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Dubblog Jahres-Charts 2024

Es ist wieder so weit: Wir servieren euch unsere Dub-Top 5 des zu Ende gehenden Jahres. Wie ihr seht, zählt bei uns Diversity. Wie sollte es bei einem so facettenreichem Genre auch anders sein? Wir sind auf eure Kommentare gespannt.

Top 5 von René

Message: Showcase II

Großartige, live eingespielte Intrumentals, zusätzlich mit Dub-Versionen. Was will man mehr?

Pinnacle Sound: In Dub Vol. 1

Kein Remake sondern ein Newmake mit den fantastischen Stilmitteln der Vergangenheit – und ein großartiges Dub-Album.

Philipp Greter: Greter than Dub

»Greter« meint hier wohl »über Dub hinaus«, denn genau das liefert dieser faszinierende Stilmix, der zeigt, was Dub alles sein kann.

Dreadsquad: Reggae From the Desert

Dreadsquad is back – und so ganz anders, als erwartet. Erwachsen geworden! Schöne, inspirierte Instrumentals, superb ausgeführt und mit perfekten Sound.

Message: Showcase I

Überragendes Album. Unter der Regie von Roberto Sánchez eingespielte Instrumentals und Dubs. Selten so viel Spielfreude gehört.

Top 5 von Ras Vorbei

Christos DC: Kung Fu Action Theatre

Kein überbordendes Dub-Feuerwerk, sondern ein exzellenter meditativer Klangteppich mit ruhig mäandernden Riddims ohne viel Schnickschnack.

Horace Andy: Showcase (Deluxe Edition)

Ein lange verschollenes Album erlebt seine Renaissance.

Roots Architects: From Then ‚Til Now

Ein wunderbares musikalisches Vermächtnis.

Keith Hudson: Playing It Cool & Playing It Right (Re-Release)

Ein ganz eigener Sound, den nicht nur ich hypnotisierend finde.

Mick Dick: A Dub Supreme

Eine vierteilige kulturübergreifende Reise, bei der sich Reggae-, Jazz-, Dub- und Trip-Hop-Grooves zu einer kinematischen Palette verbinden.

Top 5 von gtk

Adubta & Roots Organisation: A Tale Of Dubbing Horns

Platz 1 geht diesmal nach… Bayern! Adubta verwandelt ein eher jazzig gehaltenes Album der Grazer Roots Organisation in ein basslastiges Monster mit Mörder-Dynamik. Schmäh-ohne!

Ras Teo: Ion Man in Dub

Ras Teo, Zion I Kings und Lone Ark machen gemeinsam Musik – das konnte wenig überraschend nur gut gehen, sowohl in der Vocal- als auch in der Dub-Version. Das gilt für Teil 1 der Aufnahmesession…

Ras Teo: Up Fi Jah in Dub

… als auch für Teil 2. Bei beiden Alben treffen die Melodien von Ras Teo auf die musikalischen und produktionstechnischen Qualitäten von Roberto Sanchez, David Goldfine und Laurent Alfred, die sich hier wunderbar ergänzen.

Hornsman Coyote Meets House of Riddim: Madman Slide

Wer’s eher knackig-rockig mag, kommt an Sam Gilly’s House of Riddim nicht vorbei – das gilt auch für diese Kollaboration mit Posaunisten Hornsman Coyote. Da wird auch nicht mit Effekten gegeizt!

Prince Fatty: Dub Battle For Seattle

Da hat uns Prince Fatty tatsächlich 13 Jahre auf die Dub-Version von Little Roy’s ebenso feinem wie kuriosem „Battle for Seattle“-Album warten lassen. Wie konnte er nur!

Top 5 von Philipp K

Emanuel & The Bionites: Nations Shall Know

Dieses Werk dreht am meisten Runden auf meinem Teller. Gross! Seit der Veröffentlichung „Zipporah“ (2020) bin ich dem Sound und der Magie von Emanuel & The Bionites verfallen. Kaum zu glauben, dass diese Musik Made in France ist.

Spiritual Food: Hooligan / Point Finger Pon

Wie bereits in der Rezension nachzulesen, begeistern mich diese beiden Riddims und ihre Versions sehr. Reggae und Dub vom Feinsten, Seelennahrung pur.

Dennis Bovell: Sufferer Sounds

Eine Compilation, die das beste und ausgesuchte Versionen und Mixes vom Blackbeard aus den Jahren 1976 – 1980 versammelt und das Sufferer Sound System nochmals hochleben lässt. Relevant.

Dub Shepherds: Tape Me Out Vol. 5

Mein Dub-Jahr 2024 geht eindeutig an Frankreich. Das Label BAT Records und die Dub Shepherds stehen für unglaublich gute und hochstehende Reggae- und Dub-Produktionen, die mich in den meisten Fällen vollumfänglich überzeugen.

Dreadsquad: Reggae From The Desert

‚Welche Wüste?‘, frage ich mich gerade. Ist eventuell die Dub- und Reggae-Wüste Polen gemeint? Keine Ahnung und egal, denn dieses instrumentale Album ist Reggae-Dub-Ethio-Jazz vom Feinsten. Orgel, Saxophon, Flöte, Melodica (gehört einfach dazu) und gutes Arrangement stechen für mich heraus…

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Statik Sound System: In Dub, Vol. 1

Das Label Echo Beach hatte ja schon immer eine Vorliebe für historisches Dub-Material im Crossover-Bereich, und ich muss sagen, die Tracks auf dem Album „In Dub, Vol. 1“ von Statik Sound System passen perfekt ins Label-Repertoire. Statik Sound System war eine Trip-Hop-Band aus Bristol, die Mitte der 90er vier Alben und ein paar Singles veröffentlicht hat. Echo Beach hat sich durch dieses Archiv gewühlt, die neun dub-kompatibelsten Tracks herausgefischt und auf ein Album gepackt. Die meisten davon sind zwar kein klassischer Reggae (dafür gibt’s aber vier Drum ’n’ Bass-Tracks), aber wenn man – wie ich – z. B. Dreadzone oder More Rockers mag, kann man auch mit dem Statik Sound System einiges anfangen. Ihr bekanntester Track, „Revolutionary Pilot“, der durch die DJ-Kicks-Compilation von Kruder & Dorfmeister weltweit bekannt wurde, ist auch hier ein zentraler Punkt. Mehrere Remixes, darunter einer von More Rockers und eine Version von Rob Smith, sorgen für Abwechslung. Das Album ist für mich eine sentimental-nostalgische Reise in die Vergangenheit, in eine Zeit, in der diese Sounds echte Avantgarde waren. Tracks wie „Secret Love“, „Free to Choose“, „Vacuum“ und das emotionale „So Close“ klingen so wunderschön nach den 1990er Jahren – und zeigen zugleich die ganze Bandbreite der Band. „In Dub, Vol. 1“ ist ein Erinnerungsstück an eine Ära, in der fette Beats, verträumte Melodien und das Spiel mit Dub-Rhythmen die Musikwelt verzauberten. Ja, der Sound ist eindeutig historisch, aber irgendwie klingen die Tracks in meinen Ohren trotzdem noch frisch. Vielleicht liegt es daran, dass es eben kein klassischer Dub ist, sondern eher ein stilistisch nicht ganz so leicht verortbares Dub-Experiment.

Bewertung: 4 von 5.

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King Size Dub 24

Und da ist sie wieder, die neue „King Size Dub“! Aktuell ist es „King Size Dub 24“ (Echo Beach). Fünf Jahre wurden unterschlagen, denn Reihe existiert schon seit 29 Jahren. 2024 steht also ein Jubiläum an! Die aktuelle, 24igste Ausgabe präsentiert satte 23 Tracks – laut Label sind 90 Prozent davon exklusive Titel. Natürlich sind die bekannten Namen aus dem Echo Beach-Stall dabei, unter anderem Noiseshaper, Dubblestandart, Dub Spencer & Trance Hill, Dub Syndicate, Illbilly Hitec, Dubinator und – wie sollte es anders sein – Martha & The Muffins. Aber es gibt auch eine ganze Menge frischer Artists außerhalb des bekannten Echo Beach-Universums. So überraschen Blundetto & Soul Sugar mit dem bescheidenen, ruhigen „Don’t Cry, It’s Only the Rhythm“ – eine wirklich äußerst schöner Tune. aDUBta liefert eine dumpfe, drückende und irgendwie magische Version des Cassava Piece-Riddims ab, die mich in ihren Bann zieht. Captain Yossarian kontert mit dem funkigem „Expensive Shit“. Insgesamt empfinde ich das Album als wunderbar frisch – es präsentiert mal wieder das große Spektrum des Dub. Label-Inhaber Nicolai ist ja bekannt dafür, dass er nicht viel von Genregrenzen hält, und genau diese Einstellung lässt jede neue King Size Dub zu einem spannenden Überraschungspaket werden. Ich bin jetzt schon gespannt auf die #30. No pressure, aber die muss groß werden!

Bewertung: 4 von 5.
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Alpha Steppa: Collision of an Ancient Mind and a Modern World

Mich fasziniert der meditative, melancholische und abgrundtiefe Sound von Alpha Steppa. Die DNA von Vater und Tante, also von Alpha & Omega ist unverkennbar, und es gibt kaum einen aktuellen Dub-Artist mit einem so einzigartigen Signature Sound. Mad Professor war früher ähnlich erkennbar – und natürlich Alpha & Omega. Mit seinem Stil setzt sich Alpha Steppa deutlich von der konventionellen Steppers-Szene ab, bleibt aber zugleich hundertprozentig Sound System-kompatibel. Auch beim aufmerksamen Zuhören über Kopfhörer hat seine Musik viel zu bieten: Sie ist vielschichtig, komplex und nie langweilig. Zudem hat der Thronfolger in der Dub-Dynastie ein geniales Händchen für begnadete Vocal-Artists. Nai-Jah war für mich eine solche Entdeckung, aber auch Awa Fall und Wellette Seyon, mit denen er komplette Solo-Alben veröffentlichte. Sein neues Album „Collision of an Ancient Mind and a Modern World“ (Steppas) besticht wieder mit großartigen Vocal-Tunes. In der digitalen Version ist das Album zweigeteilt: Disc 1 enthält zwölf Vocal Tunes, unter anderem von Joe Yorke, Tanganyika, Sheila Langa, Fikir Amlak und Ras Tinny in einem Acapella-Solo. Disc 2 liefert dann die Dub-Versionen nach. „This album features some of my favourite voices in contemporary reggae and beyond, from Jamaica, the UK, Zimbabwe, the Seychelles, Brazil, the USA, Senegal, Italy, and Spain“, erklärt der Dub-Produzent. „With this record I set out to build a unique sound and atmosphere, the idea was to blend the rich heritage of dub with a vibrant, futuristic musical landscape.“ Beim Thema „Atmosphäre“ habe ich keine Einwände – im Gegenteil: Es ist hier immer wieder die Atmosphäre seiner Musik, die mich einnimmt und fasziniert. Wer allerdings bei „futuristic musical landscape“ an Einflüsse unterschiedlicher Musikkulturen denkt, liegt meiner Meinung nach falsch. Hier ist alles 100 Prozent Reggae und Dub und typischer Alpha Steppa-Sound. Nichtsdestotrotz liefern die Vocalists durch die Bank richtig gute Songs ab. Jeder einzelne Track präsentiert eine ausgefeilte Melodie, und fast alle glänzen sogar mit cleveren, sozialkritischen Texten auch jenseits Reggae-typischer Themen. Vielleicht ist auch der Albumtitel auf diese sozialkritische Tonalität gemünzt, denn linke, auf Gerechtigkeit und Diversität zielende Haltungen werden in unserer modernen Welt ja unverkennbar immer seltener.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Five Star Review

Message: Showcase II

Ich liebe den hypnotischen, harten Dub-Sound von Soundsystem-Sessions – diese repetitiven Rhythmen ziehen mich immer wieder in ihren Bann. Aber in letzter Zeit wächst meine Begeisterung für handgemachte, analog produzierte Musik noch stärker. Ich habe das Gefühl, dass sie „reicher“ und der Klang komplexer ist – natürlich nur, wenn sie richtig gut gespielt, aufgenommen und produziert ist. Abgesehen davon hege ich eine richtig große Wertschätzung für talentierte Musiker und Musikerinnen. Es ist einfach eine wahre handwerkliche Kunst, gute Instrumentals und Dubs manuell präzise und im perfekten Timing einzuspielen. Nachdem ich mich zuletzt ausführlich mit KI-generierter Musik beschäftigt habe, ist meine Wertschätzung für von Menschen geschaffene Musik noch einmal gewachsen. Und genau in dieser Stimmung fällt mir jetzt das neue Album von Message, „Showcase II“ (Messengers), in die Händen – und was soll ich sagen? Bereits „Showcase I“ hat mich begeistert, und jetzt bin ich bei „Showcase II“ erneut verzückt. Am Konzept hat sich – zum Glück – nichts geändert. Das Album enthält sieben Instrumentals und sieben Dub-Versionen. Lead-Instrumente sind wieder meist Melodica, Posaune und manchmal auch ein Keyboard. Alle Stücke sind Eigenkompositionen der Band, wurden live im Lone-Ark-Studio in Santander (Nordspanien) eingespielt und auf gutem, alten Magnetband aufgenommen. Studio-Mastermind Roberto Sánchez saß selbst an den Drums und übernahm auch die Aufnahme. Und natürlich wird das Ganze erneut als Hommage an den jamaikanischen Reggae der 1970er Jahre verstanden. Schon beim ersten Hören ist zu hören, dass Message nicht einfach nur kopiert, sondern die Essenz des Genres einfängt und neu interpretiert. Das gelingt den Musikern nicht zu letzt durch die Live-Aufnahme perfekt, denn nur so gelingt es wirklich, die Energie und die Vibes einzufangen, die den Roots Reggae so besonders machen. Es verleiht dem Album eine besondere Magie und einen authentischen, lebendigen Klang, der digitalen Produktionen oft vorenthalten bleibt (die dafür aber andere Qualitäten haben!). „Showcase II“ ist ein Werk, das nicht nur die musikalischen Architekten des Genres – also die jamaikanischen Musiker der 1970er Jahre – ehrt, sondern auch zeigt, wie die Band Message ihren eigenen Weg innerhalb dieser Tradition gefunden hat. Jeder Track auf „Showcase II“ strahlt den Spirit der Band aus, das Gemeinschaftsgefühl und die Liebe zur Musik. Hier kommt das Beste, was der Reggae zu bieten hat zusammen: Handwerkliche Brillanz, perfekte Produktion und nicht zuletzt richtig gute Kompositionen. Mal abwarten, ob ich bei „Showcase III“ wieder solche Lobeshymnen anstimmen muss. Ich hätte jedenfalls nichts dagegen.

Bewertung: 5 von 5.
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Five Star Review

Dub Shepherds: Tape Me Out #5

Die Serie begann während der Corona-Zeit: „Tape Me Out #1“ wurde vor drei Jahren als YouTube-Video veröffentlicht. Zu sehen ist nicht viel. Die beiden Freunde Dr Charty und Jolly Joseph (= The Dub Shepherds) sitzen am Mischpult und mischen 50 Minuten lang live Dubs mit Material ihres Labels Bat Records. #2 und #3 erscheinen in schneller Folge. Dann passierte lange nichts, bis Anfang dieses Jahres #4 erschien, parallel zu ihrem Album „Night and Day“. Bis dahin stand „Tape Me Out“ für reine Videoproduktionen – was den Namen erklärt. Im Juli erschien nun „Tape Me Out #5“ als Video UND als reguläres Dub-Album. Die Mixe auf dem Album entsprechen exakt denen des Videos. Das gesamte Dub-Album wurde in einem Take gemixt – ein Prozess, den man im Video quasi live mitverfolgen kann. Ein wirklich schönes und einzigartiges Konzept, das nicht zuletzt auch von der Meisterschaft der beiden Musiker zeugt, 11 Dub-Tracks hintereinander fehlerfrei zu mixen. Während sie in den ersten Folgen der Serie noch recht entspannt am Mischpult sitzen, ist ihnen bei #5 die Konzentration und Anspannung anzumerken. 45 Minuten Dub-Mixing am Stück ist echte Schwerstarbeit.


Obwohl in diesen typischen Dub-Mixing-Videos nicht viel zu sehen ist, ziehen sie mich immer wieder in ihren Bann. So auch hier. Seltsamerweise ist es faszinierend zu sehen, wie die Musik am Mischpult entsteht. Ich finde es manchmal sogar spannender, als einem Musiker oder einer Musikerin beim Spielen eines Instruments zuzusehen. Das liegt vielleicht daran, dass eine Person am Mischpult alle Instrumente steuert und nicht nur eines. Zu sehen, wie ein Dreh an einem Knopf oder das Bewegen eines Schiebereglers den Sound verändert, Effekte auslöst oder Instrumente an- oder abschaltet – wie Musik also „gestaltet“ und gesteuert wird, ist für Dub-Nerds wie mich wirklich spannend. Allerdings höchstens so spannend, wie die Musik gut ist. Und daran gibt es bei den beiden Franzosen keinen Zweifel. Ihre eigenen Produktionen und die anderer Künstler auf ihrem Bat-Label (z.B. Pinnacle Sound) gehören zum Besten, was der europäische Reggae zu bieten hat. Wie so viele von uns Europäern lieben sie den Reggae-Sound der 70er und 80er Jahre, dem sie mit allen Veröffentlichungen ihres Labels huldigen. Natürlich wird alles analog aufgenommen, analog abgemischt und analog auf Magnetband gespeichert. Nicht selten zitieren sie historische Riddims, arbeiten mit Deejays und Sängern der goldenen Ära und mixen ihre Dubs natürlich im Stil der alten jamaikanischen Meister. Doch ähnlich wie beispielsweise Prince Fatty und andere Retro-Fetischisten in good old Europe spielen sie nicht einfach Klassiker nach, sondern liefern eine frische und originelle Interpretation dieser Musik und ihres Sounds. Und so ist auch Tape Me Out #5 kein Remake, sondern ein absolutes Newmake mit den fantastischen Stilmitteln der Vergangenheit – und ein großartiges Dub-Album.

Bewertung: 5 von 5.
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Rudebwai Stailee: Bassline Confidential

Nun ist es also soweit: Die ersten Reggae-Instrumentalalben einer künstlichen Intelligenz sind da. Irgendwann musste es ja passieren. Ich hätte nur nicht erwartet, dass es jetzt passiert. Ein Sleng Teng-Moment? Wohl kaum, denn die drei seit Mai 2024 erhältlichen Alben „Roots Rock Steady“, „Rhythms of the Grove“ und „Bassline Confidential“, alle von Rudebwai Stailee, haben bisher kaum Beachtung gefunden. Und doch ist es eine bedeutsame Entwicklung, denn so wie bei Sleng Teng die Studiomusiker:innen durch Computertechnik ersetzt wurden, geschieht es jetzt auch mit den Komponist:innen und Produzent:innen. Die Musik entsteht automatisch auf der Basis eines kurzen Biefings oder „Prompts“. Meine Erfahrungen mit generativer künstlicher Intelligenz im Bildbereich haben mich jedenfalls gelehrt, dass KI nicht nur bildtechnisch nahezu perfekt arbeitet, sondern auch ungemein kreativ sein kann. Was mit Bildern und Texten funktioniert, muss auch mit Musik möglich sein – und ist es im Prinzip auch, wie Rudebwai Stailee beweist.

Tja, und was machen wir jetzt damit? Irgendwie erzeugt es gemischte Gefühle, ein KI-Album zu hören. Einerseits ist da die Faszination, dass es überhaupt möglich ist. Dass die Stücke fast ohne menschliches Zutun entstehen und trotzdem ziemlich gut klingen, ist unglaublich. Zum anderen ist da dieses Unbehagen, dass die Musik kein:e Urheber:in hat. Keinen Artist, keinen (richtigen) Producer, niemanden, der Logic Pro bedient, geschweige denn ein richtiges Instrument spielt. Was, nebenbei bemerkt, die Musik gemeinfrei macht. Es gibt kein Copyright, jeder kann sie frei verwenden. Warum aber erzeugt die Nichtexistenz von Urheberschaft Unbehagen? Warum macht es keinen rechten Spaß, ein KI-Reggae-Album zu hören?

Grundsätzlich bin ich davon überzeugt: Das Wissen um den Entstehungsprozess von Musik kann zwar sehr aufschlussreich sein und auch die Rezeption von Musik beeinflussen, es darf aber keinen Einfluss auf die Beurteilung der Qualität von Musik haben. Entscheidend ist, „was hinten rauskommt“. Nur das zählt. Und da muss ich sagen, dass die drei KI-Alben ganz okay sind. Die Rhythms sind auf jeden Fall sehr solide, der Mix auch. Nur die Lead-Instrumente und die Soli klingen manchmal etwas schräg. Außerdem klingt das Ganze vielleicht etwas eintönig. Aber da sind wir schon bei Vorurteilen und kognitiven Verzerrungen. Klingt es eintönig, weil ich weiß, dass hier eine Maschine am Werk war und kein Mensch? Oder ist es gar gekränkte Eitelkeit, weil sich niemand wirklich die Mühe gemacht hat, die Musik zu erschaffen, der ich hier meine Zeit widme, um sie aufmerksam zu hören? Kann ich Musik genießen – wenn es keinen Artist gibt, dem es um mich als Hörer geht? Wenn da niemand ist, der mir gefallen will, der sich um mein Vergnügen bemüht, der mir im besten Fall etwas mitzuteilen hat? Kurz: Kann ich Musik genießen und wertschätzen, wenn keine Künstlerpersönlichkeit dahinter steht? Bei einer idyllischen Landschaft ist das seltsamerweise kein Problem. Auch hinter ihr steht keine Künstlerpersönlichkeit, und doch genieße und schätze ich sie inbrünstig. Das gilt auch für andere Naturschönheiten. Wie faszinierend ist der Anblick mancher Pflanzen oder Tiere, die ebenfalls nicht das Werk eines Künstlers oder einer Künstlerin sind. Warum sollte das bei Musik, Malerei oder – in Zukunft – beim Film anders sein? Vielleicht schafft es eine wirklich gute KI in Zukunft, nur noch gute Musik zu komponieren. All killer, no filler! Was wäre dagegen einzuwenden?

Die Situation erinnert frappierend an die Weigerung der Gesellschaft des Neunzehnten Jahrhunderts, die 1839 erfundene Fotografie als Kunst anzuerkennen. Die Argumente waren die gleichen, wie heute mit Blick auf die KI: Das fotografische Bild sei das Werk einer Maschine, es gäbe keinen menschlichen Schöpfer, weshalb es keine Kunst sein könne. Heute sehen wir das natürlich ganz und gar anders, aber nur, weil wir entdeckt haben, dass eine Fotografie keineswegs nur das Produkt einer Maschine ist. Durch die Hintertür haben wir den Menschen wieder ins Spiel gebracht, als denjenigen, der das Motiv auswählt, den Ausschnitt der Welt festlegt, den die Fotografie zeigt und darüber hinaus zahlreiche weitere kreative Entscheidungen trifft. Diese Strategie dürfte angesichts der künstlichen Intelligenz nicht mehr ganz so einfach sein. Klar, aktuell wird der Prompt noch von jemandem verfasst. Aber es ist nur noch ein minimaler kreativer Akt nötig – und wahrscheinlich wird selbst der in Zukunft obsolet, wenn sich der KI-Algorithmus einfach an den Vorlieben z. B. von Hörern und Hörerinnen orientiert.

Nun, liebe Dub-Fans, ihr seht mich ratlos. Ich neige aber zu der Annahme, dass das Verschwinden des Artists nur deshalb irritiert, weil wir es schlicht anders gewohnt sind. Es handelt sich hier um einen radikalen Bruch mit einer wichtigen Konvention, nämlich der Art und Weise, wie wir Kunst und Kultur verstehen und rezipieren. Meine Prognose wäre: In fünf Jahren wird es niemanden mehr interessieren, ob Musik von Menschen gemacht oder von KI generiert wird. Eine gewagte These: Vielleicht wird es in 10 Jahren kein Streaming von vorproduzierten Inhalten mehr geben. Die Musik, die wir hören werden, wird dann in Echtzeit für uns generiert – ganz nach unseren Vorlieben. Eine Horrorvorstellung? Schreibt mir, was ihr davon haltet.

Okay, zum Schluss noch ein paar Worte zum eigentlichen Thema dieser Rezension: „Roots Rock Steady“ ist ein akzeptables Instrumentalalbum. Die Rhythms haben Wumms, die Bässe rocken, es gibt richtige Melodien und überhaupt ist das ganze Arrangement sehr solide. Es gibt sogar einen richtigen Mix, der Sound ist druckvoll und die Instrumente klingen echt. Was mir nicht gefällt: Die generierten Tracks klingen, ja, es lässt sich nicht anders sagen: etwas generisch. Sie sind zu repetitiv aufgebaut. Etwas mehr Abwechslung und klangliche Komplexität wäre schön. Außerdem klingen die Lead-Instrumente nicht sehr natürlich. Dasselbe gilt für „Rhythms of the Grove“. Insgesamt wirken die Stücke hier etwas rootsiger und abwechslungsreicher. Das jüngste Werk „Bassline Confidential“ klingt nach 80er Reggae. Im Hintergrund laufen solide Backings, im Vordergrund spielt ein Leadinstrument. Insgesamt zu eintönig und dadurch etwas langweilig. Ja, wenn ich böse wäre, würde ich schreiben: Erinnert mich an Instrumentalalben von Dean Fraser – nur ohne Saxophon.

Aber gut, bedenkt, dass dies die ersten Gehversuche der KI sind. Denkt das Ganze fünf Jahre weiter, dann wisst ihr, was euch erwartet.

Bewertung: 3 von 5.
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Ghost Dubs: Damaged

Das waren noch Zeiten, als Rhythm & Sound Ende der Neunziger bis Mitte der Nullerjahre mit der Fusion von Dub und Techno experimentierte. Seit dem Niedergang des Labels Burial Mix ist es ruhig geworden um diese Spielart des Dub. Natürlich gibt es Minimal-Techno-Produktionen, die unter dem Label „Dub“ vertrieben werden, aber es handelt sich dabei immer um Techno-Rhythmen, die nach Dub-Prinzipien produziert und gemixt werden. Bei Rhythm & Sound war es genau umgekehrt: Mark Ernestus und Moritz von Oswald spielten klare – wenn auch minimalistische – Reggae-Beats und mischten sie so reduziert, repetitiv und düster wie Minimal Techno. Das hat mir damals unheimlich gut gefallen. Die hypnotische, fast metaphysische Kraft der Musik hat mich tief beeindruckt. Zehn Jahre später trat Michael Fiedler, auch bekannt als Jah Schulz, auf den Plan und widmete sich dem stilistischen Erbe des Techno-Dub. Zunächst noch stärker an Steppers orientiert, dann aber immer tiefer, minimaler, konsequenter. Die beiden LPs „Dub Over Science“ und „Dub Showcase“ gaben einen deutlichen Vorgeschmack auf das, was Michael Fiedler nun unter dem Pseudonym Ghost Dubs mit seinem aktuellen Album „Damaged“ (Pressure) präsentiert. Lemmi fragte sich in seinem Kommentar bereits, „ob das wirklich noch unter dem Oberbegriff „Musik“ laufen kann, oder ob es sich nicht eher um Testtöne für Basslautsprecher handelt“. Hehe, das ist irgendwie eine genial passende Frage, denn Michaels Dubs sind so unfassbar minimalistisch, so unfassbar basslastig, so unfassbar slow motion, dass er damit wohl tatsächlich in einen Grenzbereich der Musik vordringt. Es scheint ihm mehr um das totale Erlebnis des reinen, abstrakten Sounds zu gehen, als darum, uns ein Musikstück im klassischen Sinne zu Gehör zu bringen. Dazu trägt auch das unglaubliche Mastering von Stefan Betke bei, das dem Sound eine gigantische Präsenz verleiht. Unverzichtbar sind auch das von Rhythm & Sound etablierte Rauschen und Vinylknistern sowie dieser dumpfe Unterwassersound. Das sind genau die Zutaten, die es braucht, um diese deepe, wattige und warme Atmosphäre heraufzubeschwören. Doch Atmo ist nicht alles, denn die wichtigste Zutat von „Damaged“ ist zweifellos der stets (zumindest latent) präsente Offbeat, der diese „Testklänge“ knapp, aber eindeutig im Genre des Dub verankert. Auch wenn Puristen und „Dub Connoisseurs“ wie Lemmi ein wenig die Nase rümpfen, muss ich gestehen, dass „Damaged“ für mich so etwas wie die Essenz des Dub verkörpert. Das Destillat aus 50 Jahren Bassmusik. Nur ein Quentchen weniger und es wäre kein Dub mehr, sondern wahrscheinlich ein Testton für Basslautsprecher.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Alborosie: Dub Pirate

Die Dub-Alben von Alborosie haben mich bisher selten überzeugt. Natürlich bewundere ich seine technischen Fähigkeiten und auch seine Fixierung auf analoges Equipment ringt mir Anerkennung ab. Aber seine bisherigen Dub-Alben wirkten mir zu sehr nach Lehrbuch ausgeführt. Es fehlte Kreativität, Spannung und vor allem die Absicht, die Regeln des guten Geschmacks außer Kraft zu setzen. Vielleicht waren auch die den Dubs zugrund liegenden Produktionen nicht stark genug. Genau das jedenfalls vermeidet Alborosie bei seinem neuesten Dub-Werk: „Dub Pirate“ (Evolution Media), denn es basiert auf dem herausragenden Album „Soul Pirate“ aus dem Jahre 2008, mit dem ihm bekanntlich der Durchbruch als Reggae-Artist gelang. Zu Recht, denn es ist nach wie vor ein brillantes Album, von dem es allerdings bis zum heutigen Tag keine Dub-Version gab. Verrückt, da Alborosie doch ein großer Liebhaber von Dub und Studioarbeit ist. Wir wissen nicht, was ihn nun, 18 Jahre später, veranlasste, sich die alten Tracks zu schnappen und Dubs daraus zu mixen – natürlich mit seinem historischen Studio Equipment, das zuvor King Tubby oder Coxsone Dodd gehörte. Alborosie nutzt übrigens nicht nur das Equipment dieser Legenden, sondern pflegt natürlich auch die Ästhetik seiner großen Vorbilder. Daher verwundert es nicht, dass „Dub Pirate“ ganz im Stile King Tubbys gemischt wurde. Großzügig eingesetzte Echoeffekte, meisterhafte Manipulation von Hoch- und Tiefpassfiltern, virtuoses An- und Abschalten diverser Instrumentalspuren sowie teils heftige Klangmanipulation. Auf „Dub Pirate“ geht Alborosie viel rabiater, ja geradezu radikal mit den Originalaufnahmen um. Kein Vergleich zu seinen späteren Dub-Alben. Vielleicht brauchte es die historische Distanz zum Material, um „destruktiv“ damit umzugehen. Die Dubs von „Dub Pirate“ sind jedenfalls alle bemerkenswert, all Killer, no Filler. Trotzdem stechen einige besonders hervor. Z. B. „Still Dub Blazing“, mit den starken Echoeffekten auf der Gitarre, die eine surreale und packende Atmosphäre schaffen. Oder „Precious Dub“, ein Stück, das den Fokus geschickt auf die Bläsersektion legt und deren mächtige, äußerst kreativ manipulierte Klänge faszinieren. Eine besondere Stärke von „Dub Pirate“ ist zweifellos die kreative Dekonstruktion von Alborosies größten Hits. Immer schön, Anklänge an wohlbekannte Songs zu erkennen und deren Dub-Rekonstruktion zu bewundern. Zum Glück verzichtet Alborosie dabei weitestgehend auf die Verwendung von Vocal Snippets. Das Album glänzt ganz besonders mit „Natural Dub Mystic“, der Dub-Neuinterpretation seiner Zusammenarbeit mit Kymani Marley. Dieser starke Riddim war geradezu prädestiniert für ein Dub-Treatment, und Alborosie exekutiert dieses absolut meisterhaft. Das Herzstück des Tracks liegt in der treibenden Basslinie und den wiederkehrenden Bläserpartien, die von verrückt wirbelnden, räumlichen Klangeffekten umhüllt werden. Ein faszinierendes Dub-Erlebnis – wie das Album als Ganzes.

Bewertung: 4.5 von 5.
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The Loving Paupers & Victor Rice: The Ghost of Ladders

Ein Jahr nach ihrem gefeierten Album „Ladders“ legen die aus Washington DC stammenden Loving Paupers eine äußerst schöne Dub-Version desselben vor: „The Ghost of Ladders“ (Easy Star Records) – ein Titel, der sich allzu offensichtlich auf das legendäre Burning Spear-Album „Garvey’s Ghost“ bezieht und damit das Erwartungslevel unweigerlich maximal hochschraubt. Doch da niemand Geringeres als Victor Rice hier die Remix-Aufgabe übernahm (er war auch Toningenieur von „Ladders“), gibt es eine große Wahrscheinlichkeit, dass die Erwartungen erfüllt werden. Klar, seine Musik ist nicht das, was man im Soundsystem spielen würde. Irgendwie klingt sein Sound – insbesondere im Kontrast zu Burning Spear – immer ein wenig zu leicht, zu poppig, zu sehr nach Ska. Aber fürs heimische Sofa, oder als Kopfhörerbegleitung bei den täglichen Wegen durch die Stadt, sind seine Dubs eine wundervolle Musik. Der legendäre britische DJ Don Letts beschrieb den ursprünglichen Sound der Loving Paupers als beeinflusst von Sechzigerjahre Pop und Siebzigerjahre Reggae – eine Mischung, die ihre Musik einzigartig resonanzfähig mache. Womit er absolut recht hat. Ich musste beim Hören durchaus an UB40 oder Hollie Cook denken. Wobei der Sound selbstredend meilenweit vom repetitiv-schnulzigen Lovers Rock entfernt ist. Es ist poppiger Reggae im besten Sinne. Die Frage ist nun: Was wird im Dub-Mix daraus? Bekanntermaßen einem Treatment, das Stücken generell mehr Schwere und Erdung verleiht. Was wird da vom leichten Pop-Appeal übrig bleiben? Die Antwort lautet: Genau die richtige Dosis! „The Ghost of Ladders“ ist ein schlichtweg super angenehmes Dub-Album, das die vielschichtigen Arrangements der Aufnahmen offenlegt und die wahre Qualität der Musik offenbart, die sich im Original allzu gut hinter dem hellen Gesang Kelly Di Filippos verstecken konnte. Und mit dem Gesang verschwindet reduziert sich auch das Pop-Flair deutlich. Die Anspielung auf „Garvey’s Ghost“ ist vielleicht etwas zu hoch gegriffen, doch eine Analogie wird deutlich: Während „Ladders“ ein nettes Pop-Reggae-Album ist, entfaltet „The Ghost of Ladders“ regelrechte Dub-Magie – also genau jene unbeschreibbare Qualität, die auch Burning Spears Dub-Album in den Status eines Kult-Werkes hievte. Rices meisterhafter Dub-Mix nutzt die bekannten Ingredienzen Hall und Delay, um das Vertraute in etwas völlig Neues und Überirdisches zu verwandeln. „The Ghost of Ladders“ beweist wieder einmal eindrücklich, wie es Dub mühelos gelingen kann, zum Kern der Musik vorzudringen und sie in eine magisch-abstrakte Erfahrung von reinem Klang zu transzendieren. Nun soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, als würde Rice irgendwie verkopfte Kunstmusik fabrizieren. Im Gegenteil: Durch die poppige Grundanlage der Musik bleibt sie auch in der Dub-Version zugänglich und sorgt beim Hören unweigerlich für gute Stimmung. Für mich eines der schönsten Dub-Alben der letzten Monate.

Bewertung: 4.5 von 5.