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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, September 2004

Von Dennis Brown produzierte Alben sind schon eine Seltenheit. Auf „Dennis Brown Presents Prince Jammy“ (Umoja/20th Century Dub/Blood And Fire/Indigo) gibt es gleich zwei davon auf einer CD. Dass Dennis Brown überhaupt als Produzent tätig war, ist wenig bekannt. Mir völlig unbekannt ist hingegen, ob er die Original-Aufnahmen der beiden Alben selbst produziert hat, oder aber nur das Dub-Rework von geliehenen Bändern finanziert hat. Das ist allerdings eine Frage, die nicht sonderlich relevant ist, angesichts der Tatsache, dass der eigentlich Star dieser Dub-Alben Prince Jammy heißt, der zur Zeit der Aufnahmen, 1978-79, zum Chef-Engineer im Studio King Tubbys aufgestiegen war. Jung und hoch motiviert hat er hier sein bestes gegeben und einen – im Vergleich zu Tubbys Handschrift – recht komplexen Mix aufgenommen. Das erste Album „Umoja Love & Unity“ kam 1978 auf Browns eigenem DEB-Label heraus und bietet neben Versions von Dennis Brown-Songs wie „The Half“, „Troubled World“ oder „Children of Israel“ auch Aufnahmen anderer Artists, wie Lennox Browns Recut des Studio One-Klassikers „Frozen Soul“ („Love Won’t Come Easy“), der das Album sehr eindruckvoll eröffnet. Doch während sich „Umoja“ eher mäßig verkaufte, war das zweite Album der vorliegenden CD „20th Century DEB-Wise“ ein ziemlicher Erfolg – was schwer zu erklären ist, sind sich beide Alben in Hinsicht auf Stil, Mix und Sound doch sehr ähnlich. Vielleicht sind die Rhythms auf DEB-Wise tendenziell etwas besser und der Mix etwas King Tubby-typischer. Wie dem auch sei: Auf beiden Alben sind die superben Drums von Sly Dunbar zu hören und der Bass von Lloyd Parks und Robbie Shakespeare. Sie haben schön tighte Rhythms eingespielt, die fürs Rerelease in London druckvoll remastert wurden. Auch wenn diese beiden Alben nicht wirklich zwingend sind, so vereinen sie doch sehr schönes (und rares) Material, das seine Qualitäten mit jedem konzentrierten Hören eindruckvoller entfaltet. 

Das andere Dub-Highlight der letzten beiden Monate kommt vom Pressure Sounds-Label: „Dubbing with the Royals“ (Pressure Sounds/Rough Trade). Es präsentiert 14 von Roy Cousins produzierte Dub-Tracks, ein Instrumental von Gladstone Anderson und vier DJ-Versions. Startpunkt für die Erforschung des Oeuvres der Royals ist ihr Song „Pick Up the Pieces“, der auf dem Album in Form dreier Versions einen zentralen Platz einnimmt. Vor allem die von Tubby und Lee Perry gemeinsam gemischte Version unter dem Titel „Llongo“ ist ein Dub-Meilenstein. Auch der Track „Monkey Fashion“ mit I-Roys Voice-Over ist eine Kollaboration der beiden – in diesem Fall aber zusätzlich remixed von Errol T.! Das gesamte Who Is Who der damaligen Dub-Mixing-Elite hat an den hier versammelten Aufnahmen mitgewirkt: Prince Jammy, Scientist, Soljie Hamilton und Ernest Hookim; und es ist schon sehr spannend die Stücke zu vergleichen und die Dubs ihren Erschaffern zuzuordnen. Für sehr unterhaltsame Ankerpunkte im Flow der Rhythms sorgen die vier DJ-Versions von I-Roy und Prince Far I, die locker unter die Dubs gemischt wurden. Hier sticht vor allem „Negusa Nagast“ mit Prince Far I hervor, der das Album eröffnet. Far Is donnernde Vocals, eingebettet in einem Meer von Echos, klingen wie Jahs Worte aus dem Jenseits, runtergepitched zu einem tiefen Gemurmel und in perfekter Synchronität zum scharfen Anschlag der Snarre.

Ein paar Jahre weiter in Richtung Dancehall führen uns zu einem Dub-Album von Don Carlos, „Inna Dub Style“ (Jamaican Recordings), mit 14 Bunny Lee-Produktionen aus den Jahren 1979-80. Aufgenommen im Channel One-Studio hören wir hier bereits die fetten Rhythms von Sly & Robbie und den Roots Radics. Wie aus dieser Zeit gewohnt, finden sich hier vor allem Reworks klassischer Rhythms wie „Real Rock“, „Queen Of The Ghetto“, „I’m Just A Guy“, My Conversation“ oder „Satta Massa Gana“, was ja zweifellos eine hervorragende Grundlage für ein Dub-Album ist. Doch leider geht der unbekannte Dub-Mixer (vielleicht Soljie, oder Ernest Hookim?) nicht bei jedem Tune gleichermaßen inspiriert ans Werk. So ist z. B. „Conscious Rasta Dub“ über einen mäßig interessanten Johnny Clarke-Rhythm richtig spannend, während „Booming Dub“ über „I’m Just A Guy“ schon fast als B-Seiten-Version durchgehen kann – was in diesem Fall aber nicht so schlimm ist, da der Rhythm einfach klasse ist (was sich der Dub-Mixer wohl auch dachte). Alle Dubs werden gekrönt von Don Carlos’ unnachahmlichen Hooklines,  die den ganzen Tune nachhaltig prägen. Selbst wenn sie im Echo verhallt sind, singt man sie im Kopf unweigerlich weiter und baut sich seine eigene Version. Andererseits wünscht man sich dann auch schon fast das komplette Vocal-Album herbei…

„Liquid Bass“ (Silver Kamel), produziert von Jah Thomas, ist ein klassisches Bläser-Instrumental-Album, das stark an Aufnahmen von Roland Alphonso oder Tommy McCook aus den 60er Jahren erinnert – wären die Rhythms nicht komplett digital eingespielt. Doch als wolle er diesen Makel vergessen machen, hat Mr. Thomas ausschließlich alte Studio One-Rhytms wie „Heavenless“, „Love Me Forever“ oder „Swing Easy“ verwendet und mit „Econium for Coxsone“ dann auch dem Meister seine Referenz erwiesen. Für die kraftvollen Neuinterpretationen zeichnen Mafia & Fluxy, Sly & Robbie und die Roots Radics verantwortlich, während die Bläser-Soli von David Madden und Matthieu Bost eingespielt wurden. Ihre melodischen Variationen ranken sich stets um die Originalmelodien der Rhythms – wofür man den beiden nicht genug danken kann, gehören die Original-Hooklines  doch mit zu dem schönsten, was Studio One hervorgebracht hat. Doch trotz allen Lobes wirkt das Album stellenweise auch etwas lieblos „herunterproduziert“ – ganz zu schweigen von dem katastrophalen Cover. Vielleicht entschließt sich Jah Thomas ja mal zu einem Dub-Reworking. Es könnte den Aufnahmen die nötige Komplexität geben.

Die Frage, was Jah Wobble, der dieser Tage seine offizielle Anthologie „I Could Have Been A Contender“ (Trojan/Roughtrade) vorgelegt hat, in einer Reggae-Kolumne zu suchen hat, ist nicht unberechtigt. Ein paar Hinweise auf die Gründe gibt es aber schon: Zunächst ist da der Name, der ganz offensichtlich auf das Reggae-Universum verweist, dann ist auch das Plattenlabel vielsagend: Trojan und drittens ist Mr. Wobble Bassist und spielt damit das für (klassischen!) Reggae wichtigste Instrument. Hört man nun seine drei CDs umfassende Anthologie ganz durch, so wird man allerdings nur selten auf echte Reggae-Offbeats treffen. Was es aber im Gegenzug in Hülle und Fülle zu hören gibt, das sind fette Basslines – die direkt dem Reggae entsprungen sein könnten – und massig dubbige Atmosphäre. John Wardle (wie seine Mutter ihren Jungen nannte) kam als Mitglied von Public Image Ltd. über den Punk zum Reggae, der sein Bassspiel stark inspiriert hat. Nach dem Ende des Punk begann Wobble sein eigenes Material zu produzieren, das stilistisch sehr disparat ist und sich wechselweise zwischen Punk, Rock, Funk, Worldmusic, Ambient und Reggae bewegt. Doch welche Einflüsse und Stilmittel Wobble auch verarbeitete, eine Konstante durchzieht sein gesamtes Werk: Die kraftvollen Basslines um die sich alle Songs herum aufbauen. Vor allem CD 1 und CD 3 bieten dafür eindruckvolle Beispiele: Während erstere Worldmusic-beeinflusste, teilweise äußerst melodische Stücke versammelt, so sind auf letzterer ausgedehnte Ambient-Exkursionen in indische und fernöstliche Gefilde zu hören. Beides sehr dubbig und nahe an dem Material, das man auch von Bill Laswell kennt (die beiden haben auch ausgiebig zusammen gearbeitet). CD 2 bietet hingegen härteres, Punk-kompatibles Material. Wirklich faszinierend an der Anthologie ist, dass die Künstlerpersönlichkeit Jah Wobbles in allen Stücken sehr präsent ist. Hier ist einer, der sein Leben lang „seine“ Musik gemacht hat, jenseits aller finanziellen Interessen und unabhängig vom aktuellen Zeitgeschmack (eine im Reggae leider eher unterrepräsentierte Haltung).

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