Am 29. August 2021 verstarb hochbetagt und doch für viele überraschend Rainford Hugh Perry aka Lee Perry aka Scratch aka The Upsetter aka Pipecock Jackxon. Einer, wenn nicht der Pionier des Reggae- und Dub-Genres. Der Mann, der nach eigenen Angaben mit 26 Jahren zum ersten Mal ein Tonstudio von innen gesehen hat und mit 30 seine erste Debütsingle „Old For New“ – eine treibende Ska-Nummer – veröffentlichte. Der „Salvador Dalí des Reggae“, wie ihn manche ehrfürchtig nannten, nahm sich der Wailers in ihren frühen Reggae-Zeiten an und formte sie zu dem, was sie später wurden – Weltstars. Bei den Upsetter-Sessions entstanden die Originalversionen von „Duppy Conqueror“, „Small Axe“, „Keep On Moving“, „Trenchtown Rock“, „400 Years“ und unzähligen anderen Klassikern.
Zwischen 1974 und 1979 produzierte Scratch in seinem Black Ark Studio mit relativ primitivem Equipment einige der fesselndsten Musikstücke des Jahrzehnts. Darunter große Hits wie Susan Cadogans populäre Coverversion von „Hurt so Good“, Junior Byles‘ hypnotisches Klagelied „Curly Locks“ und eine Reihe von Roots-Hymnen wie „Mistry Babylon“ von den Heptones, Max Romeos „Sipple Out Deh“ (aka „War in a Babylon“) und Junior Murvins schrilles „Police and Thieves“. Lee „Scratch“ Perry galt schon zu Lebzeiten als Rätsel, Exzentriker, Pionier und Genie zugleich, und irgendwie trifft jede Beschreibung auf ihre Weise zu, wobei die Grenzen zum Wahnsinn oft fließend waren. Der weltweit verehrte Grammy-Preisträger Lee „Scratch“ Perry hat den Reggae in akustische Gefilde geführt, die noch nie ein Mensch zuvor betreten hat, und dafür ist ihm mein Respekt für immer sicher.
All dies ist bereits ein wesentlicher und wichtiger Teil jamaikanischer Musikgeschichte. Etwas mehr als zwei Jahre nach seinem Tod erscheint nun sein letztes Album „Lee ‚Scratch‘ Perry: Destiny“ (Delicious Vinyl Island), an dem der Magier zusammen mit dem kanadischen Produzenten und Musiker Bob Riddim noch gearbeitet hat. Das Besondere an diesem Projekt sind die Kooperationen, die Bob Riddim, der die meisten Instrumentals selbst geschrieben und eingespielt hat, dem jamaikanischen Urgestein Perry vorschlug. Perry teilt sich das Mikrofon mit Sängerinnen und Sängern der jüngeren Generation. Evie Pukupoo, Gründungsmitglied der Gruppe The No-Maddz, ist mit seiner sanften Stimme im Titelsong des Albums zu hören, der auf einem modernen Roots-Reggae-Beat basiert. Wir hören klassische Elemente wie stark verhallte Snares und ein paar schöne Gitarrenlicks. Außerdem ist David ‚Jah David‘ Goldfine von den Zion I Kings mit einer brillanten Bassline zu hören. Kabaka Pyramid unterstützt das Projekt, indem er im Song „Black“ diejenigen anprangert, die Menschen nur aufgrund ihrer Hautfarbe beurteilen. Perry kehrt hier zu seinem Spoken-Word-Stil zurück und klingt auf dem Track fast wie ein geladener Gast. Xana Romeo, Tochter des nicht minder legendären Max Romeo, mit dem Lee Perry den Meilenstein „War Inna Babylon“ produzierte, kommt mit einer gelungenen und originellen Coverversion von „Police And Thieves“. Das 1977 von Lee Perry für den Sänger Junior Murvin produzierte Original wird diesmal in eine dubbigere Richtung verschoben, wobei Xana Romeo bei der Phrasierung recht nah am Original bleibt. Eine brillante Adaption des Originals, bei der Perry zeigt, dass er immer noch in der Lage ist, eine Gesangslinie mit Souveränität zu führen. Das Trio Leno Banton, Blvk H3ro und Wayne J bringt mit „Ring Pon My Finger“ einen eher urbanen Vibe um einen Hip-Hop-Beat im dubbigen Reggae-Style. Die Spiritualität von Yaadcore passt perfekt zu Perrys Welt auf „Infinity“. Nicht zu vergessen der Opener „I Am“, einem satten, dubbigen Stück, das an die glorreichen Tage von Black Ark erinnert. Es zeigt einen altersweisen, fast schon sprachlich zurückhaltenden Lee Perry, der weit von dem maschinengewehrartigen Gebrabbel entfernt ist, das bei ihm noch vor wenigen Jahren üblich war. Der zweite Track auf dem Lee Perry solo zu hören ist „Space Echo“, gliedert sich in drei Teile und wird mit schönem Nyahbinghi Drumming untermalt. Das über sieben Minuten lange Stück würde mir noch besser gefallen, wenn nicht Bernard Lanis mit seinem Saxofon immer die gleiche Melodie rauf und runter trällern würde.
Natürlich ist „Destiny“ kein Dub-Album im herkömmlichen Sinne geworden, aber das passt sehr gut zum Vermächtnis eines Lee Perry, denn seine Alben waren schon immer außergewöhnlich. Scratch und Bob Riddim schaffen mit ihren spacigen, repetitiven Patterns eine trippige, ätherische Atmosphäre, die den Dub auf eine ganz neue Ebene der psychedelischen Immersion hebt. Auf dem Album sind viele aufstrebende musikalische Talente Jamaikas zu hören, aber der Kitt, der das Album zusammenhält, ist meiner Meinung nach Lee Scratch Perry und sein unnachahmliches Können. „Destiny“ muss mit seinen neun Titeln als letzter kreativer Impuls dieser Reggae-Legende betrachtet werden und ist ein weiterer überzeugender Beweis – wenn es eines solchen überhaupt noch bedurfte – für Scratchs Fähigkeit, sich im Rhythmus der Generationen zu erneuern. R.I.P Lee ‚Scratch‘ Perry!
7 Antworten auf „Lee „Scratch“ Perry & Bob Riddim: Destiny“
Normalerweise würde ich sagen, ich bin zu alt für diese Welt. War ich eigentlich schon immer, auch als ich noch jung und knackig war.
Was die ganzen next generations so alles unter Musik verstehen, kann ich echt nicht nachvollziehen. Nun, Ras Vorbei scheint da doch wesentlich flexibler zu sein als ich.
Beim ersten Soundcheck vor einigen Wochen, wollten die Riddims einfach nicht richtig runter gehen, wie feinstes OlivenÖl. Habe dann gelegentlich nochmal reingehört aber kam nicht wirklich zu einem besseren Gefühl.
Inzwischen habe ich erfahren, daß der einzige Riddim, der mich hier voll und ganz überzeugt von einem gewissen David ‚Jah David‘ Goldfine
mit seiner BassLine veredelt wurde und sie damit für mich „kompatibel“ macht. Es ist aber lediglich die DubVersion von „Destiny“ die mich hier überhaupt ins grooven kommen lässt. Die VocalVersion klemmt dann schon ein wenig, was allerdings – für mich überaschenderweise – nicht unbedingt am Herrn Pukupoo liegt. Zum Herrn Pukupoo komme ich aber später noch ………….
Lee Perry ist mir aber auf dem ganzen Album sehr sympathisch, weil er eben nicht versucht, durch seine Wortsalven den Rest der Welt von seinem Wahnsinn zu überzeugen. Aber auch dafür hatte ich immer mindestens ein Ohr über und konnte mich sogar dafür begeistern, wenn er mal nicht über Reggae, sondern über „Eggae“ getoastet hat.
Nein, Nein ……. ihr kennt mich doch nun schon ein wenig und ihr müsst wissen, daß Reggae bei mir mit der BassLine anfängt und wenn überhaupt auch nur damit aufhört. Ohne BiassLine läuft bei mir gar nix.
Und da komme ich nun auf die next generations zu sprechen. Die haben es einfach nicht mehr drauf !!! Weder im HipHop noch im Reggae gibt es diese magischen BiassLines, die mich zu dieser Musik gebracht haben. Das was der „riddim bob“ da so an BassLines versucht hat, fühlt sich für mich an, wie ne Fischgräte, die sich im Hals verkeilt hat und einfach nicht runterrutschen will. Ich würde fast behaupten, er könnte an Gicht leiden, so faul ist er beim Zupfen der BassSaiten. Aber so sind se heute fast alle drauf : “ Oh ja, kacke mann wir brauchen ja auch noch so ne verdammte BassLine, wo sollen wir die denn bloß herzaubern ?
Naja, egal, rotzen wir halt einfach ein paar tiefe Töne ins Menue …. “
Ja, es tut mir leid aber bei schlaffen BassLines vergeht mir der Humor.
So habe ich den Reggae nicht kennengelernt. Vergleicht man die Riddims der Upsetters mit denen vom „Riddim Bob“, so versteht man mich hoffentlich sofort. Vielleicht nehme ich Musik auch einfach zu wichtig bzw. zu ernst aber ich möchte mich nicht über Musik amüsieren, sondern so wie immer, einen großen Teil meiner Lebenskraft daraus schöpfen. Und wenn dann solche „No Mads“ kommen und einen auf Pukupoo machen, dann fehlt es mir wohl echt am nötigen Humor aber zum Glück kann ich auf diese „Spinner“ ja auch nen Hucken drauf setzen. Selbst die Scheibe mit Sly and Robbie interessiert mich nicht. So viel nochmal zu pukupoopukupoopukupoo….
Hehe, ich kann mich noch gut erinnern, als ich beim ReggaeJam auf ner Decke saß und die no mad´s angefangen haben und ich ziemlich zügig fragen musste, was isn das fürn scheiß ?!? Soviel dazu.
Ich muss leider auch noch über den Sound von „Destiny“ meckern.
Ich sags mal so, wenn das Album vor 60 Jahren erschienen wäre und es gäbe halt nur ne Cassette davon, die obendrein auch noch zwei Jahre im Match gelegen hat, dann würde auch ich mich mit so einem Sound abfinden können aber im Jahre 2023 habe ich dafür leider kein Verständnis mehr. Nun kann es aber sein, daß das mit SoundSystemLautstärke nicht mehr so ins Gewicht fällt. Aber darüber kann ich leider nix berichten.
Ok, es tut mir sehr leid, daß ich deine Begeisterung für dieses Album nun leider nicht so teilen kann Ras Vorbei.
Ich hol mir lieber noch ne Portion „Roast Fish and Cornbread“, die geht runter wie feinstes Olio de Olivio ;-) …………………… lemmi
Bin voll bei dir, was die Basslines angeht… mich begeistert da wenig!
I completely disagree, folks. Take the time to listen to „Destiny“ more intensely. Perhaps you will realize, as I did, that this last work was Perry’s final destiny. Ras is right when he says that „Destiny“ was the last creative impulse of a reggae and dub legend who, even in his old age, had the ability to renew himself with the rhythm of generations. Listening to Perry on his final tracks is an ethereal and emotional experience – even more so considering the ingenuity of Bob Riddim and the artists involved. The album is superbly constructed, sounds fresh and is endlessly listenable. For me, an inspiring conclusion to an eventful life.
Tatsächlich enthält das Album auch viele Hip-Hop-Einflüsse und ist daher für Puristen vielleicht etwas schwerer zugänglich. Die Verbindung zwischen Reggae und Hip-Hop ist alt, die ersten Hip-Hop-Jams gab es schon vor 50 Jahren. Tony Screw war ein Selector, der in den 70er Jahren mit „Downbeat International“ eines der ersten Reggae-Soundsystems in New York aufbaute. Nicht minder einflussreich war DJ Kool Herc. Der in Kingston geborene Clive Campbell (so Hercs bürgerlicher Name) erlebte die jamaikanischen Dancehall-Partys hautnah mit. Nach seinem Umzug in die Bronx baute Herc sein eigenes Soundsystem auf und legte damit den Grundstein für den Hip-Hop. Die „Herculords“ übten einen immensen Einfluss aus, etwa auf „Grandmaster Flash And The Furious Five“, „Africa Bambaataa“ oder „Zulu Nation“. Haben also Menschen aus Jamaika oder der Karibik den Hip-Hop erfunden?
Hip-Hop hat übrigens Lee Perry in den USA wieder bekannt gemacht: Dank der Unterstützung junger Bands wie den Beastie Boys spielte Perry 1997 in San Francisco seine ersten US-Konzerte seit 15 Jahren. Es folgten umjubelte Auftritte bei den New Yorker Free Tibet Concerts. Vielleicht wäre Scratch ohne die Unterstützung der Beastie Boys und ihres „Dr. Lee PHD“ (https://www.youtube.com/watch?v=aT1nOKCaGy8) in den USA eine Nullnummer geworden. Möglicherweise auch deshalb wieder der Brückenschlag zum Hip-Hop und den Hip-Hop Drumpatterns.
High Ras Vorbei !
Ich wende mich zwar direkt an dich aber im Grunde möchte ich auch alle Leser meiner Kommentare ansprechen, was ich hiermit auch tue.
Hört, bzw. liest man das nicht sowieso schon immer, daß HipHop seinen Ursprung in Jamaika hat ?!!
War „The Message“ von Grandmaster Flash nicht so etwas wie der internationale Durchbruch von diesem Sound, der dann alsbald HipHop genannt wurde ?!
Wer waren denn die Musiker, die den Riddim für the Message eingespielt haben ;-)
Ihr braucht nicht nachzuschauen, den Service liefere ich euch gern !
( Nicht für dich Ras Vorbei, denn ich weiß, du weißt bescheid ;-) )
Niemand geringeres als „KEITH LE BLANC ! DOUG WIMBISH ! UND
SKIP MC DONALD AKA LITTLE AXE !!!
Ein ganz elemtarer Stützpfeiler der On .U Sound Haus Band bzw. der gesamten On .U Sound Possie !!! Ja, da schleißt sich der Kreis und legt ein großes ( oder eben kleines ) Geheimnis für die Entstehung von generationenübergreifender, unantastbarer Rhythmusqualität offen.
The Message haut heute immer noch jeden Neuling in dieser Branche vom Hocker und macht den DanceFloor voll bis oben hin !!!°
Und selbst die Beastie Boys hatten größtenteils noch ein richtig gutes Feeling für GROOVE !!! Für meinen Geschmack haben sie ein wenig zu viel „heavy metal“ mit einfließen lassen aber selbst das hat den Groove nicht zerstört. Für mich kam das Ende von HipHop mit solchen sachen wie „every breath you take“ wo man radioliedchen von, unter anderem Police verwurstet hat. Das war zwar gut fürs Geschäft aber ganz und gar nicht gut für meinen Geschmack. Und nur darum geht es in meinen Kommentaren. Das könnt ihr gern alles anders empfinden aber die Riddims auf „Destiny“ sind und bleiben mir zu lasch. Abgesehen von dem, den ich schon so positiv erwähnt habe.
Falls es ne CD oder ne Vinyl zum erschwinglichen Preis gibt, kaufe ich die natürlich trotzdem aber der Datensatz wird bei mir definitiv in Vergessenheit geraten. Bin mal gespannt, ob CD oder Vinyl besser grooved ;-) …………………. lemmi
Destiny ist ein Album von Lee Perry, wie man es noch nie zuvor von ihm gehört hat. Scratch war bis zum Schluss immer für eine Überraschung gut und deshalb läuft bei mir Destiny seit Tagen rauf und runter. Zuerst habe ich mich gewundert, warum das Album überhaupt im Dubblog besprochen wird. Die vielen Soundeffekte haben mich doch überzeugt, dass Destiny dort ganz richtig aufgehoben ist.
Now, I’m very surprised, but this album has turned out exceptionally well. I really wasn’t expecting that. Really nice!