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Dub Healer: Raw & Remixed

„Raw & Remixed“ (Reverb & Delay) von Dub Healer ist ein Album, das seine eigene Unvollkommenheit nicht nur offen zur Schau stellt, sondern regelrecht feiert. Schon das Punk-inspirierte Cover signalisiert: Hier wird nicht gebügelt, hier wird gebrannt! Die Tracks auf diesem Album sind – im besten Sinne – halbfertige Skizzen, rohe Entwürfe, die direkt aus der Werkstatt auf die Dubplate gewandert sind. Dass diese Dubs häufig aus letzten Entwürfen stammen und in einem Take aufgenommen wurden, verleiht ihnen eine Dringlichkeit, die sie von perfektionistisch zerarbeiteten Produktionen wohltuend absetzt. „Prayer Dub“ eröffnet das Album mit einem Stück Dub-Geschichte: Die legendären Samples von Alpha & Omega und Jonah Dan, seit 2007 in der digitalen Mottenkiste versteckt, bekommen hier ein spätes, aber umso würdigeres Revival. Die dial-up Modem-Geräusche und Vogelstimmen fügen sich in den rauen Klangteppich ein, der ebenso spirituell wie ungehobelt ist. „Better To Make Dub“ ist eine Hommage an Dub Judahs „Better To Be Good“ – ohne den Versuch, das Original zu übertrumpfen. Stattdessen gibt es eine respektvolle, energetische Neuinterpretation, die sich vor allem auf der Tanzfläche ihre Daseinsberechtigung verdient. Mit „Sing Jah Dub“ liefert Dub Healer genau das, was ein Sound System braucht: einen simplen, aber wirksamen Banger, der die Massive zum Mitsingen und -springen animiert. Minimalismus in Reinkultur – ein Basslauf, ein prägnanter Vocal-Sample, und genug Raum für die kollektive Ekstase vor den Lautsprechertürmen. „M1 Dub“ ist eine Liebeserklärung an den legendären Korg M1 Synthesizer, dessen digitale Klänge hier überraschend warm und organisch klingen. Es ist ein augenzwinkerndes Statement gegen den analogen Purismus: Ja, auch ein digitaler Dinosaurier kann unter den richtigen Händen ordentlich swingen. Kurz: „Raw & Remixed“ ist kein makelloses Kunstwerk – es will es auch gar nicht sein. Es ist ein Manifest des Moments, ein raues Klangtagebuch für Dub-Connaisseure und Sound System-Aktivisten. Jeder Hall-Effekt sitzt vielleicht nicht perfekt, jede Bassline ist vielleicht ein bisschen zu dominant oder zu schlank – aber genau darin liegt der Reiz.

Und ja, ich weiß, nicht selten halte ich die Fahne der komplexen, vielschichtigen Dub-Kompositionen hoch. Musik jenseits des reinen Dancefloor-Gebrauchs, intellektuelle Klangarchitektur, die man am besten im Sessel und mit einem Glas guten Weins konsumiert. Aber Hand aufs Herz: Wenn die Bassline erstmal rollt und die Crowd kollektiv abhebt, dann braucht es keinen gepflegt gealterten Wein. Man könnte sagen: Auch ich bin ein Opfer meiner eigenen Prinzipien geworden – und es fühlt sich ziemlich gut an. Denn am Ende gilt doch nur eines: Erlaubt ist, was Spaß macht. Dub war noch nie ein Ort für Dogmen, sondern immer ein Experimentierfeld zwischen spiritueller Suche und hemmungslosem Sound System-Exzess.

Bewertung: 4 von 5.

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Five Star Review

The Breadwinners: Return to the Bakery

Dreizehn Jahre. Eine Ewigkeit in der schnelllebigen Welt digitaler Soundästhetiken, aber ein Wimpernschlag im Kosmos des Dub, wo sich die Zeit ohnehin in endlosen Echos und Reverbs auflöst. The Breadwinners, unter der Führung des notorisch zurückhaltenden Studio-Magiers Al Breadwinner, melden sich nach dieser Zeit erstmals mit einem neuen Dub-Album zurück: „Return to the Bakery“ – und es ist, als wäre die Zeit stehen geblieben. Von der ersten Basslinie an ist unmissverständlich klar: „Return to the Bakery“ ist kein nostalgisches Experiment, sondern eine hingebungsvolle Hommage an die goldene Zeit des Reggae und Dub. Produziert und gemischt im hauseigenen Bakery Studio, bleibt Breadwinner seinem ethischen Kodex treu: analoge Bandmaschinen, Vintage-Outboard-Gear und ein Aufnahmeprozess, der das Live-Gefühl förmlich in die Magnetspuren prägt. Dabei klingt nichts angestaubt oder museal – im Gegenteil. Die Dubs rollen warm, organisch, mit einer Klangtiefe und Dynamik, wie sie nur mit heutigen Aufnahme- und Mastertechniken möglich ist. Jedes Delay, jeder Federhall ist nicht nur Effekt, sondern ein Instrument für sich, mit Seele und Eigenleben. Die Gästeliste liest sich wie ein Who’s Who des Reggae-Undergrounds. Nat Birchall und Stally lassen ihre Tenorsaxophone erklingen, während die lebenden Legenden Vin Gordon (Trombone) und KT Lowry (Trumpet) feine Bläsersätze beisteuern, die direkt aus der goldenen Ära des Studio One zu stammen scheinen. Alrick Chambers verleiht dem Ganzen mit seinem Flötenspiel eine fast ätherische Qualität. Doch der wahre Star bleibt Al Breadwinner selbst. Seine Dub-Mixe sind keine simplen „Versions“, sondern kunstvolle Dekonstruktionen. Wie ein Bildhauer meißelt er aus jeder Session eine neue, eigene Realität. Die Spuren werden fragmentiert, neu zusammengesetzt, im Raum verschoben – ein Spiel mit den Gesetzen der Physik und Psychoakustik. Man wähnt sich bisweilen im Black Ark Studio zu besten Zeiten. Nicht, weil hier plump kopiert wird, sondern weil der Geist von Lee Perry tatsächlich heraufbeschworen wird: die Verspieltheit, das Unerwartete, die charmanten Unsauberkeiten, die digitalen Produktionen heute so schmerzlich fehlen. Natürlich stellt sich die ketzerische Frage: Brauchen wir historisierende Musik?  Ist es nicht überflüssig, den Dub der 70er-Jahre bis ins kleinste Detail nachzubauen? Die Antwort gibt das Album selbst – mit einem entspannten, selbstbewussten Lächeln: Nein, ganz und gar nicht! Denn hier geht es nicht einfach um eine bloße Kopie vergangener Sounds. Diese Musik ist vielmehr eine Hommage an das Handwerk, ein sinnliches Erlebnis, das sich bewusst dem schnellen Konsum und den perfekt berechneten Streaming-Playlists entzieht. Sie fordert unsere Aufmerksamkeit – und belohnt uns dafür mit intensiven und zutiefst befriedigenden Hörerfahrungen. Und selbst wenn man als Kritiker einwenden möchte, sie sei „redundant“, bleibt sie doch vor allem eines: ein reines Vergnügen – und allein das reicht völlig aus, um ihre Existenz zu rechtfertigen.

„Return to the Bakery“ ist also kein Album für den beiläufigen Konsum und schon gar kein Soundtrack für den Hintergrund. Es ist ein akustisches Kunstwerk, das mit Hingabe und handwerklicher Präzision gefertigt wurde. Wer sich die Zeit nimmt, in diese Klangwelt einzutauchen, wird nicht nur von warm pulsierenden Bassläufen und kunstvoll eingesetzten Delays empfangen, sondern erlebt eine musikalische Tiefe, die unmittelbar zu den spirituellen Wurzeln des Dub zurückführt. Es ist Musik, die nicht der Zeit hinterherläuft, sondern die sie aufhebt.

Bewertung: 5 von 5.

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Five Star Review

Zion Train: Dubs of Perception

Der Auftakt von „Dubs of Perception“, dem neuen Album von Zion Train, ist ein kalkulierter Schock: Aus dem Nichts hallen archaisch anmutende Stammesgesänge, roh, ungestimmt, wie eine Beschwörung am Lagerfeuer. Kaum hat man sich auf diesen pseudoethnografischen Trip eingelassen, wuchtet ein monotoner Sub?Bass heran, so dick und stoisch, dass er die Stimmen beinahe verschluckt. In der nächsten Minute prallen diese beiden Pole immer wieder aufeinander?–?ein zeremonielles Echo und eine tieffrequente Wucht, die zusammen eigentlich nicht funktionieren dürften. Dann ein Break. Klangebenen verzahnen sich und der eigentliche Dub beginnt, der weder Roots?Tradition noch Club?Schema bedienen will. Genau in diesem Moment wird klar, welches Spiel hier gespielt wird: Erwartung erzeugen, Erwartung zerreißen, Kontrast auf Maximum, und dann alles in einen neuen Kontext bringen.

„Ich habe dieses Mal bewusst einen anderen Ansatz gewählt.“ erklärt Neil Perch, Produzent und treibende Kraft hinter Zion Train. „Im Studio habe ich geplant, neue Technologien mit alten, fast schon vergessenen Methoden zu verbinden. Ich wollte wieder zurück zu den Wurzeln des Live?Dub?Mixings – mit einem 40?Jahre alten, restaurierten 32?Kanal?Analogpult. Dieses Mischpult hat Geschichte, es war zum Beispiel in den legendären Music?Works Studios auf Jamaika im Einsatz.“

Trotzdem klingt das Album keineswegs museal, sondern überraschend gegenwärtig. „Gleichzeitig habe ich aber moderne Effekte integriert, wie das Zen?Delay und eine neue Version des Roland?TB?303 – das ist die klassische Acid?House?Bassmaschine. Diese Kombination aus Alt und Neu macht den Sound des Albums aus.“ In den tiefen Frequenzen brummt also Vergangenheit, darüber flirrt das „Hier und Jetzt“, gestützt von Cara?Jane?Murphys (sehr sporadischen) Gesangslinien, Roger?Robinsons Spoken?Word?Akzenten und der energiegeladenen Zion?Train?Bläsersektion. Gastmusiker wie Paolo?Baldini oder die Veteranen Trinny?Fingers und Blacka?Wilson füllen das Klangbild mit einem Selbstverständnis, das nur entsteht, wenn Studio?Sessions noch echtes Zusammenspiel bedeuten.

Das zentrale Prinzip des Albums bleibt jedoch die Unvorhersehbarkeit: „Beim analogen Mixing ist alles impulsiv.“, sagt Neil. „Ich stelle den Mix grob ein, wähle die Effekte – aber ab dem Moment, wo ich auf Play drücke, ist es reine Improvisation. Da kannst du nichts mehr durchplanen. Du folgst einfach dem Vibe, und das bringt Seiten meines künstlerischen Charakters zum Vorschein, die bei komplett durchdachten Produktionen nie auftauchen würden. Genau das macht die Arbeit spannend. Auch nach über 35?Jahren überrascht mich dieser Prozess immer wieder selbst.“ Diese Haltung spürt man in jedem Stück. So zum Beispiel in „Travelling“, das mit einem Burning Spear-Sample beginnt und dann zu einem 303-Gewitter wird, als wolle die Maschine die Grundfesten des Subwoofers testen. Dann gesellt sich eine liebliche Flötenmelodie hinzu – schräger lassen sich Dubs kaum komponieren. Dass diese Ästhetik nahtlos an „Siren“ anknüpft, bestätigt Neil: „Es gibt eine klare Verbindung zu meinen frühen Sachen. Damals in den 90ern habe ich viel mit Acid?House?Maschinen gearbeitet. Auf dem Album „Siren“ hatte ich sie dann zum letzten Mal eingesetzt. Jetzt bin ich mit meinem Equipment wieder in diese Richtung zurückgegangen. Vor allem, weil ich diesen Klang liebe?–?aber auch, weil mich das, was ich in den letzten fünf bis acht Jahren in der Dub?Szene gehört habe, ziemlich gelangweilt hat. Ursprünglich mochte ich Dub, weil er im Vergleich zum Reggae spannend war. Reggae wurde meiner Meinung nach schon in den 1990ern langweilig und ist es bis heute. Also wandte ich mich Dub zu, weil er in den Achtzigern und Neunzigern noch aufregend war: neue Ideen, neue Technik, viele neue Gruppen. Doch während sich das Dub?Virus verbreitete?–?was einerseits großartig ist, weil nun die ganze Welt Dub hört?–?wurde die Musik für mich irgendwann ebenfalls langweilig.“ beschreibt Neil seine musikalische Entwicklung. „Technologisch versuche ich beim Musikmachen stets, mich weiterzuentwickeln, anzupassen und zu erneuern. Mich motiviert vor allem: Klänge zu erschaffen, die nicht ständig auf die heutige Dub? und Reggae?Sprache zurückgreifen – denn die empfinde ich als vollkommen vorhersehbar, kommerziell und uninspirierend. Zu viel Musik klingt exakt gleich, ist voller Klischees, kultureller Aneignung und falsch verstandener Konzepte – all das meide ich konsequent.“

Mit „Dubs?of?Perception“ liefert er nun Material, das diesem Dub-Mainstream zuwider läuft – Tracks, die sich nicht in einem simplen Steppers-Beat erschöpfen, sondern sich erst durch wiederholtes Hören erschließen.

Gerade darin liegt die Stärke des Albums: Es fordert Zuhören, ohne sich der Tanzbarkeit zu verweigern. Die Live?Erfahrung der Band – 2024 erneut auf Bühnen von Mexiko bis Kroatien erprobt – scheint ins Studio hineinzuwirken. Modulationen, Delays und abrupt gesetzte Breaks erinnern an jene Momente, in denen Neil während eines Konzerts den Hallfader hochreißt, bis der Raum nur noch aus Echo besteht. So schafft „Dubs?of?Perception“ das Kunststück, gleichzeitig Rückschau und Zukunftsentwurf zu sein. Die handwerkliche Sorgfalt, mit der Neil seine Tracks komponiert, verbindet sich mit der Lust am Risiko, neue Verbindungen zu knüpfen und Mainstream-Pfade zu verlassen. Wenn Dub heute oft wie ein Genre klingt, das seine eigenen Rituale endlos wiederholt, legt Zion?Train genau dort den Hebel an: Neil nimmt das Ritual ernst, aber er variiert es – und zwar so radikal, dass man am Ende eines Tracks das Gefühl hat, eine vertraute Sprache neu gelernt zu haben. Wer wissen will, wohin sich Dub jenseits der gängigen Steppers?Schablonen bewegen kann, findet hier eine faszinierende und überaus leidenschaftliche Antwort.

Bewertung: 5 von 5.

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Zulu Vibes: Friendly Melodies

Es gibt Alben, die man auflegt und sofort in eine positive Stimmung eintaucht – „Friendly Melodies“ (Zulu Vibes) von Zulu Vibes ist genau so eines. Ich wusste schon nach den ersten Takten, dass mich dieses Album länger begleiten würde. Der französische Produzent, der 2018 mit „Silver Wind“, dem Debütalbum von Youthie, erstmals für Aufsehen sorgte, hat hier etwas geschaffen, das nicht nur gut klingt, sondern sich auch gut anfühlt. Die Tracks sind warm, lebendig und voller Spielfreude – man spürt, dass hier jemand mit echter Liebe zu Reggae und Dub am Werk war. Der Sound von „Friendly Melodies“ hat eine wohltuende Lebendigkeit und Fröhlichkeit. Vielleicht liegt es an der Art, wie die Arrangements atmen, wie jedes Instrument seinen Raum bekommt oder daran, dass der Mix einfach so organisch klingt. Hier wird Dub nicht einfach nur produziert – hier wird er „gespielt“. Das Album hat einen Groove, der der sich aus vielen kleinen Details nährt, Details, die man erst nach mehrmaligem Hören entdeckt. Ich ertappe mich dabei, wie ich das Album in meiner Mediathek unwillkürlich immer wieder anklicke und abspiele. Vielleicht liegt das auch an der Vielseitigkeit der 12 Tracks. Jeder davon bringt eine neue Facette ins Spiel – mal treibend und energiegeladen, mal entspannt und meditativ. Die Dub-Mixes sind fein abgestimmt und sorgen für eine zusätzliche Tiefe, ohne sich in Effekthascherei zu verlieren. Manche Dub-Alben klingen nach Studioarbeit – durchdacht, aber auch etwas distanziert. Friendly Melodies ist anders. Es fühlt sich an, als wäre man direkt dabei, als würde die Musik in einem Raum voller Instrumente und frischer Ideen entstehen. Wer auf Dub steht, der geerdet und gleichzeitig frisch klingt, wird hier definitiv fündig. Ein Album, das nicht nur für gute Vibes sorgt, sondern auch immer wieder neue Nuancen offenbart – und seinem Titel absolut gerecht wird.

Bewertung: 4 von 5.
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Danubian Dub: Red Horizon und Beyond Horizon

Dub aus der kleinen Alpenrepublik Österreich ist nicht gerade an der Tagesordnung. Umso schöner, dass Danubian Dub soeben gar ein Doppelalbum mit 22 Tracks veröffentlicht hat. Wobei: Das Doppelalbum sind eigentlich zwei Alben: „Red Horizon“ und „Beyond Horizon“ (beide Danubian Dub Records), die gleichzeitig erschienen sind und in etwa das gleiche bieten: Steppers-Dub gemischt mit Vocals. „Beyond“ ist dabei nicht einfach nur die Dub-Version von „Red“ – obgleich es einen ausgeprägteren Härtegrad hat. Insgesamt geht es bei beiden Alben nicht um bahnbrechende Experimente, sondern um solides Handwerk, technische Brillanz und ein tiefes Verständnis für die Soundsystem-Kultur. Und dann wäre da ja noch die schiere Menge an Tunes! Ein beeindruckender Beweis für die immense Produktivität des Produzententeams, das nicht nur im Studio aktiv ist, sondern auch mit eigenen Events und dem selbst organisiertem Dubstetten-Festival in der Szene aktiv ist. Schon der Opener „Armageddon“ auf Red Horizon hat mich beeindruckt. Der Track basiert auf einer zufällig aufgenommenen aramäischen Chorpassage aus einer Kirche. Genau diese Art von Detail macht Danubian Dub aus: Sie verarbeiten spontane Inspirationen und lassen sie in ihre Produktionen einfließen. Das Album schließt mit „Where Have You Been“, einer persönlichen Vocal-Nummer mit Tom Spirals, die nicht nur musikalisch, sondern auch emotional nachhallt. „Beyond Horizon“ setzt das Konzept fort und bringt 11 Stücke massiver Steppas-Vibes, mit starken Gastbeiträgen von Kol.EE aka King D, Amando Atodos und natürlich den Danubian Dub-Sängern FerdI und Dave. Der letzte Track „Poverty“ ist ein kraftvolles Statement gegen soziale Ungleichheit. Sehr schön! Soundtechnisch ist das Album herausragend. Die Produktionen sind druckvoll, bis ins kleinste Detail ausgearbeitet und zeigen, dass Danubian Dub ihr Handwerk perfekt beherrschen. Es ist ein Album, das nicht nur auf großen Sound Systems funktioniert, sondern auch in einer ruhigen Umgebung seine Wirkung entfaltet. „Red Horizon“ und „Beyond Horizon“ sind zwar keine Alben, die Dub neu erfinden – aber sie sind eine beeindruckende Demonstration davon, was solide Produktion und Hingabe an das Genre bewirken können.

Bewertung: 3.5 von 5.

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Slimmah Sound: Dub Foundation

Mit „Dub Foundation“ (Slimmah Sounds) präsentiert Tim „Slimmah Sound“ Baumgarten ein neues, äußerst schönes Dub-Album. Der niederländische Drummer und Produzent, dessen Wurzeln im Roots- und Dub-Reggae verankert sind, beweist mit diesem Werk erneut seine handwerkliche Präzision und kreative Vision. Sein Stil, der live eingespielte Instrumente mit digitaler Produktion verbindet, klingt reifer denn je und trägt eine spürbare Tiefe in sich, die sich durch alle Tracks zieht. „Dub Foundation“ ist (einmal mehr) eine Hommage an die goldene Ära des Roots Reggae. Die schweren Basslines und die klar strukturierten Riddims erinnern an die Großmeister der 70er und 80er Jahre – Sly & Robbie, Yabby You oder Linval Thompson –, doch gleichzeitig bringt Slimmah Sound moderne Produktionsweisen ein, die seine Musik im aktuellen Sound System-Vibe verorten. Einflüsse von Zion Train, Vibronics und Alpha & Omega sind klar erkennbar. Jetzt wird es kompliziert: „Dub Foundation“ ist die Dub-Version von „INI Foundation“ – was allerdings ein Showcase-Album mit 12 Tracks ist. Fünf der sechs Dubs auf diesem Album, finden sich nun auf „Dub Foundation“ wieder. Klingt nach keinem gute Deal, allerdings erscheint mir der Sound auf dem „kleinen“ Album viel besser. Die Tracks auf „Dub Foundation“ entfalten sich langsam, lassen Raum für Echo, Hall und fein abgestimmte Dub-Arrangements. Besonders beeindruckend ist die rhythmische Struktur der Dubs, die immer spannend bleibt. Zudem ist der klassische Dub-Mix hervorragend gelungen – er erzeugt eine fast magische Wirkung. Besonders beeindruckend ist die Detailverliebtheit, mit der Tim Baumgarten klassische Dub-Techniken einsetzt, ohne in einen Retro-Habitus zu verfallen. Der Sound ist warm, tief und organisch, jedes Element hat seinen Platz und trägt zur Gesamtwirkung bei. Die Verschmelzung von Analog-Feeling mit digitaler Präzision ist zweifellos besonders gelungen. Allerdings ist das Album mit nur fünf Tracks recht kurz geraten. Wer mehr möchte, sollte zu „INI Foundation“ greifen, das neben den Dub-Versionen auch die Vocal-Interpretationen von Idren Natural enthält.

Bewertung: 4.5 von 5.
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The Wavestate Project: Dubocracy

Regelmäßig tauchen Dub-Alben scheinbar aus dem Nichts auf. „Dubocracy“ (Dave Meeker) von The Wavestate Project ist genau so ein Fall. Plötzlich ist es da – mit einem ansprechenden Cover, einem Titel, der zur aktuellen Weltlage passt, und neun Tracks, die sich spontan in meine Wahrnehmungssphäre gedrängt haben. Die Recherche zur Urheberschaft des Werkes fördert spärliche offiziellen Informationen zutage, laut derer das Album die Fusion von Reggae, Dub und Acid-Synthesizern erforscht, um eine neue Klanglandschaft zu erschaffen. Klingt nach einem generischen ChatGPT-Textchen. Also bleibt nichts anderes, als genau hinzuhören. Ein erster Verdacht drängt sich auf: Hat hier jemand sein neues Spielzeug ausprobiert? Immerhin gibt es von Korg einen Synthesizer mit dem Namen „Wavestate“. Und tatsächlich, der zweite Track klingt direkt so, als hätte The Wavestate Project einfach mal drauflosgespielt – dominante Synthie-Sounds, etwas holpriger Rhythm. Doch dann ändert sich das Bild schlagartig: Plötzlich sind da wunderbar produzierte Dub-Tracks, die alle Register des Genres ziehen. Entweder hat der Produzent eine steile Lernkurve hingelegt, oder hier ist doch ein erfahrener Dub-Nerd am Werk. Aber lassen wir die Spekulationen. Entscheidend ist, was hinten rauskommt – und das überzeugt. Die Reggae-Rhythmen sind tight produziert, der Sound ist satt und sauber, die Dub-Mixes spannend. Die Musik strahlt eine helle, beschwingte Grundstimmung aus, die sofort gute Laune verbreitet. Das prägende Element des Albums ist jedoch in der Tat zweifellos der Synthesizer. Doch keine Sorge – hier gibt es keine nervigen Flächen oder ausufernde elektronische Spielereien. Der Korg-Synth übernimmt vielmehr die Rolle des Lead-Instruments und fügt sich ganz bescheiden und harmonisch in das Gesamtbild ein. Er bleibt zwar immer als Synthesizer erkennbar, aber er stellt sich ganz in den Dienst markanter, schöner Melodien, die weit über das generische Gedudel hinausgehen, das man von manchem „echten“ Live-Leadinstrument im Dub kennt. Das Resultat: Dub-Songs, die fast zum Mitsummen einladen. „Dubocracy“ ist kein Album für Dub-Puristen, die ausschließlich nach klassischen Klängen suchen. Aber für alle, die Dub mit offenen Ohren genießen bietet es eine spannende und erfrischende Hörerfahrung. Ein Album, das gute Laune macht – und das ist ja schon viel Wert.

Bewertung: 4 von 5.

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Mr. Woodwicker: Under My Voodo

Es ist fast ein Fluch, über aktuellen Dub zu schreiben. Wie beneide ich all jene Musikjournalisten, die sich mit bekannten Hip-Hop- oder Pop-Artists befassen dürfen! Artists also, die ein umfangreiches Oeuvre vorweisen, zu denen es zahllose Interviews, Feuilleton-Artikel oder sogar handfeste Skandale gibt – kurz: über die es eine Menge zu erzählen gibt. Ich hingegen durchforste spärliche Bandcamp-Biografien oder stolpere über lieblos gepflegte Instagram-Accounts. Das Konzept „Website“ mit umfassender Discographie und detaillierter Künstlerbiografie? Offenbar ein Relikt vergangener Zeiten. Bleibt also nur die Musik. Doch seien wir ehrlich: So groß die experimentellen Freiräume im Dub auch sind, neunzig Prozent der Produktionen unterscheiden sich nur in Nuancen voneinander. Ich sitze dann vor meinem Mac und frage mich: Was kann ich noch über diese Musik schreiben, das ich nicht schon tausendmal gesagt habe? Und während ich grüble, schweifen meine Gedanken ab – in (selbst-)kritische Reflexionen wie diese hier, die letztlich auch nirgendwohin führen. Tragisch. Warum dieser Exkurs? Weil „Under My Voodoo“ (Mr. Woodwicker Records) von Mr. Woodwicker wieder so ein Fall ist. Bei Bandcamp erfahre ich nur „Udine, Italy“ und eine nichts sagende Randnotiz, dass seine Musik vom Dub der 1970er inspiriert sei. Welch bahnbrechende Erkenntnis! Viel mehr kann ich euch also nicht über diesen Künstler berichten – außer, dass sein Album „Under My Voodoo“ wirklich schöner Dub ist. Ja, er atmet den Geist der 70er, ist aber soundtechnisch auf modernem Niveau produziert. Handgemixte Dubs, satte Bässe, Riddims, die vertraut klingen – aber keine Remakes sind. Aber hey – am Ende ist der dubblog doch nichts anderes als eine kompetent kuratierte Dub-Ausstellung. Ihr habt den Albumtitel, also ab zu Spotify, Bandcamp oder wo auch immer ihr eure Musik hört. Viel Spaß dabei!

Bewertung: 4 von 5.
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Gary Clunk: Archives of Dub, Vol. 4

In schöner Regelmäßigkeit veröffentlicht Gary Clunk – der trotz seines Namens Franzose ist und in der Nähe von Bordeaux lebt und arbeitet – solide Steppers-Alben, deren Sound perfekt in die französische Dub-Szene passt. Jetzt legt er „Archives of Dub, Vol. 4“ (Culture Dub) vor. Das Album enthält zwölf Tracks aus seinem Archiv der Jahre 2015 bis 2023, die er hier in Dub-Fassungen präsentiert. Alle Stücke stammen unzweifelhaft aus dem Computer, wurden aber laut Clunks Aussage analog produziert – was den Sound für mich allerdings kein bisschen organischer macht. Wir hören fetten Steppers-Dub in jeweils zwei Cuts. Im Sound System macht das sicher viel Spaß, aber beim bewussten Zuhören klingen mir Sound und Arrangements etwas zu konventionell. Da in den letzten Monaten aber recht wenige gute neue Dub-Alben veröffentlicht wurden, will ich nicht meckern und freue mich über diese Dosis Clunk’schen Dubs.

Bewertung: 3.5 von 5.
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Good Over Evil: 12 Tribes

Oft höre ich neue Dub-Alben zum ersten mal während ich arbeite. Ich sitze dann vorzugsweise abends vor dem Computer, befinde mich in einem angenehmen Flow – weil ich endlich ungestört bin – schreibe, lese, konzipiere, bin konzentriert bei der Sache. Und ich gebe zu, dass so manches Dub-Album nahezu unbeachtet durchläuft. Ja ja, ich genieße dann die warme Atmosphäre der Musik, lasse mich tragen von den langsamen Beats, aber ich höre nicht wirklich hin. Bei „12 Tribes“ (Good Over Evil) von Good Over Evil war es etwas ganz anderes. Schon als die Bassline der ersten Tracks erklang, konnte ich nicht anders als aufhorchen. Seither ist es eines meiner aktuellen Lieblingsalben. Ich bin immer wieder erstaunt, dass es in dem stilistisch eher schmalen Rahmen zeitgenössischen Reggae-Dubs (also diesseits von Experimenten, Retro-Sound und Crossover-Spielereien) immer noch gelingen kann, Musik zu produzieren, die sich so deutlich vom Durchschnitt absetzt. Musik, die aus irgend einem rätselhaften Grund besser ist, als der Rest. „12 Tribes“ ist eines von diesen Alben. Die Effekte sind hier meisterhaft eingesetzt, der Sound ist druckvoll und klar. Jeder Track entfaltet eine eigene Atmosphäre, ohne den roten Faden zu verlieren. Es ist ein Album, das Dub in seiner reinsten Form zelebriert, aber mit einer Präzision und Intensität, die nicht oft erreicht wird. Hier scheint alles zu stimmen: Sound, Basslines, Komposition, Arrangement und Mix. Kraftvoll aber nicht brachial, magisch aber nicht düster, minimalistisch aber nicht langweilig, melodiös aber nicht kitschig. Hinter Good Over Evil stecken übrigens die beiden Spanier Jah Ivan und Dani Roots. Schon mit ihrem Album „Life Arkitect“ von 2023 haben die beiden bewiesen, dass sie ein feines Gespür für tiefgründigen, atmosphärischen Dub haben. Auch ihr späteres Projekt „Roots of One“ und die dazugehörige Dub-Version „Roots of Dub“ zeigten, dass hier zwei Produzenten am Werk sind, die nicht einfach nur Patterns aneinanderreihen, sondern Dub als künstlerischen Ausdruck begreifen. Am meisten Aufmerksamkeit bekamen sie zuletzt wohl für ihre Dub-Version von Aka Bekas Album „Living Testament“ – doch während dieses Projekt auf fremdem Material basierte, ist „12 Tribes“ ein reines Good Over Evil-Werk. Und es ist, ohne Frage, ihr bisher bestes.

Bewertung: 4.5 von 5.