürstet.
Nat Birchall und Al Breadwinner haben mich schon zur Weißglut getrieben, weil sie excellente Dubs im High Grade Style durch ihre Vorliebe für die Flying Cymbals für mich unhörbar gemacht haben. Auf „Tradition Disc In Dub“ nehme ich die Cymbals eigentlich nur noch auf zwei DubVersions als richtig negativ war. Insgesamt bleibt der „High Grade Style“ , so nenne ich alles, was für mich vom Feinsten ist, sehr gut erhalten. Ich kann es immer noch nicht gut beschreiben aber hier wird ein besonders knackiger DubEffekt verwendet. Ich empfinde es ebenfalls als ein Zischen aber beziehe es nicht nur auf die zischenden Cymbals ( Cymbals zischen nicht, sie scheppern ;-) ), sondern auch auf andere Instrumente, die hier oft in einen zischenden, zündelnden Effekt übergehen und ins unendliche getragen werden. Das ist natürlich nicht der einzige Grund, warum ich die meisten Dubs hier echt Spitze finde aber es ist für mich das markanteste Stilmittel was mich am meisten flasht.
Ich würde die Scheibe gern eintauschen, gegen die Breadwinners-Scheibe, die ich zuhause habe ………………….. lemmi