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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, Mai 2004

Wenn die Plattenindustrie gerade im Begriff ist abzudanken, dann liegt das natürlich zum großen Teil am allgegenwärtigen illegalen Kopieren, es liegt aber auch daran, dass die klassische CD für ihre rund 17 Euro gegenüber einer kostenlos „besorgten“ MP3-Kollektion nahezu null Mehrwert bietet. Nur wenigen Labels ist klar, dass sie neben der Musik vor allem eine gute Verpackung bieten müssen – die Plattenindustrie als Verpackungsindustrie, warum nicht? Wenn schon kein Booklet, keine Bonus DVD und keine Special Edition-Box geboten wird, dann sollte die Aura des Produkts doch zumindest durch konsequenten Retro-Charme herbeigezaubert werden. Die Japaner – Meister der Verpackung und große Liebhaber puristischer Gestaltung – haben z. B. mit ihrer großartigen Pappschuber-Edition der legendären Blue Note-Alben gezeigt, wie die Aura eines Klassikers mit simpelsten Mitteln eingefangen werden kann. Alles, was sie dazu machen mussten war, die CD als Miniaturausgabe des Originalalbums anzubieten – natürlich im miniaturisierten Original-Pappcover. Beat Inc., Label und Vertrieb aus Tokyo, hat das Konzept jetzt auf vier frühe Hitrun- und On U Sound-Releases übertragen. Für diese edlen Wiederveröffentlichungen wurden die Originalaufnahmen remastert und mit bis zu sechs Bonus-Tracks angereichert. Natürlich sind die CDs mit dem Original-Label bedruckt und stecken in kleinen Schutzhüllen, die selbst wiederum in wunderschönen Reproduktionen der Original-Cover stecken. Gestalterisch bleiben diese natürlich Dimensionen hinter den Blue Note-Kunstwerken zurück – sie aber im Mini-Format in den Händen zu halten, ruft angenehme Erinnerungen wach. Linernotes und ein Grußwort von Adrian Sherwood gibt es auch, und zwar auf einem Beipackzettel in japanisch!

Da der langjährige Deutschland-Vertrieb von On U-Sound, EFA-Medien, vor ein paar Wochen seine Tore schließen musste, reimportiert nun der On U-Chef die japanischen CDs und bringt sie über den Vertrieb Indigo in die deutschen Läden. Für diesen Deal hat er mit Bedacht vier sehr alte Klassiker aus seinem Oeuvre ausgewählt: Drei mal Creation Rebel mit „Rebel Vibrations“, „Dub From Creation“ (beide Hitrun) und „Starship Afrika“ sowie das Debut-Album der New Age Steppers (beide On-U-Sound). Die beiden frühen Hitrun-Produktionen aus den Jahren 1978 und 1979 gehören zu den ersten Dokumenten von Sherwoods Produktionstätigkeit. Während sie auf den ersten Blick „klassischen“ Roots-Dub mit traurigen Melodica-Melodien von Dr. Pablo bieten, zeigt sich beim genaueren Hinhören schon die Virtuosität des Dub-Meisters, die nicht selten die der großen Heroen King Tubby, Lee Perry oder Errol Brown übertrifft. Hier, bei den frühen Alben, hält sich Sherwoods Experimentierdrang noch in respektable Grenzen. Der Mix ist nicht wichtiger als der Beat, obgleich er eine stete Bereicherung für ihn ist. Schon im darauf folgenden Jahr hat sich das Verhältnis bei einer anderen Creation Rebel-Produktion radikal umgekehrt: „Starship Africa“ war wohl das mit Abstand experimentellste Dub-Album seiner Zeit, das Rodigan damals zu dem Ausspruch veranlasste: „Adrian, what the hell do you think you are doing to reggae?“ Bereits 1977 sind die Rhythms für „Starship-Africa“ von Bassist Tony Henry und Charlie „Eskimo“ Fox eingespielt worden. Ein Jahr später lernte Sherwood Style Scott kennen, der die Drumms von Eskimo in einer weiteren Aufnahmesession noch einmal dubbte und ihnen so erst den nötigen Druck gab. 1979 fand sich dann schließlich genug Studiozeit, um den finalen Mix anzugehen. Dafür wurden alle Tracks rückwärts laufend erneut aufgenommen und mit Delay- und Reverb-Effekten versehen. Anschließend wurden Original und „Rückwärts-Kopie“ – teilweise nach dem Zufallsprinzip zusammengemixt. Ein verrücktes, aber sehr geglücktes Experiment, das noch heute frisch und innovativ klingt. Ähnlich experimentell, aber weitaus dissonanter, ist das New-Age-Steppers-Album, das im Übrigen zugleich das erste Album auf dem neuen On U-Sound-Label war. Eingespielt wurde es von Musikern der Pop Group, der Flying Lizards und von Aswad. Seine größten Erfolge feierte es in Japan, wohl wegen der Sängerin Ariana Foster aka Ari Up, deren glockenhelle Stimme auf zwei Cover-Versionen zu hören ist: Junior Byles „Fade Away“ und Bim Shermans „Love Forever“ – die sie beide reichlich schräg interpretiert. Wer On-U-Sound sammelt und gerade die Anfänge dieses legendären Labels ins digitale Zeitalter hinüberretten will – womöglich auch nur um die Stücke dann doch als MP3-Files auf dem iPod zu speichern – dem seien diese gut klingenden und hervorragend aussehenden Japan-Importe dringend ans Herz gelegt.

Lee Perry wird gerne als einer der Originators des Dub bezeichnet. Das mag zum einen daran liegen, dass seine exzentrische Produktionsweise gerne per se mit Dub gleichgesetzt wird, zum anderen mag es daran liegen, dass die Black-Ark-Aufnahmen voller Dub-Effekte stecken und sein Sound viel von der Tiefe und Schwere guter Dub-Tunes besitzt. Doch während Dub eher auf einer Zerlegung und Reduzierung der Rhythms und ihrer Neukonstruktion durch den Dub-Mix beruhen, ist bei Perrys „Layer“-Technik eigentlich das genaue Gegenteil der Fall: Schicht für Schicht legt er Soundeben übereinander bis sein typischer, komplexer, undurchdringlicher Black Ark-Sound erreicht ist.

So gesehen sind von Perry nur sehr wenige echte Dub-Alben erschienen. Drei davon, nämlich Blackboard Jungle Dub, Cloak & Dagger und Revolution Dub sind nun geimeinsam auf der Doppel-CD Lee Perry, „Dub-Triptych“ (Trojan/Sanctuary/Roughtrade) erhältlich. Der erste Teil der zweiten CD ist ganz dem bekanntesten Dub Werk Lee Perrys gewidmet, „Blackboard Jungle“, das genau genommen nicht sein, sondern King Tubbys Dub-Werk ist, denn er hat es gemixt. Der Ruhm dieses Albums gründet sich zum Teil auf der Tatsache, dass „Blackboard“ eines der ersten Dub-Alben überhaupt war. Noch entscheidender für den Erfolg und Ruhm des Albums aber war die Auswahl der großartigen Perry-Rhythms der frühen 70er Jahre. So finden sich hier superbe Dub-Mixe von Hits wie „Fever“ und „Place Called Africa“ von Junior Byles oder „Kaya“, „Dreamland“ und „Keep On Mooving“ von den Wailers. Auch die Dub-Version von Dillingers Tribut an King Tubby, „Dub Organiser“, ist hier enthalten. (Natürlich ist es kaum nötig zu erwähnen, dass King Tubby diese Dubs ausgezeichnet „organisiert“ hat!). Im zweiten Teil der zweiten CD sind die Stücke von Perrys erstem selbst gemischten Dub-Album, „Dub Revolution“, zu hören. Es ist an Exzentrik kaum zu überbieten, Perry, der Madman himself, hat alles gegeben. „Revolution Dub“ erschien 1975 und enthielt bereits frühe Black Ark-Aufnahmen. Neben Highlights wie einem Dub-Cut von Junior Byles „The Long Way“ und einem schönen minimalistischen Mix von Jimmy Rileys Bobby Womack-Cover „Woman’s Gotta Have It“, gibt es auch einige weniger inspirierte Stücke zu hören, die sich u. a. durch die Einspielungen einer Fernseh-Sitcom auszeichnen. CD1 des Sets widmet sich vollständig dem Album „Cloak & Dagger“, das aber eher ein Instrumental-, denn ein Dub-Album ist. Netterweise bietet diese CD drei Bonus Tracks, wovon einer die Dub-Plate-Version des Titelstückes „Cloak & Dagger“ (Rhythm des schon von „Blackboard Jungle“ bekannten „Dub Organisers“) ist.

Interessanter Weise ist fast zeitgleich zu dieser Trojan-Wiederveröffentlichung das Album „Blackboard Jungle“ ein zweites Mal auf dem Label Auralux unter dem Titel „Upsetters 14 Dub Blackboard Jungle“ (Auralux/Indigo) inklusive vier Bonustracks erschienen. Bei letzteren handelt es sich um drei sehr ungewöhnliche, komplett ungemischte Rhythmtracks und ein normales Instrumental. Wer nicht fanatischer Sammler ist, der dürfte mit der Doppel-CD von Trojan besser bedient sein.

Bleiben wir bei den Klassikern: Augustus Pablos Klassiker „King Tubbys Meets Rockers Uptown“ (Shanachie/Just Records) ist nun neu bei Shanachie Records erschienen. Paplo gehörte zu den ersten Produzenten, die King Tubby mit den Dub-Mixes ihrer Produktionen betrauten. „King Tubbys Meets Rockers Uptown“ war das erste gemeinsame Album von Pablo und Tubby und gehört heute zu den Essentials jeder anspruchsvollen Reggae-Sammlung. Hier kommt alles zusammen, was für ein gutes Dub-Stück notwendig ist: starke, melodisch rollende Basslines, clevere Arrangements, schöne Melodien und natürlich ein inspirierter Mix, der die Stücke auf ihre Basis, das Zusammenspiel von Drum und Bass reduziert und von dort aus neu zusammensetzt. Selten beherrschte Tubby diese Kunst besser als hier. Es ist schon eine Freude zu hören, wie er  die Dynamik der Rhythms steuert und jedem Beat eine eigene kleine Dramaturgie verleiht. Die Kraft der Stücke ist schlichtweg außerordentlich. Auch wenn sie heute ein wenig historisch klingen, so ist ihre musikalische Qualität ungebrochen. Ein Meisterwerk also; dessen waren sich auch die Labelmacher bei Shanachie bewusst und haben ihre „Deluxe Edition“ mit vier Bonus-Tracks angereichert, die vier alternative Mixe präsentieren. Diese sind zwar nicht zwingend, aber es spricht auch nichts dagegen.

Einen Klassiker habe ich noch: „Riddim – The Best Of Sly & Robbie In Dub 1978 To 1985“ (Trojan/Sanctuary/Roughtrade). Auf dieser Doppel-CD sind 40 Instrumental- und Dub-Versions aus dem Trojan-Archiv zusammengestellt, bei denen Sly & Robbie Drum und Bass bedienen. Insofern ist der Titel „The Best Of…“ deutlich zu hoch gegriffen, denn gemessen am Gesamt-Output der Rhythm-Twins ist das bei Trojan beheimatete Konvolut nur ein winziger Teil. Zudem sind die Stücke auf dieser CD keine Sly & Robbie-Produktionen, sondern sind im Wesentlichen unter der Regie von Bunny Lee, Linval Thompson und Jah Thomas entstanden. Was natürlich nicht heißen soll, dass hier minderwertiges Material versammelt ist. Keineswegs! Sly & Robbie können ja gar nicht schlecht sein und Slys Double-Drumming ist immer wieder ein Genuss. Ganz nebenbei bietet die CD auch noch einen Intensiv-Kurs in Channel One-Sound.

Ryan Moore ist ein echter Dub-Nerd. Seit 20 Jahren sitzt er alleine in seinem kleinen Heimstudio auf einem Perserteppich, frickelt an Reglern und Schiebern und veröffentlicht unter dem Namen Twighlight Circus gelegentlich Dub-Platten. Dabei spielt er alle für seine Stücke benötigten Instrumente selbst ein und mischt seine Dubs nach alter Manier live. Ein echter Traditionalist also, dessen Musik auch genau so klingt. Eigentlich lebt sie ausschließlich von dem warmen, analogen Sound und dem tiefen Bass-Gewummer. Kompositorisch haben sie meist weniger zu bieten, wodurch seine Alben tendenziell immer ein wenig langweilig geraten. (Nicht zuletzt deshalb hat er sich wohl neuerdings zu einem Vocal-Album durchgerungen.) Sein neustes und 11. Album ist eine Kompilation für das amerikanische Label Roir unter dem Titel „Dub From The Secret Vaults“ (Roir/Import). Hierfür hat er tief in seinen Archiven gegraben und bisher unveröffentlichtes Material aus 20 Schaffensjahren gehoben. Nun stellt sich natürlich die berechtigte Frage, ob nicht vielleicht mangelnde Qualität der Grund war, dass diese Stücke bisher nicht veröffentlicht worden sind. Denn das beste Material dürfte nicht jahrelang im Archiv versauern. Bingo! Die Secret Vaults enthielten viel, bis hin zu einer fast 20 Jahre alten Produktion auf Cassette – aber nichts wirklich Spannendes. Abgesehen vielleicht von drei okayen Stücken bleibt der Rest reichlich uninspiriert. Schade.

Ähnliches gilt auch für das Dub-Flash-Album „AB-10 Meets Uptown Selector“ (www.dubflash.com). AB-10 ist ein Dub-Duo aus Helsinki, die bereits auf dem Dubhead-Sampler „Dub Solidarity 1“ zu hören waren. Uptown Selector ist ein DJ, ebenfalls aus Helsinki. Nach der fantastischen Platte des finnischen Lightman (siehe letzte Ausgabe) gab es einige Gründe, auf dieses Dub-Album aus Helsinki gespannt zu sein. Doch um so größer ist die Ernüchterung, als sich „AB-10 Meets Uptown Selector“ als weitgehend konventioneller Neo-Dub herausstellt.

Wie zeitgemäßer Dub klingen kann, beweist hingegen ein weiteres Mal das Berliner Mini-Label Meteosound mit der neuen EP von Lars Fenin: „Sustain EP“ (Meteosound/Indigo). Bekannt für seine Fusion-Sounds zwischen Techno und Dub steht Meteosound neben Echo Beach (welche miteinander kooperieren) und Basic Channel in Deutschland für eine progressive, aufgeschlossene Idee von Dub, die weit über den Tellerrand von klassischem Reggae-Dub hinausblickt. Es ist geradezu unfassbar, wie perfekt und absolut stufenlos sich Minimal-Techno-Beats und Dub-Grooves miteinander kombinieren lassen und welche Bereicherung diese Kombination für beide Genres darstellt. Lars Fenin führt dies erneut mit Bravour vor; leider nur auf 6 Tracks und leider nur auf Vinyl. Doch gute Musik verträgt jedes Format!

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