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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, Januar 2005

Dub definiert sich durch den Sound und nicht durch ein spezielles Rhythmus-Muster wie nahezu alle anderen Musikstile. Dub ist wie ein freies Radikal – jederzeit bereit, mit anderen Elementen zu reagieren und neue Synthesen hervorzubringen. Das spannende ist, dass das Reaktionsergebnis niemals komplett vorhersagbar ist. Immer entsteht etwas neues, dass sich nicht errechnen oder beschreiben, sondern ausschließlich hörend erfahren lässt. Es ist gewissermaßen „musique pure“, die abstrakte Essenz eines Musikstückes – existent nur im Moment des Anhörens. Sich auf Dub-Musik einzulassen setzt daher immer Neugierde, Aufgeschlossenheit und Aufmerksamkeit voraus. In Deutschland vereint wohl kein Label diese drei Tugenden besser auf sich, als Echo Beach (auch das Heim von Select Cuts) aus Hamburg. „Open Mindness“ ist hier Leitidee und so hat uns Echo Beach über die Jahre Dub-Sounds der unterschiedlichsten Styles und Locations auf den Plattenteller gezaubert. Vor allem letzteres dürfte auch international einmalig sein, denn Echo Beach hat bereits ein paar ziemlich interessante Dub-Showcases aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt zusammengetragen, z. B. aus Frankreich, den USA, Brasilien, Deutschland, Indien und nun: Südafrika!

In Kooperation mit dem südafrikanischen Label „African Dope“ wurden 16 Dub-Perlen vom Kap der Guten Hoffnung nach Deutschland geschafft, um hier zu dem äußerst interessantem Dub-Album „The Sound Of Dub (South Africa In Dub)“ (Echo Beach/Indigo) aufgefädelt zu werden. Wer hier Township-Music erwartet, liegt völlig falsch. Der Dub aus Südafrika ist ein absolut urbaner Sound – bassgetrieben, elektronisch und von großer stilistischer Offenheit. Wichtige Protagonisten der südafrikanischen Elektronik-Szene sind die Kalahari-Surfers, von denen sich gleich mehrere Songs im Tracklisting finden, unter eigenem Namen oder als Produzenten von Ghettomuffin. Sie haben schon zu Apartheid-Zeiten elektronische Musik aufgenommen, die regelmäßig vom Regime verboten wurde. Ihr Sound erinnert ein wenig an Leftfield und läuft meist nicht über einen Reggae-Beat. Ganz anders der Sound von DJ Dope und Juan Thyme, der fast schon mit aktuellem UK-Dub zu verwechseln ist, schön deep und groovy. Richtig gut ist auch Felix Laband mit einem fetten, melodiösen Dub, dessen Herz eine wunderbar verzerrte Bassline ist. Ein wenig Dancehall-Flair bringen Prankster, Ghettomuffin und der Chronic Clan, der genau das tut, was sein Name nahe legt – und dabei ein wenig amerikanisch klingt. Alles zusammen ergibt einen überaus interessanten Ausflug in den Dub-Untergrund des südlichen Afrikas, der – und das ist eine echte Überraschung – gar nicht sonderlich afrikanisch kling. Aber so ist das in einer globalisierten Welt. Mal sehen, wonach die Sounds aus Neuseeland klingen, denen sich die nächste Echo Beach-Veröffentlichung widmen wird.

Vom gleichen Label, Echo Beach, kommt das Album „Africa Unite In Dub“ (Echo Beach/Indigo) von der gleichnamigen Italienischen Dub-Combo. Benannt nach einem Song Bob Marleys, besteht ihr Repertoire zum Teil aus Marley-Covern, wovon „This Is Love“ das Album eröffnet. Danach folgen dreizehn Heavy-Duty-Dubs, neun davon gemischt von niemand anderem als dem beliebten Mad Professor aus dem Ariwa-Dub-Asyl. Nur zum Schluss gibt es dann noch mal einen Marley-Song, gewissermaßen als ehrerbietendes Ritual an den heiligen Bob, gefolgt von einem Live-Dub. Der Professor liefert hier gutes, inspiriertes Handwerk und mischt Dubs von sehr unterschiedlicher Stimmung. Mal mit treibendem Drum & Bass-Schlagzeug, mal in launchig, warmen Tönen und mal mit trockenen Sounds, als kämen sie gut abgehangen aus dem Tuff Gong-Studio. Am erstaunlichsten ist allerdings, dass die Dubs nicht im Geringsten nach Mad Professor klingen. Entweder war bereits das Ausgangsmaterial extrem prägnant, oder der Professor hat seinen Praktikanten mischen lassen. In letzterem Fall, sollte das Praktikum unbedingt in eine Festanstellung übergehen!

Bleiben wir noch ein Wenig bei Mad Professor. Auf „Mishka In Dub“ (Sony/Import) hat er sich nämlich auch als Dub-Söldner verdingt. Keine Ahnung wer Mishka ist, sonderlich aufregend klingt seine Musik jedenfalls nicht. Die winzigen, im Dub-Mix übrig gebliebenen Vocal-Schnipsel lassen jedenfalls auf ein furchterregendes Gesangsalbum schließen.

Interessanter klingt da schon das in Eigenregie vom Mad Professor entstandene neue Werk mit dem Titel „Crazy Caribs – Dancehall Dub“ (Ariwa/Sanctuary/Rough Trade). Hier hat der Dub-Meister sich mal an Dancehall-Rhythms gewagt, eingespielt u. a. von Mafia & Fluxy und Sly & Robbie. Damit kommt er den aktuellen Dancehall-Sounds zwar einigermaßen nahe, aber Spielraum für einen irgendwie gearteten Dub-Mix bleibt kaum. Auch will sich bei den typischen Interruptus-Ryhthmen auch kein richtiger Groove einstellen – was ja bei den meisten Dancehall-B-Seiten auch der Fall ist. Offensichtlich funktionieren die Dancehall-Backings nur mit Deejay richtig. In so fern hat der Professor hier gutes Material für ein paar Hardcore-Dancehall-Alben aus dem Hause Ariwa geschaffen, für ein Dub-Album hingegen ist es, sagen wir mal: suboptimal.

Jetzt mal wieder ein Highlight: „Dub It“ (Nature Sounds/Import) von Earl „Chinna“ Smith. Dabei handelt es sich um die Dub-Version von Mutabarukas Debut-Album „Check It“ aus dem Jahre 1982. Produziert von Chinna Smith, avancierte es zum Klassiker der Dub-Poetry. Mutas überaus präsente Stimme und seine Texte dominierten das Album dermaßen, dass der Musik nie die Aufmerksamkeit zu Teil wurde, die sie verdient hat. Deshalb hat Chinna Smith sich jetzt, 22 Jahre später, dazu entschlossen, die damals von Errol Brown und Stephen Steward abgemischten und zuvor nur auf wenigen B-Seiten veröffentlichten Dubs in Album-Form neu zu veröffentlichen, „because I don’t hear anything else better“ sagt Chinna in den Linernotes – und ganz unrecht hat er nicht. Die handwerkliche Qualität dieses Albums ist wirklich außerordentlich – was sich der Mix zu nutze macht, indem er sich stets auf nur sehr wenige gleichzeitig hörbare Instrumente konzentriert und damit die Präzision ihres Spiels offenbart. Aufgenommen im Tuff Gong-Studio klingt es unglaublich crisp und dynamisch. Bei den meisten Songs saß Augustus Pablo an den Keyboards, Chinna spielte die Lead-Gitarre und Sydney Wolfe steuerte fantastische Percussions bei. Drum und Bass waren unterschiedlich besetzt, u. a. mit Carlton Barret und Leroy Wallace. Leider blieb „Check It“ die einzige Zusammenarbeit zwischen Mutabaruka und Chinna Smith. Hört man heute nochmals die Aufnahmen, fragt man sich nach dem Grund dafür.

In Frankreich ist Reggae Mainstream. Glückliches Land! Und kaum jemand ahnt, dass es Serge Gainsbourg war, der dazu erheblichen beigetragen hatte, als er sich 1979 nach Jamaika begab, um dort mit den I-Threes, Sly & Robbie und den Revolutionaries unter dem Titel „Aux armes et caetera“ (Mercury) ein authentisches Roots-Reggae-Album in französischer Sprache aufzunehmen. Zurück in Frankreich wurde das in nur einer Woche produzierte Album ein gigantischer Erfolg für Gainsbourg – nicht zuletzt weil seine Version der französischen Nationalhymne für einen deftigen Skandal gesorgt hatte (allein der Titel ist ja schon genial). Bruno Blum hat sich nun gedacht, dass die alten Aufnahmen doch eine klasse Basis für ein paar spektakuläre Dub-Mixes wäre. Daher hat er die alten Bänder nach Jamaika gebracht und Dub-Veteran Soljie Hamilton ins Studio geholt, um ihn zehn Dub-Versions mixen zu lassen. Das war eine gute Idee, denn die Revolutionaries spielen sich hier die Seele aus dem Leib. So kraftvolle Rockers-Rhythms hat man selten gehört. Soljies Dub-Versions hört man an, dass er hier ganz in seinem Element war. Mit Bravour mischte er schöne Old-School-Dubs, so als seien sie bereits 1979 aufgenommen worden. Ein echtes Déjà Vu! Diesen Dubs, die das Herzstück der Neuausgabe von „Aus armes et caetera“ bilden, wurden neben dem Original-Album, zusätzlich, gewissermaßen als „Bonustracks“, Neuinterpretationen der Backings von jamaikanischen Artists – von denen Big Youth, King Stitt und Lone Ranger die Bekanntesten sind – beigegeben. Doch sind diese Stücke weit gehend enttäuschend Lediglich King Stitts „The Original Ugly Man“ ist witzig. Wahrscheinlich sein erster Tune seit 40 Jahren!

Zu guter letzt sei noch das Rerelease von „Ranking Dread In Dub“ (Silver Kamel/Import) erwähnt, das ürsprünglich 1982 als Dub-Version von „Fattie Boom Boom“ herauskam. Die erste Hälfte der Tracks wurden von Sly & Robbie eingespielt und von King Tubby gemixt, die zweite Hälfte stammt von den Roots Radics, gemischt von Scientist. Entsprechend qualitätsvoll sind dann auch die Tracks. Interessant ist es vor allem, den Sound der Rhythm Twins mit dem der Radics zu vergleichen und Scientists Stil im Vergleich zu Tubbys zu analysieren. Insgesamt ein schönes Werk aus dem goldenen Zeitalter des Dub, das seine Wiederveröffentlichung verdient hat.

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