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Lollypop Lorry: Goes Dub

Jekaterinburg ist mit 1,5 Millionen Einwohnern die viertgrößte Stadt Russlands. Benannt nach der Zarin Katharina I. und der Schutzpatronin der Bergleute, der heiligen Katharina, liegt sie an der Transsibirischen Eisenbahn und bildet die imaginäre Grenze zwischen Europa und Asien.
Ausgerechnet aus dieser für uns ziemlich abgelegenen Ural-Region kommt die 2008 gegründete Ska-Band Lollypop Lorry. Das Logo der Band zeigt den Lollypop Lorry – einen UAZ 452 Buchanka, die russische Antwort auf den Wolfsburger Bus & Lieferwagen (Bulli).


Die Erstveröffentlichung von Lollypop Lorry: Goes Dub (Jump Up! Records) im Jahr 2020 hat der Dubblog ebenso wie die Wiederveröffentlichung im Jahr 2022 komplett verschlafen. Aber besser spät als nie stelle ich euch dieses Album, das zwischen August 2018 und Oktober 2019 entstanden ist, kurz vor. Ein Album, das bei mir aktuell wirklich angesagt ist. Von den neun Titeln sind gleich acht Jazzstandards, die das Ska, Reggae/Dub & Latin Jazz Ensemble kongenial für unsere Ohren tiefer gelegt hat. Gemixt wurde das Album von Victor Rice in seinem Studio Copan in São Paulo. Die Dubs stammen von Ivan Gogolin, der das Album zusammen mit Maxim Koryagin produziert hat. Die beiden Musiker sind auch für die Arrangements verantwortlich, die sehr abwechslungsreich daher kommen. Den Anfang macht ein Miles-Davis-Standard, gefolgt von „Dizzy Dub“ nach einer musikalischen Vorlage des Trompeters Dizzy Gillespie. Das Schönste daran ist, dass die Band die Bassline von Aston Barrett aus „Lively Up Yourself“ nahtlos eingebaut hat. Einfach magisch! John Coltranes „Blue Train“ wird mit einer Reminiszenz an „Love Supreme“ zum „Dub >7< Train“. Das absolute Highlight des Albums ist für mich „Take Faya“, wo wir neben dem alten Dave Brubeck/Paul Desmond Klassiker „Take Five“ auch „Dub Fire“ von Aswads: A New Chapter of Dub zu hören bekommen. Was soll ich noch viel sagen? Sowohl die Basslines als auch die Dubs gefallen mir auf ganzer Linie – kurzum ein tolles Album, das ich viel zu spät entdeckt habe.

Bewertung: 5 von 5.
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Five Star Review

Jim The Boss Presents Dubs From The Grave

Jim the Boss und seine Hi Fi Rockers Studioband haben mit „Dubs from the Grave“ (Hudson Soul) ein zur Jahreszeit perfekt passendes Album voller gruseliger Effekte zusammengestellt. Pünktlich zu Halloween gibt es nach fünf Jahren kreativer Pause ein neues Mini-Album für Fans des keltischen Feiertags und des Reggae/Dub-Genres, das sich mit Themen wie Duppies, Geistern, Vampiren, Zombies und anderen untoten Kreaturen beschäftigt. Damit ist dieses Album der ideale Soundtrack für jede Halloween-Party. Aber nicht nur das: Der in der afrikanischen Kultur tief verwurzelte Geisterglaube ist in Jamaika seit jeher allgegenwärtig. Man braucht wirklich nur ein bisschen nachzudenken, und schon fallen einem jede Menge Songs ein, die sich mit diesem Thema beschäftigen: The Wailers – Duppy Conqueror (1970); The Upsetters – Haunted House (1970); Devon Iron – Ketch Vampire (1976) oder Peter Tosh – Vampires (1987). Unter den Alben ist „Scientist Rids The World Of The Evil Curse Of The Vampires“ (1981) mit Titeln wie „Your Teeth In My Neck“, „Plague of Zombies“ und „Night Of The Living Dead“ besonders hervorzuheben.

Gerade noch rechtzeitig melden sich der Dub-Maker Jim the Boss und seine HiFi Rockers zurück, um uns ein neues Album mit Reggae-Dub-Titeln zu präsentieren. Die 7 Tracks sind gespickt mit gruseligen Soundeffekten, Monsterlachen und Stimmeffekten von ‚Dr. Frankenboss‘ – Jims Alter Ego für dieses Album. Die Originalversionen der Tracks wurden in den vergangenen Jahren aufgenommen und werden in diesem Remix zu neuem Leben erweckt. So wurde „Big Man Dead“ bereits 2014 auf der „American Sessions“ EP von Miserable Man veröffentlicht und „The Dark Art“ ist eine Neuauflage des „Dark Art“-Riddims der bereits auf dem „Hudson Soul“-Album zu hören war. Die beiden Tracks „Halloween Town“ und „Queen of the Dead“ – eine Dub-Version von Jah Adams „My Love For You“ – wurden im Laufe des Jahres 2017 als reine Radio-Promos veröffentlicht.

„American Horror Story“ ist ein tanzbarer, spaciger und dubbiger Track, bei dem man nicht drumherum kommt, die Hufe zu bewegen.
„Queen of the Dead“ mit schaurigem Gelächter und Soundeffekten ist ebenso körperbetont. Ein vorwärtstreibender Riddim, der auf einer schönen fetten Bassline reitet.
„Halloween Town“, vorgetragen in einem ziemlich witzigen (afrikanischen?) Akzent, finde ich besonders erwähnenswert. Wir hören eine kraftvolle und eindringliche Version des Lee „Scratch“ Perry & The Stingers Riddims: „Give Me Power“.
„Big Man Dead“ erinnert mich in Text und Flow entfernt an Linton Kwesi Johnson und seine Dennis Bovell Dub Band.
„The Dark Art“ beginnt mit dem exemplarischen Lachen einer bösen Hexe und mündet in ein wunderschönes Stück Musik, gespickt mit präzisen Saxophonpassagen von Dave Hillyard und hüpfenden Keyboards.
„Throw me Brain“ ist ein Remake des Studio-One-Klassikers „Throw me Corn“ und das Intro stammt von Lee „Scratch“ Perry.

Alles in allem macht mir diese kleine aber feine (Dub-)Sammlung richtig Spaß und dieser eher traditionelle Dub-Reggae bietet weit mehr als nur saisonale Halloween-Tracks. Ich, für meinen Teil, kann und werde das Album sicherlich das ganze Jahr über hören.

Bewertung: 5 von 5.
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Horace Andy: Showcase (Deluxe Edition)

Der mittlerweile 73-jährige Roots-Reggae-Sänger Horace Hinds uns allen besser als Horace ‚Sleepy‘ Andy bekannt, ist immer noch aktiv. Gerade hat er in Zusammenarbeit mit Jah Wobble, dem ehemaligen Bassisten der Post-Punk Band „Public Image Ltd. das Album „Timeless Roots“ herausgebracht.
Seine erste Single nahm er 1967 für den Produzenten Phil Pratt auf. Doch „This is a Black Man’s Country“ blieb erfolglos. Erst 1970 gelang ihm der große Durchbruch. Nachdem er im Studio One von Coxsone Dodd als Duo mit Frank Melody erfolglos vorgesungen hatte, versuchte er es wenige Tage später nochmal alleine und hatte Erfolg. Die 70er Jahre waren Horace Andys produktivste Zeit. Mit seinem unverwechselbaren Falsett-Gesangsstil sang er auf unzähligen klassischen Produktionen für Reggae-Produzenten wie King Tubby, Everton DaSilva, Gussie Clarke, Lloyd ‚Bullwackie‘ Barnes, Bunny ‚Striker‘ Lee, Tad Dawkins, Prince Jammy und für Keith Hudson nahm er z. B. „Don’t think about me“ auf. Ende der 1980er wurde es etwas ruhiger um Horace Andy. Durch seine Zusammenarbeit mit den Trip-Hop-Pionieren Massive Attack gewann er in den 1990er Jahren eine neue Generation von Fans. Auch in den folgenden Jahren nahm er immer wieder neue Musik auf. So erschien 1999 das Album „Living in the Flood“ auf dem Melankolic-Label von Massive Attack. Außerdem nahm er Alben für Mad Professor, Jah Shaka und Bunny Gemini auf und war Teil des Weltmusikprojekts „1 Giant Leap“. Mit den Riddim-Zwillingen Sly & Robbie entstand 2007 das beeindruckende Album „Livin‘ It Up“. Wie eingangs erwähnt, ist Horace Andy immer noch aktiv und tourt durch die ganze Welt.

Das Album „Horace Andy: Showcase“ (TADs), um das es hier geht, ist eigentlich eine Sammlung von Singles, die ursprünglich 1980 und dann 1984 von Vista in einer klanglich verbesserten Version veröffentlicht wurden. Jetzt gibt es eine um 12 Tracks erweiterte Re-Release Deluxe Edition. Alles bekannte Riddims und Klassiker, die Horace Andy in Bestform zeigen. Wir hören einen großartigen „Shank I Sheck“ Riddim und „Striktly Rub A Dub“ repräsentiert den Heavenless Riddim. Die nächsten Roots-Tunes „Chant Rastaman Chant“ und „Dub Chant“ lassen keine Zweifel aufkommen, denn das ist der Burial Riddim. Die Backing-Band sind die Roots Radics und gemixt wurde das Album von Sylvan Morris und Tad A. Dawkins. Lediglich der Opener „Cus Cus“ mit seinem „Chatty Chatty Dub“ ist eine Harry J. Produktion. Doch irgendwie machen mich diese Angaben und mein Gehör etwas stutzig, denn vom Sound her könnten die Tracks und ganz besonders die 12 Dubs auch von Scientist abgemischt worden sein.
Ob nun Sylvan Morris und Tad A. Dawkins oder Scientist dieses sehr schöne Album abgemischt haben, ist eigentlich zweitrangig. Viel wichtiger ist doch, was uns unterm Strich geboten wird, und das ist schlichtweg exzellent.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Keith Hudson: Playing It Cool & Playing It Right (Re-Release)

Vorsicht! Diese Musik ist ziemlich sperrig, ja, man könnte sogar sagen: atypisch. Aber denkt, was ihr wollt, gerade deshalb höre ich Keith Hudsons Alben immer noch mit wachsender Begeisterung. Der „Dark Prince of Reggae“, der 1984 im Alter von nur 38 Jahren an Lungenkrebs starb, hatte von Anfang an seinen ganz eigenen Sound, den nicht nur ich hypnotisierend finde.

Die viele Jahre vergriffene „Keith Hudson: Playing It Cool & Playing It Right“ (Week–End Records) verkörpert exemplarisch seine Vorstellung von Dub-Reggae mit schleppenden Riddims, vielschichtigen Backing Vocals und purem Groove. Man sagt, das 1981 erstmals veröffentlichte Showcase-Album sei wegen seiner großen Variationsbreite Keith Hudsons meist bewundertes und auch bestes Werk. Hudsons Gesang, der verständlicherweise wirklich nicht jedermanns Sache ist, variiert von sanft bis hin zu treibenden Beats und gelegentlichen Rap-Einlagen. Eine Besonderheit des Albums ist, dass Hudson nach seinem Umzug nach New York im Jahr 1976 mit Lloyd ‚Bullwackie‘ Barnes, dem ehemaligen Protegé von Prince Buster, wieder in Kontakt kam. Sie kannten sich bereits aus Jamaika. Zu einer Zusammenarbeit kam es aber erst 1981. Diesmal agierte Lloyd Barnes als Executive-Producer.
Aber alles von Anfang an: Für „Playing It Cool & Playing It Right“ nutzte Keith Hudson das Bullwackies Studio. Lloyd Barnes ging mit Keith Hudsons Songmaterial sehr behutsam um, denn Keith hatte seinen ganz eigenen Sound und Barnes seinen typischen Wackies-Studio-Sound, der immer wieder Erinnerungen an Perrys Black Ark weckte. So ist ‚Bullwackies‘ Beitrag zum 1981er-Album eher als Austausch von Ideen, Ratschlägen und möglichen Entscheidungen zu verstehen. Auf dem Album, das fatalerweise seine vorletzte Veröffentlichung werden sollte, interpretierte Keith Hudson mit kreativer Unterstützung von Lloyd Barnes sechs seiner alten Rhythmen neu.
Der „Depth Charge“-Riddim aus „Pick A Dub“ findet sich hier in Form von „Trust & Believe“ und seinem Dub-Pendant „In I Dub“ wieder. Spätestens bei „California“/„By Night Dub“ nimmt das Album eine düstere Wendung, der Drive verändert sich merklich. Zwei Sängerinnen, The Love Joys, liefern die Backing Vocals, während Hudson von der „darkest Night on the wet-looking Road“ singt/spricht, die sowohl seinen Kopf als auch seinen Roadtrip umhüllt. Verzerrte Gitarren und düstere, zerbröckelnde Schlagzeugbeats rühren einen dichten Dub-Schlamm auf, der alle Wegweiser verdunkelt. Selbst im schleppenden Tempo bleibt die Landschaft diffus.
Bei „Not Good for Us“/„Formula Dub“ bekommen wir doppelt und dreifach gespieltes, bedrückend verstimmtes Gebrabbel und verrücktes Gekrächze. Hudson schreit „too much Formula ain’t good for my Head, ain’t good for the Dread“. Das Klavier stolpert hinterher, die verzerrten Gitarren drohen sich vom Band zu lösen, während der Beat immer wieder aus dem Bewusstsein herüber flackert.
In „Be What You Want to Be“/„Be Good Dub“ lässt Hudson Percussions und Gitarren endlos mitschwingen und nachhallen.
Am gefühlvollsten finde ich das letzte Stück „I Can’t Do Without You“, alleine der Text zeigt beeindruckend, wie viel amerikanischer Soul, Funk und Rock damals in Hudsons Produktionen eingeflossen sind. Im anschließenden Dub „Still Need You Dub“ hört man deutlich die Barrett-Brüder – Carlys unverkennbare Drums meine ich ganz eindeutig wahrzunehmen.

Das Album ist nur etwas mehr als eine halbe Stunde lang, hat aber einen spürbaren Vibe, der mich entfernt an Lee ‚Scratch‘ Perrys „Super Ape“ erinnert. Als Ganzes betrachtet macht mir Keith Hudson mit seinen Alben immer sehr viel Spaß, denn sie zeigen die (dunkle) Seite des Reggae, die man auf vielen populären Reggae-Alben so gut wie nie findet. Ich freue mich jedenfalls, dass zum 40. Todestag eines einzigartigen Künstlers ein echter Klassiker – eine psycho-akustische Reise in die Abgründe des Seins – wieder auf LP erschienen ist. Für die Einzigartigkeit dieses Albums gäbe es die volle Punktzahl, aber wegen der etwas holprigen Übergänge vom Song zum Dub gibt es leider ein Sternchen Abzug.

Bewertung: 4 von 5.

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Mick Dick: A Dub Supreme

John Coltranes „A Love Supreme“ gilt seit seiner Veröffentlichung 1965 als eines der besten Jazzalben aller Zeiten. In der Tat gibt es wohl kein Jazzstück, das so nachvollziehbar, intensiv und anziehend von spirituellen Gefühlen geprägt ist wie diese rund 33-minütige Suite in vier Sätzen: „Acknowledgement“, „Resolution“, „Pursuance“ und „Psalm“. Dieses Album ist der größte Beweis für das Genie eines Komponisten, dessen Virtuosität nur von der Faszination seiner Musik übertroffen wird.
Insbesondere in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren eröffnete das Album vielen Rockmusikern neue Wege und Perspektiven. So kam ich 1973 zum ersten Mal mit einer Adaption von „A Love Supreme“ von Carlos Santana & John McLaughlin in Berührung und war begeistert. Erst danach habe ich mich intensiv mit dem Original beschäftigt. Wenn jetzt die Adaption von Mick Dick für einige Interessierte den gleichen Effekt hat – umso besser.

Der mir bis dahin völlig unbekannte Regisseur, Produzent, Bassist, Sounddesigner und Dub-Künstler Michael „Mick“ Dick begann 1984 am Victorian College of the Arts in Melbourne Jazz und Kontrabass zu studieren. Er wurde Mitglied der MIA (Melbourne Improvisers Association) und entwickelte sich zu einem professionellen Musiker und Klangkünstler. Seit mehr als 30 Jahren tritt er auf, tourt und spielt mit einer Vielzahl von Künstlern verschiedenster Genres, darunter (Free)Jazz, Blues, Reggae, Afro, Latin und experimentelle Musik. Sein Doppelalbum ID of RA – eine Hommage an Sun Ra – erhielt in Australien eine Nominierung für den ARIA Award als bestes Weltmusikalbum 2023.
Fast 60 Jahre! später machte sich der australische Multiinstrumentalist beinahe im Alleingang daran, aus dem Jazzklassiker das Dub-Album „Mick Dick: A Dub Supreme“ zu machen. Dabei hat er die vier Teile des Originals beibehalten. Wie beim Original hat jeder Teil seine eigene Stimmung und Bedeutung. Aus „Acknowledgement“ wird „Dubknowledgement“ und die Eröffnungskadenz, eine einfache Melodie, die auch im Original aus nur vier Tönen besteht, wird in verschiedenen Variationen, Tonarten und Klangmanipulationen durchgespielt. Das Thema durchzieht den gesamten Track, der wie das Original in afrikanischen bzw. lateinamerikanischen Rhythmen gehalten ist. Teilweise klingt die Gitarre auch nach Juju-Musik aus Nigeria, deren bekannteste Vertreter King Sunny Adé oder Ebenezer Obey sind.
In „Dubolition“ setzt die Melodica dort ein, wo im Original „Tranes“ Saxophon zu hören ist. Insgesamt finde ich den treibenden Track spannend, auch wenn die Drum Loops von Prince Fattys Kumpel Horseman teilweise etwas einfallslos wirken. Dafür entschädigt mich „Dubonance“ voll und ganz. Das Schlagzeugsolo des Originals wird durch Percussion und Mbira (Kalimba) ersetzt. Mick Dick kreiert hier Klänge, indem er sie konstruiert und dekonstruiert und dem Moment erlaubt, durch Vibration und Resonanz eine Erzählung zu erschaffen. Eine Klanglandschaft, die dem jamaikanischen Vorbild am ähnlichsten ist. Mit dem mystisch klingenden „Dubness“ endet dieses höchst spannende Album mit einem Ausflug ins Trip-Hop-Genre der frühen 1990er.

Zusammengefasst ist dieses knapp 30-minütige Album mit den Worten von Mick Dick: „Eine vierteilige kulturübergreifende Reise, bei der sich Reggae-, Jazz-, Dub- und Trip-Hop-Grooves zu einer kinematischen Palette verbinden. Es vermischt jamaikanische Riddims, keltische Sufi-Beats, afrikanische Percussions und ethnische Instrumente wie Dholak und Kalimba in einem analogen Live-Mix, der dem Dub-Stil treu bleibt.“ Seine ganz persönliche Weltmusik-Dub-Hommage an John Coltranes „A Love Supreme“. Genau so isses! Seit langem mal wieder ein weiteres „Dubios Dub-Album“.

Bewertung: 4 von 5.
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Scientist: Direct-To-Dub

Vor über 44 Jahren habe ich mein allererstes Scientist-Album „Heavyweight Dub Champion“ zu Hause auf den Plattenteller gelegt – ein »Blindkauf«. Bereits nach den ersten Takten habe ich dieses Album geliebt. So etwas hatte ich noch nie gehört. Scientist zauberte aus Barrington Levys Song-Album „Robin Hood“ ein Dub-Album, wie es radikaler damals nicht hätte sein können. Zusammen mit dem Dreamteam Henry ‚Junjo‘ Lawes als Produzent, den Roots Radics und Scientist am Mischpult entstand ein satter, trockener Sound, den man so noch nie zuvor gehört hatte. Gerade fällt mir ein, dass Scientist auch zusammen mit Helmut Philipps auf dem Cover des Dub Konferenz Buches zu sehen ist. Warum wohl? Scientists Beitrag zum Dub ist meiner Meinung nach nicht einmal mit Gold aufzuwiegen, er hat ihn einfach radikal weiterentwickelt und auf ein neues Level gehoben. Viele Jahre und, wie man liest, rund 60.000 Aufnahmen später hat Hopeton Overton Brown alias Scientist bewiesen, dass er immer noch zu den einflussreichsten Persönlichkeiten des Dub gehört. Umso mehr freue ich mich, etwas Neues vom Großmeister auf die Ohren zu bekommen. Umgeben von analogem Vintage-Equipment entstand „Scientist: Direct-To-Dub“ (Night Dreamer) in einer Art und Weise, die an seine frühen Tage als Sechzehnjähriger bei King Tubby erinnert, wo alles begann. Für die Night Dreamer-Session versammelte Scientist Musiker aus der Londoner Reggae-Szene, darunter die Rhythmusgruppe Mafia (Bass) und Fluxy (Schlagzeug) von The Instigators, den Gitarristen Tony Ruffcut von Creation Rebel, den SingJay Donovan Kingjay, den Keyboarder Greg Assing von Jah Shaka oder den Twinkle Brothers und den Saxophonisten Finn Peters. Verstärkt wurde die Crew von Salvoandrea Lucifora, einem Posaunisten aus Amsterdam und Kopf der niederländischen Zebra Street Band, sowie den Backgroundsängerinnen Alyssa Harrigan und Peace Oluwatobi. Für die Aufnahmen nahm Scientist fast das komplette Studio auseinander und baute es nach seinen Vorstellungen wieder zusammen. Allein mit der Kick-Drum verbrachte er Stunden. Der High-Pass-Filter des Mischpults wurde neu verkabelt und zwei 18-Zoll-Subwoofer angebracht. Außer Fluxy am Schlagzeug versammelte Scientist alle Musiker im Regieraum und ließ den ganzen Raum unter den satten Bässen beben. So taucht er auf seinem neuen Album „Direct-To-Dub“ in diese längst vergangenen Zeiten ein. Für das Album wurden zunächst sechs Tracks mit den Top-Musikern aufgenommen. Anschließend mischte Scientist die Tracks in Echtzeit, wobei der Mix direkt auf eine Lackplatte aufgenommen wurde, von der dann die Vinyl-LPs gepresst wurden. Schon der Herstellungsprozess ist eigentlich eine Reise zurück in die 70er Jahre, denn das recht aufwändige Lackschnittverfahren wurde nur bis in die 80er Jahre zur Herstellung von Schallplatten verwendet. In einem Interview beschreibt Scientist diese Erfahrung als „zurück in der Zeit“. Der Meister am Mischpult spielt sein »Instrument« und weiß ganz genau, wann er etwas aus dem Mix herausnehmen oder behalten, ausdehnen oder wiederholen muss. Es gibt donnernde Bläser mit viel Hall, Snare-Knackser, die noch in Raum und Zeit widerhallen, während Bass- und Schlagzeugkicks dir einen Schlag auf den Solarplexus verpassen. Wir alle wissen, dass Dub in den falschen Händen zu einem undefinierbaren Brei werden kann, so als hätte jemand alle Effekte in eine Waschmaschine geworfen und auf das Beste gehofft. Aber unter der Obhut eines Meisters wie Scientist meint man zu wissen, wann nur ein Bächlein an Effekten aus den Boxen fließt und wann die Dub-Flut kommt. Jeder der sechs Tracks wird als erweiterter „Discomix“ präsentiert. Es gibt vier Songs im Showcase-Stil und zwei coole Dubs. Wie bereits weiter oben erwähnt sorgt für den Gesang der altgediente SingJay Donovan Kingjay, der seit den frühen 90er Jahren am Start ist und hier einige seiner Lieblingssongs neu aufnimmt, die alle vor etwa einem Jahrzehnt entstanden sind. „Missing You“ ist ein sanftes Liebeslied, das durch die Background-Sängerinnen Alyssa Harrigan und Peace Oluwatobi noch verstärkt wird. „Be Thankful“ wurde ursprünglich von Dougie Wardrop von Conscious Sounds produziert und ist ein aufrichtiger Rasta-Song, bei dem Scientists Soundspielereien die Bilder des Textes von Donner, Blitz und Vergeltung widerspiegeln. „Jailhouse“ befasst sich mit dem Thema Verbrechen und insbesondere Bestrafung. Es ist eine Kritik an den zunehmend schlechten Haftbedingungen, die wiederum die Gewinne und Dividenden derjenigen steigen lassen, die diese überfüllten Einrichtungen betreiben und besitzen. „Higher Meditation“ ist mit „a whiff of an Ital spliff“ eine klassische Ganja-Hymne. Beide Tracks erschienen erstmals auf Kingjays Album von 2014, auf dem auch Crucial Tony und Mafia & Fluxy zu hören sind.

Scientist schnitt die neuen Dubs in einem einzigen Live-Take auf Night Dreamers maßgeschneiderter Neumann-Schneidemaschine direkt auf die Platte. Wo andere sich unter Druck gesetzt fühlen, ist Scientist in seinem Element. Scheinbar mühelos und gekonnt nimmt Scientist die Dinge zurück und schafft Galaxien von Raum und Zeit zwischen den einzelnen Klangspritzern. Der Bass wummert und ist allgegenwärtig, die Orgel blitzt und blubbert. Die Blechbläser sind omnipräsent und verwandeln sich stellenweise in Notsirenen. Reich und raffiniert, mit unerwarteten und unvorhersehbaren Ausbrüchen von Wildheit und Radikalität, erinnert das Ergebnis an die Blütezeit des Dub und den verdienten kometenhaften Aufstieg eines genialen Soundengineers.

Bewertung: 4.5 von 5.

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Acoustic Vibes: Dub The Palace Prince Back Home

Heute werde ich den Beweis antreten, dass Reggae/Dub alle Kontinente der Erde erfasst und fest im Griff hat. Vom Südpazifik geht es direkt nach Schweden, in den hohen Norden der nördlichen Hemisphäre.

Vor einigen Jahren wandte sich Ras Teo, ein gebürtiger Schwede armenischer Abstammung, mit der Frage an Magnus „Daddy Natural“ Hjalmarsson: „Warum arbeiten wir nicht zusammen?“ Der Grund dafür war, dass der in Kalifornien lebende Ras Teo nach Hause kommen und ein Album mit schwedischen Musikern aus seiner Heimatstadt Uppsala machen wollte. Der Bassist, Produzent und Mann hinter dem Label King Solomon Productions ist Magnus „Daddy Natural“ Hjalmarsson. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der schwedischen Reggae-Pioniere Natural Way, die 1995 ein 17-Track starkes Album mit dem Titel „1924“ veröffentlichten. Also ließ „Daddy Natural“ seine Beziehungen spielen, trommelte ein paar Musiker zusammen und das Projekt „Coming Home“ mit Teodik Hartoonian alias Ras Teo konnte starten. Apropos Trommeln: Am Schlagzeug sitzt „Daddy Naturals“ Sohn Teodor Lindström alias „Junior Natural“. Der Kern von The Naturals besteht also aus Musikern aus Uppsala. Für die Backing Vocals sind einige schwedische Reggae-Acts wie z.B. Papa Dee und andere verantwortlich. Internationale Gesangsunterstützung kommt von Ashanti Selah und Roberto Sanchez, über dessen Label A Lone-Ark das Album vertrieben wird. Gleiches gilt für die Bläsersektion, die von Zoe Brown, Patrick „Aba Ariginal“ Tenyue und Trevor Edwards unterstützt wird.

Nach „Ras Teo & The Naturals: Coming Home“ folgt nun das Dub-Pendant „Acoustic Vibes: Dub The Palace Prince Back Home“ (King Solomon Records). Schon der erste Track „Dubkind“ beginnt mit einem schönen Nyahbinghi-Drumming, begleitet von einigen sehr schönen Flötenpassagen, die sich durch den ganzen Track schlängeln. Die eigentliche Magie des zweiten Tracks „Dub Timer“ kommt durch die Anklänge an andere Genres, wie z.B. die aus dem Jazz bekannten Blue Notes, die durch die Bläser ins Spiel gebracht werden. Natürlich könnte ich jetzt in diesem Stil weitermachen, aber ich möchte, dass ihr noch etwas zu entdecken habt. Das Album enthält unglaublich viele weiche, warme, soulige oder einfach nur schöne Klänge. Die Rhythmussektion ist immer pointiert, die gesamte Instrumentierung ist fantastisch. Butterweiche Leadgitarrenläufe, stoische Basslinien, wohltemperierte Bläser und eine etwas schräg klingende elektrische Orgel runden diesen herrlichen Sound perfekt ab.

Alles in allem ein Album, das ich schon viele Male mit wachsender Begeisterung gehört habe. „Dub The Palace Prince Back Home“ ist eine großartige Leistung aller Beteiligten. Es ist ein musikalisch mitreißendes Projekt, das von Roots über Dub zu Jazz, Soul und Nyabinghi und wieder zurück pendelt. Keine leichte Aufgabe, die hier aber mit Bravour gemeistert wurde. Gemastert wurde das Album von Tomas Boden, der hier sein ganzes Können zeigt und uns diese atemberaubende, nordisch unterkühle Platte schenkt. Ich mag diesen Sound – lasst ihn einfach auf euch wirken.

Bewertung: 4.5 von 5.

Trivia: Bisher wusste ich nicht, dass Ras Teos Familie direkte Verbindungen zu Haile Selassie I hatte. Laut Ras Teo wurde seine Familie nach dem Völkermord an den Armeniern 1915/16 von Haile Selassie aufgenommen und versorgt.

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Christoph El‘ Truento: Dubs From The Neighbourhood

Nach „Dubbin‘ Darryl: Textures“ folgt nahtlos ein weiteres Album aus dem Südpazifik, genauer gesagt aus Aotearoa, der heute am weitesten verbreiteten und akzeptierten Maori-Bezeichnung für Neuseeland. Christopher Martin James alias Christoph El‘ Truento ist für uns im Dubblog seit seinem Album „Peace Maker Dub“ kein unbeschriebenes Blatt mehr. Inzwischen hat sich Christoph El‘ Truento zu einem der besten Produzenten Aotearoas gemausert. Egal in welchem Genre – sein außergewöhnlicher Stil umfasst viele – El‘ Truento beweist immer wieder, dass es ihm in Fleisch und Blut übergegangen ist, denn er wandelt zielsicher durch die Genres und macht sie sich schlafwandlerisch zu eigen. Mit seinem neuen Album „Christoph El‘ Truento: Dubs From The Neighbourhood“ (Haymaker Records) macht er dort weiter, wo er 2019 mit dem Aotearoa Dub-Klassiker „Peace Maker Dub“ aufgehört hat und zollt den Erfindern des Dub durch seine einzigartige südpazifische Brille erneut Tribut. Das mit Spannung erwartete neue Album „Dubs From The Neighbourhood“ nimmt uns wie sein Vorgänger mit auf eine musikalische Reise, die von Roadtrips durch Kleinstädte, Sonnenschein, einsamen Stränden und tiefgrünen Urlandschaften inspiriert ist. Die Hörer erwartet ein an Komplexität gereifter Sound. Zu hören ist das klangliche Spiegelbild eines Künstlers, der ein Stück älter, reifer und weiser geworden ist. Während die idyllische Landschaft auf dem Cover typischerweise mit unbeschwerter Freude assoziiert wird, fügt das Album Details und Texturen hinzu, die auf die unvermeidliche Kehrseite von Trauer und Verlust hinweisen, die uns auf den Reisen und Unwegsamkeiten des Lebens widerfahren.

Insgesamt sind die Tracks des Albums stark vom Sound der 70er Jahre geprägt, haben aber gleichzeitig den einzigartigen psychedelischen Lo-Fi-Touch des Künstlers im modernen 2024-Stil. Lokale Einflüsse und der angenehm warme Sound des Dub-Maestros erweitern die Klangpalette. So erklingt im vorletzten Track des Albums „Things Done Changed“ eine Lap Steel Guitar, besser bekannt als Hawaii-Gitarre. Der Titeltrack erinnert an Perrys Arbeitsweise im Black Ark Studio und „Pep The Conqueror“ ist ein Remake des Cornell Campbell Klassikers „The Gorgon“, der einst auf Bunny ‚Striker‘ Lees Attack Label erschien. Wie schon auf dem Vorgängeralbum darf El‘ Truentos Sohn Pep auch diesem Klassiker seine Stimme leihen. Mit „Dubs From The Neighbourhood“ lässt El‘ Truento den Hörer von entspannten Sommertagen träumen, an denen man mit Freunden und einem guten Doobie am Strand oder am Flussufer abhängt und Gott einen guten Mann sein lässt. Auch Liebhaber des klassischen jamaikanischen Dub kommen auf ihre Kosten.

Bewertung: 4 von 5.
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Dubbin‘ Darryl: Textures (EP)

Reggae und sein Subgenre Dub haben sich bekanntlich über den ganzen Globus verbreitet und so ist es nicht verwunderlich, dass auch aus „Down Under“ hochinteressante Reggae & Dub Alben erscheinen (siehe Rezension „Nachur“). Nachdem die Springtones bereits die Reggae-Version des Kings Go Forth Kulthits „High On Your Love“ als One Drop und Dub-Version veröffentlicht hatten, folgte die Dad Bod Dubs Interpretation von „Sweet Dreams“ der Eurythmics. Präsentiert wurde das Ganze vom australischen Dub-Label Cry No More Recordings, das nun das Debütalbum von „Dubbin‘ Darryl: Textures“ veröffentlicht.
Inspiriert von der funkigeren Seite des instrumentalen Reggae, verleiht Dubbin‘ Darryl Keyboards, Orgel und Melodica seine ganz eigene Note und schafft so ein fesselndes musikalisches Erlebnis.
Die EP „Textures“ ist eine nur vier Songs umfassende psychedelische Reise durch Dub-Rhythmen mit supercoolen Jazz-Vibes. Dubbin‘ Darryl zeigt uns überzeugend, dass er mühelos tief in eine Welt aus Echos eintauchen kann. Direkt aus einem Schuppen in Witchcliffe, Südwestaustralien, kommt er mit einem eindringlichen Schwall halliger Echos über perlenden Percussions und groovenden Guiro-Beats. Darryl, der auch als Schlagzeuger der Improvisations-Dubband Dad Bod Dub bekannt ist, lässt sich von der funkigeren Soul-Seite des instrumentalen Reggae inspirieren und fügt mit verfremdeten Keyboards, Orgel und Melodica seine eigene musikalische Note hinzu. Heute nur ein Beispiel: „Muckaround Dub“ klingt, als hätte der legendäre Lee ‚Scratch‘ Perry seine magischen Finger mit im Spiel gehabt. Oder ist es doch nur ein sirenenartig gedubter Hahn, der aus den Feldern widerhallt?


„Textures“ ist die dritte Veröffentlichung des neuen australischen Dub-Labels Cry No More Recordings das von den Lebenspartnern Kellie Bennett (Bass, Guitar, Horn Samples & Production) und Clay Chipper (Beats, Guitar, Keys, Horn Samples & Production) gegründet wurde. Hier können sie ihrer Liebe zu Reggae- und Dub-inspirierten Klängen mit einer Prise Soul und Funk frönen.
Was mir zusätzlich größten Respekt abverlangt ist die Tatsache, dass alles nachhaltig produziert wird. Kellie und Clay sind der Meinung, dass gute Musik nicht die Welt kosten muss, deshalb pressen sie auf 100% recyceltem Vinyl, verwenden recycelte Verpackungen und betreiben ihr kleines Unternehmen mit Solarenergie. Außerdem respektieren und unterstützen sie die Ältesten der Whadjuk und die Gemeinschaften der First Nations. Raspekt!

Bewertung: 4 von 5.
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Roman Stewart: Give Thanks ‚Showcase‘

Obwohl er es mehr als verdient gehabt hätte, stand er nie in der ersten Reihe der erfolgreichen jamaikanischen Sänger. Aus diesem Grund sind die Informationen über ihn sehr spärlich. Dennoch wage ich eine These: Ohne Roman Stewart hätte es keinen Dennis Brown gegeben. Wie man in der einschlägigen Literatur nachlesen kann, hat Roman Dennis das Singen beigebracht. Die stimmlichen Ähnlichkeiten sind in der Tat frappierend, man schließe die Augen und lausche. Wen hört man? Nein, nicht den jungen Dennis Brown, sondern Roman Stewart mit einem „verschollenen“ Album. Ganz abgesehen davon, dass „Roman Stewart: Give Thanks ‚Showcase‘ “ (Thompson Sound) nie als Album konzipiert war. Einige Titel wurden bereits 1979 von Linval Thompson auf seinem Label Thompson Sound als Singles oder Maxi-Singles veröffentlicht und waren seitdem nie wieder erhältlich. Außerdem sind drei unveröffentlichte und völlig neue Tracks und ihre Dub-Versionen zu hören: Give Thanks, Give Thanks Dub, I’m In A Bad Mood, I’m In A Bad Mood Dub, Hello Baby und Hello Baby Dub.

Seine Karriere startete der 1957 geborene Roman Stewart, als kleiner Junge auf der Straße und am Pier, wo die Kreuzfahrtschiffe anlegten. Dort sang er für die Touristen, und sein Freund Freddie McGregor sammelte das Geld ein, das die Leute zu geben bereit waren. Roman war 1968 gerade 11 Jahre alt, als er seine erste Aufnahme „While I Was Walking“ als Romeo Stewart And The Tennors With Tommy McCook And The Supersonics aufnahm. Im Jahr 1974 hatte Roman seinen ersten Hit „Hooray Festival“. Ein Song aus der Feder seines älteren Bruders Neville alias Tinga Stewart und Willie Lindo. Nach seinem ersten Durchbruch gelang ihm 1976 mit dem von Tommy Cowan produzierten „Hit Song“ ein weiterer Erfolg.
Im Großen und Ganzen waren die frühen 1970er Jahre eine erfolgreiche Zeit für Roman. Er begann, neue Songs für bekannte Produzenten wie Glen Brown (Never Too Young), Derrick Harriott (Changing Times), Everton Da Silva (Rice & Peas), Phil Pratt (Fire At Your Heel) und Linval Thompson aufzunehmen. Obwohl er 1976 in die USA emigrierte, hielt er stets engen Kontakt zu seinem Heimatland und machte dort weiterhin zahlreiche Aufnahmen. Man sagt, „Rice and Peas“ sei sein bekanntester Song, den er 1979 auch für Linval Thompson aufnahm. Insgesamt nahm er mehr als 70 Singles und eine gute Handvoll Alben auf und konnte auf eine mehr als 30 Jahre währende Karriere zurückblicken. Am 25. Januar 2004 starb Roman alias Romeo oder Romie Stewart im Alter von nur 46 Jahren an einem Herzinfarkt. Am Abend zuvor hatte er ein Konzert seines guten alten Freundes Freddie McGregor besucht. Danach ging Roman zu einer Geburtstagsfeier, wo er noch zwei Lieder sang. Als Roman sein drittes Lied singen wollte, soll er das Mikrofon ausgeschaltet und über Schmerzen in der Brust geklagt haben. Später brach er zusammen und wurde ins Krankenhaus gebracht, wo er im Koma lag und am nächsten Tag starb.

Über zwanzig Jahre nach diesem tragischen Ereignis kommt nun Linval Thompson mit den verschollenen geglaubten Bändern um die Ecke. Der Gesang von Roman Stewart und die kraftvollen Riddims der Roots Radics Band wurden im Channel One Recording Studio der Hookim Brüder in der Maxfield Avenue in West Kingston, Jamaika, aufgenommen. Wie gesagt, Linval Thompson fand die Originalbänder und beauftragte Roberto Sánchez, sie in seinem A-Lone Ark Muzik Studio im spanischen Santander neu abzumischen. Dank der sachkundigen Konservierung des analogen Vintage-Sounds fühlt sich der Hörer in die frühe Dancehall-Ära zurückversetzt. Der kraftvolle Titeltrack „Give Thanks“ ist ein klassischer Roots-Song, der noch nie zuvor veröffentlicht wurde. Der Track und sein Dub-Pendant bieten einen fantastischen, basslastigen Riddim. Mit „Baby Come Back“ wendet sich Roman Stewart einem Liebeslied zu. Der Song wurde ursprünglich in England als 12? Vinyl von Cool Rockers veröffentlicht, einem kurzlebigen Ableger von Greensleeves Records, der sich auf Lovers Rock konzentrierte. Als Begleitband wurden The Revolutionaires genannt. Dass Roman sowohl in der Roots- als auch in der Lovers-Sparte des Reggae zu Hause ist, zeigt er überdeutlich. „Mr. Officer“ ist ein Stück, in dem es um die Probleme geht, die der Besitz des grünen Krauts (Herb, Lambsbread, Ganja, Kaya, Collie) mit sich bringt. Die restlichen Tracks auf dieser LP beschäftigen sich eher mit Herzensangelegenheiten, insbesondere mit Problemen, die zu Komplikationen in Beziehungen führen. Jeder Track hat seine eigenen Vorzüge und ist es wert, mehr als nur einmal gehört zu werden. Gesanglich glänzt Roman Stewart bei jedem Stück, und auch die schwergewichtigen Dubs von Roberto Sánchez sind ein echter Hörgenuss. Ein weiteres Mal hat der Dubmaster aus Nordspanien demonstriert, dass er erfahren genug ist, aus historischen Aufnahmen ein zeitgemäßes Album mit dem klassischen Sound des goldenen Zeitalters des Reggae zu schaffen.

Bewertung: 4 von 5.