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Dub (R)evolution Review

Dub Evolution, August 2010

Wer glaubte, die Evolution des Dub wäre mit der „Natural Selection“ abgeschlossen, irrte, denn nun präsentiert uns Greensleeves den „Missing Link“, also Vol. 5 der „Evolution Of Dub“-CD-Box-Serie (Greensleeves). Trotz fortgeschrittener Evolution befinden wir uns zunächst immer noch in Mitten der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts und zwar beim Musiker und Produzenten Ossie Hibbert. Er steuert zwei der vier Alben der Box bei: „Earthquake Dub“ und „Crueshal Dub“ (sic!).

„Earthquake Dub“ erschien auf dem Label von Joe Gibbs, nachdem Ossie es ihm im Tausch gegen ein Auto (Errol Thompsons Auto!) überlassen hatte. Im „Reggae: The Rough Guide“ wird es als „militantere Fortführung der „African Dub“-Serie“ beschrieben, was den Nagel ziemlich auf den Kopf trifft. Zu hören gibt es den klassischen, wohlbekannten und allseits beliebten Professionals/Aggrovators/Revolutionaries-Sound, dominiert von Sly Dunbars immer wieder faszinierenden Drumpatterns. Uptempo, leicht und doch auch zielstrebig, bestimmt und geradeaus. Ganz im Stile der Zeit, gibt es vornehmlich Wiederauflagen klassischer Rhythms zu hören wie z. B. „Pick Up The Pieces“ von den Royals oder „Declaration of Rights“ der Abyssinians.

Das zweite Ossie-Album der Box, „Crueshal Dub“, ist so obskur, dass selbst Ossie himself sich kaum noch erinnern kann, wie es zu Stande kam. Soundtechnisch liegt es eindeutig vor „Earthquake Dub“ und konzentriert sich auf die Wiederbelebung alter Studio One-Rhythms. Weniger stark und eigenständig als „Earthquake“, weiß es jedoch durch schöne, kunstvolle Dub-Mixes zu überzeugen.

Die anderen beiden Alben der Box sind ein Novum der Serie, da mit ihnen der Sprung nach England gewagt wird: „King Of The Dub Rock Part 1“ und „Part 2“. Insofern ist der Box-Titel „The Missing Link“ ja verdammt clever gewählt. Produzent beider Alben ist der britische Sound-Man Lloyd Blackford a.k.a. Sir Coxsone Sound. In den sechziger Jahren benannten sich viele britische Sound Systems nach ihren jamaikanischen Vorbildern. Und da Blackfords ärgster Widersacher sich nach Duke Reid benannt hatte, wählte Blackford folgerichtig den Namen von Clement Coxsone Dodd. „King Of The Dub Rock Part 1“ erschien 1975 und enthielt Rhythms von Dennis Bovell und Gussie Clarke. Blackford mischte die Dubs selbst und verlieh den recht unterschiedlichen Sounds so eine gewisse Einheitlichkeit. Das Album ist aus historischen Gründen als „Missing Link“ durchaus interessant, bleibt aber hinsichtlich des Hörvergnügens weit hinter „Part 2“ zurück, der erst sieben Jahre später erschien (und damit den Sprung in die 1980er Jahre vollzog). Ich hatte mir das Album im Jahr seiner Erstveröffentlichung gekauft und war einerseits fasziniert von dem satten Klang, den starken Bläsersätzen und den schönen Melodien, andererseits war ich aber auch ziemlich irritiert von den Space-Invaders-8-Bit-Sounds, die wahllos in die Tracks gemischt waren. Zum Glück wurden diese Overdubs inzwischen entfernt, so dass sich die originalen Dubs hier in ihrer ganzen ungetrübten Schönheit genießen lassen. Nach meinem Geschmack war der Old School Dub zur Entstehungszeit dieses Albums auf seinem künstlerischen Höhepunkt – nur um kurze Zeit später in Jamaika auszusterben. Ich bin gespannt, ob die Boxenserie nun mit Jah Shaka und Mad Professor in England weiter geführt wird. „Escape To The Asylum Of Dub“ wäre doch eine perfekte Fortsetzung …

Wie wäre es mit ein wenig Dub aus Australien? Der gebürtige Brite Brian May werkelt down under an diversen Musikstilen herum, die alle eines verbindet: Dub. Unter dem Pseudonym Beam Up hat er nun das Album „Terra Sonica“ (beamingproductions.com) veröffentlicht auf dem er Dubs präsentiert, die sich stilistisch nicht in ein Genre packen lassen, aber alle den Gesetzen des Dub gehorchen. Das Spektrum reicht von Worldmusic über Reggae bis Dubstep. Nach meinem Geschmack sind genreübergreifende Experimente ja prinzipiell spannend, hier aber will der Funke nicht so recht überspringen. Die Mixe sind brillant, allein an den Rhythms hapert‘s. Die könnten etwas mehr Groove gebrauchen.

Angenehm traditionell geht es hingegen auf dem neuen Album von Aldubb zu: „Aldubb Meets Ras Perez“ (MKZwo Records). Da weiß man, was man hat! Schöne Roots-Dubs, ganz unaufgeregt, ohne Anspruch auf einen Innovationspreis, einfach nur fette Basslines, große Echo-Chambers und ein schöner Old-School-Sound. Entstanden sind die Aufnahmen während vieler Probe-Sessions im hauseigenen Berliner Studio von Aldubb. Drums und Percussion hat der Dub-Meister himself eingespielt, Ras Perez übernahm den Rest. Ein Album, das gewissermaßen unbeabsichtigt entstanden ist. Beim Jammen ließen die Beiden einfach das Band mitlaufen: „Irgendwann waren es so viele Dubs, dass es einfach mal auf CD musste.“ Richtige Entscheidung! Ist ein gutes Album geworden.

Dubstep darf nicht fehlen – vor allem nicht, wenn er von Kanka kommt, jenem französischen Steppers-König, der zuletzt mit seinem Album „Don‘t Stop Dub“ unsere Nachbarn aus dem Bett katapultierte. Unter dem Pseudonym Alek 6 hat er nun das Dubstep-Album „Inside“ (Hammerbass.fr) vorgelegt, das kompromisslos hält, was wir uns von Kanka versprechen, nämlich Bass, Bass und Bass. Drum herum erklingen jetzt allerdings, anders als gewohnt, nur wenige Offbeats – statt Warrior-Style gibt es düstere Elektronik und rigiden Minimalismus. Gelegentlich lodern ein paar Jungle-Breakbeats auf, ansonsten hält sich der Ideenreichtum allerdings in Grenzen. Doch wer braucht für eine betäubende Bass-Dröhnung schon Ideen? Hauptsache die Hose flattert.

Zum Abschluss noch etwas leicht obskures, nämlich ein polnisches Dub-Album von einer Band namens DUP!: „Dup! Session In Something Like Studio“ (dupmusic.com). Das gesamte Presseinfo besteht aus diesen zwei Sätzen: „Wir heißen Dup und präsentieren stolz unser erstes Album. Wir spielen Dub-Musik und unser wichtigster Einfluss ist der Oldschool-Sound alter jamaikanischer Aufnahmen“. Knapp, aber präzise. „Old-School-Dub“ trifft die Sache ganz gut: Dubs, die fast live gespielt klingen, voller Atmosphäre, mit virtuosen Percussions und richtig schönen Basslines. Und natürlich mit Tubby-mäßigen Mixen und extra-sauberem Sound.

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Dub (R)evolution Review

Dub Evolution, Juni 2010

Und da sind sie wieder. Nach 14 Jahren Stille, gab‘s vor acht Monaten mit „Sonn und Mond“ das definitiv spannendste Dub-Album des Jahres zu hören. Und nun folgt mit „We So Horny“ schon ein weiteres Werk von Hey-O-Hansen! Was ist in die beiden Tiroler und Wahl-Berliner gefahren? Sind Michael Wolf und Helmut Erler von der Muse geküsst worden? Wenn man den kreativen Gehalt ihrer Alben zu Grunde legt, dann muss diese Frage zwingend bejaht werden. Etwas so Ungewöhnliches, Schräges und doch absolut Stimmiges ist mir ist schon seit langer Zeit nicht mehr untergekommen. Keine Sorge, wir haben es hier nicht mit verkopften Studio-Experimenten zu tun, sondern mit, wenn auch merkwürdig verschroben, so doch ganz wunderbar groovenden Dubs. Es sind Dubs, die mit Nachdruck zeigen, welch enorme kreative Spielräume das Genre bietet, und wie diese überzeugend genutzt werden können. Anders als „We So Horny“ war der Vorgänger „Sonn und Mond“ das Destillat aus 14 Jahren Dub-Forschungsarbeit und hinsichtlich des Ideenreichtums kaum zu überbieten. „We So Horny“ enthält hingegen gänzlich neues Material und opfert zwangsläufig die Vielfältigkeit des Vorgängers einer größeren stilistischen Geschlossenheit. Während „Sonn und Mond“ mit jedem Track eine andere Überraschung bot, ermöglicht es „We So Horny“, sich in den merkwürdigen (angeblich von Tiroler Volksmusik und ihrem eigenwilligen Offbeat beeinflussten) Dub-Sound der beiden Studio-Frickler einzuhören. Und was macht den Sound so eigenwillig? Gar nicht so einfach zu sagen. Vielleicht lässt es sich mit dem Begriff der „Künstlerischen Widerborstigkeit“ am besten beschreiben. Hier klingt nichts „glatt“ oder konventionell. Im Gegenteil. Die Frage lautet: Wie viel Dub-Konvention darf man über Bord werfen, ohne dass die Musik aufhört Dub zu sein? Hey-O-Hansens Antwort lautet: alles außer Echo, Bass und Offbeat. Und das Erste, was hier über Bord geht, ist das klassische Instrumentierungsschema. Deshalb hören sich die Hey-O-Hansen-Dubs zunächst falsch gespielt an, nur um im nächsten Moment folgerichtig und zwingend zu klingen. Allein schon der massive Einsatz von Blasinstrumenten ist außergewöhnlich. Hinzu kommt eine eigenwillige Mischung aus elektronischen Sounds (à la Basic Channel) und handgespielten, akustischen Instrumenten sowie eine simple, aber doch irgendwie vertrackte Polyrhythmik. Wirklich beschreiben lässt sich Hey-O-Hansens Musik nicht. Nur eines lässt sich ganz klar sagen: Sie ist großartig.

Machen wir direkt weiter mit schräger Dub-Mucke: „Japanese Dub“ (30 Hertz) von Jah Wobble & The Nippon Dub Ensemble. Das letzte, was ich von Mr. Wobble gehört habe, war sein „Chinese-Dub“-Album „Mu“ von 2005. Mit „Japanese Dub“ knüpft er nahtlos an, wo er mit „Mu“ aufgehört hat. Er ist lediglich ein kleines Stückchen weiter gen Osten gezogen. Statt des chinesische Zeichens „Mu“ prangt nun das japanische „Ma“ auf dem Cover. Die Bedeutung ist die selbe: Leere, Abwesenheit – ein in der Zen-Meditation wesentlicher Begriff – und da Dub per se meditative Qualität hat, ist er natürlich prädestiniert für Jah Wobbles esoterische Exkursionen. Diesmal führt sie uns zu ritueller Shinto-Musik, Taiko-Trommeln und Shamisen-Klängen. Die Basis aller Stücke des Albums ist stets Wobbles grollender Bass und nicht selten auch von ihm programmierte Beats (natürlich auf japanischem Equipment). Das funktioniert gar nicht schlecht, zumal Wobble sich des öfteren auf Reggae-Beats stützt. Richtig abgefahren ist der traditionelle japanische Gesang. Wer hier nicht open minded ist, der dürfte einen Schock davon tragen. Dabei ist das intonierte Lied („Kokiriko“ – angeblich das älteste Lied Japans) eigentlich sehr schön und hat eine – selbst für westliche Ohren – unglaublich eingängige Melodie. Jah Wobble war so besessen von diesem Lied, dass er es gleich vierfach, gewissermaßen als Version Excursion, aufs Album gepackt hat. Außer diesem Lied, gibt es aber noch andere nette Dinge zu entdecken: Pentatonische und chromatische Tonleitern, Kabuki-Gesang und dröhnende Trommeln zum Beispiel. Jah Wobble schont seine Zuhörer nicht – aber genau das bietet ja die Chance auf neue Entdeckungen. Und dafür danken wir Mr. Wobble-bass.

Letztes Jahr erschien das Debutalbum von Dubkasm, „Transform I“ (Sufferah‘s Choice), ein dunkles, geheimnisvolles Dub-Roots Werk mit Gastvokalisten wie African Simba, Dub Judah und, interessanter Weise, auch brasilianischen Sängern jenseits der Reggae-Szene. Nun liegt mit „Transformed in Dub“ (Sufferah‘s Choice) die Dub-Version des Albums vor. Diese ist noch dunkler, noch intensiver, noch schwerer und – nach meinem Gefühl – auch noch interessanter geworden, denn hier gilt alle Aufmerksamkeit der Musik, dem Sound, den Finessen des Mixes. Hinter Dubkasm stecken zwei Jungs aus Bristol, Digidub und DJ Stryda, die sich schon seit Kindestagen (nach dem Besuch einer Show von Jah Shaka) ganz dem „orthodoxen“ Roots-Dub verschrieben haben. Daher darf man von den beiden keine neuen Dub-Erkenntnisse erwarten, sondern eher die liebevolle Pflege der guten, alten Dub-Tradition. Wie sehr sich die beiden Bristol-Dubber über ihr neues, analoges Mischpult freuen, lässt sich auf dubcasm.com in einem netten, kleinen Filmportrait sehen.

Ok, Dreadzone. Bei diesem Namen erwachen in mir Erinnerungen an die frühen 90er Jahre, Erinnerungen an ein riesengroßes Aha-Erlebnis, als ich auf dem Dreadzone-Album „360 Degrees“ zum ersten Mal das Crossover von Leftfield und Roots-Dub hörte. In der Folge erschienen von Dreadzone weitere sagenhafte Alben, die nicht nur die nächst höhere Evolutionsstufe von Dub präsentierten, sondern auf denen auch grandiose Songs und wahnsinnig eingängige Melodien erklangen. Daher muss ich wohl kaum erwähnen, dass ich die neue CD „Eye On The Horizon“ (Dubwiser Records/Soulfood) mit zitternden Fingern auspackte. Was dann kam, lässt sich vielleicht als eine Folge von Verwirrung, Enttäuschung und schlussendlich Gefallen beschreiben. Fest steht, dass das neue Album die gigantische Erwartungshaltung nicht einlösen kann. Es schließt zwar – vor allem was Songmelodien und Arrangements betrifft – an „Second Light“ oder „Biological Radio“ an, schafft es aber nicht auf das Niveau dieser Alben. Während diese auf virtuose Weise Techno/Dance, Leftfield und Pop unter der Vorherrschaft von Dub vereinten, steuert „Eyes On The Horizon“ ganz klar durch Pop- und nicht selten sogar durch Rock-Gewässer. Auch wenn der Titel „Eyes On The Horizon“ anderes vermuten lässt, haben sich Greg Dread & Co seit den vorgenannten Alben aus den 90er Jahren, aber auch seit dem 2005 erschienenen „Once Upon A Time“, nicht wirklich weiterentwickelt. Es ist zwar böse, so etwas zu schreiben, aber ich habe das Gefühl, dass Dreadzone bei ihrem neuen Album ein wenig zu sehr in Richtung Chart-Erfolg geschielt haben. Sicherlich ist diese Kritik ein Klagen auf hohem Niveau. Unzählige Dub-Producer würden dem Himmel danken, wenn sie nur annähernd ein Album in der Qualität von „Eye On The Horizon“ fabrizieren könnten. Denn: lässt man alle Erwartungshaltungen und Vorurteile über Pop und Rock hinter sich, so wird plötzlich offensichtlich: Das neue Dreadzone-Werk ist gut. Und woran merkt man es? Schlicht und einfach daran, dass man es immer wieder auflegt und Spaß hat, es anzuhören.

Nachdem wir nun schon einige Male das „absolut letzte Volume“ der King Size Dub-Serie hinter uns haben und letztes Jahr mit „Vol. 69“ ein Sampler „außerhalb der Reihe“ ins Haus flatterte, gibt es nun: „King Size Dub Chapter 13“ (Echo Beach) – und, das ist das Schöne an Traditionen, wieder mit einem Ruts DC-Remix. Aber – jetzt mal ganz im Ernst –, ich bin froh, dass Echo Beach die legendäre Serie fortführt, denn die Sampler (Vol. 1 erschien 1995!) bieten stets eine höchst geschmackssichere Auswahl aktueller Produktionen. So auch Chapter 13, wo uns diesmal, neben einer Menge hauseigener Artists wie Noiseshaper, Up, Bustle & Out, DubXanne, Dub Spencer & Trance Hill oder Dubblestandart, auch Tracks von Dreadzone, The Vision, Aldubb oder Herbst in Peking zu gehör gebracht werden. Eine hervorragende Selection – Echo Beach weiß eben, wo der Bass spielt.

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Dub (R)evolution Review

Dub Evolution, April 2010

Hinter dem schönen Namen Jahtari verbirgt sich ein kleines Label aus Leipzig, das vor einigen Jahren als Experiment gestartet ist und sich zunächst – wie der Name vermuten lässt – dem 8Bit-Sound früher Computer wie Atari und dem C64 mit seinem berühmten dreistimmigen SID-Soundchip verschrieben hatte. Das Experiment bestand darin, eine so beseelte Musik wie Reggae mit Hilfe von mathematischen Algorithmen zu spielen. Ein Experiment übrigens, das King Jammy und Steely & Cleevie bereits Mitte der 1980er Jahre gelungen war. Doch während Jammys „Computerized Reggae“ aufgrund des Unvermögens damaliger Computertechnik retortenmäßig „digital“ klang und dieses Stadium mit der Verfügbarkeit besserer Soundchips alsbald überwunden wurde, ist für Jan Gleichmar, dem Gründer und Chef von Jahtari, genau dieser Sound das Ziel allen Strebens. Er hat ihm das Jahtari-Label auf den Leib geschneidert und sammelt hier seine eigenen Produktionen wie auch die Gleichgesinnter Laptop-Frickler. Die „Jahtarian Dubbers“-Alben, dessen zweites Kapitel jetzt ganz frisch vorliegt, sind so etwas wie die Manifeste dieses Sounds. „Jahtarian Dubbers, Vol. 2“ (jahtari.org/) präsentiert uns nun 13 Tracks vollsynthetischen „Digital Laptop Reggaes“, durch etliche Software-Echo-Chambers gejagt und mit Space-Invaders-Sounds angereichert. Manche Stücke bieten zudem grundsolide Vocals wie z. B. „Puff That Weed“, auf dessen pluckernden Bit-Folgen die virtuose Soom T reitet wie auf einem rasenden Bobby-Car. Vor dem geistigen Auge sieht man billige Netbooks heißlaufen und China-iPhone-Clones vibrieren. Und genau hier liegt der Reiz dieser schrägen Musik: Das (absichtlich) primitive Instrumentarium sondert richtig echte, wirkliche und wahrhaftige Reggae-Tunes ab. Fetter Bass, steifer Offbeat, solide Drums und groovender Beat. Der ganze Klangkosmos „Reggae“ schrumpft hier auf seine minimalen, konstruktiven Elemente – und klingt dabei auch noch richtig gut. Super Mario trifft auf Basic Channel, reggaewise. Nur ein interessantes Experiment, oder gelungene Musik, die auch ohne mitgelieferte Theorie bestehen kann? Die Antwort lautet: 42!

Dub-Reworkings bekannter Pop-Songs sind offensichtlich en vogue. Easy Star Records hat sich bereits Pink Floyd, die Beatles und Radiohead vorgenommen, Echo Beach unterzog The Police einer eingehenden Verdubbung und nun trifft es mit „Shatter The Hotel“ auch den ehemaligen Clash-Sänger Joe Strummer. Ausgelöst wurde diese Welle von „Dub Side Of The Moon“, einem Album, das seit 2003 unglaubliche 90.000 mal verkauft wurde. Je bescheuerter das Konzept, desto erfolgreicher, scheint es. Und da Konzepte dieser Art leicht zu erdenken sind, versucht jeder mal sein Glück. Dies ungefähr waren meine Gedanken, als ich „Shatter The Hotel“ (www.strummerville.com) in die Finger bekam. Fast schon widerwillig hörte ich rein. OK, das war passabel. Nach dem zweiten Hören war es dann schon ganz in Ordnung. Beim dritten Hören ertappte ich mich dann schon beim Mitsingen. Mittlerweile – muss ich zugeben – bin ich ganz angetan von Joe Strummers posthumem Dub-Tribute. Das große Plus des Albums ist schlicht und ergreifend die solide Songbasis. Richtige Ohrwürmer sind das! Umgesetzt in saubere, funktionale und unaufgeregte Dub-Versions kann man nichts dagegen sagen. Angetrieben durch die eingängigen Melodien und häufigere Gesangsbegleitung ist hier so etwas wie guter Pop-Dub-Reggae entstanden. Anders als bei den oben genannten Alben, wurden die Stücke auf „Shatter The Hotel“ nicht alle von einer Band eingespielt, sondern von bekannten wie unbekannten Produzenten der internationalen Reggae-Szene beigesteuert.  So macht der unfehlbare Dubmatix aus Kanada mit „London Calling“ den Anfang, wird dann von Dub Antenna, den Creation Rockers und den Dub Cats sowie einer Reihe weiterer unbekannter Produzenten/Bands gefolgt. Sound und Style gleichen sich aber so sehr, dass sich alles zu einem homogenen Album verbindet – um es positiv auszudrücken. Die Verkaufserlöse gehen übrigens an die Joe Strummer-Stiftung, die junge Musiker fördert.

Anfang des neuen Jahrtausends veröffentlichten Mafia und Fluxy eine Albenserie unter dem Titel „Reggae Heights“, in der sie alte Vocals auf von ihnen neu eingespielte Backings kopierten. Ein Album der Serie war Barry Browns Oeuvre gewidmet und präsentierte sieben Dubs als Bonus-Material. Wem das zu wenig war, der hat jetzt die Möglichkeit mit dem Album „Barry Brown In Dub“, das nur als digitaler Release erhältlich ist, weitere sechs Dubs zu erwerben. Und da die beiden britischen Rhythm-Brothers wirklich grundsolide Instrumental- und Mixarbeit geleistet haben, ist diese Anschaffung wärmstens zu empfehlen. Und wer dann noch mehr Dub-Stoff braucht, der kann mit „Dub Anthems“ gleich zur vollen Dröhnung greifen. Hier bieten Mafia & Fluxy gleich 15 ihrer besten Dubs aus jener Zeit. Fette, fette, fette Tracks, deren massive Basslines die Teller vom Tisch vibrieren. Einen Innovationspreis gibt es zwar nicht aber die Dub-Handwerkskammer vergibt eine Auszeichnung für herausragende Verarbeitungsqualität (gesponsert von der Porzellanindustrie). Hier wird so mancher alte, gut bekannte und lieb gewonnene Riddim zu Gehör gebracht („Anthems“ halt) wie z. B. „King Tubby Meets Rockers Uptown“, Marleys „Forever Loving Jah“, „Open The Gate“, „Warriors Charge“ und natürlich „Realrock“.

Bevor unsere vergnügliche Dub-Stunde zu Ende geht, werfen wir noch einen Blick in die Revival-Selection und finden hier wieder einmal ein ultra-rares Album, das (wie sollte es anders sein) das Pressure Sounds Label für uns ausgegraben hat: „Prince Jammy Presents Strictly Dub“ (www.pressure.co.uk). Aufgenommen in den späteren 1970er Jahren und Anfang der 1980er in Kleinstauflage in New York erschienen, bietet es uns einen Einblick in Jammys Frühwerk, das noch an Tubbys Mischpult in der Dromilly Avenue entstanden ist. Produziert, arrangiert, gemixt und geremixt wurde es vom Prince himself, eingespielt von Jamaikas Cream der Session-Musiker jener Zeit: Sly & Robbie, Ansel Collins, Gladstone Anderson, Bobby Ellis, Deadly Hedley, Sticky Thompson (u. a.). Eine illustre Combo, die hier schöne Versionen klassischer Rhythms wie etwa „Baba Boom“, Ali Baba“ oder „Shenk I Sheck“ zum Besten geben. Interessant sind die Titel der Stücke: „Brookly Dub“, „Bronx Fashion Dub“, „Immigrant Dub“ oder „42nd Street Dub“. Marketing jamaica-wise, denn die Veröffentlichung des Album war schließlich für New York vorgesehen. Und wie hört es sich an? Gut! Nicht spektakulär, aber sehr schön. Dank der Klassiker stimmt die Basis und Dank der brillanten Musiker stimmt auch die Umsetzung. Locker, uptempo gespielt, luftiger Klang, volle Arrangements mit sehr, sehr schöner Percussion. Jammys Mix ist nett und angemessen. Richtig spannend wird es dann bei den beiden Bonus-Tracks, die aus einer – laut Presseinfo – „etwas späteren Periode“ stammen. Sie klingen geradezu experimentell im Vergleich zum Rest. Heftigerer Sound, ordentlich Druck und ein charmanter Distortions-Effekt, der zwischen die Beats fährt. Da hat Jammy in kurzer Zeit offenbar viel dazu gelernt.

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Review

Neue Alben: Umberto Echo und Aldubb

Dub The World

Nachdem Umberto Echo vor drei Jahren noch mit dem Dubtrain durch deutsche Lande brauste, begibt er sich mit seinem neuem Album nun auf Weltreise: Dub The World (Echo Beach). Laut eigener Aussage hat der junge Münchner Produzent und Multiinstrumentalist Phillip Winter aka Umberto Echo auf mehr als 80 Alben mitgewirkt, alle Genres von Rock über Klassik und Jazz bis Reggae durchmessen und mit Jahcoustix, Jamaram und Headcornerstone bayrische Reggae-Geschichte geschrieben. Anders als beim Vorgängeralbum Dubtrain, nimmt sich Herr Echo diesmal fremde Produktionen verschiedener Bands vor und unterzieht sie einer ausgeklügelten Verdubbungsprozedur. Unter den 15 Dub-Tracks finden sich Stücke aus 13 Ländern u. a. von Gentleman, Katchafire, Steel Pulse, Dub Inc., Up Bustle & Out, Dubblestandart, Stereo MCs, Seeed, Dub Spencer & Trance Hill. Sound und Spielweise variieren naturgemäß recht stark, was das Album vielleicht etwas inhomogen, zugleich aber auch wunderbar abwechslungsreich macht. Umberto Echos virtuose Mixe fügen letztlich alles zu einem großen, unterbrechungsfreien Dub-Opus zusammen, das fantastisch klingt und voller Ideen und Überraschungen steckt: Rhythmuswechsel, Stilwechsel, Klangwechsel, akustische Instrumente, dann wieder Echo-Kammer galore, Samples und eingestreute Original-Vocals – andere Produzenten machen aus dem Material fünf Alben. Umberto Echo packt alles in die 15 Tracks – jedoch so relaxed und kontrolliert, dass alles ganz selbstverständlich klingt, niemals bemüht, verkopft oder überproduziert. Eine überaus spannungsvolle wie angenehme akustische Weltreise, auf die der Hörer hier geschickt wird, angetrieben von tief im Schiffsrumpf pluckernden Bässen. Der Blick schweift über ein Meer sanfter Soundwellen in dem Delphine ihre Kunststücke vorführen. Und abends beim Captain‘s-Dinner wird Reggae gespielt!

Während Umberto Echo den Süden der Republik mit Dub-Vibes beschallt, vibriert Berlin unter den Schallwellen von Aldubb, laut eigener Aussage „einer der vielbeschäftigsten Dub-Remixer Deutschlands“. Vielbeschäftigt ist er in der Tat, denn wenn er nicht im Planet Earth Studio hinter dem Mischpult sitzt, dann spielt er bei der Digital Roots Band oder bei Dark Light Drums, tritt solo im „Dubwohnzimmer“ auf oder mischt mit beim Irieland Soundsystem, das jedes Jahr das „Berlin Dub Festival“ veranstaltet. Wer sich so sehr einer Musik verschreibt,  für die der Begriff „Special Interest“ fast schon eine Untertreibung darstellt, der muss zwangsläufig missionarisch motiviert sein. Und so verwundert es nicht, dass Aldubb sein neues Album Gottes Wort widmet: „Let There Be Dub“ (One Drop). And there was dub! 18 Tracks feinstes Material im Spektrum von Steppers zu Dubstep, feist abgemischt und schlicht groundshaking. Damit die Zuhörer beim Durchgeschütteltwerden nicht das Bewusstsein verlieren, hat Mr. Dub-It-All an strategischen Punkten schön melodiöse Vocal-Tracks untergemischt, heavy Steppers-Tunes mit sanfteren One-Drops abgewechselt und lässt gelegentlich auch mal einen verzerrten Dubstep-Bass für die Dröhnung sorgen. Hinzu gesellen sich nette Sound-Spielereien, Samples und Mini-Melodien. Zusammen eine perfekte Dramaturgie, die ein sehr vielfältiges, zugleich aber auch in sich geschlossenes, durchkomponiertes Album ausmacht – obwohl die 18 Tracks tatsächlich eine Best-Of-Werkschau der letzten vier Jahre sind und viele Stücke bereits auf Vinyl erschienen sind. Vier gute Jahre, wie es scheint. Doch die Aussicht auf vier Jahre Wartezeit bis zum nächsten Aldubb-Album ist eine Katastrophe.

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Charts Review

Meine Dub Top 10 des Jahres 2009

1. Hey-O-Hansen: Sonn und Mond (Pingipung)
2. International Observer: Felt (Dubmission)
3. Sideshow: Admit One (Aus Music)
4. Noiseshaper: Satellite City (Cat‘n Roof)
5. Dubblestandart, Lee Scratch Perry & Ari Up: Return From Planet Dub (Collision)
6. Various Artists: Dub Echoes (Soul Jazz)
7. Various Artists: Dubvision II (Perkussion & Elektronik)
8. Umberto Echo: Dub The World (Echo Beach)
9. Various Artists: Evolution Of Dub Vol. 1 – 4 (Greensleeves)
10. Various Artists: Nothern Faction 4 (Balanced)

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Dub (R)evolution Review

Dub Evolution November 2009

„Filz“. Welche Konnotationen begleiten dieses Wort? Wärme, Behaglichkeit, gedämpfter Schall, Weichheit? „Felt“ (Dubmission), das ist der Titel des neuen Dub-Albums von International Observer (hinter dem sich der britische Producer Tom Baily verbirgt, der in den 1980er-Jahren die Pop-Band „The Thomson Twins“ leitete). Die darauf zu hörende Musik ist die Klang gewordene Assoziation des Titels; wunderschöne, melodiöse, warme, behagliche Dub-“Songs“. „Songs“ deshalb, weil die Dubs sich wie vollwertige Songs „anfühlen“, ohne dass tatsächlich Gesang zu hören wäre. Es sind kunstvolle Kompositionen, in denen jeder Ton, jeder Beat sorgfältig abgewogen und austariert zu sein scheint. Alles fließt, blubbert, rollt – unendlich relaxed und doch höchst spannungsvoll. „Relaxed“ nicht „seicht“!: Die mit Filz ausgestopften Bässe wummern kraftvoll im 44-Herz-Keller und die Sogwirkung der synkopierten Beats saugt Ohren, Kopf und Bauch unaufhaltsam durch den Viervierteltakt. Es sind eingestreute Melodica-Melodien, Klänge einer akustischen Gitarre, kontrapunktisch laufende Percussions, Akkordeon-Harmonien oder die vielen anderen, sparsam aber effektvoll eingesetzten melodiösen Zutaten, welche die Musik so entspannt wirken lassen. Tom Baily versteht Dub nicht nur als Sound, sondern als komplexes musikalisches Gebilde, das mit Bauch und Kopf zugleich wahrgenommen werden will. Es ist ein Beispiel für die Kunst, Komplexität leicht und einfach erscheinen zu lassen. Alles ist evident, selbstverständlich, klar und folgerichtig – mit einem Wort: perfekt!

Die Evolution geht weiter – und zwar mit der natürlichen Auslese: „Evolution of Dub, Volume 4, Natural Selection“ (Greensleeves). Nachdem Greensleeves die Reihe mit der Joe Gibbs-Produktion „Dub Serial“ von 1971 eröffnete, steht nun die vierte CD-Box ganz im Zeichen des visionären Produzenten und seines genialen Toningenieurs Errol Thompson.

Die Auslese beginnt im Jahr 1976 mit dem Album „Joe Gibbs & The Professionals: State Of Emergency“ das uns 10 sehr angenehmen Dubs im locker gespielten„Rockers-Style“ präsentiert. Garniert mit schönen Bläser-Melodien –, was die Tracks eher nach Instrumentals denn nach Dub klingen lässt. Zitiert werden hier vor allem klassische Riddims wie John Holt‘s „Up Park Camp“, Jackie Mittoo‘s „Our Thing“ oder „Heavenless“. Jede Melodie eignet sich sich mitsummen und der militante Rockers-Drumstyle lässt die Musik fliegen – ich muss zugeben, dass ich sehr auf den Sound dieser Zeit stehe. Nach den eher trockenen Bunny Lee-Produktionen, bekommt der Reggae nun einen gewissen Swing und die Rhythmen fangen wieder an zu rollen – worauf sich vor allem die „Mighty Two“ (Gibbs & Thompson) prächtig verstanden. Übrigens: Das Cover, auf dem jamaikanische Sicherheitskräfte drei vermeintliche Delinquenten durchsuchen, wurde angeblich 1977 von The Clash für das Album „White Riot“ zitiert.

Album zwei der Box – „Majestic Dub“ von 1979 – stand stets im Schatten von Gibbs berühmter „African Dub“-Serie. Zu unrecht, wie sich hier zeigt, denn das Album enthält einige wirklich bemerkenswerte Stücke. Es unterscheidet sich sehr von „State Of Emergency“, ist ein echtes Dub-Werk mit abgespeckter Produktion und klassischem Dub-Mix. Doch Joe Gibbs gelang es wie stets, seine Tracks so zu arrangieren, dass sie nicht zu leer, zu minimalistisch klangen. Das lag nicht zuletzt daran, dass er sich nicht scheute, moderne (und ungewöhnliche) Synthie-Sounds einzufügen, während Thompson, der begnadete Dub-Mixer, seine Vorliebe für Samples auslebte. Letzterer zeichnet wohl auch für das gänzlich unpassende, aber in seiner elektronischen Fremdartigkeit auch wiederum typische Intro-Sample von Donna Summers „I Feel Love“ verantwortlich. Natürlich kommen auch hier wieder reihenweise bekannte Riddims und Sly Dunbars leichtfüßiger Drum-Style zum Einsatz – doch wer hätte etwas dagegen?

Ein weiter Sprung ins Jahr 1984 führt zum Unvermeidlichen, nämlich der „African Dub“-Serie, von der uns hier das eher unbekanntere, fünfte Kapitel zu Gehör gebracht wird. Lange nach den vorangegangenen vier Kapiteln der Serie veröffentlicht, erreichte es den Markt, als Dub in Jamaika bereits auf dem Sterbebett lag. Der Sound hatte sich stark verändert: statt „Rockers“ war nun „Dancehall“ der prägende Stil. Entsprechend langsam, schwer und bassorientiert waren die Stücke. Wir steigen direkt mit „Full Up“ ein, begegnen kurz darauf „Heavenless“, „Taxi“ und weiteren Classics. Schöne Melodien, satter Sound, gute Mixes – meiner Meinung nach das Beste Dub-Set der Box.

Doch Album vier harrt noch der Begutachtung: „Syncopation“ von Sly & Robbie und natürlich produziert von Mr. Gibbs. Es beschließ die Box, obwohl es aus dem Jahr 1982 stammt, also zwei Jahre vor „African Dub Chapter 5“ entstanden ist. Als Freund alter Sly & Robbie-Aufnahmen legte ich es vor den anderen dreien in den CD-Player – doch es enttäuschte mich! Zum einen, weil der Bass von Robbie kaum zu hören ist – unglaublich! Zum anderen, weil die Rhythm-Twins ihrem manchmal nicht ganz stilsicheren Faible für Pop-Songs freien Lauf ließen. So kommen wir z. B. in den Genuss des Beatles-Klassikers „Ticket To Ride“ (garniert mit einem grenzwertigen Rockgitarren-Solo) oder Leo Sayers „More Than I Can Say“. Dazwischen gibt es dann aber doch auch „ordentliches“ Material: auf „Space Invaders“ und „Laser Eyes“ hören wir Slys für diese Zeit typischen Syndrum-Shuffle-Rhythmus.
Wie gewohnt finden sich im Booklet der Box ausführliche Linernotes, die im ersten Teil die Evolutionsgeschichte des Dub fortschreiben und im zweiten Teil die Historie von Joe Gibbs minutiös referieren.

The Return of Dub Spencer und Trance Hill! Zwei Jahre wurde am neuen Album geschraubt, jetzt ist es fertig: „Riding Strange Horses“ (Echo Beach). Das vermeintlich italienische Duo, das aber tatsächlich ein Züricher Trio (rund um den Bassisten Marcel Stadler) war und nun zu einem Quartett angewachsen ist, nimmt den Titel offensichtlich wörtlich und präsentiert uns vornehmlich Cover-Versionen von Songs unterschiedlicher Genres. Wie bei Echo Beach guter Brauch, gibt es natürlich Versionen von The Ruts und Martha & The Muffins. Darüber hinaus hören wir (in diesem Kontext) wirkliche „strange horses“, die hier geritten werden, wie z. B. Metallica, Deep Purple oder Grauzone. Dazu gesellen sich gelegentlich kurze Vocal-Passagen von Lee Perry, Robin Scott, W. S. Burroughs, The Catch u. a. Das macht klar, dass wir es hier mit einem großen Rock-Remix zu tun haben, mit einer Echo-Chamber also, die aus Rock-Klassikern Reggae-Dubs macht. Faszinierend ist dabei, dass die Schweizer Jungs dazu das selbe Instrumentarium einsetzen wie die Rock-Größen in den Originalen. Und genau das ist der USP von Dub Spencer und Trance Hill: Sie spielen eigentlich Rock mit einem Reggae-Offbeat – was sie akustisch übrigens stark in die Nähe des New Yorker „Dub Trio“ bringt. Groove, Timing und One Drop stimmen, doch es sind Sound und Arrangements, die hier ihre Referenz zum Rock nicht leugnen können. Mich würde es nicht wundern, wenn alle Dub-Effekte zudem live gespielt wären, so dass die Musik genau das vermeidet, was Dub eigentlich ausmacht, nämlich die kreative Bearbeitung am Mischpult. Das Ergebnis ist jedenfalls eigenwillig und faszinierend – sofern man keine Probleme mit Hooklines wie „Smoke On The Water“ hat.

Finn the Giant ist ein Dub-Produzent aus Malmö, Schweden, der vor vier Jahren das „Heavyweight Roots Dub Reggae“-Netlabel „Giant Sounds“ gegründet hat (giantsounds.com). Nun ist die Zeit reif für die erste echte, physikalische CD-Veröffentlichung: „Dub Pon Top“ (Import). 14 Dubs hat der Gigant hier versammelt: Kraftvolle Steppers-Beats, deren digitale Herkunft unüberhörbar ist. Gelegentlich gibt es Melodica-Einsprengsel oder angerissene Synthie-Melodien, doch das Hauptaugenmerk liegt ganz klar auf den Grundrhythmen, die in stoischem, meditativem Takt voranschreiten.  Dabei ist es Finn durchaus gelungen, den Beat zu variieren und melodiöse und abwechslungsreiche Riddims zu bauen. Doch so inspiriert die Riddims auch sind, der Sound ist es leider nicht. Zwar sind die Tracks dynamisch abgemischt, so dass der Groove stimmt. Aber Finn gelingt es nicht, seinen synthetisch und irgendwie „eng“ klingenden Studiosound zu eliminieren. Seine Dubs könnten viel mehr Luft und Weite vertragen. Hoffen wir, dass die Erlöse von „Dub Pon Top“ für ein neues Mischpult reichen werden …

Nach den melodiösen Reggae-Basslines gibt es nun – zum Freiblasen der Ohren – eine Exkursion in die technoid wummernden Bass-Sphären des Dubstep. Mit „Steppas‘ Delight 2“ (Souljazz) liegt eine weitere wichtige Bestandsaufnahme der Szene vor. 26 Bass-gefüllte Tracks werden uns hier regelrecht um die Ohren gehauen und in die Magengrube gerammt. Bereits Track 1, „Grime Baby“ von Gemmy, macht klar, wohin die Reise gehen wird: In ein wütendes Bass-Inferno. Wer diesen Tune zu laut aufdreht, darf hinterher die Fetzen der Subwoofer-Membran vom Boden aufsammeln. Minimal aber gewaltig. Im Verlauf des Doppel-CD-Samplers begegnen wir auch weniger radikalen Statements sowie manchem angenehmen Garage-House-Groove, und werden ganz nebenbei feststellen, dass Dubstep sich inzwischen stärker differenziert hat und über ein größeres stilistisches Spektrum verfügt. Was sich übrigens auch an neuen Namen in der Szene ablesen lässt. So finden sich hier neben Benga und Appleblim kaum „Veteranen“. Doch das junge Gemüse macht einen guten Job und wir dürfen der Zukunft des Genres hoffnungsvoll entgegen sehen.

Ein weiterer, interessanter Dubstep-Release ist „Studio Rockers At The Controls“ (Studio Rockers). Auf diesem Sampler gibt es einige Reminiszenzen an Reggae wie z. B. Samples, Bläsermelodien oder ganze Reggae-Vocals. Die 23 Tracks sind von Tony Thorpe ineinander gemixt und stammen weitgehend aus dem Archiv des Studio-Rockers-Labels. Ich kann mich nicht erinnern, den Namen Tony Thorpe je gehört zu haben, angeblich ist er aber für seine Dub-Produktionen bekannt und hat sowohl Massive Attacks „Meltdown-Festival“ geleitet, als auch Remixes für Amy Whitehouse, Erykah Badu und Lee Perry geliefert. Wie dem auch sei – sein Parforce-Ritt durch die Welt des Dubstep zeugt von gutem Gespür für Bass & Beats. Wer eine erste, vage Exkursion in das neue Genre unternehmen will, der kann hier starten.

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Dub (R)evolution Review

Dub Evolution Oktober 2009

Gute Dub-Alben kreuzen nicht selten meinen Weg. Aber Dub-Alben, die mich regelrecht begeistern, sind eher rar. Hey-O-Hansens „Sonn und Mond“ (Pingipung/Rough Trade) ist so ein Album. Das Cover hat mich zuerst an schräge Noisemucke à la Einstürzende Neubauten denken lassen, doch als die CD schließlich während des Frühstücks im Hintergrund lief, wechselten meine Freundin und ich einen verwunderten Blick, legten die Zeitung beiseite und drehten die Lautstärke hoch. Was für eine abgefahrene Musik! 100% Reggae, aber so gespielt, wie man ihn noch nicht gehört hat. Entfernt erinnert der Sound an Peter Presto (Rezension in Riddim August 2006), also an melodiöse Kompakt-Elektronik. Anders als Prestos Sound, sind die Dubs von Hey-O-Hansen aber merkwürdig vertrackt und doch ganz einfach. So als würde man Reggae auf den falschen Instrumenten spielen – das aber richtig virtuos. Dabei wirken einzelne Klangfolgen disharmonisch und fehlplatziert, nur um anschließend im Zusammenspiel wunderbar geschlossen und eingängig zu sein. So mündet z. B. ein schräges Akkordeon, das über einen warmen, pulsierenden Offbeat spielt, in ein sanft hingehauchtes Chanson, während anschließend detailreiche Lo-Fi-Spielereien die Regie übernehmen. In einem anderen Song hören wir ein schweres, träges Lee Perry-Black-Ark-Sample, das von einer Harfe begleitet wird, die schließlich einer weiblichen Stimme weicht, nur um danach wieder dem Akkordeon Platz zu machen. Jedes Stück ist eine Exkursion in eine faszinierende Sound-Landschaft, in der hinter jedem Hügel und jedem Baum eine Überraschung wartet. Die Linernotes sprechen ganz treffend von „Künstlerischer Widerborstigkeit“. Statt den Genre-Konventionen zu gehorchen, wird hier radikal mit ihnen gebrochen und damit die Tür zu einer ganz neuen Dub-Erfahrung aufgestoßen. Helmut Erler und Michael Wolf heißen die beiden kreativen Köpfe hinter Hey-O-Hansen, stammen aus Österreich, wo sie sich – laut eigener Aussage – vom Offbeat der Tiroler Volksmusik inspirieren ließen, in den 1980 Jahren in einer Rocksteady-Band spielten und Mitte der 1990er Jahre nach Berlin auswanderten. Dort frickeln sie seit nunmehr 14 Jahren im hauseigenen Studio ihre Sound-Eskapaden zusammen, die sie an unterschiedlichsten Stellen in unterschiedlichsten Formaten unter die Hörerschaft bringen. Was auf diese Weise in den Jahren seit 1995 entstanden ist, wird nun erstmals, schön sorgsam zusammengetragen und sortiert, auf einer CD veröffentlicht. Und diese CD – da bin ich mir jetzt schon sicher – wird in meinen Dub-Charts 2009 auf Platz eins landen.

Neil Perch, Mastermind von Zion Train, weist gerne darauf hin, dass sein Album „Live As One“ den Reggae-Grammy 2008 gewonnen hat. Bei genauerem Hinsehen, entpuppt sich der „Reggae-Grammy“, auf den Mr. Zion Train so stolz ist, tatsächlich als ein „Reggae Academy Award“, der in Kingston verliehen wird und nichts mit den US-Grammy-Awards zu tun hat. Trotzdem – wahrscheinlich vom Erfolg euphorisiert –, hat Neil Perch Dub-Akteure aus aller Welt um Remixes der Tracks des Albums gebeten, die nun, auf einer CD versammelt, als Zion Train, „Live As One Remixed“ (Universal Egg) erschienen sind. Die 15 Dubs stammen u. a. aus Italien, den Niederlanden, Brasilien, Frankreich, Kroatien, Griechenland, Polen, Mexiko und natürlich aus England (allerdings kein einziger Mix aus Deutschland!). Die bekanntesten Namen sind Rob Smith, Vibronics, Brain Damage und Weeding Dub. Einige Tracks sind gleich mehrfach vertreten („Boxes And Amps“ gleich vier mal), was es erlaubt, die Mixes miteinander zu vergleichen und damit dem Wesenskern von Dub nachzuspüren. Allerdings bleiben die Remixes dem Tenor des Originals allzu treu. Lediglich De Niro liefert einen wuchtigen Dubstep-Mix von „What A Situation“ ab und Dub Terror verwandelt „Boxes And Amps“ in einen schön nostalgisch anmutenden Jungle-Track.

Ebenfalls aus dem Hause Universal Egg stammt das Album „Dub Terror“ (Universal Egg) von: Dub Terror. Ich muss zugeben, dass die CD schon zwei, drei Monate bei mir herum liegt – was eine gewisse Aussagekraft hat. Mir fällt zu dem in Warschau produzierten Album nicht allzu viel ein. Die Tracks folgen dem klassischen UK-Dub-Schema und flirten gelegentlich mit Dubstep – gewinnen diesem Genre aber keine neuen Perspektiven ab. Eigentlich stimmen die Zutaten, wie gut ausgesuchte Samples, sauberer Sound und sechs gute Gast-Vokalisten, aber das Ergebnis ist nicht wirklich spannend. Es fehlt einfach an guten Kompositionen (wenn man bei Dub überhaupt davon sprechen will).

Aber noch mal zurück zum Thema „Remix“. 1982 nahmen die Punkrocker Ruts CD im damals frisch gegründeten Ariwa Studio von Mad Professor ihr Album „Rhtyhm Collision“ auf, das Punkrock mit Reggae und etwas Funk vermischte. Das Album erhielt nie viel Aufmerksamkeit, wurde jedoch eine Underground-Ikone, die sich bis heute, einschließlich aller Neupressungen und Re-Issues, rund 100.000 mal verkaufte. 2002 nahm sich Neil Perch von Zion Train des Albums an und produzierte ein Dub-Remix des Sets. Heute, wieder einige Jahre später, ist die dritte Generation am Werk: Dekonstruiert, rekonstruiert, frisiert, aufgemöbelt und ausgedubbt von den Bassjüngern dieser Tage, erscheint das Album unter Ruts DC, „Rhythm Collision Re>loaded“ (Echo Beach) jetzt ein weiteres Mal. Fünf der dreizehn Tracks remixte Rob Smith (den wir von Smith & Mighty und den More Rockers kennen), Dreadzone nahm sich zweier Stücke an, ebenso die Kölner Elektronik-Tüftler von Salz und Steve Dub (der Programmierer der Chemical Brothers). Alle Mitmischer am großen Ruts DC-Relaunch gingen den Weg, den African Headcharge einst den „Path Of Respect“ nannte und erhielten weitgehend die Identität des Originals. Obwohl wir es unverkennbar mit Reggae-Dub zu tun haben, bleibt der Sound von Punkrock allgegenwärtig und auch die Stimmen der Ruts stechen immer wieder crisp aus dem Meer an Bass hervor. Eine eigenwillige Mischung von Stilen, die in dieser Form aber perfekt funktioniert.

Unglaubliche 20 Jahre nach dem Album „Dubvision“ schickt der Dubvisionist Felix Wolter unter dem Titel „Dubvision II“ (Perkussion & Elektronik) ein Nachfolgealbum in die Welt hinaus. Versammelt hat er hier „wohlklingende Tracks von Freunden“, die mit ihm im Staccato- und im Time Tools-Studio ihre Aufnahmen machten. Zu diesen Freunden gehören neben The Vision und der Herbman Band auch Gentleman, Tamika & Mamadee und die Far East Band. Vielleicht ist es das Alter, vielleicht auch die Jahrzehnte lange Erfahrung, Felix Wolter entschied sich jedenfalls für ausgesucht relaxte, melodiöse und wunderbar klassisch gespielte Tracks und hat sie in ebenso „wohlklingende“ Dubs verwandelt, zu denen man angenehm grooven kann, die sich aber auch aufmerksam anhören lassen und dann tausende kleine Spielereien und nette Ideen offenbaren. So beginnt z. B. das erste Stück „Andrés Dub“ mit einem schönen, melodiösen Bläsersatz, um dann nach zwei Strophen „in den Mix“ zu gehen, wo sich sanft virtuose Percussions in den Vordergrund spielen, die dann von einer netten Gitarrenmelodie abgelöst werden. Alles ganz selbstverständlich, logisch, folgerichtig. Natürlich hören wir hier keine musikalische Revolution oder Cutting Edge-Dubs an vorderster Front von Dubstep und Elektronik. Wir hören hier „nur“ richtig gutes Handwerk, Sounds mit Seele und Dubs mit Wärme. Und es ist so unglaublich wohltuend, einfach gute Musik zu hören und nicht progressiv und open minded sein zu müssen. Ich wünsche mir jedenfalls ausdrücklich mehr Dub-Works von Felix!

Jetzt kommt auch etwas sehr schönes – und zwar aus der Revival-Selection: King Tubby & The Clancy Eccles All Stars, „Sound System International Dub LP“ (Pressure Sounds). Dieses von Clancy Eccles produzierte Dub-Set ist so unglaublich obskur, dass niemand, „wirklich NIEMAND“ – wie das Presseinfo betont – jemals davon gehört hatte. Als Anfang 2009 eine alte Vinylkopie auftauchte, gerieten die Pressure-Sounds-Geeks völlig aus dem Häuschen, forschten, remasterten und rereleasen die LP nun im Original-Cover mit bisher ungesehenen Fotos von King Tubby (die CD enthält zudem fünf Bonus Tracks). Das Album dokumentiert Eccles damaligen Vorstoß in das Dub-Genre, wozu er zehn von den Dynamics eingespielten Tracks aus den frühen 1970er Jahren von King Tubby remixen ließ. Tubby mixte die Aufnahmen sparsam und transparent, entkleidete sie bis auf Drum & Bass und verzichtete nahezu vollständig auf Vocals. Früher Tubby-Style at it‘s best!

Dass Dub ein inzwischen wahrlich internationaler Stil ist, zeigt sich einmal mehr an dem Album „Like River To Ocean“ (Amaru Music) das von dem irischen Musikerduo Avatar eingespielt wurde und dessen Cover eine japanische Kalligraphie ziert. Hinter Avatar verbergen sich die beiden Instrumentalisten James Kennedy und Tony O‘Flaherty. Beide im Südwesten Irlands geboren und aufgewachsen, lassen sie sich nach eigener Aussage von der Irischen Landschaft, ihrer Schönheit und Einsamkeit inspirieren. Das klare Wasser, die frische Luft und die stoischen Berge bilden eine natürliche Harmonie, in der sich sitzen, kontemplieren und über Dub nachdenken lässt. Daher wundert es nicht, dass Ambient-Sounds wie Wellenrauschen immer wieder in den sehr entspannten Stücken auftaucht. Vor allem sind es die weichen Sounds der Blechbläser, die den Dub der beiden Iren prägt. Aber es gibt auch zwei Stücke, die befremden: „Joyfull Dub“ klingt so, als stamme das Schlagzeug aus dem Rhythmus-Repertoire einer Hammond-Orgel und „Kingdom I Dub“ – eigentlich ein nettes Stück – wird von Lobpreisungen Haile Selassies begleitet. Der Zusammenhang zur irischen Landschaft will sich mir hier nicht erschließen.

Abschließend geben wir uns jetzt noch eine richtige UK-Steppers-Dröhnung – auch wenn die Mucke aus Frankreich kommt: „World Wide Dub“ (Control Tower) von The Dub Machinist. Viel ist nicht von dem Herrn Dub-Maschinisten bekannt – aber eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Er nimmt seinen Namen ernst. Wie von einem großen, dampfgetriebenen Maschinenkoloss bewegt, stampfen seine Dubs durch Raum und Zeit und lassen Boden und Wände vibrieren. Brutal und minimalistisch. Nichts, aber auch gar nichts an diesen Dubs ist neu oder innovativ – und Ideen gibt es nur eine: Wumms! Aber die vollkommene Konsequenz, mit der diese Idee zu Ende gedacht wird, macht das Album zu einem Erlebnis. In Anlehnung an Heavy Metal lässt sich hier ohne Einschränkungen von puren „Heavy Dub“ sprechen. So etwas braucht man von Zeit zu Zeit, um sich das Trommelfell massieren zu lassen. Ah, das tut gut!

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Dub (R)evolution Review

Dub Evolution, August 2009

Greensleeves hat sich vom Darwin-Jahr 2009 inspirieren lassen und begeht Charles Darwins zweihundertsten Geburtstag mit den Evolution Of Dub-Boxsets (Greensleeves/Groove Attack). Wobei zur Zeit widersprüchliche Informationen darüber kursieren, ob nun vier oder sieben Boxen geplant sind. Tatsache ist jedenfalls, dass mir drei Boxen vorliegen: Vol. 1 – The Origin Of The Species, Vol. 2 – The Great Leap Forward und Vol. 3: The Descent Of Version. Jede dieser Boxen enthält vier klassische Dub-Alben im Reprint des Original-Covers. Damit hat Greensleeves es sich ziemlich leicht gemacht, denn statt die Evolution anhand wichtiger Stücke nachzuzeichnen – was eine gewaltige Recherche- und Lizensierungsarbeit gewesen wäre – beschränkte man sich auf die Wiederveröffentlichung einiger Alben. Dummer Weise muss die Evolution aber ohne Epoche machende Werke von z. B. Lee Perry, Yabby You, Augustus Pablo oder Glen Brown auskommen, was den durch den Titel der Serie erhobenen Anspruch recht fragwürdig erscheinen lässt. Daher ist es sinnvoller, die Serie als eine Sammlung schöner, klassischer Dub-Alben der 1970er (vielleicht später auch der 1980er?) zu verstehen und sich über die Evolutionstheorie á la Greensleeves nicht den Kopf zu zerbrechen.

Evolution of Dub, Vol. 1

Schauen wir uns die vorliegenden Boxen doch eimal genauer an. Vol. 1. beginnt mit einer kleinen Sensation, nämlich einem ultra-raren Werk, das zugleich eines der ersten Dub-Alben überhaupt war: „Dub Serial“. Joe Gibbs veröffentlichte es im Jahr 1972 in einer minimalen Auflage und verkaufte es für 50 Dollar pro Stück (ein „normales“ Album kostete zu jener Zeit rund 4 Dollar) vornehmlich an Sound System-DJs. Die wohlhabenen Hörer bekamen darauf eine Menge bekannter Rhythms wie „Satta A Massa Gana“, „Joe-Frazier“, „Money in My Pocket“ oder „Rainy Night in Georgia“  zu hören, spartanisch gemixt und mit langen Drum & Bass-Passagen. Die anderen drei Alben der Box wurden vom damals noch jungen König des Dub, King Tubby, gemixt: „“Dub From The Roots“, „The Roots Of Dub“ und „Dubbing With The Observer“. „Dub From The Roots“ und „The Roots Of Dub“ waren die ersten beiden LPs, auf denen King Tubby als Artist genannt wurde. Mit prominent auf dem Cover platzierten Schwarzweißaufnahmen von Tubby am Mischpult, begründeten sie den Ruhm des Soundtüftlers. Tubby remixt auf beiden Alben den typischen Bunny Lee-Mid-70ies „Flying Cymbals-Sound“, dass es eine Freude ist. Vor allem im Kontrast zu dem zwei Jahre älteren „Dub Serial“ zeigt sich Tubbys  Mixing-Talent in voller Größe. Das 4. Album, „Dubbing With The Observer“, stammt natürlich aus der Feder von Winston „Niney“ Holness und featurt einige seiner klassischen Dennis Brown-Rhythms wie „Cassandra“, „No More Will I Roam“ und „I Am The Conqueror“. Auch hier sorgte King Tubby für pure Dub-Magie. Niney lizensierte das frisch gemixte Dub-Album stante pede nach England und verkaufte nur zwei Jahre nach der Erfindung von Dub-Alben bereits beachtliche Stückzahlen. Dub war Overseas angekommen.

Evolution Of Dub, Vol. 2

Box Nr. 2 beginnt mit dem Album „Bunny Lee & King Tubby Present Tommy McCook And The Aggrovators – Brass Rockers“ und präsentiert das, was später „Instrudubs“ genannt werden sollte: Dubs mit Overdubs. Bunny Lee lieferte Rhythm Tracks, wie „A Love I Can Feel“, „Dance In A Greenwich Farm“ oder „Dance With Me“, Tubby mixte Dubs daraus und Tommy McCook improvisierte anschließend seine Saxophon-Soli darüber. Hier zeigt sich ein weiteres Mal, wie unschlagbar ökonomisch der Reggae funktionierte – und welche Innovationen diese Ökonomie hervor brachte. Während „Brass Rockers“ ein Experiment war, dessen Erfolg nicht zu kalkulieren war, zielte das zweite Album der Box, „ The Aggrovators – Rasta Dub 76“,  auf den Markt der immer größer werdenden Dub-Fangemeinde, die in Scharen die Plattenläden stürmte und stets die B-Seite einer Singe vor der A-Seite hören wollte. Tubbys Name auf dem Label verkaufte die Platten. In diesem Fall jedoch, zeichnete Tubbys Mixing-Lehrling Phillip Smart für die Dubs verantwortlich. Während Smart, Prince Jammy und später auch Scientist die Dubs mixten, konnte Tubby sich wieder den lukrativeren Tätigkeiten widmen, nämlich Fernseher und Radios reparieren. Inzwischen war die Dub-Evolution im Jahre 1977 angelangt und Bunny Lee (eigentlich sollte die Serie besser „The Evolution of Bunny Lee heißen“) mietete das Channel One Studio um dort „ Aggrovators Meets The Revolutionaries At Channel One Studio“ aufzunehmen. Ein überaus populäres Dub-Album mit kraftvollen, teils von Sly Dunbar gespielten Rhythms im überragenden Sound des Hookimschen Studios. Doch die eigentliche Attraktion des Albums ist die fantastische Horn-Section, die mit ihren Jazz-Improvisationen und Melodie-Fragmenten virtuos alle Stücke garnierte. Mit dem letzten Album dieser Box kommt noch einmal Niney zum Zuge: „Sledgehammer Dub“. Mitte der 1970er Jahre erschien jede Single mit einer Dub-B-Seite. Es dauerte nicht lang, bis dieses Prinzip auch auf Alben angewendet wurde, und so veröffentlichte Niney 1977 mit „Sledgehammer Dub“ das Dub-Counterpart zu Dennis Browns „Deep Down“-LP. Da Niney nur rund 400 Pressungen nach England schickte, die zudem in einem unbedruckten Cover ohne Tracklisting verkauft wurden, zählte „Sledgehammer Dub“ in Auktionen zu den höchst gehandelten Dub-Werken. Nun ist das rare Werk leicht zugänglich – auch ein Resultat der Evolution.

Evolution Of Dub, Vol. 3

Werfen wir noch einen Blick auf die bislang letzte, dritte CD-Box. In ihr stecken wohl bekannte Dub-Alben, die wahrscheinlich jeder Dub-Freund bereits als Viny-LP im Plattenregal stehen hat: 1. „The Revolutionaries: Negrea Love Dub“, 2. „The Revolutionaries: Green Bay Dub“, 3. „The Revolutionaries: Outlaw Dub“, 4. „The Revolutionaries: Goldmine Dub“. Es ist unübersehbar, das gegen Ende der 1970er Jahre die Revolutionaries und mit ihnen das Channel One-Studio die führenden Instanzen im Reggae-Business waren. Und es ist sehr wohltuend, dass die Evolution neben Bunny Lee auch andere Produzenten hervor gebracht hat. Zum Beispiel Linval Thompson, der die ersten drei Alben dieser Box produziert hat und dessen Vocals immer wieder zwischen den Beats hervorblitzen. Der wahre Star dieser Alben ist jedoch Sly Dunbar, der hier seinen „Dubble Drum-Sound“ im Perfektion vorexerzieren kann. Es war die Zeit, in der die Rhythms langsamer wurden und mehr „Luft“ bekamen. Eigentlich begannen damit ideale Bedingungen für Dub, doch in Jamaika sank der Stern dieses Genres bereits. Nicht so jedoch in England, wo Dub ungebrochen populär blieb. Es war eine Vorahnung des aktuellen Zustands, in dem Dub eine globale, jedoch gänzlich un-jamaikanische Musikform ist. Das vierte Album im Set, „Goldmine Dub“,  stammt von 1979, wurde von Jah Lloyd produziert und von Prince Jammy gemixt. Es ist sowohl vom Mix, vom Sound sowie wie von Sly Dunbars Spiel schlicht superb. Stilistisch war der jamaikanische Dub hier auf dem Höhepunkt. Das damals junge Label Greensleeves lizensierte „Goldmine Dub“ und brachte es als eine der ersten Greensleeves-Veröffentlichungen in die Plattenläden. Aber das ist eine andere Entwicklungsgeschichte …

Pleasure Dub

Ein Album, das ebenfalls gut in die „Evolution Of Dub“ gepasst hätte ist „Pleasure Dub“ von Tommy McCook & The Supersonics (Pressure Sounds/Groove Attack), denn die Dubs, die hier zu hören sind, stammen aus dem Treasure Isle-Studio – dem Ort also, an dem Dub erfunden wurde. Bunny Lee beschreibt den historischen Moment so: „Tubby und ich trafen uns oben in Duke Reids Studio, wo der Sound-Man Ruddy Redwood und der Haus-Engineer Byron „Smithy“ Smith Dub Plates aufnahmen. Bei einem Stück vergaß Smithy rechtzeitig die Gesangsspur anzuschalten, weil er durch eine Unterhaltung mit Tubby und mir abgelenkt war. Als er den Fehler bemerkte und die Aufnahme stoppen wollte, sagte Ruddy nur: „No, make it run“. Tags drauf spielte Ruddy den Song im Sound System und legte anschließend das „missratene“ Dub Plate auf. Die Leute waren begeistert und sangen den Song zu dem bloßen Rhythm Track. Ruddy musste die Platte fünf oder zehn Mal auflegen. Es war ein Riesenerfolg.“ Evolutionstechnisch war dies der Moment, der belebte von toter Materie schied – oder aber der Urknall des Dub, je nach Sichtweise. Auf jeden Fall aber ein Moment, der in der Dub-Evolution nicht fehlen darf, auch, wenn es sich bei diesen frühen Dub Plates lediglich um „Versions“, also um unbearbeitete Rhythm Tracks handelte. Nach dem Tod von Treasure Isle-Boss Duke Reid übernahm dessen Neffe Errol Brown die Kontrolle am Mischpult und mixte aus den alten Aufnahmen der 1960er Jahre drei echte Dub-Alben: „Treasure Dub Vol. 1“ und „Vol. 2“ und „Pleasure Dub“. Während erstere vielfach rereleased wurden, harrte das vielleicht beste Album von den dreien, „Pleasure Dub“, geduldig seiner Wiederentdeckung. Nun liegt es vor, soundtechnisch bearbeitet und um sechs Bonus-Tracks erweitert. Von „Dub“ ist auf dem Album allerdings nicht allzu viel zu vernehmen, wofür man aber insgeheim dankbar ist, denn ein richtiger Dub Mix würde ja bedeuten, auf die wunderschönen Arrangements der Rhtyhm Tracks verzichten zu müssen, die grandiosen Bläser- oder Orgelmelodien zu verpassen oder den typischen, warmen, volltönenden Treasure Isle-Sound nur in Fragmenten zu hören. Zum Glück – kann man da nur sagen – fand der Dub-Urknall auf Vierspur-Tonbändern statt!

Noiseshaper: Satelite City

Von den Anfängen des Dub machen wir jetzt einen Riesenschritt in die Gegenwart, wo Noiseshaper mit dem neuen Album „Satellite City“ (Cat‘n Roof/Groove Attack) den aktuellen Status Quo des Genres beschreibt. Und dieser liegt bereits jenseits der engen Grenzen des Reggae. Doch das Herz des Dub – der deepe Groove, warme Sound und melodiöse Bass – schlägt noch immer am rechten Fleck, weshalb sich auf Satellite City Genres wie Soul, Deephouse, Elektronic und Reggae organisch und selbstverständlich zu einem großen Ganzen vereinen: zu Dub 2009! Die zehn frischen Tracks von Axel Hirn und Flo Fleischman klingen mal nach On U-Sound, mal nach Dubhouse á la Rhythm & Sound, mal nach Leftfield und meist nach Different Drummer – und sie haben stets einen lässigen Pop-Appeal, der nicht unwesentlich von den engagierten Gast-Vokalisten wie Juggla, Jackie Deane oder Wayne Martin eingebracht wird. Ich liebe Noiseshaper ja vor allem für ihre deepen Shuffle-Beats, wie er z. B. auf dem Song „Sod‘s Law“ erklingt. Hier wird er kongenial von weichen weiblichen Soul-Vocals komplementiert. Dub kann so viel sein. Er hat sich im Laufe seiner Evolution weniger zu einem spezifischen Musikstil in einer ökonomischen Nische entwickelt, als viel mehr zu einem universellem Prinzip, das eine Vielzahl musikalischer Genres durchwirkt.

Fat Freddy's Drop

Diese These lässt sich auch sehr schön am neuen Album „Dr. Boondigga & The Big BW“ (The Drop/Roughtrade) von Fat Freddy‘s Drop nachweisen. Nachdem die Freddys ihr Debutalbum „Based On A True Story“ 2005 mit Vehemenz aus dem fernen Neuseeland in das Wahrnehmungsfeld hiesiger Dub Enthusiasten schleuderten und damit einen beispiellosen kommerziellen Erfolg erzielten, folgt nun das mit hohen Erwartungen bedachte Nachfolgewerk. Doch die Neuseeländer entzogen sich dem fast vierjährigen Erwartungsdruck ganz einfach dadurch, das sie das taten, wofür Dub (laut Axel Hirn von Noiseshaper) eigentlich steht: Sie durchbrachen die Konventionen und liefern nun folgerichtig ein Album, das enttäuscht, überrascht, begeistert. Sie selbst bezeichnen ihre Musik als „Beat Reduction & Sonic Finetuning“ und lassen sie stilistisch zwischen Blues, Elektronik, Reggae und Funk changieren. Wäre da nicht das latent wirkende Dub-Prinzip, das die sehr unterschiedlichen Tracks zusammen hält, dann hätten wir hier eine reichlich disparate Kompilation. So aber – und gerade auch durch die ausgeklügelte Dramaturgie der Songabfolge – entsteht ein hoch interessantes, anspruchsvolles und beseeltes Album, das letztlich vielleicht doch eine logische Weiterentwicklung von „Based On A True Story“ ist.

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Dub (R)evolution Review

Dub Evolution Juni 2009


Mit höchsten Erwartungen sah ich dem Dub-Dokumentarfilm von Bruno Natal entgegen. Mit zu hohen Erwartungen, wie es scheint, denn statt die Musik, ihre faszinierende Art der Produktion und Aufführung zu portraitieren, erging sich der Film in der Aneinanderreihung oft nicht allzu substantieller Interviews. Vielleicht war das der Grund für Souljazz‘ Entscheidung, dem Film eine CD gleichen Titels zu widmen – die allerdings nicht im Bundle mit dem Film vertrieben wird, sondern extra gekauft werden muss. Ein Kauf, der sich durchaus lohnt, da die CD „Dub Echoes“ (Soul Jazz/Indigo) keineswegs den „Soundtrack“ der Doku enthält, sondern eine gänzlich eigenständige und zudem äußerst kompetente und geschmackssichere Zusammenstellung von Dubs aus der langen Geschichte des Genres. Das Spektrum erstreckt sich von Lee Perry-Produktionen über King Tubby-Mixen zu Sly & Robbie, Rhythm & Sound bis hin zu aktuellen Dubstep-Tracks von Kode9 oder Harmonic 313. Und wie es bereits die Dynamite-Kompilationen zeigen, hält man bei Souljazz nichts von Chronologie. Weshalb der C64-Sound von Disrupt hier nahtlos auf das Dub Syndicate mit Bim Shermans einschmeichelnder Stimme prallt, nur um danach von einem Dubstep-Wumms hinweggefegt zu werden, der schließlich von einem nicht weniger kraftvollen King-Tubby-Dub kontrastiert wird. Orthodoxe Musikhistoriker werden bei diesem Durcheinander Ausschlag bekommen. Einen Vollrausch hingegen dürften Musikhedonisten erleben, denn die ungewöhnliche Mischung der Tracks ergibt eine faszinierend ganzheitliche Dub-Experience, in der die spezifischen Eigenheiten und zugleich die Universalität von Dub ganz und gar evident vor Augen treten. Eine sinnliche Einsicht, die nur von dem Werk selbst und nicht durch eine sachliche Dokumentation geleistet werden kann. Vielleicht hatte der Film daher nie eine Chance, sein Thema in den Griff zu bekommen. Die CD schafft es hingegen mit traumwandlerischer Sicherheit. Ich würde mir eine ganze Kompilationsreihe nach diesem Muster wünschen. Und überhaupt: Eigentlich ist es doch mal wieder an der Zeit für Dub-Compilations – Dubstep sei Dank!

Wo wir gerade von Dubstep reden. Die Doppel-CD „I Love Dubstep“ (Rinse/Groove Attack) ist mit einem Jahr Verspätung auch in Deutschland gelandet. Rinse bürgt nach Compilations von Skream und Plastician für ausgesuchte Dubstep-Qualität. Mit „I Love Dubstep“ hat das Pirate-Radio nun eine Sammlung des Best Of der letzten 5 Jahre des jungen Genres versammelt. Die 23 Tracks der Disc 1 wurden vom vielleicht meist beschäftigten Compilation-Mixer Youngsta zusammengestellt und präsentieren das Who Is Who des Dubstep: Skream, Caspa, Loefah, Skream, Benga, Distance und – hatte ich ihn schon erwähnt: Skream. Wobble-Bass-Tracks haben hier die Oberhand, schön technoid und minimalistisch. Der Disc 2 hat sich hingegen Geeneus angenommen und führt uns eher zur dunklen Seite des Dubstep. Bezeichnenderweise beginnt er seine Kollektion mit Shackleton und beendet sie mit Burial. Dazwischen versammelt er Digital Mystikz, The Bug, Fat Freddy‘s Drop (die man hier eher nicht erwartet hätte) und natürlich Skream. Wer dein Einstig in Dubstep wagen möchte, ist mit den 45 Tracks bestens bedient.

Weiter geht‘s mit dem zweiten Dubstep-CD-Release des Monats: Caspa, „Everybody‘s Talking – Nobody‘s Listening“ (Sub Soldiers/Rough Trade). Gleich beim Intro wurde es mir so richtig warm ums Herz: Die Stimme des guten alten David Rodigan, der hier zu einem Lobgesang auf Caspa anhebt, hatte ich schon lange nicht mehr im Radio gehört. Die 12 Tracks, die dann folgen, haben mit Reggae allerdings nichts zu tun. Dafür umso mehr mit einem Großraumdisco-Rave. Verglichen mit den Produktionen auf „I Love Dubstep“ sind Caspas Dubs häufig gnadenlos überproduziert, pendeln zwischen Techno und Pop und nerven nicht selten durch ausufernde Grime-Raps und Voiceovers (wie passend bei dem Albumtitel). Es gibt aber auch reduziertere – und dafür umso schlagkräftigere – Tracks wie z. B. „Terminator“, der ganz von einem bestialisch brutalen Wobble-Bass dominiert wird, oder „I Beat My Robot“ – mechanisch kalt, rücksichtslos und böse.

Da wünscht man sich die warmen Beats des klassischen Reggae-Dubs zurück. Und wer liefert sie uns? Natürlich wieder unser heimatliches Lieblingslabel Echo Beach. Dieses Mal wird ein extraterrestrisches Dub-Artefakt präsentiert: Dubblestandart, Lee Scratch Perry & Ari Up, „Return From Planet Dub“ (Collision/Groove Attack). Zurück vom Planeten Dub, packen die vier Wiener Jungs von Dubblestandart aus, was sie uns von dort mitgebracht haben: Fundstücke, Trophäen und die akustischen Aufzeichnungen zweier Aliens mit den Namen Lee „Scratch“ Perry und Ari Up. Okay, Alien Nr. 1 hat eine abschreckende Wirkung, ich weiß! Perrys Gebrabbel ist in der Tat kaum erträglich. Aber die Dubblestandarts haben seinen Redeschwall wohltuend auf einen Bruchteil beschnitten, so dass seine Songs eher Dubs mit eingesampelten Vocals ähneln. Nur beim „Fungus Rock“ darf Perry nach Belieben über Pilzerkrankungen der Vagina fabulieren – diesen abgefahrenen Text zu kürzen, brachte wohl niemand übers Herz. „Fungus Rock“ ist aber aus einem weiteren Grund interessant, denn hier experimentieren die Wiener Dubheads ganz virtuos mit Dubstep. Überhaupt muss man konstatieren, dass die Dubblestandarts wahrlich auf der Höhe der Zeit sind. Jeder Song steckt voller guter Ideen, der Mix ist spannend, die Basslines swingen und der Sound ist überwältigend. Und damit sich diese Virtuosität auch richtig auskosten lässt, bietet CD 2 des Doppelalbums alle Tracks noch einmal als Dub-Versions – was nach einer absurden Idee klingt, da jedes Stück auf CD 1 ja schon ein Dub ist. Egal, ich würde auch noch eine dritte CD mit Remixen der Remixe begeistert anhören. Zumal es hier von unsterblichen Melodien nur so wimmelt. So gibt es sehr, sehr coole Neuinterpretationen von „Chase The Devil“ und „Blackboard Jungle“ – warum ist bei Lee Perry als Studiogast sonst noch niemand auf diese grandiose Idee gekommen? Mein persönlicher Favorit ist jedoch die Jean-Michel Jarre-Hommage „Oxygen pt. 4“ mit Regisseur David Lynch am Mikrophon. Da kann man nur sagen: Welcome back! Wir sind froh, dass ihr wieder da seid!

Nicht vom Planeten Dub sondern aus dem schönen Norditalien erreichte mich das neue Album der R. B. Stylers, „Indubstria“ (Alambic Conspiracy/Import). In bester Old School-Manier präsentiert es 12 Tracks als Showcase, also je ein Song gefolgt von seinem Dub-Mix. Handgespielte, wuchtige Rhythms prägen den Sound, der irgendwo zwischen Zion Train und Draedzone liegt. Besonders erwähnenswert sind die melodiösen und zugleich kraftvollen Songs von Sängerin Michela Grena, die einerseits einen schönen Komplementär zu den Rhythms bildeen, andererseits aber – wie auf Startsong „Let The Shine“ gut zu hören – in perfektem Einklang mit der Musik stehen. Nahtlos gehen die Vokalversionen in den Dub-Mix über, so dass ein Stück fast 8 Minuten dauert. Das Beste an dem Album ist aber, das es – kaum zu glauben – kostenlos (und legal) auf der Homepage der B. R. Stylers (www.brstylers.com) heruntergeladen werden kann.

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Dub (R)evolution Review

Dub Evolution April 2009

 

Dass Dub in Deutschland überlebt hat, haben wir einzig und allein einem Label zu verdanken: Echo Beach. Gegründet während der Blütezeit des UK-Dub, hat es die Fahne des Dub in all den Jahren der Dürre und Entbehrungen hoch gehalten und feiert heute seinen unglaublichen 15. Geburtstag. 1,5 Dekaden First Class-Dub aus Deutschland und dem Rest der Welt (mit bahnbrechenden und Dub-Geschichte schreibenden Alben u. a. von Black Star Liner, The Groove Corporation, Manasseh, Seven Dub, Dubblestandart, Noiseshaper, Cool Hipnoise und den More Rockers), da hätte man mit gutem Recht einen Best Of-Sampler erwarten können. Doch nein, Mr. Beverungen from outta Hamburg überrascht uns mit einer neuen Ausgabe seiner legendären King Size Dub-Serie – der dreizehnten, wenn ich richtig gezählt habe (Echo Beach/Indigo). Und weil das ein schlechtes Omen ist, hat man einfach zu einer anderen Zahl gegriffen, deren Symbolgehalt weitaus vielversprechender ist, der 69! Darauf hat unser hanseatischer Dub-Ritter (und -Retter) 14 exklusive Tracks von seinen Lieblings-Label-Artists versammelt und den Mark Viddler-Dubmix von Martha & The Muffins Song „Echo Bach“ programmatisch an den Anfang gestellt. Es folgt ein reichlich spaciges Dub-Cover des Special-Hits „My Rasist Friend“, dargeboten von Deepchild feat. Andy B. Hohe Dub-Mix-Kunst! Dann ein Track, mit dem man nie und nirgends etwas falsch machen kann: „Peace & Love“ von Dubmatix feat. Linval Thompson (vom aktuell bei Echo Beach erschienenen Album „Renegade Rocker“). Geht es um die New School des Old School-Dub, dann macht Dubmatix aka Jesse King zurzeit niemandem etwas vor. (Ich höre aktuell zwei großartige neue Dubmatix-Singles, die in Kürze bei irieites.de erhältlich sein werden – nicht Echo Beach, aber trotzdem klasse). Ebenfalls groß: Junglehammer vs. Daktari, ein kraftvoller, schneller Dub. Die perfekte Wahl nach dem Dubmatix-Kracher. Weiter geht‘s mit Smoke (vom aktuellen Album „Addicted“), dann (zum x-ten Mal – aber beim Jubiläumssampler drücken wir mal ein Ohr zu) mit The Ruts DC. Es folgen vier grandiose Dub-Cover: „House Of The Rising Sun“ (Animals), „Walking On The Moon“ (Police), „Private Life“ (Pretenders) und „Jeanny“, eine richtig deepe Dub-Version von Falcos kontroversem 80er-Hit. Den Abschluss bilden Dubblestandart mit Lee Perry, das Dub Syndicate, Sugar Sugar (von Seven Dub) und Ari Up vs. X. A. Cute, die einen interessanten Crossover von Cutty Ranks und Dubstep fabriziert haben. Mit anderen Worten: Ein richtig gutes, fettes Jubiläumspräsent, das Echo Beach uns und sich selbst zum Geschenk gemacht hat. Auf die nächsten 15 Jahre!

Ich lebe in dem sehr befriedigenden Bewusstsein, mich zumindest in einem musikalischen Kosmos wirklich gut auszukennen: Dub. Doch in letzter Zeit mache ich immer wieder die – allerdings keineswegs unangenehme – Erfahrung, dass es noch einige unentdeckte Winkel und mir unbekannte Protagonisten gibt. Wie z. B. Sideshow, deren Debut-CD „Admit One“ (Aus Music/Alive) letztens auf meinem Schreibtisch landete. Der Name sagte mir gar nichts und ein Blick ins Presseinfo nährte den Verdacht, dass diese CD womöglich nur fehlgeleitet worden war. Die Rede war dort nämlich vom Singer/Songwriter Fink, der seit 2003 Alben auf Ninja Tune veröffentlicht, auf denen er sich beim Singen mit der akustischen Gitarre begleitet. Also so ungefähr das Gegenteil von Dub. Egal, ich beschloss die Musik sprechen zu lassen und legte die CD in den Player. Immerhin hörte ich nicht einen Mann mit seiner Gitarre, sondern einen waschechten Indi-Popsong mit weiblicher Sängerin (Cortney Tidwell, wie sich später herausstellte) – aber letztlich auch nicht meine Tasse Tee. Fast hätte ich die CD schon gestoppt, als der zweite Track begann und mir eine Bassline entgegenschallte, die meine Eingeweide erbeben ließ. Wow – was war das? Four to the floor stampfte der Beat durch Raum und Zeit und hinterließ Spuren lang nachhallender Echos. Dabei – und das passte perfekt zu dem ungewöhnlichen Einstiegssong – klang alles so wunderbar analog und menschlich, hatte Wärme und Atmosphäre. Beim dritten Track dann erklang die vertraute Stimme von Paul St. Hilaire, womit dann auch klar war, wohin die Reise bei den verbleibenden sieben Tracks gehen sollte: Zu einer der schönsten und spannendsten Dub-Exkursionen der letzten Monate. Fink aka Fin Greenall hat dieses Album mit seiner Tour-Band live eingespielt, gewissermaßen zur Entspannung: „Im Dub geht es für mich nicht um rationales Denken, sondern eher um emotionales Handeln, um Freiräume, eine gewisse Beschaffenheit,“ sagt Greenall: „Dub ist für mich wie die Kirche der Musik, eine gewisse Unschuld mit riesiger Kraft.“ Sehr schön poetisch – und man glaubt es ihm spätestens, wenn auf „If Alone“ die klagenden Streicher ertönen, in denen der Weltschmerz über unablässig heranströmenden Bass-Wogen ausgebreitet wird, nur um dann in einer höchst eigenwilligen Version von Kraftwerks „Modell“ zu münden. Wer so etwas als Entspannungsübung betreibt, muss schon ein begnadeter Musiker sein – von denen es in den verschiedenen musikalischen Genres ja eine Menge gibt. Bleibt nur zu hoffen, dass sie ihr Herz für Dub entdecken und dafür sorgen, dass noch so manche obskure CD auf meinem Schreibtisch landet.

Das genaue Gegenteil von „handgespielter“, analoger Musik liefert das Label Jahtari, das sich – wie der Name vermuten lässt – dem 8Bit-Sound früher Computer wie Atari und vor allem dem C64 mit seinem (damals) überragenden Soundchip verschrieben hat. Labelchef Disrupt legt nun mit „The Bass Has Left The Building“ (Jahtari/Cargo) sein zweites, „echtes“ Album vor, auf dem er die Verbindung von Dub und 80er-Jahre Computergame-Sounds weiter auslotet. Damit tritt er unweigerlich in die Fußstapfen von King Jammy, der 1985 mit Sleng Teng den ersten vollsynthetischen Reggae-Sound produzierte. Doch während Jammys Epigonen heute mit modernster Software wie Logic und Cubase arbeiten, beschränkt sich Disrupt bewusst auf das minimale Soundrepertoire des dreistimmige SID-Chips, der seinerzeit im C64 steckte. Was lässt sich mit diesem beschränkten Instrumentarium anstellen? Ehrlich gesagt: nicht sehr viel – obwohl, andererseits, auch wieder mehr als gedacht. Im schlechtesten Fall klingen die Stücke nach den simpel gestrickten Soundtracks alberner Jump & Run-Spiele, im besten Fall gelingt es Disrupt komplexere Shuffel-Beats zu komponieren, die gelegentlich sogar in die Nähe von Rhythm & Sound-Tracks kommen. Letztlich lässt sich diese Musik mit gewöhnlichen Qualitätskriterien aber nicht fassen. Dubs aus C64-Sounds sind ein Experiment, das, egal ob es scheitert oder gelingt, unseren musikalischen Horizont erweitert – und damit seine Berechtigung hat.

Wahre Reggae-Buffs kennen Clinton Fearon. Auch wenn sie ihn in dieser Kolumne nicht erwartet hätten, denn Fearon ist als Mitglied der Gladiators und somit als Sänger bekannt. Doch nun hat der Reggae-Veteran, der nicht nur Sänger sondern auch Bassist ist und bereits im Studio One und im Black Ark-Studio spielte (und mittlerweile in Seattle (USA) lebt), ein waschechtes Dub-Album aufgenommen. „Waschecht“ bedeutet, dass es nicht nur der Dubmix eines vorliegenden Vokal-Albums ist. Nein, „Faculty Of Dub“ (Boogie Brown/Import oder iTunes) ist ein originäres, „handgespieltes“ Dub-Album. Und ein sehr gutes dazu, mit wunderbarem Old School-Flair, klassischer Besetzung, sanften, harmonischen Rhythms und einfachem, aber sehr angenehmen Mix. Solche Musik kann man wunderbar im Büro laufen lassen. Sie verbreitet Wärme und Wohlbefinden, wirkt beruhigend aber keineswegs langweilig. Die Faculty Of Dub ist schlicht und ergreifend das, was man ein „solides Dub-Album“ nennt. Und genau davon gibt es in den letzten Jahren viel zu wenig. Auch jenseits musikalischen Engagements scheint Mr. Fearon aktiv zu sein. Eine Google-Suche nach seinem Namen fördert einen Blog mit dem Titel „Boogie Brown and the Baby Notes“ zutage, in dem Fearon Geschenkideen (meist Geschenkkörbe) anpreist. Die Geschenkkörbe gibt es dann auf einer kanadischen Shopping-Site. Na ja, seit mit Musik kaum noch Geld zu verdienen ist, müssen Musiker auch alternativen Einnahmequellen gegenüber aufgeschlossen sein.

Aber da wir gerade im Netz herum surfen, muss ich noch einen Tipp für einen richtig guten Dub-Podcast loswerden: thedubzone.blogsome.com. Produziert wird er von Pete Cogle, der bis zu drei mal monatlich eine ca. halbstündige Show ins Netz stellt. Dafür greift er ausschließlich auf im Netz frei verfügbare Downloads zurück und nimmt somit seinen Hörern die Mühe ab, selbst Musik-Community-Sites wie reggaedubwise.com nach gutem Material zu durchforsten. Ich bin jedenfalls immer wieder sehr erstaunt, welch gute Dubs Mr. Cogle sich so zusammen klickt (und vor allem bin ich darüber erstaunt, welch gute Qualität „Hobby“-Dub-Produzenten so ins Netz stellen).