Schön, wieder mal ein „echtes“ Dub-Album rezensieren zu dürfen – sprich eines, das klassisch aus der (Weiter-)Bearbeitung eines zuvor veröffentlichten Vokal-Albums entstanden ist, es soundtechnisch in neue Dimensionen führt, aber den Bezug zum Original niemals verliert – in dem es die ursprüngliche musikalische und mitunter auch die textliche Message verstärkt, weiterspinnt, karikiert, ad absurdum führt oder ins Gegenteil verwandelt. Das ist die Essenz des Dub: Ohne das Original als Referenz kann es keine Dub Version geben; das wäre so sinnlos wie Dub-Tuning ohne Auto.
Natürlich gibt es trotzdem zuhauf Instrumentals jeglicher Genres, die bar jeder Vorlage mit Dub-Techniken und -Ingredienzien erarbeitet wurden. Ob allerdings der bloße Einsatz von Effekten wie Echo, Hall oder das Ein- und Ausblenden von Tonspuren die Bezeichnung „Dub“ rechtfertigt, ist eine durchaus diskussionswürdige Frage.
The Loving Paupers, ein Septett rund um Sängerin Kelly Di Filippo aus den Vereinigten Staaten, fühlen sich offensichtlich der Tradition verpflichtet und haben ihr Album „Lines“ auch als – nomen est omen – „Lines in Dub“ (Jump Up Records) veröffentlicht. Label als auch Künstler geben als Genre „Lovers Rock“ an, was zu kurz gegriffen scheint und mit herkömmlichem, doch eher platten Lovers Rock wenig zu tun hat. Die Texte des Vokal-Albums sind dafür zu ausgefeilt und verschlüsselt; der vermittelte Gemütszustand ist pure Melancholie und der tonsichere, oft in zweistimmige Harmonie gesetzte Gesang von Di Filippo erinnert sehr an genrefremde Künstlerinnen wie Rumer, die frühe Dusty Springfield, mitunter auch an Sade. Unterstützt wird der Eindruck durch eingängige Melodieführungen, die eher in Richtung Singer/Songwriter, Country oder Pop/Rock verweisen.
Das Fundament bilden allerdings pure, originäre Roots-Riddims: Ohne Gesangsspur könnten sie vom Arrangement als auch von der Instrumentierung her durchaus als Produktionen der späten 70er Jahre durchgehen. Einzig die zurückgefahrenen Höhen und der damit einhergehende dumpfe Klang sind das Manko von „Lines“.
„Lines in Dub“ hingegen behebt diese Schwäche und überzeugt mit einem klaren, druckvollen Sound, der die Dubs zum Glitzern bringt. Der Unterschied wundert ein wenig, hat doch Victor Rice bei beiden Alben an den Reglern gedreht. Seine Klangwelt ist nach wie vor nicht jedermanns Sache, insbesondere seine knochentrockenen, fast schon blechernen Drum-Sounds. Der Mann weiß aber ganz genau, wann er welchen Effekt einsetzt und Gesangspuren aus- und einblendet; herausgekommen ist dabei das subjektiv beste Dub-Album aus dem Hause Rice. Es kann für sich alleine stehen, wirkt aber am Besten in Kombination mit dem Vokal-Album – eben weil es die melancholische Stimmung perfekt weiterträgt: Ein schöner Soundtrack für dunkelbunte Regentage.
2 Antworten auf „The Loving Paupers: Lines in Dub“
Wow gtkriz !!!
Jetzt hast Du es auch geschafft, mir zu 100 % aus der Seele zu sprechen. Ich habe dieses Album schon nach dem ersten oberflächlichen Durchskippen von deiner Playlist in meine komplett übernommen. Das ist mein DUB !!! So habe ich Dub am liebsten !!! Ich war schon am Überlegen, mir die Vocal-Scheibe zu kaufen, habe es aber genau aus den von Dir erwähnten Gründen ( Einzig die zurückgefahrenen Höhen und der damit einhergehende dumpfe Klang sind das Manko von „Lines“. ),
wohl nicht getan. Nicht viel später hörte ich dann die Dubs in deiner „Deep In Dub“ Liste und war vom ersten Ton an begeistert.
Und ja, die „Klangwelt“ von Victor Rice ist etwas rauher als zum Beispiel die von Umberto Echo aber sie liegt voll und ganz in meinem „Frequenzeinzugsgebiet“.
„Der Mann weiß aber ganz genau, wann er welchen Effekt einsetzt und Gesangspuren aus- und einblendet; herausgekommen ist dabei das subjektiv beste Dub-Album aus dem Hause Rice.“
Auch das möchte ich zu 100% bestätigen !!! Zumal es meine These unterstreicht, das es bei vielen Dubs keine Diskussion geben kann, ob die gut oder schlichtweg nur gut sind ;-) …… deine Bewertung ist daher nicht „subjektiv“ sondern objektiv und über jeden Zweifel erhaben ……. ;-)
Ich mag es auch sehr, wie Du hin und wieder in das Gewissen von uns „DubAddicts“ einredest und uns klar machst, was der eigentliche Ursprung von DUB ist. Ich persönlich kann und will dem gar nicht widersprechen, denn das ist wirklich die konsequenteste Definition von Dub.
Das Problem bleibt aber, das eben auch einzig und allein die Anwendung von Dub-Techniken ( z.B. Echo Hall sowie das Ein – und
Ausblenden von Tonspuren ) ein komplett ausreichendes Dubfeeling erzeugen und sich damit auch so gut wie gar nicht mehr von
klassischem Dub im ursprünglichen Sinne unterscheiden lassen. Das wird quasi 1:1 unentschieden, wenn man die Vocalscheibe
einer Dubversion noch nie gehört hat. Und wie gesagt, wenn Dub Syndicate kein Dub ist, dann habe ich das gesamte Genre Dub
sowieso nicht verstanden …………….
Vielleicht kann man noch zwischen Dub und DubMusic unterscheiden, wobei Dub allein natürlich auch Musik ist und zwar die
BESTE !!!
Greetings ………………. lemmi
Vielleicht könnte man sagen, dass es Dub gibt bei dem eine gewisse Absicht/Philosophie dahintersteckt – und Dub, der sozusagen „nur“ aus der Freude an den Dub-Techniken entsteht. Dub Syndicate würde ich eher zu letzterem zählen, aber die waren imo immer schon ein Sonderfall (und das ist gut so :)
Letzten Endes sollte Dub etwas sein, dass den Hörer bzw. die Hörerin berührt, auf welchem Weg und auf welche Art auch immer. Ich selbst plädiere immer für ein gewisses Geschichtsbewusstsein und den Erhalt bzw. Ausbau und Erweiterung des Wissens.
Dieser dumpfe, „muffige“ Klang mit den zurückgefahren Höhen und den mitunter auch recht platten Tiefen, der auch starke Anleihen vom JA-Sound der späteren 70er Jahre nimmt… der scheint sich zur Zeit größerer Beliebtheit zu erfreuen. Hört man immer wieder… Piura Vida, Loving Paupers, Milton Henry, LSP und gerade auch wieder ein Künstler, dessen Release ich in absehbarer Zeit rezensieren werde. Nicht meins, aber doch interessant: ein völliger Gegensatz zu aktuellen JA-Produktionen.