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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, März 2004

Nachdem emsige Rerelease-Label wie Pressure Sounds, Blood and Fire oder Heartbeat nun schon seit über einer Dekade das musikalische Erbe Jamaikas auf CD pressen, ist es doch erstaunlich, dass immer noch unbekannte Schätze zu bergen sind. Moll-Selekta hat einen solchen gefunden: Dub-Aufnahmen von Producer Roguel „Blackbeard“ Sinclair und seiner Studioband „The Ringkraft Posse“ und diese nun unter dem Titel „St. Catherine In Dub 1972 – 1984“ (Moll-Selekta/Indigo) neu veröffentlicht. Sinclair, Bruder von Tappa Zukie, war jahrelang die rechte Hand von Bunny Lee und ist zurzeit Besitzer des alten Studios von King Tubby. In den 70ern begann er eigene Tracks zu produzieren, mit einer Studioband, die er zu diesem Zweck aus den üblichen Verdächtigen zusammenstellte: Sly Dunbar, Robbie Shakespear, Ansel Collins, Lloyd Parks, Tommy McCook, Dean Frazer, Willie Lindo – um nur die Bekanntesten aus den immer wechselnden Besetzungen zu nennen. Dass diese Musiker wussten, wie tighte Rhythms eingespielt werden, ist unüberhörbar: großartig remastert knallen die Tracks aus den Speakern, crisp und straightforward. Als Dub Mixer zeichnet Ruddy „Jah“ Thomas verantwortlich – was vermuten lässt, dass einige Tracks im Studio von Joe Gibbs aufgenommen wurden. Viele der Stücke sind so bekannt, dass man unweigerlich beginnt, das Original im Kopf mitzusingen. „West Bay“  z.B. ist die Dub Version von „King Tubby the Dub Organizer“. Horace Andys „Every Tongue Shall Tell“, Delroy Wilsons „Have Some Mercy“ oder George Faiths „To Be A Lover“ sind andere Klassiker im Dub-Format. Alle Stücke des Albums wurden übrigens auf Wunsch Blackbeards nach Stadtteilen von Portmore im Distrikt St. Catherine benannt –als Lektion in akustischer Geografie. 

Bekanntermaßen arbeitet die Basic Channel Crew aus Berlin die Wackies-Archive auf. Das neuste Rerelease des in der Bronx situierten Producers ist „Creation Dub“ (Indigo) aus dem Jahre 1977. Zu hören gibt es hier teilweise recht minimalistische Dubs und eine Vocal-Version von John Clarke. Der Sound wechselt übergangslos von supertrockenen Mixes zu typisch-soften Wackies-Lovers-Melodien – alles aber wie gewohnt eingebettet im warmen Sound des Wackie-Studios. Die Dubs stammen von den bekannten Wackies-Produktionen der Zeit, u. a. von Stücken der  Chosen Brothers, von Joe Auxumite und K. C. White. Der letzte Tune des Albums ist zudem eine schöne Bläser-Instrumentalversion von Jo Jo Bennetts „Leaving Rome“.

Mit „Dubz From De Higher Regionz“ (Dubhead/Indigo) melden sich die Iration Steppas aus dem Norden Englands zurück. Acht Jahre haben Mark Iration und Dennis Rootical seit ihrem Debutalbum verstreichen lassen. Eine lange Zeit, in der sich die Welt des Dub rapide weiterentwickelt hat. Nicht so die beiden Dub-Fundamentalisten. Sie knüpfen nahtlos dort an, wo sie 1996 stehen geblieben sind: kraftvolle Steppers-Beats, grummelnde Basslines und Synthie-Offbeats – klassischer UK-Dub also. So angestaubt wie dieser Sound, so uninspiriert sind leider auch die 15 Tracks des Albums. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind die Basslines schlicht langweilig, die Mixes belanglos und die Arrangements alles andere als einfallsreich. Zwischen den Tracks sind kurze Live-Mitschnitte von Auftritten eingesampelt. Wahrscheinlich ein verzweifelter Versuch etwas Abwechslung in das Album zu bringen. Echte Abwechslung hätte es hingegen gebracht, von den höheren Regionen herabzusteigen und sich anzuhören, was dubmäßig zur Zeit in Birmingham, London oder Paris angesagt ist…

Das zweifellos schönste Dub-Album der letzten Monate kommt aus Helsinki. – Richtig gelesen: aus Finnland! Es hat den passenden Titel „Spring Time“ (Semi Sounds/Import) und stammt von einem Artist namens Lightman. Was er hier präsentiert ist unglaublich: Dub-Instrumentals voller Wärme, absolut entspannt und zugleich ungemein groovy. Mit wundervollen Melodien garniert, die im Stile Augustus Pablos auf einer Melodika gespielt werden. Schlichtweg fantastisch. Jedes Instrument des Albums wird von Lightman selbst gespielt und zu sensiblen Kompositionen arrangiert, die von einer melancholischen Poesie durchwirkt sind, die perfekt nach Skandinavien passt. Sie evoziert Bilder von regennassen Wäldern, in denen die Sonne durch die Blätter funkelt, oder von warmen Tagen, die auf der Terrasse einer einsamen Hütte verbracht werden… Die beiläufigen Titelnamen wie „Meanwhile In The City“, „Empty Street“ oder einfach „Raining“ tun ihr übriges. Natürlich steht Lightman auf den Schultern von Augustus Pablo, aber er ist weit davon entfernt sein Epigone zu sein. Lightman hat eine originäre Qualität, mit der er Pablo sogar übertrifft. Absurderweise ist dieses Album nur über Import zu bekommen – aber wie so oft liegt das Gute jenseits des Mainstream.

Bereits im Oktober letzten Jahres ist in Frankreich das neue Album von Dubphonic, „Smoke Signals“ (Hammerbass/Import) erschienen. Das aus Stefane Goldman, Alexis Mauri und Sylvain Mosca bestehende Trio ist nicht zuletzt durch seine Zusammenarbeit mit Richard Dorfmeister (Tosca) und von dem „Select Cuts From Blood And Fire 2“-Sampler bekannt, für den sie während einer nächtlichen Zugfahrt von Wien nach Hamburg den Linval Thompson-Klassiker „Jah Jah Is A Guiding Star“ remixten. Nun ist ihr Debüt beim renommierten Pariser Dub-Label erschienen. Es ist ein experimentelles Album geworden, das auch perfekt in den Katalog des Echo Beach-Labels gepasst hätte. Geprägt von einem offenen Dub-Verständnis, nimmt es Einflüsse elektronischer Musik auf ohne die Wurzeln im Reggae zu kappen. Warme Beats und mittlere Tempi bestimmen die Stücke, platziert in clubkompatible Arrangements und angereichert mit elektronischen Spielereien – Dorfmeister war ein guter Lehrer. Mehr davon bitte!

Abschließend noch ein weiteres Album vom Hammerbass-Label: Manasseh, „Dub Plate Style Vol. 2“ (Hammerbass/Import). Hier sind 15 Tracks aus Manassehs Oeuvre der letzten 13 Jahre versammelt. Leider sind die spannendsten Stücke aber bereits auf „Dub Plate Style Vol. 1“ zum Einsatz gekommen, so dass diese Selection streckenweise leichte Längen aufweist. Da Nick Manasseh aber stets weit über dem Durchschnitt des UK-Dub komponiert und produziert hat, ist sogar diese, etwas unglückliche, Auswahl durchaus hörenswert. (Vielleicht haben seine superben Produktionen für das Cool Hipnoise-Album (Select Cuts) die Erwartungen einfach zu hoch geschraubt). Groovy fließende Beats mit entferntem Funk-Einfluss bestimmen den Gesamteindruck von „Dub Plate Style Vol.2“ – seit je her eine Spezialität von Manasseh. Besonders stechen die Vocal-Mixes mit Earl 16 und Ras I hervor. Überraschend ist auch ein Stück von 1991, das komplett auf King Jammys Sleng-Teng-Casio programmiert worden zu sein scheint, so synthetisch klingt der Beat. Doch bereits hier dokumentierte Manasseh, das er seiner Zeit voraus war: zwischen den primitiven Computersounds ist der schwere Steppers-Beat späterer Jahre doch schon deutlich zu erkennen.

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