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Five Star Review

Joe Yorke: Noise and Emptiness

Schon klar, Falsetto ist nicht jedermanns Sache. In meinen Playlists findet sich gerade auch deswegen kein einziger Cedric Myton-Track, geschweige denn eines seiner Alben. Anders verhält es sich mit Falsetto-Backing Vocals in der Machart der frühen Aswad-, Steel Pulse- oder Tamlins-Aufnahmen – da passt’s einfach, da wurde harmonischer und ton-sicherer Kopfstimmen-Gesang abgeliefert. Siehe „Baltimore“ – was wäre der Track ohne diese Harmonies?

Auch Joe Yorke’s Debut „Noise and Emptiness“ (Rhythm Steady) liefert mitunter astreinen, treffsicheren Falsetto ab – sowohl als Lead- als auch als wunderbar gelungene Backing-Vocals. Nun sind wir aber das dubblog.de und Stimmen interessieren uns nur peripher; deshalb sei zur Entwarnung darauf hingewiesen, dass das Album mit dubbigen Instrumentals durchsetzt ist. Die Mischung macht’s aus; sie befreit den Release prophylaktisch von der gefürchteten Falsetto-Überdosis. Zweifellos tragen Yorke’s weit gestreute Tätigkeiten als Sänger, Produzent und Komponist zum Erfolg der Produktion bei; auch die eine oder andere Kollaboration mit mid-range Vokalisten wird ihren Anteil daran haben.

Es weht also frischer Wind von England gen die internationale Reggae-Community, was sich vor allem an der hervorragenden Produktion zeigt – alles sauber und vor allem nicht überbordend arrangiert. Das gibt der mitunter fast schon kargen Instrumentierung Raum zum atmen – ähnlich wie wir es aus dem knochentrockenen Rub-a-Dub der frühen 1980er kennen. Und ja, auch hier gibt’s fetten Bass zu hören:

Freilich ist „Noise and Emptiness“ ein Angebot, auf dass sich der werte Dub-Connaisseur erst einlassen muss – auch bei mir war es nicht Liebe auf den ersten Blick. Aber: Die Tunes haben enormes Wachstumspotential und krallten sich im Hörgang des Rezensenten fest. Und so kommt es, dass das Album zu meinen persönlichen Favoriten des Jahres zählt und eine fette Empfehlung wert ist.

Bewertung: 5 von 5.
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Reggae Review

Fat Freddy’s Drop: Live At Roundhouse

Fat Freddy‘s Drop sind nach meinem Geschmack zur Zeit definitiv eine der interessantesten Reggae-Bands auf dem Globus, was schlicht und ergreifend an dem sehr eigenwilligen, kaum einzuordnenden Stil der Neuseeländer liegt. Sie durchkreuzen im untersten BPM-Drehzahlbereich eine rätselhafte Landschaft, wo der Boden aus Dub, die Berge aus Reggae, die Bäume aus Jazz und der Himmel aus Soul bestehen. Vielleicht ist es sogar eine Unterwasserlandschaft, durch die der dicke Freddy, mit bleibeschwerten Schuhen, im Zeitlupentempo stapft. Der Schall wird durch das Wasser gedämpft und verwandelt sich in dunkles Grollen, während gemächlich aufsteigende Luftblasen Stimmen und Töne freisetzen. Ja, das ist ein schönes Bild. Verfrachtet man es gedanklich in die einzigartige Welt Neuseelands, dann bekommt man eine Vorstellung davon, was Fat Freddy‘s Drop ausmacht. Und nun machen wir noch ein Gedankenexperiment, indem wir uns vorstellen, dass wir diesen trägen, lässigen, schweren Sound nicht in 4-5-Minuten-Häppchen genießen, sondern in einem Kontinuum von 10 Minuten aufwärts. Denn das ist die Qualität von „Live At Roundhouse“ (The Drop/Rough Trade), einem Konzertmitschnitt vom Dezember 2008, bei dem wir der siebenköpfigen Band dabei zuhören können, wie sie einen Song 15 Minuten und länger improvisierend variieren. Dass dies das eigentliche, authentische und einzig wahre Fat Freddy‘s Drop-Erlebnis ist, braucht wohl kaum erwähnt zu werden (vor allem, wenn man es hätte live miterleben dürfen). Das damals noch ungehörte Material diente ein Jahr später als Grundlage für das Album „Dr. Boondigga & The Big BW“. Wir hören also vor allem Stücke dieses Albums, das sich ja bekanntlich etwas vom Reggae-Fundament des Vorgängers entfernt hatte. Trotzdem: Ich bin begeistert.

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Review

Best Of Deep Root

Neil Perch ist einer der wenigen, unermüdlichen Sound System-Betreiber und Produzenten, die sich Anfang der 1990er Jahre dem Dub-Sound (instrumental oder mit Gesang) verschrieben haben und heute noch aktiv sind. Unter dem Motto „Dubwise – No Compromise“ hat er den Aufstieg des UK-Dub und dessen Niedergang erlebt, hat mit Zion Train an der Spitze der Bewegung gestanden, einen Major-Deal in der Tasche und die Geschicke des Dub in der Hand gehabt. Ein wahrer Veteran und Dub-Aktivist. Seit 1998 veröffentlicht er auf seinem Label „Deep Roots“ zumeist eigene Produktionen, ausschließlich Vinyl im 7“- und 10“-Format. Nun ist Premiere, denn mit „Best Of Deep Root“ (Universal Egg/Cargo) erscheint das erste Album und die erste CD. Der Titel sagt es ja schon: versammelt sind hier die Highlights des Labels, 8 Stück an der Zahl, stets als Vocal-Version gefolgt vom Dub (also 16 Stücke insgesamt). Mich verbindet mit dem Sound von Neil Perch eine echte Hassliebe. Eigentlich will ich 20 Jahre nach dessen Erfindung keinen UK-Stepper mehr hören. Die Synthie-Sounds haben sich verbraucht, der militante Beat hat sich die Füße wund marschiert. Aber! Wenn die Dubs losstürmen, wenn der Bass explodiert und mir die Bassdrum in den Magen schlägt, wenn die intensive Energie des Rhythmus mir Schockwellen durch den Körper jagt und mein Hirn in die Windungen der Echokammer saugt, dann, ja dann bin ich wieder ein großer Fan dieses stolzen, altehrwürdigen Sounds von Mr. Perch!

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Review

Lee Perry: Sipple Out Deh

Jeder wahre Reggae-Fan hat in seiner Plattensammlung eine kleine (oder auch große) Extra-Abteilung, die dem Werk Lee Perrys gewidmet ist. Dort befinden sich die schnell hüpfenden Upsetter-Aufnahmen aus den ganz frühen 1970er Jahren. Aber die abgegriffenen Platten stammen alle aus der Zeit zwischen 1974 und 1978, also aus jener Zeit, in der Lee Perry in seinem Black Ark-Studio hauste und dort die verrücktesten und zugleich mystischsten Sounds kreierte, die bis dahin im Reggae zu hören waren. Dabei hat der Meister auch viel Mist produziert, der bis heute immer wieder als „obskure, unveröffentlichte Kult-Aufnahmen“ vermarktet wird. Aber er hat auch (und vor allem) fantastische Meisterwerke geschaffen, die er zum Teil an Island-Rekords und zum anderen Teil an Trojan lizensierte. Letztere sind nun auf der Doppel-CD Lee „Scratch“ Perry & Friends „Sipple Out Deh – The Black Ark Years“ (Trojan/Sanctuary) erschienen – insgesamt 44 Stücke, schön chronologisch geordnet. Natürlich kennt man sie alle und hat sie, verteilt auf verschiedene Tonträger, auch schon in der Sammlung. Aber trotzdem ist es ein erhebendes Erlebnis, sie so konzentriert wieder zu hören und dabei dem Meister durch die Jahres seines Schaffens zu folgen, die Veränderung seines Stils wahrzunehmen und die Verdichtung seines Sounds, bis hin zu einem undurchdringlichen Klangdschungel, beizuwohnen. Faszinierend ist vor allem, dass Perrys Aufnahmen auch fast 40 Jahre nach ihrer Entstehung die Hörer immer noch in ihren Bann zu ziehen vermögen. Was ist es, das diese Musik zu zeitlos sein lässt? Vielleicht ist es die Tatsache, dass Perry wenig am kommerziellen Erfolg interessiert war und daher unabhängig von Marktgesetzen einfach echte Kunst kreiert hat. Vielleicht ist es aber – um etwas rationaler zu argumentieren – schlicht Perrys Konzentration auf den Sound gewesen, der seine Musik heute zu zeitgemäß erscheinen lässt. Während seine Konkurrenten richtige Hit-Songs produzierten, vergrub sich Perry immer tiefer in die Sound-Welt seines Black Ark-Studios und schuf dort ein unglaublich komplexes Klanggebilde, das seiner Zeit so weit voraus war, dass es jetzt, 2010, perfekt auf unsere heutigen, „soundorientierten“ Hörgewohnheiten passt. Aber wie dem auch sei, das Durchhören der Doppel-CD ist nicht nur schlicht und ergreifend schön, sondern es befeuert auch die Hochachtung und Wertschätzung von Perrys Genie. Leider ist es viel zu früh verglüht.

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Reggae

Gappy Ranks: Put The Stereo On

Normalerweise höre ich ein neues Album zwei, drei mal und dann wirbt schon neues Material um meine Aufmerksamkeit. Doch das neue Album von Gappy Ranks, „Put The Stereo On“ (Greensleeves/Groove Attack) stellt diese Praxis auf den Kopf. Ich habe es jetzt bestimmt 10 bis 20 mal durchgehört, während neue CDs eingeschweißt auf meinem Schreibtisch liegen bleiben. Was für ein schönes Album! Produziert von den Peckings-Brüdern Chris und Duke Price, die auch für Bitty McLeans „On Bond Street“ verantwortlich zeichneten. Während sie für McLean ausschließlich auf alte Original-Treasure-Isle-Rhythms zurückgriffen (das dürfen sie aufgrund uralter Lizenzabkommen zwischen Duke Reid, Coxsone Dodd und Vater Price), kommen bei Gappy Ranks überwiegend Studio One-Produktionen zum Einsatz – und wir können einmal mehr feststellen, dass immer noch funktioniert, was Coxsone sein leben lang praktiziert hat, nämlich seine Aufnahmen aus den 1960er und 70er Jahren zu recyceln und damit stets neue Hits zu produzieren. Vielleicht ist es die Großartigkeit dieser Musik, von der die Sänger immer wieder zu schönen Songs inspiriert werden. Mr. Ranks macht da jedenfalls keine Ausnahme und bietet uns (vor allem in der ersten Albumhälfte) ein paar grandiose Retro-Songs, bei denen man sich unweigerlich in die goldenen Zeiten des Reggae zurück versetzt fühlt (und sich insgeheim dafür schämt, dass man – wie all die Rock-Altherren – immer noch auf die Musik der eigenen Jugend abfährt). Ich kann das Album gar nicht hoch genug loben. Nach meinem Geschmack ist es sogar noch viel besser als das in den Himmel gelobte McLean-Album „On Bond Street“, das mir – ehrlich gesagt – etwas zu schnulzig war. Aber da wir uns hier in England befinden, dürfen auch bei Gappy Ranks ein paar Lovers-Rock-Songs nicht fehlen – und wie das Presseinfo mitteilt, war der Oberschnulz-Song „Heaven In Her Eyes“ 13 Wochen lang die Nummer eins der britischen Reggae-Charts. Aber wenn das der Preis ist, der für den Genuss des restlichen Albums zu zahlen ist, dann zahle ich ihn mit Vergnügen.