Der Multiinstrumentalist Nicola Giunta ist auch Filmemacher, Klangkünstler und Komponist von Soundtracks für Kurzfilme, Werbespots, Dokumentarfilme, Videokunst, Stummfilme, Tanzperformances und Animationen. Darüber hinaus ist er ein international anerkannter bildender Künstler, dessen Xerox-Kunstwerke als Plattencover und Poster für zahlreiche Musikerkollegen dienten. Außerdem ist er Gründer und Mastermind der Lay Llamas, einer der wichtigsten Bands des sogenannten New Italian Occult Psychedelic, die bereits eine beachtliche Anzahl von Alben und mehrere Singles veröffentlicht haben. Der Musikstil der Lay Llamas lässt sich kurz als eine intelligente Mischung aus Hawkwind, den frühen Talking Heads und dem repetitiven Stil deutscher Krautrockbands wie CAN und NEU beschreiben. Nicola Giuntas Faible für Krautrock zeigt sich besonders in der Zusammenarbeit mit Damo Suzuki, dem legendären CAN-Sänger, der mit seiner unverwechselbaren Stimme Can-Stücke wie „Spoon“, „Vitamin C“ und „Mother Sky“ – zumindest für mich – einzigartig gemacht hat.
Zu den zahlreichen Metamorphosen von Nicola Giunta gehört nun auch „The Thugs: Holy Cobra Dub“ (Love Boat Records).
The Thugs sind Nicola Giunta und Edoardo Guariento, der auch Schlagzeuger der Metal-Core-Band 3ND7R aus Padua ist. Die Idee entstand im Sommer 2021, als Nicola Giunta Edoardo Guariento einige Songs von Jah Shaka aus der „Commandments Of Dub“-Reihe vorspielte. Dieser war sofort so begeistert, dass er zur nächsten Session sein Schlagzeug in Giuntas Heimstudio mitbrachte. Die beiden nahmen einige Takes auf, bei denen Giunta auch als eine Art Live-Dubmaster mit einem kleinen Mischpult und ein paar Echo- und Hallpedals improvisierte. Nach einigen dieser Sessions wählte Giunta die besten Takes aus und baute darauf die ersten beiden Thugs-Tracks, wobei er Gitarre, Bass, Orgel und Percussion selbst einspielte. In den folgenden Monaten entwickelte Nicola Giunta immer wieder neue Tracks, bei denen er auch verschiedene Drumcomputer aus den 70er und 80er Jahren einsetzte, um so einen eher post-punkigen und psychedelischen Sound zu entwickeln. Aber „Holy Cobra Dub“ ist kein Indie-Album geworden, sondern ein vom Reggae beeinflusstes Dub-Album, das am Ende des Tages immer noch wie ein Indie-Album klingt, wenn auch mit jamaikanischen Gewürzen und Zutaten. Der Geist von Lee Perry, King Tubby und vor allem Adrian Sherwood schwebt über dem ganzen Projekt. ON .U Sound Kenner hören Anleihen bei Mark Stewart, African Head Charge, Audio Active, aber auch bei den Suns of Arqa. Ja, „Holy Cobra Dub“ entpuppt sich schon nach wenigen Sekunden als exzellentes Dub-Album.
Die zwölf Tracks wurden fast ausschließlich mit Vintage-Instrumenten eingespielt und tauchen in den Roots-Sound der mittleren bis späten 70er Jahre ein. Sie haben genau diese raumgreifende, tiefgründige Attitüde, dieses Gefühl des ständigen Erfindens, das auch die Arbeiten eines Lee Scratch Perry ausmachte. Gleichzeitig haben die Tracks diese psychedelische Zentrifugalkraft, die entweder explizit oder öfter in den Details versteckt ist. Das erinnert mich dann eher an den düstersten Post-Punk von damals. Der Gesang wurde mit einem alten 70er-Jahre Audiometer aufgenommen. Das gesamte Design und Layout wurde komplett von Nicola Giunta entworfen und soll an den Look jamaikanischer Dub-Alben aus dieser Zeit erinnern.
Kurz zum Konzept: Thugs oder Thuggees ist ein englisches Lehnwort aus dem Sanskrit und bedeutet ursprünglich „Betrüger“ oder „Gauner“. Es ist aber auch der Name einer historischen Bruderschaft von religiös verbrämten Mördern und Straßenräubern. Die Schätzungen über die Zahl ihrer Opfer schwanken zwischen 50.000 und über einer Million. Ihre Blütezeit erlebte die Bruderschaft im vorkolonialen Indien. Sie wurde Anfang des 19. Jahrhunderts von der britischen Kolonialmacht zerschlagen.
Nicola Giunta gefiel die Vorstellung, dass sich diese Sekte in unterirdischen Heiligtümern trifft und geheimnisvolle Rituale für ihre Göttin Kali (Göttin des Todes) vollzieht. Jedes Lied und jeder Titel handelt auf die eine oder andere Weise von ihren Aktivitäten.
Der „Holy Cobra Dub“ erscheint mit seiner vertrauten und zugleich unbekannten Musik wie ein geheimnisvoller Fund aus einer Zeit, die man zwischen 1975 und 1982 datieren kann.
“Holy Cobra Dub is truuuly immersive – a Great Leap Forward” – Mark Stewart (The Pop Group, Maffia, New Age Steppers, On-U Sound)
8 Antworten auf „The Thugs: Holy Cobra Dub“
Na, das ist aber mal amtlich recherchiert – Hut ab! Und wie immer ist es ein Genuss, Deine Zeilen zu lesen! Herzlichen Dank! Und … die Scheibe finde ich aus den so schön beschriebenen Gründen ebenfalls bemerkenswert skurril und genussvoll zu hören.
Vielen Dank für das positive Feedback, Rootsmessenger. Es freut mich immer wieder, wenn meine Rezensionen gut ankommen und ich meine Begeisterung für ein Album den Lesern weitergeben kann.
Stimmt !!!
Wirklich eine sehr lehrreiche und interassente Rezension !
Auch das Zitat von Mark Stewart geht mir runter wie feinstes Olivenöl.
Wobei ich bei „a great leap forward“ doch vehement widersprechen möchte. Wie man auch in der Rezension lesen kann, ist dieser „great leap forward“ für On .U Sound seit Anbeginn der Zeit eine Selbstverständlichkeit. Jedenfalls bilde ich mir ein, das es auch zwischen den Zeilen genau so zu lesen ist. Kann sein, das ich das durch eine zu stark getönte DubBrille betrachte aber für mich gibt es nichts progressiveres als On .U Sound. Ja, es gab auch Experimente, die an den alten ChemieUnterricht erinnert haben, wo dem Lehrer der Versuch um die Ohren geflogen ist aber nur so, führen neue Experimente zu wirklich großen Sprüngen, die die Menschheit bzw. die Musik weiter bringen und auf das höchste Level heben. ( Es gibt auch experimente, wo von vorn herein klar ist, das die nach hinten losgehen. Siehe ESC. Der Kontest des schlechten Geschmacks und die Börse für alle Unfähigen, die sich erlauben sowas öffentlich vorzutragen ). (Schuldigung, dass ich sowas hier überhaupt erwähne aber irgendwie irgendwo irgendwann, muss das ja auch mal gesagt werden ). ( Das hat nix mehr mit Geschmack zu tun. Die sind einfach unfähig ! …………….. ah Mist, bin schon wieder arg offtopic ).
Ok, wie ich ja auch schon im Radar zu der Scheibe (!) geschrieben habe, die Musik gefällt mir sehr gut. Einge BassLines, besonders die in der ersten Hälfte des Albums sind mir etwas zu gewöhnlich aber das wird durch die intensive DubAtmosphäre ganz gut kaschiert – finde ich.
The Thugs, also die Thugs sind also dem indischen Kulturkreis zuzuordnen. Ich merke immer wieder, das die indischen Einflüsse in der DubMusik sehr gut aufblühen und das Genre Dub um eine sehr angenehm psychodelische Weise bereichern. Sie auch Bim Sherman mit
„Miracle“ produced by Adrian Sherwood bzw. On .U Sound. Von wem sonst ?!? Ach ja Suns Of Arqua haben das auch sehr gut drauf, finde ich.
Ok, „Jamaica has no facts, only Versions“ ……………………………. lemmi
Liebe Dub-Gemeinde
Zuerst ein Kompliment an den Rezensenten und die Hintergründe zu dieser Scheibe – der Dubblog.de lässt einen immer wieder Neues entdecken. Cool!
Zu meinem Anliegen bzw. meiner Anregung: Wäre nicht Jah Wobble nach sehr Langem wieder mal ein Thema? Zum einen weder «Dark Luminosity: The 21st Century Collection», zum anderen wegen diversen weiteren Veröffentlichungen aus jüngerer Zeit? Schon klar: Es ist nicht immer Dub, wie er hier geschätzt wird, und es ist auch längst nicht alles über alle Zweifel erhaben – aber vielleicht gerade deshalb…?! Für mich ist Jah Wobble immer noch einer DER Tiefstton-Bassisten.
Was ich schon seit langer Zeit einmal schreiben wollte. Tausend Dank für deine unglaublich tolle Arbeit, Ras Vorbei. Was mir an deinen Rezensionen immer ganz besonders gefällt, sind die Zusammenhänge und die unglaublich vielen Zusatzinformationen, die du so locker aus dem Handgelenk mitlieferst. Wieder eine fantastische Entdeckung, auf die ich ohne deine Empfehlung wahrscheinlich niemals gestoßen wäre.
Herzlichen Dank an alle! Ehrlich gesagt habe ich nicht mit einer so positiven Resonanz gerechnet.
Really great, there is always something new to discover on the Dubblog. For the reasons so beautifully described above, I also find this strange sound remarkably bizarre and enjoyable to listen to.
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