Gleich vorweggenommen: Art-X, der Musiker, hat so rein gar nichts mit der großen österreichischen Erotik-Supermarktkette gleichen Namens zu tun. Der Mann aus Tours hat sich Augustus Pablo-mäßig der Melodica angenommen und trötet seit einigen Jahren vor sich hin – wenn der Rezensent das mal etwas schnoddrig formulieren darf. Wobei „tröten“ durchaus das falsche Verb sein kann, zumal sich auch die Fachwelt nicht sicher sein dürfte, ob die Melodica ein Blas- oder Tasteninstrument ist. Das technische Prinzip gleicht jedenfalls dem der Harmonika. Der Name „Melodica“ und das Instrument selbst wurden vom alteingesessenen Hause Hohner im deutschen Trossingen ersonnen – oder in anderen Worten: vom Weltmarktführer für Mundharmonikas und Akkordeons. Augustus Pablo, Addis Pablo, Art-X: Sie alle spielen bzw. spielten Hohner Melodicas.
Gut, man könnte jetzt natürlich anmerken, dass so eine Melodica ein sehr einfach zu spielendes, für Kinder hervorragend geeignetes und noch dazu äußerst preisgünstiges Einstiegsinstrument ist. Stimmt, und nach meiner Recherche für diese Rezension bin ich stark versucht mir auch so ein Teil zuzulegen – vom Schlagzeuger zum Melodica-Spieler, warum nicht? Nie wieder Drum-Kit schleppen, einfach nur mehr mit stylischem Köfferchen antanzen und gepflegt ins Mundstück blasen. Musik-Machen kann so einfach sein …
… oder auch nicht: In eine Melodica zu blasen und zum rechten Zeitpunkt die richtige Notentaste zu drücken ist freilich nicht genug. Da wären noch die unterschiedlichsten Spielarten und Techniken um das Beste aus dem Instrument rauszuholen – wie Interessierte im Video von James Howard Young eindrucksvoll nachvollziehen können. Und dann gibt‘s da noch die Möglichkeit sich völlig der Schlichtheit des Instruments hinzugeben, damit die perfekte Stimmung in Moll einzufangen und das Ganze, getragen von einem exzellenten Riddim, in ein zeitloses Dub-Meisterwerk zu verwandeln – Beweisstück: Augustus Pablo‘s „King Tubby Meets the Rockers Uptown“ (aka „Cassava Piece“). Besser geht’s nicht, hands down. Pablo selbst war hörbar nicht der große Virtuose, aber er hatte ein untrügliches Gefühl für das Instrument und dessen Möglichkeiten im Genre – und hat so nahezu alle klassischen JA-Riddims mit der einen oder anderen Version veredelt. Seinem ebenfalls Melodica-spielendem Sohn, Addis Pablo, sind die Schuhe des Vaters noch ein paar Nummern zu groß – sein musikalischer Output wirkt orientierungslos, die Qualität mag sich nicht einpendeln und schwankt kräftig zwischen respektabel und miserabel. Die Zeit wird zeigen, ob er dem Vermächtnis seines Vaters gerecht werden kann.
Und dann wäre dann noch der oben erwähnte Art-X, derzeit sozusagen die personifizierte Frankreich-Dependance innerhalb der recht kleinen Reggae-Melodica-Welt. Als Mitbegründer von Ondubground und dem Weblabel ODGProd. längst kein Unbekannter in der Reggae-Electronica-Szene, zieht er seit 2014 sein eigenes Melodica-Ding durch. Die ersten Releases wirken etwas ungelenk; die Kombination von digitalen Backing-Tracks und Melodica will nicht so recht zünden: Wenn Kälte auf Wärme trifft ist das Ergebnis mitunter nur ein laues Lüftchen. Ganz anders sieht es allerdings aus, wenn sich Art-X auf das Abenteuer Live-Band einlässt – wie hier mit The Roots Addict:
Das passt, sitzt & hält; hat Energie, verströmt Vibes und lässt den Dubhead mit geschlossenen Augen zufrieden mitwippen. Wir alle kennen dieses tiefe Gefühl des Einsseins mit der Musik, dem Bass, mit Echo und Hall. Glücklicherweise macht sich das Gespann Art-X/The Roots Addict auch im Studio gut, wie man auf deren neuesten Release „Polarity“ (ODGprod.) nachhören kann. Klugerweise als 6 Track-EP konzipiert ist die Gefahr eines Melodica-Overkills recht gering. Die originären Riddims im klassischen Arrangement durften im Mixdown ihre natürliche Dynamik behalten, was sich vor allem in einer (mitunter fast zu) präsenten Kick Drum zeigt. Alles in allem ein grundsolider Release, über dem dank der Melodica stets ein Hauch von Melancholie schwebt; der sogar mit dem einen oder anderen überraschenden Audio-Snippet aufwartet, letztlich im Gesamteindruck aber doch etwas Abwechslung in den Band-Arrangements vermissen lässt. Dass das auch anders geht, zeigt Art-X‘ Vorgänger-Album „Nomad“: Hier stammen die Backing-Tracks von verschiedenen Bands, die mit ihren unterschiedlichen Arrangements und musikalischen Energien dafür sorgen, dass Eintönigkeit oder gar Langeweile keine Chance hat.
Wächst da also möglicherweise ein zweiter Augustus Pablo heran? Eher nicht, meint der Rezensent – es fehlt Art-X (noch) an musikalischer Persönlichkeit, an unverkennbarem Stil; an einer gewissen Mystik, die Pablos Spiel und seinen Aufnahmen diese besondere Stimmung verliehen haben. Und natürlich: Die Vibes der 1970er und die Kombi King Tubby/Augustus Pablo haben in JA Aufnahmen entstehen lassen, die sich durch ihre Einzigartigkeit sowieso jedem Vergleich entziehen. Insofern würde ein zweiter Augustus Pablo heute keinen Sinn machen – wohl aber einen originärer, sich eigenständig weiterentwickelnder Art-X.
9 Antworten auf „Art-X meets The Roots Addict: Polarity“
Das war ja wieder klar ! Wer hat die Melodica verzapft ? Die Deutschen ! Meine Landsleute ! Genauso bekloppt, wie alle anderen auf der Welt. Und die Jamaicaner machen daraus auch noch sowas wie Kult. ( Mussste das jetzt wieder sein, lemmi / ja sorry, is mir wieder so rausgerutscht ).
Wie dem auch sei, nach der Reihenfolge der Rezensionen ist Art-X jetzt für einen Kommentar fällig. Das Beste hebe ich mir bis zum Schluss auf, dachte ich. Art-X hat mich schon öfter mal
zu wahren Begeisterungsstürmen hingerissen. Mir war gar nicht so klar, das er einfach nur ein MelodicaSpieler ist. Ich dachte immer, der Baut auch die Riddims komplett selbst. Mir war auch nicht klar, das The Roots Addict eine leibhaftige Band ist. Ich bin aus dem Alter schon lange raus, wo einem ADS als Diagnose gegeben wird aber ich könnte schwören, das ich von Geburt an ein ziemlich schwerer Fall war, bzw. bin. Wäre ich aufmerksamer gewesen, hätte mir schon längst klarwerden können, das er die Riddims nicht selbst baut.
Nun gibt es für mich aber auch ein kleines Problem in Sachen Art – X. Der erste Tune, den ich von ihm bewusst wahrgenommen habe, war „Dready Walk“ von „Under Me Culcha“ !
Und da bin ich dann auch schon bei meinem kleinen Problemchen. „Under me Culcha“ wurde zwar teilweise annähernd erreicht aber es bleibt in Bezug auf Art – X für mich das Maß aller Dinge. Auch das excellente und über ( fast ) jeden Zweifel erhabene Hörbeispiel „Rising Sun“ ist von meiner Lieblings – Art – X – Scheibe. Ein paar mehr DubEffekte hätten es in diesem Fall
wieder gern sein dürfen.
Ja und dann kommt jetzt diese „Polarity“ . Da war meine Vorfreude wohl doch etwas zu groß. Klingt – für mich – bei weitem nicht so schön knackig, wie „Under me Culcha“. Die Riddims gehen mir zu sehr ins banale, stink normale „AlltagsReggaeGesäusel“ der europäischen Art. Und dem Alltag möchte ich ja nur zu gern entfliehen, wenn ich Dub bzw. Musik höre.
Ich müsste mich wahrscheinlich nur noch um einen Bruchteil aller Dubs kümmern, wenn man nicht so viel DubScheiben machen würde, deren Basslines mich im Grunde so kalt lassen, das es mich fröstelt. Nun ja, so schlimm, wie es sich jetzt wieder anhört, ist das alles dann doch wieder nicht aber ich muss manchmal ein wenig übertreiben, um meinen Gefühlen etwas mehr
Transparenz zu verleihen.
Noch Fragen ? ;-) …………………… lemmi
Alle Fragen geklärt, lemmi ;-)
Ich seh‘ „Polarity“ ähnlich wie Du, würde aber zum Vergleich das abwechslungsreichere „Nomad“-Album heranziehen. Dort sind auch die Basslines ein klein wenig eingängiger, meine ich.
Stimmt gtkriz !
Die „Nomad“ ist schon auch richtig klasse !
Mir tut es auch fast schon wieder leid, das mein Kommentar so negativ ausgefallen ist. Eigentlich gefällt mir von Art – X alles aber es gibt halt so kleine Lows and Highs
und im direkten Vergleich ist die „Polarity“ ein wenig „lower“.
„When I get low I get High“ ……………………. lemmi
Das wichtigste fehlt, oder hab ich das überlsen? Nämlich wie dieses INstrument klingt. Das kann ja nur einen Sound und der nervt mich genauso schnell wie Mundharmonika oder Geige (in der Popularmusik wohlgemerkt) deswegen kann das so perfekt auf den Punkt sein wie es will, mir verursachts Kopfweh :D Wieviel Tracks mit Melodica kann man sich hintereinander anhören? Liebe Grüsse, Doc
„Wieviel Tracks mit Melodica kann man sich hintereinander anhören?“
Hehe, ich freue mich immer, wenn mein Leiden auch von anderen geteilt wird. „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ heißt es ja immer so schön. Naja, wird uns wohl in diesem Fall nix nützen.
Also ich komme vor allem nicht klar, wenn die Melodica als „tragendes Instrument“ im ganzen Tune bzw. der gesamten Scheibe eingesetzt wird. Da höre ich mir maximal zwei Tunes/Dubs nacheinander an. Wenn die Melodica zwischendurch mal ein kleines Solo
anstimmt, habe ich überhaupt kein Problem. Ein kleines Geigensolo darf genauso sein,
wie Mundharmonika. Als „tragendes Instrument“ für ein Musikstück eignet sich bei mir eigentlich nur die Guitarre. Trompete geht auch noch aber ne Scheibe über eine Stunde, wird dann oft auch schon schwierig. Ansonsten kann man mir mit jedem Instrument kommen, außer der „indischen Wuwuseela“ – das Teil, womit man immer die tauben Schlangen bzw. das Publikum verarscht. Mundorgel ist eh nicht so laut und eignet sich – für meinen Geschmack – Eins A für Dub. Auch ein Didjeridu ( ihr wisst schon was ich meine ) finde ich hier und da richtig abgefahren, da seine hypnotische Wirkung
ebenfalls eine perfekte Symbiose mit Dub eingehen kann.Wie gesagt, alles geht, nix muss ……
Aber die Backings von Art – X finde ich so klasse, das sie von mir keinesfalls ignoriert werden können. Eigentlich auch gar nicht so dubbig aber auch als Instrumental richtig knackig.
„Fight The Power“ …………………. lemmi
6 Tracks, Doc… es sind genau 6 Tracks die man sich hintereinander anhören kann :D
Tatsächlich kommt’s imo darauf an, wo und wie die Melodica im Endmix eingebettet ist. Wenn sie „on top“ ist – also alle anderen Instrumente hinter sich lässt, lautstärken-mäßig quasi „in your face!“, dann nervt’s gewaltig. Wenn sie aber schön & volume-mäßig in einem angemessenen Verhältnis zu den anderen Instrumenten im Mix eingebettet ist, dann sieht das ganze schon anders aus. Letzteres nützt aber auch nix, wenn beim abschliessenden Mastering der Loudness-Wahnsinn zelebriert wird und so Höhen und Tiefen geopfert werden… dann kreischt das Teil wieder mittig :(
Dann gibt’s freilich auch die Möglichkeit am Mixingboard der Melodica die aufdringlichen Höhen und Mitten runterzuschrauben… das geht natürlich bei allen Instrumenten und bringt oft erstaunliche Ergebnisse. So kann man etwa einer blechernen Gitarre warmes Volumen geben oder auch umgekehrt einem dumpfen Instrument klangliche Schärfe verleihen.
Das alles freilich nur wenn der Musiker und/oder Produzent das will… oh well.
Das stimmt! mein Dubgod Paolo Baldini würde so ein instrument wohl elegantest in einen mix integrieren. Vielleicht hat es auch damit zu tun, daß in meiner (katholischen) vergangenheit als ministrant etc diese „rhythmischen messen“ so in waren :D und die hauptinstrumente waren immer blockflöten und melodica; diesen sound werd ich damit wohl ewig in verbindung bringen! mein mißvergnügen kommt aber auch von der von euch gut beschriebenen unfähigkeit augustus pablos – dessen talent hör ich einfach net, ich hör einfach nur, daß der sich in seinen vielen jahren als musiker nie um irgendwelche nuancen bei seinem spiel bemüht hat :D und seinen sohn werd ich mir einfach ersparen. aber wie immer: ich hab halt die musikjournalistenkrankheit der sofortigen ablehnung, ein bissl später dann werd ich aber dann doch immer neugierig, so who knows? vielleicht fang ich noch selber zum spielen an LOL aber wie lemmy schreibt, ein kleines solo hier und da kann man sich schon antun, da ist die melodica dan auch an ihrem „richtigen“ platz zumindest für uns geplagte hörer…
Zu deinem Dubgod. Hast du schon unser Interview gesehen: https://dubblog.de/21-questions-to-paolo-baldini-dubfiles/
Neiiiin :D Whoa Klasse! Danke vielmals für den link! \d/