Nun ist es also soweit: Die ersten Reggae-Instrumentalalben einer künstlichen Intelligenz sind da. Irgendwann musste es ja passieren. Ich hätte nur nicht erwartet, dass es jetzt passiert. Ein Sleng Teng-Moment? Wohl kaum, denn die drei seit Mai 2024 erhältlichen Alben „Roots Rock Steady“, „Rhythms of the Grove“ und „Bassline Confidential“, alle von Rudebwai Stailee, haben bisher kaum Beachtung gefunden. Und doch ist es eine bedeutsame Entwicklung, denn so wie bei Sleng Teng die Studiomusiker:innen durch Computertechnik ersetzt wurden, geschieht es jetzt auch mit den Komponist:innen und Produzent:innen. Die Musik entsteht automatisch auf der Basis eines kurzen Biefings oder „Prompts“. Meine Erfahrungen mit generativer künstlicher Intelligenz im Bildbereich haben mich jedenfalls gelehrt, dass KI nicht nur bildtechnisch nahezu perfekt arbeitet, sondern auch ungemein kreativ sein kann. Was mit Bildern und Texten funktioniert, muss auch mit Musik möglich sein – und ist es im Prinzip auch, wie Rudebwai Stailee beweist.
Tja, und was machen wir jetzt damit? Irgendwie erzeugt es gemischte Gefühle, ein KI-Album zu hören. Einerseits ist da die Faszination, dass es überhaupt möglich ist. Dass die Stücke fast ohne menschliches Zutun entstehen und trotzdem ziemlich gut klingen, ist unglaublich. Zum anderen ist da dieses Unbehagen, dass die Musik kein:e Urheber:in hat. Keinen Artist, keinen (richtigen) Producer, niemanden, der Logic Pro bedient, geschweige denn ein richtiges Instrument spielt. Was, nebenbei bemerkt, die Musik gemeinfrei macht. Es gibt kein Copyright, jeder kann sie frei verwenden. Warum aber erzeugt die Nichtexistenz von Urheberschaft Unbehagen? Warum macht es keinen rechten Spaß, ein KI-Reggae-Album zu hören?
Grundsätzlich bin ich davon überzeugt: Das Wissen um den Entstehungsprozess von Musik kann zwar sehr aufschlussreich sein und auch die Rezeption von Musik beeinflussen, es darf aber keinen Einfluss auf die Beurteilung der Qualität von Musik haben. Entscheidend ist, „was hinten rauskommt“. Nur das zählt. Und da muss ich sagen, dass die drei KI-Alben ganz okay sind. Die Rhythms sind auf jeden Fall sehr solide, der Mix auch. Nur die Lead-Instrumente und die Soli klingen manchmal etwas schräg. Außerdem klingt das Ganze vielleicht etwas eintönig. Aber da sind wir schon bei Vorurteilen und kognitiven Verzerrungen. Klingt es eintönig, weil ich weiß, dass hier eine Maschine am Werk war und kein Mensch? Oder ist es gar gekränkte Eitelkeit, weil sich niemand wirklich die Mühe gemacht hat, die Musik zu erschaffen, der ich hier meine Zeit widme, um sie aufmerksam zu hören? Kann ich Musik genießen – wenn es keinen Artist gibt, dem es um mich als Hörer geht? Wenn da niemand ist, der mir gefallen will, der sich um mein Vergnügen bemüht, der mir im besten Fall etwas mitzuteilen hat? Kurz: Kann ich Musik genießen und wertschätzen, wenn keine Künstlerpersönlichkeit dahinter steht? Bei einer idyllischen Landschaft ist das seltsamerweise kein Problem. Auch hinter ihr steht keine Künstlerpersönlichkeit, und doch genieße und schätze ich sie inbrünstig. Das gilt auch für andere Naturschönheiten. Wie faszinierend ist der Anblick mancher Pflanzen oder Tiere, die ebenfalls nicht das Werk eines Künstlers oder einer Künstlerin sind. Warum sollte das bei Musik, Malerei oder – in Zukunft – beim Film anders sein? Vielleicht schafft es eine wirklich gute KI in Zukunft, nur noch gute Musik zu komponieren. All killer, no filler! Was wäre dagegen einzuwenden?
Die Situation erinnert frappierend an die Weigerung der Gesellschaft des Neunzehnten Jahrhunderts, die 1839 erfundene Fotografie als Kunst anzuerkennen. Die Argumente waren die gleichen, wie heute mit Blick auf die KI: Das fotografische Bild sei das Werk einer Maschine, es gäbe keinen menschlichen Schöpfer, weshalb es keine Kunst sein könne. Heute sehen wir das natürlich ganz und gar anders, aber nur, weil wir entdeckt haben, dass eine Fotografie keineswegs nur das Produkt einer Maschine ist. Durch die Hintertür haben wir den Menschen wieder ins Spiel gebracht, als denjenigen, der das Motiv auswählt, den Ausschnitt der Welt festlegt, den die Fotografie zeigt und darüber hinaus zahlreiche weitere kreative Entscheidungen trifft. Diese Strategie dürfte angesichts der künstlichen Intelligenz nicht mehr ganz so einfach sein. Klar, aktuell wird der Prompt noch von jemandem verfasst. Aber es ist nur noch ein minimaler kreativer Akt nötig – und wahrscheinlich wird selbst der in Zukunft obsolet, wenn sich der KI-Algorithmus einfach an den Vorlieben z. B. von Hörern und Hörerinnen orientiert.
Nun, liebe Dub-Fans, ihr seht mich ratlos. Ich neige aber zu der Annahme, dass das Verschwinden des Artists nur deshalb irritiert, weil wir es schlicht anders gewohnt sind. Es handelt sich hier um einen radikalen Bruch mit einer wichtigen Konvention, nämlich der Art und Weise, wie wir Kunst und Kultur verstehen und rezipieren. Meine Prognose wäre: In fünf Jahren wird es niemanden mehr interessieren, ob Musik von Menschen gemacht oder von KI generiert wird. Eine gewagte These: Vielleicht wird es in 10 Jahren kein Streaming von vorproduzierten Inhalten mehr geben. Die Musik, die wir hören werden, wird dann in Echtzeit für uns generiert – ganz nach unseren Vorlieben. Eine Horrorvorstellung? Schreibt mir, was ihr davon haltet.
Okay, zum Schluss noch ein paar Worte zum eigentlichen Thema dieser Rezension: „Roots Rock Steady“ ist ein akzeptables Instrumentalalbum. Die Rhythms haben Wumms, die Bässe rocken, es gibt richtige Melodien und überhaupt ist das ganze Arrangement sehr solide. Es gibt sogar einen richtigen Mix, der Sound ist druckvoll und die Instrumente klingen echt. Was mir nicht gefällt: Die generierten Tracks klingen, ja, es lässt sich nicht anders sagen: etwas generisch. Sie sind zu repetitiv aufgebaut. Etwas mehr Abwechslung und klangliche Komplexität wäre schön. Außerdem klingen die Lead-Instrumente nicht sehr natürlich. Dasselbe gilt für „Rhythms of the Grove“. Insgesamt wirken die Stücke hier etwas rootsiger und abwechslungsreicher. Das jüngste Werk „Bassline Confidential“ klingt nach 80er Reggae. Im Hintergrund laufen solide Backings, im Vordergrund spielt ein Leadinstrument. Insgesamt zu eintönig und dadurch etwas langweilig. Ja, wenn ich böse wäre, würde ich schreiben: Erinnert mich an Instrumentalalben von Dean Fraser – nur ohne Saxophon.
Aber gut, bedenkt, dass dies die ersten Gehversuche der KI sind. Denkt das Ganze fünf Jahre weiter, dann wisst ihr, was euch erwartet.