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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, März 2005

Nikolai Beverungen, Inhaber des Hamburger Echo Beach-Labels, ist stets auf der Suche nach interessanten Dub-Manifestationen. Dabei wird er zunehmend in den entlegendsten Winkeln der Erde fündig. Präsentierte er pünktlich zur letzten Ausgabe von Riddim seinen „South Africa in Dub“-Sampler, so serviert er uns nun mit „The Sound Of Dub – New Zealand in Dub“ (Echo Beach/Indigo) frische Dub-Tunes aus Neuseeland. Das verrückte dabei ist, dass egal woher die Dubs herkommen, sei es aus Frankreich, Brasilien, England, den USA, Deutschland oder eben aus Kiwi-Land, immer sind es hochinteressante Musik-Experimente, die aber erstaunlicher Weise kaum regionaltypische Merkmale aufweisen. Fast scheint es, als würden die Dub-Pflänzchen, egal wo sie aus dem Boden sprießen, stets vom selben, den gesamten Erdball durchdringenden, Dub-Rhizom genährt. Dub ist keine Volks-, sondern Studiomusik, und so wundert es nicht, dass die 15 Tracks auf „New Zealand in Dub“ nicht nach Auenland oder Mordor, sondern nach London, Paris oder Hamburg klingen. Es ist „The Sound Of Dub“, wie es folgerichtig fett auf den Echo Beach-Samplern prangt. In Neuseeland steht dieser Sound jedenfalls in voller Blüte und wird vom heimischen Label „Loop“ gehegt und gepflegt. Drei Jahre lang hat Herr Beverungen Material gesichtet und nun die 15 besten Tracks nach Europa importiert. Obwohl die Stücke von 12 unterschiedlichen Dub-Producern stammen, präsentiert sich der Sampler als sehr geschlossen und stringent. Alle Tracks fußen auf soliden, warmen Reggae-Beats und erforschen von dort aus die Welt urbaner Sounds wie Drum ‚n’ Bass, Elektronik, Downbeat bis hin zu melodiösem Pop. Die Namen der Artists lauten u. a. Confucius, The Black Seeds, 50Hz, Pitch Black oder Rhombus – komplette Nobodys auf internationalem Dub-Parkett, sehr zu unrecht, denn ihre Dub-Tunes gehören zweifellos in die erste Liga. Vor allem die Black Seeds dürften mit ihren Pop-Melodien echtes Hitpotential in Europa haben. Lee Tui ist da von komplett anderem Kaliber. In einem erzürnten Rap – über einen stoischen bassgetriebenen Beat – fordert er soziale und ökologische Verantwortung. Herausragend ist auch der perfekt arrangierte Dub „Winds“ von Rhombus, gekrönt von der betörenden Stimme von Raashi Malik. Sehr, sehr schön, das Ganze. Hoffen wir, dass der Dub-Importeur aus Hamburg noch viele interessante Blüten des Dub-Rhizoms wird aufspüren können. Hier schon mal ein erster Vorschlag: Wie wäre es mit Japan?

Auch Polen ist so ein unentdecktes Dub-Land. Zurzeit wieder erhältlich sind die zwei Sampler „Dub Out Of Poland Part 1“ und „Part 2“ (beide Import) aus den Jahren 2001 und 2002, auf denen sich die polnische Dub-Szene präsentiert. Auch wenn manche Tracks sich noch nicht richtig vom Vorbild des UK-Dub der 90er Jahre emanzipiert haben, so ist die Qualität der hier vorgestellten Dubs ausgesprochen gut. Vor allem auf „Part 2“ finden sich ein paar Produktionen erster Güte, wie z. B. Dj Ridm feat. Roots Temper mit „Zion“, einem schönen Uptempo-Rockers-Stück. Oder noch besser: „Violin-Dub“ vom Crazy Sound System, auf dem eine Violine melancholische polnische Volksweisen anstimmt. Da werden Erinnerungen an die Trebunja-Family wach!

Auch Alpha & Omega melden sich wieder zu Wort, und zwar im wahrsten Sinne, denn ihr neues Album „Trample the Eagle and the Dragon and the Bear“ (Greensleeves/Rough Trade) ist ein Showcase-Album mit Gast-Vokalisten. Wohl inspiriert von Rootsman und Twilight Circus, die letztes Jahr ähnliche Projekte lancierten, haben auch Mrs. Woodbridge und Mr. Spronsen Lust auf ein wenig Gesellschaft im Studio gehabt. Dazu haben sie u. a. einen speziellen Stargast geladen, mit dem wohl niemand gerechnet hat: Gregory Isaacs! Ein wenig verzweifelt singt er gegen den A&O-Rhythm an. Die Idee ist gut, aber Gregorys Stimme braucht Raum, den ihm dieser typisch übervolle Rhythm nicht gibt. Und so klingt der Meister ziemlich verloren in dem Sound-Dschungel aus London. Noch eklatanter ist das Missverhältnis von Stimme und Sound-Allover bei dem Titelstück, auf dem Reuben Master verzweifelt versucht, gehört zu werden. Vielleicht haben Woodbridge und Spronsen ihrem Konzept beim finalen Mix dann doch nicht mehr getraut und die Stimmen auf das Niveau der Instrumente heruntergepegelt. Nur auf dem ersten Track des Albums stimmt das Verhältnis, und dieser ist bezeichnenderweise von Mad Professor gemischt worden. Dabei wäre es gerade bei diesem Vokalisten fast egal gewesen, ob man ihn versteht oder nicht, denn niemand sonst produziert so viel verbalen Nonsens wie er: Lee Perry. Dem Professor ist es gelungen, den A&O-Rhythm so hinzumixen, dass er wie ein original Black-Ark-Ryhthm klingt, auf den Perry mit seiner Minimal-Melodie absolut kongenial passt. Zweifellos der beste Tune des Albums. Neben Perry und Gregory befindet sich noch Bunny Lie Lie, Horace Martin, Addis Youth und eben Reuben Master auf dem Album, wobei gerade letzterer absolut nicht überzeugen kann. Dummerweise hat gerade er drei Tracks gevoiced …

Ein sehr schönes, experimentelles Album ist „Conversations“ (Suite Inc./Import) von Dubital. Hinter diesem Namen verbergen sich zwei Italiener namens Raffaele Ferro und Matteo Magni, die es offensichtlich lieben, zu soliden, bass-geerdeten Rhythms verzerrte Stimmen und verrückte Sounds abzuspielen. Das passt wunderbar zusammen, denn während der Rhythmus Sicherheit und Struktur vermittelt, konterkarieren die Effekte diesen Halt stets aufs Neue und erzeugen so eine sehr merkwürdige Spannung aus Konzentration und Verwirrung. Völlig faszinierend ist das Stück „Mama Don’t Cry“, das über einen stoisch-dreisten Computerbass läuft und von zuckersüß-befremdlichen Orgelsounds und Hall-überladenem Gesang begleitet wird.

„Als Kind habe ich mal kodeinhaltigen Hustensaft bekommen und daraufhin die Welt um mich herum in Zeitlupe wahrgenommen. Dieses Gefühl habe ich versucht im Sound der Codeine Tracks und Songs rüberzubringen.“, sagt Digital Jockey, was ihm mit seinem Album „Codeine Dub“ (Poets Club/Soul Seduction) aufs vortrefflichste gelungen ist. Vor allem „Opium Dub“, der 9-minütige, vorletzte Track des Albums ist eine Studie in Langsamkeit. Hier dürften selbst Ernestus und von Oswald ihren Hut ziehen. Dass Digital Jockey, der die Hälfte der Computerjockeys aus Köln ist, seine Wurzeln in der elektronischen Musik hat, ist kaum zu überhören. Seine Tracks sind äußerst minimalistisch und geradezu rational konstruiert. Oft ist es nur ein jazziges Piano-Solo, das eine gewisse Unvorhersehbarkeit und organische Bewegung in den Tune bringt, manchmal ist es die Stimme von Terry Armstrong. Dann wieder lösen sich die Strukturen in einem kompletten Noise-Allover auf, um schließlich von einem altmodischen Song mit Klavierbegleitung abgelöst zu werden. Sehr faszinierend.

Kommen wir nun zur Revival-Selection. Die beiden wichtigsten Reissue-Labels, Pressure Sounds und Blood and Fire melden sich mit neuen Alben zu Wort. So feiert letzteres sein zehnjähriges Bestehen mit „Run It Red“ (Blood And Fire/Indigo), einer Selection aus dem eigenen Fundus, zusammengestellt von Simply Red-Frontmann Mick Hucknall – was auch einigermaßen nahe liegend ist, da Hucknall neben Steve Barrow und Bob Harding einer der Gründer von Blood And Fire ist. Erstaunlicherweise hat Hucknall für sein Geburtstagsständchen vorwiegend Dub-Stücke von King Tubby und dessen Protegé Prince Jammy ausgewählt. Alle Stücke stammen aus den 70er Jahren, die meisten aus der ersten Hälfte. Eine solide Auswahl, die wahre Dub-Freunde aber auch nicht gerade vom Hocker hauen wird, denn die Dubs von den klassischen Bunny Lee-Produktionen sind sattsam bekannt. Eigentlich macht erst die Mischung mit den Vocal-Stücken das Jubiläumsalbum interessant. In schöner Regelmäßigkeit werden hier Tunes von Gregory Isaacs, Big Youth, Prince Alla, den Congos u. a. eingestreut – immer dann, wenn es gerade beginnt, ein bisschen langweilig zu werden.

Davon stilistisch nicht allzu weit entfernt liegt das Pressure Sounds-Album „Down Santic Way“ (Pressure Sounds/Rough Trade) mit Produktionen von Leonard Chin aus den Jahren 1973 bis 1975. Auch hier finden sich einige Vocal-Tracks, z. B. von Freddie McKay, I Roy oder von einem gewissen William Shakespeare, der sich allerdings als Gregory Isaacs entpuppt. Der Sound der Produktionen ist – dem Stil der Zeit entsprechend – knochentrocken, spröde und zugleich rough. Selbst wenn Tubby gelegentlich ein wenig Hall reindreht oder Augustus Pablo seine Melodika drüberlegt, will der Groove nicht fließen. Rau und ungeschliffen stolpern die minimalistischen Rhythms voran, getrieben von der trocken angeschlagenen Snarre und knappen Gitarrenriffs. Auch wenn die Pressure-Sounds-Leute keinen Zweifel daran lassen, dass sie hier einen wahren Schatz gehoben haben, so sei doch die keterrische Bemerkung erlaubt, dass dieser Schatz beim Hörer eine gewisse Leidensfähigkeit voraussetzt.

Wie sehr sich der Sound mit Auftritt der Revolutionaries (mit Sly & Robbie) verändert hat, lässt sich auf „Earthquake Dub“ (Hot Pot/Indigo) von Ossie Hibbert hören. Hier rollen die Beats wie geschmiert, angetrieben von Slys unverwechselbarem Rockers-Drumming. Four to the floor geht es hier mit einer Dynamik durch die Rhythms, dass man nur staunen kann. Hibbert, der das Album im Rekordtempo abgemischt hat, mag dies zugute gekommen sein, denn sonderlich aufregend klingt sein Dub-Mix nicht. Doch was den Tracks an interessantem Mix fehlt, gleichen die superb eingespielten Rhythms, wie „Pick Up The Pieces“, „Declaration Of Right“ oder „So Jah Say“ mehr als aus.

Daran schließt nahtlos das Album „Leroy Smart In Dub“ (Jamaican Recordings) an. Hier klingen die Beats noch runder und der Bass wärmer. Tubby hat sich bei den Mixes nicht gerade verausgabt (wie sollte er auch, bei den durchschnittlich 200 Bunny Lee-Rhythms pro Woche) und einen routinierten Minimal-Mix abgeliefert. Auch Sly Dunbar scheint hier etwas mehr zur Ruhe gekommen sein. Sparsamer, aber nicht weniger treibend setzen er und Santa Davis die Snarre-Anschläge, während Robbie sanft groovende Basslines dazu spielt. Gelegentlich klingt eine bekannte Bassline wie „My Conversation“ oder „Zion Gate“ an. Alles sehr entspannt und gespickt mit versprengten Leroy Smart-Schnipseln. Nicht sensationell, aber sehr angenehm – ideal nach einem langen Tag voller nervenaufreibender Experimental-Dubs …

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