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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, November 2005

St. Germain hat vor einigen Jahren gezeigt, wie sich House auf äußerst elegante Art und Weise mit Jazz verbinden lässt. Patrick Bylebyl und Guillaume Metenier, ebenfalls aus Paris, wendeten seine Methode der Housierung auf Reggae an und kreierten unversehens eine so ungemein soulige Variante von House-Dub (nicht Dub-House!), dass sich ihr Projekt-Name „Seven Dub“ tief im Gedächtnis aufgeschlossener Dub-Enthusiasten verankerte. Ihr Tune „Rock it Tonight“ war die Initialzündung, der anschließend zwei Alben folgten. Nun liegt mit „Dub Club Edition: Rock With Me Sessions“ (Echo Beach/Indigo) Album Nr. 3 vor und passt sich perfekt in die Reihe ein. Wunderbar groovende Tunes, gekrönt von den warmen Stimmen großartiger Vokalisten wie Angelique (sie hat „Rock it Tonight“ gesungen), Paul St. Hilaire, Zakeya und DJ-Veteran Lone Ranger. Beat-technisch orientieren sich Bylebyl und Metenier zwar an dem schmalen Grenzpfad zwischen House und Reggae, genehmigen sich aber teilweise recht umfangreiche Exkursionen zu beiden Seiten – ohne dabei jedoch den für sie typischen Dub-Groove, der das ganze Album wie ein roter Faden durchzieht, reißen zu lassen. Ein gutes Beispiel für diese Technik ist die kongeniale Cover Version von Gregorys „My Only Lover“: Ein sehr offen und leicht gespielter One-Drop-Rhythm bildet hier die Basis. Weiche Synthie-Akkorde, eingestreute Gitarren-Picks und verhalten jazzige Piano-Klänge sowie natürlich Angeliques zauberhafte Stimme legen sich wie in transparenten Ebenen darüber und erzeugen so ein äußerst faszinierendes, vielschichtiges Klangbild – zugleich voller Dynamik und entspannter Gelassenheit. Sehr sehr schön. Hier sind Seven Dub in ihrem Element. Da ist das Schielen nach einem „Rock Me Tonight“-Nachfolge-Hit, wie es der Titelsong „Rock With Me“ zu sein versucht, unnötig. Das erzeugt nur latente Déjà vu-Effekte, die den Eindruck vermitteln, Bylebyl und Metenier träten auf der Stelle. So wird der vermeintlich stärkste Track des Albums tatsächlich zu seinem schwächsten. 

Anfang letzten Jahres überraschte uns Ryan Moore mit einem Vocal-Artist-Album aus seinem für reine Dub-Workouts bekannten Haus „Twilight Circus“. Es folgte ein hervorragendes Solo-Album von Michael Rose, zu dem Moore nun – wie sollte es anders sein – unter dem Titel „African Dub“ (M Records/Import) das passende Dub-Album vorlegt. Doch das Problem mit dem Zwielicht-Zirkus war immer, dass seinen Dubs die gewisse Würze fehlte – weshalb Moores Entscheidung, seinen Dubs die Lyrics großartiger Foundation-Artists angedeihen zu lassen, genau die Idee war, die zum großen Wurf noch fehlte. Zwangsläufig führt der umgekehrte Weg, nämlich den Gesang für die Dub-Version wieder zu streichen, zum alten Problem: Gute Fleißarbeit, aber im Ergebnis nicht wirklich spannend. Hinzu kommt, dass Moores Dubs auf Michael Roses Album ohnehin so präsent sind, dass das Dub-Album eigentlich obsolet ist. Wer die Songs ein paar mal gehört hat, wird auf diesem Dub-Album nicht viel neues entdecken – außer Manassehs Mix von „No Burial“, der hier einen schön synthetisch klingenden Computer-Bass unterlegt hat.

Noch ein Wort zu „Computer-Bass“: Wer darauf steht, der findet den ultimativen Computer-Bass-Tune auf dem Kankal-Album „Don’t Stop Dub“ (Hammerbass/Import). Nach einem spannungsvollen Intro und der altbekannten Fuzzy Jones-Ansage, knallt eine unglaubliche Bassline los, die dem Labelnamen alle Ehre macht. Überhaupt hat Monsieur Kanka hier ein äußerst bemerkenswertes Dub-Album vorgelegt, das so voller Energie steckt, dass man sich daran fast die Finger verbrennt. Hier heißt es: „Four To The Floor“ im für Dub maximal zulässigen Höchsttempo. Wie Kong Kong durch die Straßen New Yorks, stampft Kankas Drummachine durch die Beats und lässt es ringsum scheppern und donnern. Damit der Bass dagegen eine Chance hat, türmt er sich zu einem wahren Frequenzgewitter, das mühelos die Nachbarn von der anderen Straßenseite aus den Schlaf vibriert. Also, Dubheads, hier lohnt sich ein wenig Import-Recherche – dieses Album ist ein Killer!

Mal schauen, ob die Bush Chemists mit ihrem neuen Werk „Raw Raw Dub“ (Roir/Import) degegenhalten können. Es beginnt zunächst ganz am Anfang mit „New Beginning“. Doch was hier so vielversprechend heißt, entpuppt sich als gewohnt gutbürgerlich. Neo-Dub, oder auch UK-Dub, in Reinstform, nicht mehr und nicht weniger. Der nächste Track „Speaker Rocker“ baut schon etwas mehr Tempo auf und noch einen Track weiter, in dem Love Grocer-Remix „East Of Jaro“ kommt noch etwas Melodie dazu. Nein, gegen Kanka machen die Dub-Veteranen keine allzugute Figur, doch je länger man ihnen zuhört, sich auf ihre Musik einlässt, desto mehr verblasst der Vergleich und das Album entfaltet seine Qualitäten – und die bestehen darin, dass es den eingeschränkten Möglichkeiten des Neo-Dub (seiner Rhythmik, seinen Arrangements und seiner Instrumentierung) irgendwie doch noch weitgehend interessante Tunes abgewinnt. 

Hören wir lieber mal beim Original nach, hören wir, wie alles begann… 1991 nahm Zion Train das Debutalbum „A Passage To Indica“ auf, ein braves, unspektakuläres Album, das jetzt zusammen mit seinem Nachfolger „Natural Wonders of the World in Dub“ (Universal Egg/Import) – ein Neo-Dub-Meilenstein – frisch remastered neu veröffentlicht wird. Vor allem „Natural Wonders“ ist immer noch sehr hörenswert. Hier deutet sich schon sehr klar die für Zion Train typische Liaison zwischen Digi-Dub und schnellen  Acid-House-Rhythmen an. Das Album steckt voller bahnbrechender Ideen, jeder Track ist eigenständig und rhythmisch wie melodiös so prägnant, dass sich die Dubs beinahe als „Songs“ bezeichnen lassen, wie z. B. insbesondere beim letzten Track „Zion Canyon“ mit seiner sanften Ohrwurm-Piano-Melodie über der unweigerlich hypnotisierenden Bassline. Rückblickend zeigt sich das Album als ein erstes Manifest der neuen Möglichkeiten des Neuen Dub.

Abschließend noch ein historischer Blick auf den jamaikanischen Dub. Das amerikanische Label „Silver Kamel Audio“ widmet sich dem Oeuvre des Deejay und Produzenten Jah Thomas. Die letzten Veröffentlichungen sind der Sampler „Big Dance A Keep“ und das Dub-Pendant „Big Dance a Dub“ (Silverkamel/Import). Aufgenommen von den Roots Radics, Mafia und Fluxy sowie der Firehouse Crew im Tuff Gong und im Black Scorpio-Studio, bietet das Album 14 frisch eingespielte Tracks, die so klingen, als stammten sie aus den 80er und 90er Jahren. Das Album wäre keiner besonderen Erwähnung wert, wären da nicht all die schönen Studio One-Riddims, die hier in crisp eingespielter Fassung gewissermaßen pur zu hören sind. Ein Verneigung Nkrumah Thomas’ vor dem großen Erbe Studio Ones? Oder bloße Einfallslosigkeit? Egal, diese Riddims machen Spaß und tragen jedes Album.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, September 2005

Steve Barrow – unermüdlicher Reggae-Historiker und Reissue-Papst – zeichnet neben Blood & Fire nun für ein neues Label verantwortlich: „Hot Pot“, angesiedelt im Haus von Cooking Vinyl (wie passend!). Nach „Earthquake Dub“, das bereits im März erschien, kommt jetzt „Leggo Dub“ (Hot Pot/Indigo), beides Werke des Produzenten Oswald „Ossie“ Hibbert. „Leggo Dub“ ist ein schönes, raues und energiegeladenes Dub-Album, das von Sly Dunbars Drums unerbittlich durch 16 Tracks gepeitscht wird. Im Wesentlich basiert es auf Gregory Isaacs Album „Mr. Isaacs“ und bietet Dub-Versions so glorreicher Hits wie „Smile“, „Storm“, Sacrifice“ oder „The Winner“. Doch Barrow wäre nicht Barrow, wenn er es dabei belassen hätte, und so hat er sechs Bonus-Tracks aus Ossies Archiv hinzugefügt: darunter „Lion Fence Version“, eine Ranking Trevor-B-Seite oder „Special Version“ und „Loving Version“, beides U. Brown-B-Seiten. Doch die Gregory-Rhythms sind nicht zu toppen. Knochentrocken und kraftvoll stürmen die Beats voran, garniert von wunderschönen Gregory-Melodien, die von Bläsern angespielt werden und dann verhallen, um Drum & Bass den Vortritt zu lassen. Gelegentlich hat Hibbert, der hier auch Sound Engineer war, Soundsamples, wie Hundegebell oder Telefonklingeln beigemischt. Hat er wohl bei Errol T. abgeguckt, klingt auf „Leggo Dub“ aber doch eher deplatziert. Ansonsten kann Hibbert seine Nähe zu King Tubby nicht verleugnen – was aber nicht zuletzt am Sound der Backing Band (Revolutionaries/Soul Syndicate/Aggrovators) liegt, die auch für Bunny Lee unzählige Rhythm Tracks aufgenommen hat. Wer also die Blood & Fire-Dub Rereleases mag, wird an Leggo Dub seine Freude haben.

Mein lieber Plattendealer aus Münster hat ein interessantes französisches Dub-Label mit dem grandiosen Namen „Sounds Around“ ausgegraben, das sich irgendwo im Spektrum zwischen Neo-Dub, Elektronik, Techno und Drum ‚n’ Bass verorten lässt. Mit „Dub Excursion“ (Pias/Import) legte das Label – gewissermaßen als Gründungsmanifest – einen Sampler vor, auf dem Namen wie Manutension, Tomaski, Brain Damage, Hybrid Sound System, aber auch mir gänzlich unbekannte Acts wie Elastik, Uzina Dub oder Heckel & Jeckel versammelt sind. Den Grundtenor des Samplers bestimmen wuchtige Neo Dubs mit schweren Basslines und stoisch steppenden Drumbeats. Aber alles klingt ein wenig experimenteller, elektronischer und verspielter. Hier wird undogmatisch musiziert, was der Labtop hergibt – und im Falle von Rawa Dub ist es eine grollende Bassline, die ihresgleichen sucht. Ein wahres Dub-Gewitter! Fantastisch sind auch Heckel & Jeckel, die hier einen UB 40-Sample durch den Fleischwolf drehen. Entlassen wird der Hörer von Elastik, der scheinbar einen Muhezin in der Mangel hatte. Schräg und schön.

Ein weiteres Album auf Sounds Around ist „Dub Strike“(Pias/Import) von Sism-X, die irgendwie nach einer Hardcore-Version von Seven Dub klingen. Machtvoller Roots-Dub ohne Firlefanz. Druckvoll und Kompromisslos. Völlig redundant, einen Titel tatsächlich „Stepper Dub“ zu nennen – nichts anderes macht das gesamte Album mit Bravour.

Das Hybrid Sound System – bereits mit einem Titel auf dem Sampler vertreten – legt mit „Synchrone“ (Pias/Import) auch ein komplettes Album auf Sounds Around vor. Hier geht es schon experimenteller zu. Viele der wuchtigen Dubs sind um orientalische Harmonien und arabische Vokal-Samples herumgewebt. So beginnt der Track L’Uzure wie ein arabisches Volkslied, um sich dann allmählich in einen kraftvollen Steppers-Dub zu verwandeln. „Nordick“ hingegen beginnt wie ein langsamer, schleppender Dub, um im Laufe des Tracks zu einem brachialen Drum ‚n’ Bass-Stück zu werden. Da werden die Ohren nachhaltig frei geblasen!

Beruhigend traditionell geht es hingegen auf dem Vibronics-Album „Heavyweigt Scoops Selection“ (Pias/Import) zu, das ebenfalls auf Sounds Around erschienen ist. Versammelt sind hier scheinbar Vocal-Stücke und Dub-Versions diverser Vibronics-Produktionen – gewissermaßen ein Vibronics-Labelportrait. Nach den frischen französischen Dubs wirken die typischen UK-Dub-Synthie-Sounds der Vibronics irgendwie abgestanden, obwohl die Vokalisten einige nette Melodien beisteuern. Vor allem Madus’ „Book Of Revelation“ ist ein brillanter Song, der auch von einem schön kraftvollen Rhythmus unterstützt wird.

Bleiben wir noch ein wenig in Frankreich und hören in ein Album, dessen Titel ausgesprochen vielversprechend klingt: „Night of the Living Dread“. (Import) Urheber dieses Horror Dub-Albums – auf dessen Cover dreadgelockte Riesen-Roboter gegen Zombies in blauen Banker-Anzügen kämpfen – sind Sonarcotic aus Marseille. Dub-Avantgarde darf man hier zwar nicht erwarten, aber ein sehr schönes, interessantes und ziemlich abwechslungsreiches Dub-Album, dass keineswegs zum Fürchten ist. Im Gegenteil: ruhige, entspannte, aber doch spannungsvoll pulsierende Beats bestimmen den Sound. Die Arrangements stecken voller kleiner Ideen und sorgen dafür, dass jeder Song Eigenständigkeit und Prägnanz besitzt. Entgegen aller Erwartung wird der Hörer hier nicht mit blöden Samples aus Horrorfilmen genervt – der Titel scheint (zum Glück) lediglich ein nettes Wortspiel zu sein. 

Es gibt wieder eine neue Scientist-Platte! „Nightshade meets Scientist“ (Organized Elements/Import) heißt das Teil und bietet 13 Dub-Mixes eines – noch nicht erschienenen – Albums der Ami-Band Nightshades. Gemixt wurde es von Hopeton Brown a.k.a. Scientist in Hollywood. Die Tracks sind alle von Hand gespielt und klingen auch so – typisch amerikanischer Reggae: traditionell, rootsig, latent trocken. Scientist liefert einen soliden Job: traditionell, rootsig, latent trocken. Spannendere Rhythm-Tracks hätten ihn wahrscheinlich etwas mehr aus der Reserve gelockt. Doch ein Album ohne Höhen und Tiefen hat auch Stärken: So eignet es sich hervorragend als Hintergrundmucke im Büro, gewissermaßen als Stress-Absorber.

Nachdem im letzten Jahr die große Jah-Wobble-Werkschau in Form von einer 3-CD-Box erschienen ist, wagt sich Wobble nun, ein  Album mit aktuellen Werken vorzulegen. Um diesem eine angemessene Bedeutung zu verleihen, hat er den Titel „Mu“ (Trojan/Rough Trade) gewählt, was laut eigener Aussage aus dem Chinesischen stammt und nichts geringeres als „Gott“ oder auch „Ursprung“ meint. Damit dürfte klar sein, dass Mr. Wobbles Esoterik-Trip noch andauert. Diesmal führt er uns über Indien in den fernen Osten, auf einem mit sphärischen Dubs und warmen Bassläufen gepflasterten Weg. Seine Soundcollagen aus asiatischen Harmonien, Breakbeats, Sampels, Keyboard-Flächen und natürlich subsonischen Bassfrequenzen haben zwar nur bedingt mit Reggae zu tun, dafür aber umso mehr mit Dub, Zen-Dub, um genau zu sein. Jeder Track besteht aus einer nicht genau definierbaren Anzahl von Soundebenen, die sich transparent überlagern und aus denen immer wieder einzelne Instrumente oder Stimmen hervortreten und eine kleine Melodie anstimmen oder synkopierte Beats beisteuern. (Für diesen faszinierenden Sound zeichnet übrigens Mark Lusardi verantwortlich, der auch schon The Orb, Duran Duran und David Bowie hat gut klingen lassen). Wobbles Songs stecken voller Ideen und lassen eine allzu einfache Klassifizierung nicht zu. So ist „Kojak-Dub“ zum Beispiel ein funkiges Uptempo-Stück und „Love Comes/Love Goes“ ist lupenreiner Pop. Aber das ist ja kein Widerspruch, denn alles entspringt ja bekanntlich dem große „Mu“.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, August 2005

Mad Professor ist einer meiner Helden. Seine „Dub Me Crazy“-Alben kamen zu Beginn der 1980er Jahre über mich wie eine Offenbarung. Als hätte ich geahnt, dass es im Reggae noch eine tiefere Dimension geben müsse, hörte ich seine metallisch donnernden Beats mit offenen Ohren, Kopf und Mund. Seine Dubs waren genau die richtige Mischung aus druckvollen, tief tönenden Beats und höchst kreativem Mix. Anders als bei Kollege Adrian Sherwood, gelang es ihm immer, seinen musikalischen Experimenten Bodenhaftung zu verleihen und seinen Stücken Seele einzuhauchen. In einem Interview erzählte er mir einmal, dass er glücklich sei, in England und nicht in Jamaika Musik zu machen, denn hier sei er vielfältigeren Einflüssen ausgesetzt, die ihn stets von neuem inspirieren und motivieren. Daraus spricht eine vollkommene Hingabe an die Musik. Nicht die Suche nach einem kommerziell verwertbaren „Style“ treibt ihn an, sondern die Erforschung der noch verborgenen Möglichkeiten von Dub. Wie weit er mit der Auslotung dieser Potentiale bisher gelangt ist, dokumentiert seine Doppel-CD-Jubiläums-Compilation „Method To The Madness“ (Trojan/Sanctuary) , die einen Querschnitt aus 25 Jahren Produktionstätigkeit des Professors präsentiert. Während die zweite CD vor allem seiner Remix-Tätigkeit (für Massive Attack, Jamiroquai u.a.) gewidmet ist, finden sich auf der ersten CD die wahren Großtaten des Professors. Weitgehend chronologisch wird hier der Bogen gespannt von 1979 („Kunta Kinte Dub“) bis 2004 („Ariwa Dub Rock“ – mit Sly & Robbie). Dabei ist es schon geradezu erschreckend, wie modern seine Produktionen aus den frühen 80ern klingen. So ausgefeilte, clever arrangierte und niveauvoll produzierte Rhythms haben selbst heute noch Seltenheitswert. Der Professor nutzte sie für seine großartigen Dubs, aber auch als Basis für viele Vocal-Produktionen mit britischen Artists wie Pato Banton, Ranking Ann, Sandra Cross oder natürlich Macka B, die hier alle mit ihren wichtigsten Stücken vertreten sind. Doch auch ehrwürdige Foundation-Artists haben Mad Professor immer interessiert und so gibt es wunderschöne Aufnahmen mit Johnny Clarke, Horace Andy oder Max Romeo zu hören. Insgesamt also eine ebenso vielschichtige wie essentielle Werkschau des verrückten Professors – die verrückt nach mehr macht.

Seit Trojan von Sanctuary geschluckt wurde, wird der gigantische Katalog des Labels wieder nach Kräften ausgewertet. Da ist natürlich jede Kompilation-Idee willkommen. Die neuste Idee im Hause Trojan: die klassische DJ-Kompilation, bei der ein bekannter Plattenaufleger seine Lieblingstracks aus dem Fundus auf einen Sampler packen darf. Das hat schon mit DJ Shortkut gut geklappt. Jetzt ist der BBC-Radio DJ Chris Coco an der Reihe und präsentiert seinen Dub Club: „Peace & Love & Dub“ (Sanctuary). Dafür hat er sich vor allem in den 1970er Jahren bedient und einige schon auf tausend anderen Samplern vorliegende  Stücke wie „King Tubby Meets Rockers Uptown“ oder „Cocain In My Brain“ (also nicht nur Dubs) aber auch echte Neuentdeckungen wie Dawn Penns „Love Dub“, Gregorys „African Woman Version“, Bobby Ellis „Shuntin“ oder Lee Perrys selbst gesungene (und leicht umgetextete) Version von Marleys „One Drop“ auf den Plattenteller gepackt. Das ist zwar alles nicht wirklich zwingend, macht aber Spaß und kommt vor allem Sonntagmorgens gut.

Doch damit nicht genug, denn mit dem „Trojan Dub Rarities Box Set“ (Sanctuary), setzten die Sanctury-Kompilatoren noch einen drauf: fünfzig Dub-Tunes aus den 1970er und frühen 1980er Jahren auf drei CDs. Zum Glück sind hier statt der üblichen Verdächtigen eher seltenere Stücke versammelt. Dabei handelt es sich allerdings oft nur um alternative Mixe, was den Neuigkeitswert natürlich schmälert. Aber es gibt auch kleine, funkelnde Dub-Perlen, die in der Geschichtsschreibung des Dub übersehen wurden, wie z. B. „Dub In Love“ von The In Crowd mit frühen Synthie-Melodien, oder Nineys „Iron Fist“ ein früher „computerized“ Dub. Doch angesichts der Tatsache, dass es an Seventies-Dub-Samplern zur Zeit nicht mangelt, stellt sich schon die Frage, ob diese „Rarities“ zwingend in die Dub-Sammlung gehören.

In jede Dub-Sammlung gehören allerdings diese beiden Alben: „Dub Massive Chapter 1“ und „2“ (Sanctuary). Zwei CDs mit je 18 Stücken, die niemand geringeres als Bill Laswell aus den Trojan-Archiven geklaubt hat. Doch der Meister des Bass hat hier nicht nur seine Lieblingsdubs der Seventies kompiliert, sondern hat sie zugleich einem sanften, das Orginal respektierenden Remix unterzogen. „Placed By Bill Laswell“ heißt es daher auch auf dem Cover (das übrigens aus je einer Einsteckpappe besteht und dem interessierten Hörer weitere Informationen schuldig bleibt), worunter Laswell offensichtlich vor allem subtile Veränderungen am Sound versteht (z. B. verstärkte Basslines, Verzerrungen, etc.), gelegentliche Soundsamples sowie ausgeklügelte Übergänge zwischen den ineinander gemischten Stücken. Jedes Album präsentiert sich somit als ein siebzigminütiger, kontinuierlicher Dub-Mix in dem die Beats unterschiedlicher Producer und unterschiedlicher Epochen zu einem faszinierenden Dub-Allover verschmelzen. Was Puristen als Sakrileg empfinden, versteht Laswell als „Interpretation“. Das trifft die Sache eigentlich ganz gut, denn statt sie neu und anders klingen zu lassen, arbeitet er vielmehr die Stärken und Besonderheiten der Originale heraus und unterzieht sie einem sanften soundtechnischen „Rebrush“. Wer das für ein Sakrileg hält, sollte sich die Alben erst recht anhören, denn wahrscheinlich wird er hier seine Lieblingsstücke ganz neu entdecken.

Damit genug an Trojan-Releases. Kommen wir zu einem anderen Lieblingslabel von mir: Echo Beach. Immer auf der Suche nach interessanten Dub-Manifestationen, ist der Labelchef nun auf ein Dub-Album der amerikanischen Ska-Band The Slackers, mit dem Titel „An Afternoon In Dub“ (Echo Beach/Indigo), gestoßen. Entstanden im Anschluss an Probe-Sessions, bei denen das Aufnahmeband laufen gelassen wurde, klingen die Tunes sehr entspannt und inspiriert – und gar nicht nach Ska. Hier dominieren eher langsame Reggae-One-Drop-Beats – nur gelegentlich schleicht sich ein Ska-Shuffle ein, der dann aber sehr erfrischend ist. Besonders schön sind natürlich die Ska-typischen Bläser und der raue, handgespielte Sound. Weniger überzeugend sind allerdings die Riddims und die teilweise etwas drucklose Spielweise. Überhaupt klingt das Album mehr nach einem Instrumental als nach einem reinrassigen Dub-Album, obwohl der Dub-Mix unüberhörbar ist. 

Ein wenig ist das auch bei dem neuen Album von Burning Babylon, „Stereo Mash Up“ (I-Tones/Import) der Fall. Auch hier ist der handgespielte Sound manchmal etwas trocken und das Timing nicht immer perfekt. Andererseits finden sich hier auch supertighte Stücke wie „Midnight To Six“, oder „Heavy Dread (eine Stalag-Version), die, bei voller Lautstärke gehört, durchaus in der Lage sind, das Dach abzudecken. Diese Überraschungen sind es denn auch, die das Album interessant machen. Statt eintönigem Standard-Sound stecken hier in jedem Stück eine Menge Ideen – Spiel- und Mixfreude sind unüberhörbar.

Bleiben wir in Amerika und wechseln von Massachusetts nach Brooklyn, zum Trumystic Soundsystem. Soeben haben sie ihr Doppel-Album „Dub Power“ veröffentlicht, dass entgegen des Titels überwiegend Vocal-Nummern enthält. Die Dub-Versions finden sich dann allerdings auf CD 2. Ebenfalls handgespielt, haben auch diese Tunes einen recht trockenen, analogen Sound, über dem die helle, kraftvolle Stimme der Sängering Kirsty Rock schwebt. Produziert wurden alle Songs von Keith Clifton aus dem Wordsound-Umfeld, was zunächst alle Alarmglocken läuten lässt, ebenso wie die Info, dass Trumystic bereits auf dem Pink-Floyd-Hommage-Album „The Dub Side Of The Moon“ zu hören waren. Und in der Tat: eine gewisse geistige Nähe zum Rock ist manchmal nicht ganz zu überhören. Andererseits gibt es auch sehr schöne, druckvolle Reggae-Rhythms – aber so richtig überzeugen kann mich das Album nicht. Dub ist eine im weitesten Sinne elektronische Musik. Um hier mit einem handgespielten, tendenziell rockigen Sound überzeugen zu können, muss man seine Sache schon richtig gut machen (wie z. B. das Dub Trio). Doch das will hier noch nicht recht gelingen. Trumystiks Stärken liegen hingegen in den Vocal-Stücken, bei denen eine schlüssige Songstruktur wichtiger ist als Sound und Präzision.

Komplett anders klingen Dub Resistance auf ihrem Album „World Receiver“ (www.maxelect.com). Hier geht es um House, Lounge und Dope Beats unter dem großen Prinzip Dub. Die Sounds sind demnach eher elektronisch, entspannt und fließend. Eine Musik, die gut in den Hintergrund passt, sie füllt den Raum mit Atmosphäre und Wärme. Es ist kaum möglich, genau hinzuhören. Immer wieder driften die Gedanken ab – nichts hält sie bei den Stücken. Hier fehlen Ecken und Kanten, Kraft und Energie. Nick Manasseh hat mit dem Cool Hipnoise-Album (auf Echo Beach) gezeigt, wie sich Lounge-Dub mit Charakter umsetzen lässt. Davon sind Dub Resistance leider noch weit entfernt. Etwas weniger Bescheidenheit und mehr Selbstvertrauen würden gewiss helfen.

Kommen wir nun zu einem Werk, dass wohl oder übel in diese Kolumne gehört: „The Dub Tribute To U2“ (www.vitaminrecords.com/Imp.) von WideAwake. Mag sein, dass ich schon immer ein Verächter von Rockmusik gewesen bin, mag aber vielleicht auch sein, dass man die U2-Originale kennen muss, um dieses Album genießen zu können. Mir jedenfalls gelingt es nicht einmal ansatzweise. OK, was die Produzenten da gemacht haben, ist zweifellos Dub, soll heißen: hier gibt es eine Menge Soundeffekte, viele (zu viele!) Breaks, Hall und Echo und was sonst noch dazu gehört. Doch dummerweise wurden die Basslines vergessen. Oder gehört es zum Rock-Tribute, dass sich der Bass nicht hören lässt? Dass statt des Basses vor allem Gitarren zum Einsatz kommen, macht die Angelegenheit nur noch schlimmer. Bleibt festzuhalten: druckvolle Rhythms, die Conditio sine qua non eines jeden ordentlichen Dubs, gibt es nicht! Ich will aber nicht leugnen, dass sich die Produzenten redlich Mühe geben und viele gut gemeinte Ideen in ihren Arrangements unterbringen. Doch wenn die Bas(s)is nicht stimmt, dann kann man den Rest leider vergessen. Übrigens ist ein Besuch der Website von Vitaminrecords ganz erhellend, denn das Label hat sich komplett auf Tribute-Alben spezialisiert. Hier gibt es Tribute zu Nine Inch Nails, Marilyn Manson, Rammstein oder Bon Jovi. Allerdings sind das keine Dub-Remixe, sondern meist klassisch orchestrierte Neuinterpretationen, die zum Teil richtig spannend sind (MP3 können Probe gehört werden). So interpretiert ein klassisches String-Quartett zum Beispiel die Musik von Sonic Youth im Minimal-Style eines Steve Reich oder Philipp Glass. Das gleiche Quartett hat sich auch eine Barock-Neuinterpretation von AC/DC vorgenommen!?

Schließen wir den Reigen versöhnlich mit dem neuen Album von Gabriel Le Mar: „Le Mar In Dub“. Gabriel Le Mar ist in Dub-, Ambient-, Downbeat-, Trance- und Techno-Gefilden schon seit den 1990er Jahren eine sehr präsente Gestalt. Meist verbirg er sich allerdings hinter Projekt- oder Labelnamen wie Aural Float, Saafi Brothers oder Banned X. Mir ist er vor rund zehn Jahren zum ersten Mal mit seinen Serious Dropout-Samplern aufgefallen, die mit ihrem Techno-Dub-Crossover ihrer Zeit weit voraus waren. Danach folgten die Auralux-Sampler, die den Reggae-Beat zusehends in Richtung Ambient und Elektronik verließen. Mit „Le Mar In Dub“ ist er wieder back on the track. Hier pulsieren wieder kraftvolle Offbeats mit einem deutlichen Schuss Techno. Einordnen ließe sich der Sound irgendwo zwischen Dreadzone und Kompakt – mit deutlicher Tendenz zu ersterem. In den Beats steckt jede Menge Druck und Vorwärtsdrang. Die Mixes sind fast Nebensache, obwohl sie sehr inspiriert und abwechslungsreich gelungen sind. Das gleiche gilt auch für die Trackauswahl. So finden sich hier heftig groovende Uptempo-Stücke, aber auch langsamere, loungige Dubs mit fließenden Basslines und sanften Sounds. Zu beginn des Albums gibt es sogar zwei Dancehall-Nummern, die allerdings ziemlich aus dem Rahmen fallen und auf dem Album eigentlich nicht viel verloren haben. Für den letzten Track hat Le Mar einen schönen Namen gefunden, dessen rhetorische Frage wir nur allzu gerne bejahen: „Alle Dubbed?“.

Einen hab’ ich noch: Aus Lyon kommen die Hightones, die mit „Wave Digger“ (Jarring Effects/Pias) ein ziemlich experimentelle und gleichermaßen dissonantes wie kickendes Album vorgelegt. Dub funktioniert hier im Wesentlichen in der Form tiefer, rollender Basslines über die so allerhand Chaos abgespielt wird. Mal besonnene Offbeats, mal hektischen Drumm & Bass, mal Hip Hop und mal absurde Samples. Ein Vergleich zur Asian Dub Foundation zwingt sich fast auf, obwohl die Hightones deutlich weniger Ethno-Anteile in ihre wirren Soundmuster verweben. Sehr sehr spannend das Ganze, auch wenn man es nicht unbedingt als Hintergrundmusik bei der Arbeit im Büro einsetzen sollte – sofern einem der Frieden mit den Kollegen lieb ist.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, Mai 2005

Fenin

Grounded

Shitkatapult/Kompakt/Alive

Dub ist in vielen Styles zu Hause. Nach seiner Wiederauferstehung als Steppers-Variante in den 90er Jahren, hat das Dub-Virus viele Mutationen durchgemacht und die unterschiedlichsten Musikstile der Reihe nach infiziert. Besonders gut gefällt mir in letzter Zeit eine typisch deutsche Variante, die sich in Minimal-Techno und –House-Stücken einnistet, deren ohnehin sehr anfälligen Shuffle-Rhythmen einige Offbeats hinzuaddiert und gelegentlich die Echo-Kammer einschaltet. Einer der Meister dieser Techno-affilierten Dubs ist Lars Fenin. Inspiriert von Adrian Sherwood und Audio Active (aber auch Burning Spear)-Konzerten wandte er sich Mitte der 90er Jahre dem Reggae zu. Sein Umzug von Hamburg nach Berlin platzierte ihn mitten in die Hauptstadt elektronischer Musik, was nicht ohne Folgen blieb. Und so begann Fenin 1999 mit der Produktion warm groovender, deutlich technoid angehauchter Dub-Tunes. In den Jahren danach sind eine ganze Reihe 12“ und EPs auf Labels wie Meteosound, Hör Zu und Shitkatapult erschienen – doch sein Debut-Album blieb er bis jetzt schuldig. Hier ist es nun: „Grounded“ (Shitkatapult/Kompakt/Alive). Es spannt das ganze Spektrum seiner Kunst auf, vom Techno-Hardliner „Konstrukt“ über Kompakt-kompatibles wie „Stony Road“ bis hin zu Reggae-Songs reinsten Wassers, wie „No C.I.A.“ oder „Thrill“. Das alles passt wunderbar zusammen und es findet sich nicht ein schwaches Stück darunter. Feinsinnig vertrackte und doch dynamisch fließende Rhythms prägen jeden einzelnen Tune. Damit bietet Fenin genau das, wofür ich Dub liebe: Musik, die dem aufmerksam-analytischen Zuhören standhält und zugleich eine starke emotionale und körperliche Wirkung hat. In Fenins Dub-Verständnis steckt daher eine Menge Potential – was im Übrigen auch für andere Protagonisten dieser Szene gleichermaßen gilt (z. B. für das Label Meteosound). Und das meine ich natürlich keineswegs nur in Hinsicht auf Dub und Reggae, sondern vor allem in Hinsicht auf die elektronische Musik Made in Germany.

In das gleiche Spannungsfeld zwischen Reggae und Techno gehört auch das neue Werk des Kanadiers Deadbeat (aka Scott Monteith): „New World Observer“ (~scape/Indigo). Allerdings treten hier die Offbeats und die repetitiven Minimal-Beats etwas hinter die breit angelegte Ambient-Atmosphäre zurück. Dabei sind die Rhythmen nicht weniger elegant konstruiert als bei Fenin, es ist lediglich die Dynamik, die hier weitgehend der Fläche Platz macht und den Stücken damit zum Teil den Groove nimmt. Scape-typisch sind bei Deadbeats Stücken nicht nur die Beats vertrackt, sondern der ganze Track. Das bietet der künstlerischen Ausdrucksmöglichkeit natürlich mehr Raum, und so erstaunt es nicht, dass der Pressetext „New World Observer“ eine politische Aussage unterstellt – die sich bei einem Dub-Album naturgemäß nur über die Betitelung (z. B. „Abu Ghraib“ oder „Texas Tea“) und ggf. Vocal-Samples ausdrücken lässt. Die Frage, die sich hier aufdrängt, ist ja, ob sich die Symbolkraft von Reggae (und damit Dub) als Widerstandsmusik so einfach vereinnahmen lässt. Ich bin mir da nicht sicher, weil Dub auf einem sehr formalistischen Verständnis von Musik beruht. Dub ist entstanden, indem einem Musikstück am Mischpult die Text-Aussage entzogen und durch eine rein ästhetische Neuinterpretation ersetzt wurde. Zeitgenössischer Dub entsteht bekanntlich sogar gänzlich ohne vorhergehende Vocal-Version. Dub ist abstrakte Musik, größtenteils besitzt er nicht einmal eine erinnerbare, und somit „figurative“ Melodie. Und genau hierhin passt der Klang-Kosmos von Deadbeat: in die große Abstraktion synthetischer Beats und komplexer Komposition.

Kurz erwähnt sei hier ein weiteres Crossover-Album, das sich aber noch viel konsequenter zwischen die Stühle setzt als Fenin oder Deadbeat: „Sports“ (Stadler & Waldorf/Alive) von den beiden Dänen Rasmus Möbius und Anders Christophersen aka Melk. Sie haben ihr Album aufgeteilt in Dub- und Hip Hop-Stücke, die einander abwechseln. Das passt erstaunlich gut zusammen, weil auch die Dubs von deutlichen Breakbeats geprägt sind – ohne dass sie dadurch ihre Wärme verlieren. 

Mein heimlicher Favorit ist eine Platte aus Polen, über die ich kaum etwas herausfinden konnte, da sowohl das Booklet als auch die Website ausschließlich auf Polnisch verfasst wurden. Wie gut, dass Musik eine universale Sprache ist, denn was es zu hören gibt, lässt sich leicht beschreiben: Bhangra, Quawwala, Drum ‚n’ Bass, Arabesque und Asian Underground vereint unter dem allumfassenden Prinzip von Dub. Der Titel des Albums lautet daher auch folgerichtig „Masala“ (Home Appliance/Import) – der Name einer indischen Gewürzmischung. Einer ziemlich scharfen Gewürzmischung zudem, was deutlich macht, dass wir es hier nicht mit sphärischen Sitar-Klängen zu tun haben, sondern mit einem hochenergetischen Mix exotischer Dance-Beats, wobei der Reggae-Offbeat das Chaos stets mit ruhiger Hand ordnet. Der Vergleich zu Asian Dub Foundation drängt sich auf, wobei ADF aggressiver zur Sache gehen und sich zugunsten von Dub und Drum ‚n’ Bass weiter von den originalen Ethno-Sounds entfernen. Das Masala Soundsystem hingegen hat seine Stücke in Afghanistan, Irak, Pakistan und Polen aufgenommen und legt daher viel mehr Wert auf die authentische Musik dieser Kulturen. Diese wird dann auch keineswegs eklektizistisch untergesamplet und als bloßes Klang-Zitat vereinnahmt, sondern sie trägt die Stücke wesentlich und gibt jedem seine unverwechselbare Identität. Sehr faszinierend! (Zu beziehen ist das Album bei Irie Records in Münster).

Wer sich für Worldmusic interessiert, der kommt an dem World Music Network-Label von Phil Stanton nicht vorbei. Vor allem die „Rough Guide“-Serie hat einen hohen Bekanntheitsgrad. Nachdem vor einigen Jahren bereits der „Rough Guide To Reggae“ erschienen ist, liegt jetzt, ganz frisch, der „Rough Guide To Dub“ (World Music Network) vor. Beide Sampler wurden von Reggae-Historiker und Blood & Fire-Mitbetreiber Steve Barrow zusammengestellt. Allerdings hat dieser sich beim Guide zum Dub mit nur einer Ausnahme auf Titel aus dem Blood & Fire-Katalog beschränkt, was auch erklärt, warum der Guide nicht über die 1970er Jahre hinaus kommt. Allein 10 der 20 Tracks wurden von King Tubby gemischt. Den Rest teilen sich Prince Jammy, Errol Thompson, Lee Perry und Joe Joe Hookim. Damit wären die wichtigsten jamaikanischen Meister – mit Ausnahme von Scientist – alle versammelt, der jamaikanische Dub also aufs vortrefflichste repräsentiert und ein ästhetisch sehr befriedigendes Album geschaffen. Doch was nützt ein Guide, wenn er auf halbem Wege schlappt macht?

Aus dem Hause Echo Beach kommt der Sampler „King Size Dub 11“ (Echo Beach/Indigo). Seit nunmehr zehn Jahren dokumentiert Herr Beverungen mit seiner King Size Dub-Serie (der erste Sampler erschien 1995) die „Logical Dubgression“ und wie gewohnt sind hier wieder feinste Dub-Leckerbissen zwischen Reggae, Soul, Pop, Dancehall, World, Trip Hop und Dope Beats versammelt. Wer – wie ich – eifriger Sammler der Artist-Alben von Echo Beach ist, wird rund ein Drittel der Stücke (Noiseshaper, Kalahari Surfers, Dubblestandart u.a.) schon kennen. Doch gerade auch unter dem neuen Material finden sich einige äußerst interessante Dubs. Da ist zum Beispiel Math Doly, ein Singer und Songwriter von der Elfenbeinküste, dessen Griot-Gesang hier von Produzent Simon Grab in ein meditatives Dub-Stück verwandelt wurde. Da wäre auch Alpendub zu nennen, ein Dub-Mixer aus Kanada, der es liebt, Dubs auf Grundlage deutscher Alpenmusik zu mixen. Und schließlich noch Salz aus Köln erwähnt, mit einem Dub-House Remix der Label-Hymne „Echo Beach“ von Martha & The Muffins.

Eines der Stück auf King Size Dub 11 stammt von dem Album „Dub Guerilla“ (Rent a Dog/Soulfood) von Dub Guerilla, aka Tom Bennecke, dem langjährigen Gitarristen von Bands wie Space Guerilla und Jazzkantine. Klar, dass es hier um Jazz gehen muss. Und wenn es um Reggae und Jazz geht, dann ist Ska nicht fern – ebensowenig wie die Bläser. Und in der Tat stehen bei Dub Guerilla die drei Posaunisten Nils Wogram (führender Jazz Posaunist), Uwe Granitza (Phil Collins, Tom Jones) und natürlich Dr. Ring Ding im Zentrum des Geschehens. Doch die Platte wäre falsch in meiner Kolumne, wenn die drei Herren nur Ska-Stücke mit ihren Bläsersätzen garnieren würden. Was dieses Projekt so ungewöhnlich macht, sind die wahrlich außergewöhnlichen Dub-Stücke. Bereits das erste Stück, „The Curse“, empfängt den Hörer als Reinkarnation eines King Tubby Dub-Mix im Stile klassischer Flying-Cymbal Bunny Lee-Produktionen. „Dub ist für mich die ideale Ausdrucksform“, sagt Bennecke, „es ist alles drin, was ich liebe: druckvolle Riddims, naive Melodik und auch Platz für spacig-jazzige Abfahrten“, und beschreibt den Klangkosmos des Albums damit ganz treffend – abgesehen vielleicht von druckvollen Rhythms (die Jazzer der Post-Swing-Ära im Übrigen noch nie wirklich hingekriegt haben). Neben den auf Drumloops basierenden Stücken, gibt es auch echte, handgespielte Bandtracks, die das Album durch den Sound einer großen Rhythmusgruppe bereichern.

Wer sich heute für Dub engagiert, sei es als Musiker/Produzent oder Labelbetreiber, der tut dies aus purem Idealismus, denn Geld lässt sich damit kaum verdienen. Ralf Wunderlich ist beides, Musiker und Labelbetreiber, Dub Aficionado von ganzem Herzen und bedingungsloser Idealist. Von seiner Heimatstadt Berlin aus betreibt er die Dub-Info-Website www.dubflash.com sowie das gleichnamige Label, auf dem 12“s in Kleinstauflagen und neuerdings auch Alben in CD-Form erscheinen. Während er dort bisher nur die Dub-Werke befreundeter Sound-Frickler und Dub-Musiker vorstellte, ist er nun unter dem Namen Dub Rogue mit einem eigenen Album, namens „Dreams Of A Lost Soul“ (Dubflash), am Start. Wunderlich hat es komplett am heimischen PC produziert, „without any professional skills“, wie er entschuldigend schreibt, und gänzlich ohne Budget. Ein wenig mehr Selbstbewusstsein darf er sich gönnen, denn es ist ein sehr schönes, ruhig-meditatives Dub-Werk geworden, das voller guter Ideen und schöner Melodien steckt. Angelegt als Konzeptalbum, liefert es den Soundtrack zu einem Traum, in dem es um eine gestohlene Melodie geht und um die Frage: „Was ist Wirklichkeit?“. Ein interessantes Konzept, denn diese Thematik im Hinterkopf verändert tatsächlich die Wahrnehmung der Musik. Unweigerlich entstehen beim Hören Bilder im Kopf, die sich in einer Assoziationskette zu einer Geschichte verbinden. Warum sind da nicht schon andere Dub-Producer drauf gekommen?

Was sonst auf Dubflash zu hören ist, hat Wunderlich nun auf dem Sampler „Dub Royal – Best Of Dub Flash“ (Dubflash) versammelt. Hier herrschen heavy Steppers-Beats vor, gelegentlich mit Gesang garniert. Typischer UK-Dub-Mid 90ies-Sound. Auch hier stecken einige schöne Ideen drin, allerdings wird es wohl keinen Innovationspreis bekommen. Auch dürften Arrangement und Instrumentierung der einzelnen Tracks gerne etwas einfallsreicher sein. 

Kommen wir nun zu einem Werk, dass wohl oder übel in diese Kolumne gehört: „The Dub Tribute To U2“ (www.vitaminrecords.com/Import) von WideAwake. Mag sein, dass ich schon immer ein Verachter von Rockmusik gewesen bin, mag aber vielleicht auch sein, dass man die U2-Originale kennen muss, um dieses Album genießen zu können. Mir jedenfalls gelingt es nicht einmal ansatzweise. OK, was die Produzenten da gemacht haben, ist zweifellos Dub, soll heißen: hier gibt es eine Menge Soundeffekte, viele (zu viele!) Breaks, Hall und Echo und was sonst noch dazu gehört. Doch dummerweise wurden die Basslines vergessen. Oder gehört es zum Rock-Tribute, dass sich der Bass nicht hören lässt? Dass statt des Basses vor allem Gitarren zum Einsatz kommen, macht die Angelegenheit nur noch schlimmer. Bleibt festzuhalten: druckvolle Rhythms, die Conditio sine qua non eines jeden ordentlichen Dubs, gibt es nicht! Ich will aber nicht leugnen, dass sich die Produzenten redlich Mühe geben und viele gut gemeinte Ideen in ihren Arrangements unterbringen. Doch wenn die Bas(s)is nicht stimmt, dann kann man den Rest auch vergessen. Übrigens ist ein Besuch der Website von Vitaminrecords ganz erhellend, denn das Label hat sich komplett auf Tribute-Alben spezialisiert. Hier gibt es Tribute zu Nine Inch Nails, Marilyn Manson, Rammstein oder Bon Jovi. Allerdings sind das keine Dub-Remixe, sondern meist klassisch orchestrierte Neuinterpretationen, die zum Teil richtig spannend sind (MP3 können probegehört werden). So interpretiert ein klassisches String-Quartet zum Beispiel die Musik von Sonic Youth im Minimal-Style eines Steve Reich oder Philipp Glass. Das gleiche Quartett hat sich auch eine Barock-Neuinterpretation von AC/DC vorgenommen!?

Dass Polen ein Land mit reger Dub-Szene ist, ließ sich schon aufgrund der zwei Poland-Dub-Sampler erahnen, die ich in der letzten Ausgabe besprochen habe. Nun sind ein paar respektable Solo-Alben „herrübergekommen“, allen voran Activator mit „Mario Dziurex Remixy“ (www.independent.pl/Import). Zu hören gibt es hier Dub-Remixe einiger Tracks von Zion Train, Rootsman, Nucleus Roots, Maka B und verschiedener polnischer Acts. Das ist ziemlich gut gelungen. Der Maka B-Remix strotzt vor Energie und tendiert schon in Richtung Techno-Dub. Andere Stücke klingen nicht weniger progressiv und bestechen zusätzlich mit wunderbar eingängigen Melodien und abwechslungsreicher Instrumentierung. Das macht richtig Spaß zu hören. Wer das Album über Import beziehen möchte, sollte mal hier nachfragen: www.irie-records.de.

Als nächstes kommt 12rael (keine Ahnung wie man das spricht) mit seinem schlicht betitelten Album „In Dub“ (www.wmoichoczach.com.pl/Import). Er bietet uns grundsoliden Steppers-Dub mit akzeptablem Inspirationsgrad. Viel Mühe hat der Artist mit dem unaussprechlichen Namen in seine Mixe investiert. Seine Basslines rollen und die Drumloops sind teilweise, wie auf „Freedomic Dub“, schon ein wenig außergewöhnlich. Aber ehrlich gesagt, fällt mir jetzt trotzdem kein richtiges Argument dafür ein, warum man in den Import aus Polen investieren sollte.

Sehr interessant ist das neue Werk eines weiteren Artist mit unaussprechlichem Namen: Wszystkie Wschody Slonca. Das Album ist etwas einfacher betitelt: „Luv Etno Logic Dub“ (www.independent.pl/Import). Statt stoischer Steppers-Beats werden hier komplexe Arrangements mit Breaks, Samples und manch folkloristisch inspirierter Harmonie serviert. Dabei finden sich immer kleine Ohrwurmmelodien, die wie ein roter Faden durch den jeweiligen Track führen. Gelegentlich muss man allerdings auch ein Gitarrensolo über sich ergehen lassen oder jemandem beim polnisch reden zuhören. Überhaupt ist hier eine gewisse Nähe zu raueren Adrian Sherwood-Produktionen zu erkennen. Das geht zwar auf Kosten warmer Bass-Vibes, dafür bekommt man Kopf Futter – und zwar scharfe Zwiebeln, wie sie auf dem Cover abgebildet sind.

Soweit die Polen-Selektion. Kommen wir nun zu ein paar eher obskuren Produktionen. Zunächst wäre da Justin DeHart aus Sacramento von der amerikanischen Westküste, der unter dem Namen Doctor Echo seit den frühen 90er Jahren Dub produziert. Die auf seinem Album „Steady Ups vs. Doctor Echo: Dub Desaster“ (www.doctorecho.com/Import) präsentierten Stücke wurden in den Jahren zwischen 1995 und 2000 live eingespielt und nun zu Dubs gemischt. Das klingt nicht sonderlich aufregend und ist es auch nicht. Leider hatten die Steady Ups keinen Plan davon, wie man groovende Rhythms einspielt. Und da kann sich der Doctor bei seinem Mix noch so anstrengen, gute Dubs klingen anders.

King Earthquake legt mit seinem Album „Earthquake Dub-Plates“ (King Earthquake/Import) schon anderes vor. Knallharte Steppers-Beats im reinsten UK-Dub-Style lassen die Fensterscheiben rasseln (womit der König der Erdbeben wohl seinem Namen gerecht zu werden versucht). Doch abgesehen davon, dass der King dem Mid-90ies-Sound nicht das Geringste hinzuzufügen hat, produzierte er für seine Dubplates die langweiligsten Basslines, die ich jemals gehört habe.

Die I-Sticals aus Frankreich sind mit ihrer selbst gebrannten CD „Verse-Ital“ (www.irie-records) geringfügig besser. Allerdings ist der zum Glück nur sporadisch einsetzende Gesang so schlecht, dass er alle gut gemeinten Dubs mit sich in die Tiefe reißt – auf dass sie in Frieden ruhen.

Nach den Verrissen zum Abschluss jetzt noch ein richtig schönes Revival-Album: Dub Roots (Wackies/Indigo) von Prince Douglas. Ursprünglich in den frühen 80ern erschienen, gehörte das Album zu den ultrararen Wackies-Sammlerstücken (das kürzlich in einer Internetauktion für über 200 Dollar verkauft wurde). Mag sein, dass sich der Käufer über den Rerelease richtig ärgern wird, alle übrigen Liebhaber guter Reggae-Musik werden sich zweifellos sehr freuen, denn Dub Roots ist eines der schönsten Dub-Alben des Labels. Auch wenn es mixtechnisch eher zurückhaltend ist, so sind die Rhythms schlichtweg atemberaubend. In angenehm entspanntem Tempo rollen die melodiösen Basslines durch wunderbar „warme“ Wackies-Tunes voller Atmosphäre. Angeblich sind die Stücke Kopien von Rhythms, die Sly und Robbie aus Jamaika mitgebracht hatten. Einer der schönsten Tunes, „March Down Babylon“ ist jedenfalls definitiv eine Kopie von Steel Pulse’ „Handsworth Revolution“, mit Bullwackie himself am Mikrophon.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, März 2005

Nikolai Beverungen, Inhaber des Hamburger Echo Beach-Labels, ist stets auf der Suche nach interessanten Dub-Manifestationen. Dabei wird er zunehmend in den entlegendsten Winkeln der Erde fündig. Präsentierte er pünktlich zur letzten Ausgabe von Riddim seinen „South Africa in Dub“-Sampler, so serviert er uns nun mit „The Sound Of Dub – New Zealand in Dub“ (Echo Beach/Indigo) frische Dub-Tunes aus Neuseeland. Das verrückte dabei ist, dass egal woher die Dubs herkommen, sei es aus Frankreich, Brasilien, England, den USA, Deutschland oder eben aus Kiwi-Land, immer sind es hochinteressante Musik-Experimente, die aber erstaunlicher Weise kaum regionaltypische Merkmale aufweisen. Fast scheint es, als würden die Dub-Pflänzchen, egal wo sie aus dem Boden sprießen, stets vom selben, den gesamten Erdball durchdringenden, Dub-Rhizom genährt. Dub ist keine Volks-, sondern Studiomusik, und so wundert es nicht, dass die 15 Tracks auf „New Zealand in Dub“ nicht nach Auenland oder Mordor, sondern nach London, Paris oder Hamburg klingen. Es ist „The Sound Of Dub“, wie es folgerichtig fett auf den Echo Beach-Samplern prangt. In Neuseeland steht dieser Sound jedenfalls in voller Blüte und wird vom heimischen Label „Loop“ gehegt und gepflegt. Drei Jahre lang hat Herr Beverungen Material gesichtet und nun die 15 besten Tracks nach Europa importiert. Obwohl die Stücke von 12 unterschiedlichen Dub-Producern stammen, präsentiert sich der Sampler als sehr geschlossen und stringent. Alle Tracks fußen auf soliden, warmen Reggae-Beats und erforschen von dort aus die Welt urbaner Sounds wie Drum ‚n’ Bass, Elektronik, Downbeat bis hin zu melodiösem Pop. Die Namen der Artists lauten u. a. Confucius, The Black Seeds, 50Hz, Pitch Black oder Rhombus – komplette Nobodys auf internationalem Dub-Parkett, sehr zu unrecht, denn ihre Dub-Tunes gehören zweifellos in die erste Liga. Vor allem die Black Seeds dürften mit ihren Pop-Melodien echtes Hitpotential in Europa haben. Lee Tui ist da von komplett anderem Kaliber. In einem erzürnten Rap – über einen stoischen bassgetriebenen Beat – fordert er soziale und ökologische Verantwortung. Herausragend ist auch der perfekt arrangierte Dub „Winds“ von Rhombus, gekrönt von der betörenden Stimme von Raashi Malik. Sehr, sehr schön, das Ganze. Hoffen wir, dass der Dub-Importeur aus Hamburg noch viele interessante Blüten des Dub-Rhizoms wird aufspüren können. Hier schon mal ein erster Vorschlag: Wie wäre es mit Japan?

Auch Polen ist so ein unentdecktes Dub-Land. Zurzeit wieder erhältlich sind die zwei Sampler „Dub Out Of Poland Part 1“ und „Part 2“ (beide Import) aus den Jahren 2001 und 2002, auf denen sich die polnische Dub-Szene präsentiert. Auch wenn manche Tracks sich noch nicht richtig vom Vorbild des UK-Dub der 90er Jahre emanzipiert haben, so ist die Qualität der hier vorgestellten Dubs ausgesprochen gut. Vor allem auf „Part 2“ finden sich ein paar Produktionen erster Güte, wie z. B. Dj Ridm feat. Roots Temper mit „Zion“, einem schönen Uptempo-Rockers-Stück. Oder noch besser: „Violin-Dub“ vom Crazy Sound System, auf dem eine Violine melancholische polnische Volksweisen anstimmt. Da werden Erinnerungen an die Trebunja-Family wach!

Auch Alpha & Omega melden sich wieder zu Wort, und zwar im wahrsten Sinne, denn ihr neues Album „Trample the Eagle and the Dragon and the Bear“ (Greensleeves/Rough Trade) ist ein Showcase-Album mit Gast-Vokalisten. Wohl inspiriert von Rootsman und Twilight Circus, die letztes Jahr ähnliche Projekte lancierten, haben auch Mrs. Woodbridge und Mr. Spronsen Lust auf ein wenig Gesellschaft im Studio gehabt. Dazu haben sie u. a. einen speziellen Stargast geladen, mit dem wohl niemand gerechnet hat: Gregory Isaacs! Ein wenig verzweifelt singt er gegen den A&O-Rhythm an. Die Idee ist gut, aber Gregorys Stimme braucht Raum, den ihm dieser typisch übervolle Rhythm nicht gibt. Und so klingt der Meister ziemlich verloren in dem Sound-Dschungel aus London. Noch eklatanter ist das Missverhältnis von Stimme und Sound-Allover bei dem Titelstück, auf dem Reuben Master verzweifelt versucht, gehört zu werden. Vielleicht haben Woodbridge und Spronsen ihrem Konzept beim finalen Mix dann doch nicht mehr getraut und die Stimmen auf das Niveau der Instrumente heruntergepegelt. Nur auf dem ersten Track des Albums stimmt das Verhältnis, und dieser ist bezeichnenderweise von Mad Professor gemischt worden. Dabei wäre es gerade bei diesem Vokalisten fast egal gewesen, ob man ihn versteht oder nicht, denn niemand sonst produziert so viel verbalen Nonsens wie er: Lee Perry. Dem Professor ist es gelungen, den A&O-Rhythm so hinzumixen, dass er wie ein original Black-Ark-Ryhthm klingt, auf den Perry mit seiner Minimal-Melodie absolut kongenial passt. Zweifellos der beste Tune des Albums. Neben Perry und Gregory befindet sich noch Bunny Lie Lie, Horace Martin, Addis Youth und eben Reuben Master auf dem Album, wobei gerade letzterer absolut nicht überzeugen kann. Dummerweise hat gerade er drei Tracks gevoiced …

Ein sehr schönes, experimentelles Album ist „Conversations“ (Suite Inc./Import) von Dubital. Hinter diesem Namen verbergen sich zwei Italiener namens Raffaele Ferro und Matteo Magni, die es offensichtlich lieben, zu soliden, bass-geerdeten Rhythms verzerrte Stimmen und verrückte Sounds abzuspielen. Das passt wunderbar zusammen, denn während der Rhythmus Sicherheit und Struktur vermittelt, konterkarieren die Effekte diesen Halt stets aufs Neue und erzeugen so eine sehr merkwürdige Spannung aus Konzentration und Verwirrung. Völlig faszinierend ist das Stück „Mama Don’t Cry“, das über einen stoisch-dreisten Computerbass läuft und von zuckersüß-befremdlichen Orgelsounds und Hall-überladenem Gesang begleitet wird.

„Als Kind habe ich mal kodeinhaltigen Hustensaft bekommen und daraufhin die Welt um mich herum in Zeitlupe wahrgenommen. Dieses Gefühl habe ich versucht im Sound der Codeine Tracks und Songs rüberzubringen.“, sagt Digital Jockey, was ihm mit seinem Album „Codeine Dub“ (Poets Club/Soul Seduction) aufs vortrefflichste gelungen ist. Vor allem „Opium Dub“, der 9-minütige, vorletzte Track des Albums ist eine Studie in Langsamkeit. Hier dürften selbst Ernestus und von Oswald ihren Hut ziehen. Dass Digital Jockey, der die Hälfte der Computerjockeys aus Köln ist, seine Wurzeln in der elektronischen Musik hat, ist kaum zu überhören. Seine Tracks sind äußerst minimalistisch und geradezu rational konstruiert. Oft ist es nur ein jazziges Piano-Solo, das eine gewisse Unvorhersehbarkeit und organische Bewegung in den Tune bringt, manchmal ist es die Stimme von Terry Armstrong. Dann wieder lösen sich die Strukturen in einem kompletten Noise-Allover auf, um schließlich von einem altmodischen Song mit Klavierbegleitung abgelöst zu werden. Sehr faszinierend.

Kommen wir nun zur Revival-Selection. Die beiden wichtigsten Reissue-Labels, Pressure Sounds und Blood and Fire melden sich mit neuen Alben zu Wort. So feiert letzteres sein zehnjähriges Bestehen mit „Run It Red“ (Blood And Fire/Indigo), einer Selection aus dem eigenen Fundus, zusammengestellt von Simply Red-Frontmann Mick Hucknall – was auch einigermaßen nahe liegend ist, da Hucknall neben Steve Barrow und Bob Harding einer der Gründer von Blood And Fire ist. Erstaunlicherweise hat Hucknall für sein Geburtstagsständchen vorwiegend Dub-Stücke von King Tubby und dessen Protegé Prince Jammy ausgewählt. Alle Stücke stammen aus den 70er Jahren, die meisten aus der ersten Hälfte. Eine solide Auswahl, die wahre Dub-Freunde aber auch nicht gerade vom Hocker hauen wird, denn die Dubs von den klassischen Bunny Lee-Produktionen sind sattsam bekannt. Eigentlich macht erst die Mischung mit den Vocal-Stücken das Jubiläumsalbum interessant. In schöner Regelmäßigkeit werden hier Tunes von Gregory Isaacs, Big Youth, Prince Alla, den Congos u. a. eingestreut – immer dann, wenn es gerade beginnt, ein bisschen langweilig zu werden.

Davon stilistisch nicht allzu weit entfernt liegt das Pressure Sounds-Album „Down Santic Way“ (Pressure Sounds/Rough Trade) mit Produktionen von Leonard Chin aus den Jahren 1973 bis 1975. Auch hier finden sich einige Vocal-Tracks, z. B. von Freddie McKay, I Roy oder von einem gewissen William Shakespeare, der sich allerdings als Gregory Isaacs entpuppt. Der Sound der Produktionen ist – dem Stil der Zeit entsprechend – knochentrocken, spröde und zugleich rough. Selbst wenn Tubby gelegentlich ein wenig Hall reindreht oder Augustus Pablo seine Melodika drüberlegt, will der Groove nicht fließen. Rau und ungeschliffen stolpern die minimalistischen Rhythms voran, getrieben von der trocken angeschlagenen Snarre und knappen Gitarrenriffs. Auch wenn die Pressure-Sounds-Leute keinen Zweifel daran lassen, dass sie hier einen wahren Schatz gehoben haben, so sei doch die keterrische Bemerkung erlaubt, dass dieser Schatz beim Hörer eine gewisse Leidensfähigkeit voraussetzt.

Wie sehr sich der Sound mit Auftritt der Revolutionaries (mit Sly & Robbie) verändert hat, lässt sich auf „Earthquake Dub“ (Hot Pot/Indigo) von Ossie Hibbert hören. Hier rollen die Beats wie geschmiert, angetrieben von Slys unverwechselbarem Rockers-Drumming. Four to the floor geht es hier mit einer Dynamik durch die Rhythms, dass man nur staunen kann. Hibbert, der das Album im Rekordtempo abgemischt hat, mag dies zugute gekommen sein, denn sonderlich aufregend klingt sein Dub-Mix nicht. Doch was den Tracks an interessantem Mix fehlt, gleichen die superb eingespielten Rhythms, wie „Pick Up The Pieces“, „Declaration Of Right“ oder „So Jah Say“ mehr als aus.

Daran schließt nahtlos das Album „Leroy Smart In Dub“ (Jamaican Recordings) an. Hier klingen die Beats noch runder und der Bass wärmer. Tubby hat sich bei den Mixes nicht gerade verausgabt (wie sollte er auch, bei den durchschnittlich 200 Bunny Lee-Rhythms pro Woche) und einen routinierten Minimal-Mix abgeliefert. Auch Sly Dunbar scheint hier etwas mehr zur Ruhe gekommen sein. Sparsamer, aber nicht weniger treibend setzen er und Santa Davis die Snarre-Anschläge, während Robbie sanft groovende Basslines dazu spielt. Gelegentlich klingt eine bekannte Bassline wie „My Conversation“ oder „Zion Gate“ an. Alles sehr entspannt und gespickt mit versprengten Leroy Smart-Schnipseln. Nicht sensationell, aber sehr angenehm – ideal nach einem langen Tag voller nervenaufreibender Experimental-Dubs …

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, Januar 2005

Dub definiert sich durch den Sound und nicht durch ein spezielles Rhythmus-Muster wie nahezu alle anderen Musikstile. Dub ist wie ein freies Radikal – jederzeit bereit, mit anderen Elementen zu reagieren und neue Synthesen hervorzubringen. Das spannende ist, dass das Reaktionsergebnis niemals komplett vorhersagbar ist. Immer entsteht etwas neues, dass sich nicht errechnen oder beschreiben, sondern ausschließlich hörend erfahren lässt. Es ist gewissermaßen „musique pure“, die abstrakte Essenz eines Musikstückes – existent nur im Moment des Anhörens. Sich auf Dub-Musik einzulassen setzt daher immer Neugierde, Aufgeschlossenheit und Aufmerksamkeit voraus. In Deutschland vereint wohl kein Label diese drei Tugenden besser auf sich, als Echo Beach (auch das Heim von Select Cuts) aus Hamburg. „Open Mindness“ ist hier Leitidee und so hat uns Echo Beach über die Jahre Dub-Sounds der unterschiedlichsten Styles und Locations auf den Plattenteller gezaubert. Vor allem letzteres dürfte auch international einmalig sein, denn Echo Beach hat bereits ein paar ziemlich interessante Dub-Showcases aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt zusammengetragen, z. B. aus Frankreich, den USA, Brasilien, Deutschland, Indien und nun: Südafrika!

In Kooperation mit dem südafrikanischen Label „African Dope“ wurden 16 Dub-Perlen vom Kap der Guten Hoffnung nach Deutschland geschafft, um hier zu dem äußerst interessantem Dub-Album „The Sound Of Dub (South Africa In Dub)“ (Echo Beach/Indigo) aufgefädelt zu werden. Wer hier Township-Music erwartet, liegt völlig falsch. Der Dub aus Südafrika ist ein absolut urbaner Sound – bassgetrieben, elektronisch und von großer stilistischer Offenheit. Wichtige Protagonisten der südafrikanischen Elektronik-Szene sind die Kalahari-Surfers, von denen sich gleich mehrere Songs im Tracklisting finden, unter eigenem Namen oder als Produzenten von Ghettomuffin. Sie haben schon zu Apartheid-Zeiten elektronische Musik aufgenommen, die regelmäßig vom Regime verboten wurde. Ihr Sound erinnert ein wenig an Leftfield und läuft meist nicht über einen Reggae-Beat. Ganz anders der Sound von DJ Dope und Juan Thyme, der fast schon mit aktuellem UK-Dub zu verwechseln ist, schön deep und groovy. Richtig gut ist auch Felix Laband mit einem fetten, melodiösen Dub, dessen Herz eine wunderbar verzerrte Bassline ist. Ein wenig Dancehall-Flair bringen Prankster, Ghettomuffin und der Chronic Clan, der genau das tut, was sein Name nahe legt – und dabei ein wenig amerikanisch klingt. Alles zusammen ergibt einen überaus interessanten Ausflug in den Dub-Untergrund des südlichen Afrikas, der – und das ist eine echte Überraschung – gar nicht sonderlich afrikanisch kling. Aber so ist das in einer globalisierten Welt. Mal sehen, wonach die Sounds aus Neuseeland klingen, denen sich die nächste Echo Beach-Veröffentlichung widmen wird.

Vom gleichen Label, Echo Beach, kommt das Album „Africa Unite In Dub“ (Echo Beach/Indigo) von der gleichnamigen Italienischen Dub-Combo. Benannt nach einem Song Bob Marleys, besteht ihr Repertoire zum Teil aus Marley-Covern, wovon „This Is Love“ das Album eröffnet. Danach folgen dreizehn Heavy-Duty-Dubs, neun davon gemischt von niemand anderem als dem beliebten Mad Professor aus dem Ariwa-Dub-Asyl. Nur zum Schluss gibt es dann noch mal einen Marley-Song, gewissermaßen als ehrerbietendes Ritual an den heiligen Bob, gefolgt von einem Live-Dub. Der Professor liefert hier gutes, inspiriertes Handwerk und mischt Dubs von sehr unterschiedlicher Stimmung. Mal mit treibendem Drum & Bass-Schlagzeug, mal in launchig, warmen Tönen und mal mit trockenen Sounds, als kämen sie gut abgehangen aus dem Tuff Gong-Studio. Am erstaunlichsten ist allerdings, dass die Dubs nicht im Geringsten nach Mad Professor klingen. Entweder war bereits das Ausgangsmaterial extrem prägnant, oder der Professor hat seinen Praktikanten mischen lassen. In letzterem Fall, sollte das Praktikum unbedingt in eine Festanstellung übergehen!

Bleiben wir noch ein Wenig bei Mad Professor. Auf „Mishka In Dub“ (Sony/Import) hat er sich nämlich auch als Dub-Söldner verdingt. Keine Ahnung wer Mishka ist, sonderlich aufregend klingt seine Musik jedenfalls nicht. Die winzigen, im Dub-Mix übrig gebliebenen Vocal-Schnipsel lassen jedenfalls auf ein furchterregendes Gesangsalbum schließen.

Interessanter klingt da schon das in Eigenregie vom Mad Professor entstandene neue Werk mit dem Titel „Crazy Caribs – Dancehall Dub“ (Ariwa/Sanctuary/Rough Trade). Hier hat der Dub-Meister sich mal an Dancehall-Rhythms gewagt, eingespielt u. a. von Mafia & Fluxy und Sly & Robbie. Damit kommt er den aktuellen Dancehall-Sounds zwar einigermaßen nahe, aber Spielraum für einen irgendwie gearteten Dub-Mix bleibt kaum. Auch will sich bei den typischen Interruptus-Ryhthmen auch kein richtiger Groove einstellen – was ja bei den meisten Dancehall-B-Seiten auch der Fall ist. Offensichtlich funktionieren die Dancehall-Backings nur mit Deejay richtig. In so fern hat der Professor hier gutes Material für ein paar Hardcore-Dancehall-Alben aus dem Hause Ariwa geschaffen, für ein Dub-Album hingegen ist es, sagen wir mal: suboptimal.

Jetzt mal wieder ein Highlight: „Dub It“ (Nature Sounds/Import) von Earl „Chinna“ Smith. Dabei handelt es sich um die Dub-Version von Mutabarukas Debut-Album „Check It“ aus dem Jahre 1982. Produziert von Chinna Smith, avancierte es zum Klassiker der Dub-Poetry. Mutas überaus präsente Stimme und seine Texte dominierten das Album dermaßen, dass der Musik nie die Aufmerksamkeit zu Teil wurde, die sie verdient hat. Deshalb hat Chinna Smith sich jetzt, 22 Jahre später, dazu entschlossen, die damals von Errol Brown und Stephen Steward abgemischten und zuvor nur auf wenigen B-Seiten veröffentlichten Dubs in Album-Form neu zu veröffentlichen, „because I don’t hear anything else better“ sagt Chinna in den Linernotes – und ganz unrecht hat er nicht. Die handwerkliche Qualität dieses Albums ist wirklich außerordentlich – was sich der Mix zu nutze macht, indem er sich stets auf nur sehr wenige gleichzeitig hörbare Instrumente konzentriert und damit die Präzision ihres Spiels offenbart. Aufgenommen im Tuff Gong-Studio klingt es unglaublich crisp und dynamisch. Bei den meisten Songs saß Augustus Pablo an den Keyboards, Chinna spielte die Lead-Gitarre und Sydney Wolfe steuerte fantastische Percussions bei. Drum und Bass waren unterschiedlich besetzt, u. a. mit Carlton Barret und Leroy Wallace. Leider blieb „Check It“ die einzige Zusammenarbeit zwischen Mutabaruka und Chinna Smith. Hört man heute nochmals die Aufnahmen, fragt man sich nach dem Grund dafür.

In Frankreich ist Reggae Mainstream. Glückliches Land! Und kaum jemand ahnt, dass es Serge Gainsbourg war, der dazu erheblichen beigetragen hatte, als er sich 1979 nach Jamaika begab, um dort mit den I-Threes, Sly & Robbie und den Revolutionaries unter dem Titel „Aux armes et caetera“ (Mercury) ein authentisches Roots-Reggae-Album in französischer Sprache aufzunehmen. Zurück in Frankreich wurde das in nur einer Woche produzierte Album ein gigantischer Erfolg für Gainsbourg – nicht zuletzt weil seine Version der französischen Nationalhymne für einen deftigen Skandal gesorgt hatte (allein der Titel ist ja schon genial). Bruno Blum hat sich nun gedacht, dass die alten Aufnahmen doch eine klasse Basis für ein paar spektakuläre Dub-Mixes wäre. Daher hat er die alten Bänder nach Jamaika gebracht und Dub-Veteran Soljie Hamilton ins Studio geholt, um ihn zehn Dub-Versions mixen zu lassen. Das war eine gute Idee, denn die Revolutionaries spielen sich hier die Seele aus dem Leib. So kraftvolle Rockers-Rhythms hat man selten gehört. Soljies Dub-Versions hört man an, dass er hier ganz in seinem Element war. Mit Bravour mischte er schöne Old-School-Dubs, so als seien sie bereits 1979 aufgenommen worden. Ein echtes Déjà Vu! Diesen Dubs, die das Herzstück der Neuausgabe von „Aus armes et caetera“ bilden, wurden neben dem Original-Album, zusätzlich, gewissermaßen als „Bonustracks“, Neuinterpretationen der Backings von jamaikanischen Artists – von denen Big Youth, King Stitt und Lone Ranger die Bekanntesten sind – beigegeben. Doch sind diese Stücke weit gehend enttäuschend Lediglich King Stitts „The Original Ugly Man“ ist witzig. Wahrscheinlich sein erster Tune seit 40 Jahren!

Zu guter letzt sei noch das Rerelease von „Ranking Dread In Dub“ (Silver Kamel/Import) erwähnt, das ürsprünglich 1982 als Dub-Version von „Fattie Boom Boom“ herauskam. Die erste Hälfte der Tracks wurden von Sly & Robbie eingespielt und von King Tubby gemixt, die zweite Hälfte stammt von den Roots Radics, gemischt von Scientist. Entsprechend qualitätsvoll sind dann auch die Tracks. Interessant ist es vor allem, den Sound der Rhythm Twins mit dem der Radics zu vergleichen und Scientists Stil im Vergleich zu Tubbys zu analysieren. Insgesamt ein schönes Werk aus dem goldenen Zeitalter des Dub, das seine Wiederveröffentlichung verdient hat.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, November 2004

Der Name „Dub Funk Association“ ist clever gewählt, lässt er doch einen mit vielen einflussreichen Mitgliedern besetzen Interessenverband zur Förderung von Dub- und Funkmusik vermuten. Die Speerspitze einer Bewegung, die Dub als universelles Prinzip moderner Dance-Music proklamiert und die Verschmelzung der beiden Stile vorantreibt. Nichts davon ist war. Die „Dub Funk Association“ besteht tatsächlich aus nur einem einzigen Mann, Kelvin Richards, der zwar in der Tat seine Vorstellung von zeitgemäßer Dub-Music hat, die allerdings nicht sonderlich viel mit Funk zu tun hat. Seit den 90er Jahren stellt er (neben eigenen Produktionen) Dub-Kompilationen zusammen, die seine Sicht auf das Genre präsentieren. Nun ist seine Sicht bei weitem nicht so progressiv, wie von ihm selbst angenommen, was aber der Qualität seiner „Roots Of Dub Funk“-Alben keinen Abbruch tut. Versammelt sind hier nicht mehr und nicht weniger als einfach richtig gute Dub-Tunes, die Richards aus aller Welt zusammenträgt. Für „Roots Of Dub Funk 4“ (Tanty/Rough Trade), das soeben erschienen ist, hat er 14 Stücke aus rund 125 Dub-Alben ausgewählt – und dabei keinen einzigen Fehlgriff getan. Denn neben fetten Basslines und inspirierten Mixes, sind es vor allem Melodien, die Richards als Qualitätskriterium anführt. Und wie sehr wir, aufgeklärte Beat-Junkies, die wir sind, dann doch auf Harmonien und schöne Melodien abfahren, ist schon erstaunlich. Und ob man es glaubt oder nicht: Dub bietet viel Platz für Melodien. Sei es die Bassline, seien es Bläsersamples oder gut gesetzte Keyboard-Akkorde – es gibt eigentlich keine Ausrede dafür, in der Polyrhythmik der Beats auf Melodien zu verzichten, wie uns Mr. Richard wieder einmal beweist.

Harry Mudie – Producer-Veteran Jamaikas, von dem z. B. die legendären Dub-Konferenzen mit King Tubby stammen, ist offensichtlich immer noch aktiv. Soeben ist eine neue Folge seiner „In Dub Conference„-Serie herausgekommen, die allerdings nicht mehr in Anwesenheit von King Tubby gehalten wurde, sondern an dessen Stelle einen gewissen I-Tek Paul (Moodisc/Import) an den Konferenztisch, respektive Mischpult, setzte. Ganz im Gegensatz zur eher fragwürdigen Qualität seines Namens, beweist I-Tek Paul am Mischpult einige Fingerfertigkeit und liefert ein durchweg interessantes, sehr aktiv und inspiriert gemischtes Dub-Album ab. Bei seinem Mix-Material handelt es sich allerdings nicht um klassische Mudie-Produktionen, sondern um neue, digital eingespielte Rhythm-Tracks – auch wenn sie gerne die eine oder andere Mudie-Bassline reanimieren. Das Album ist in Deutschland übrigens nur über Irie-Records in Münster erhältlich (www.irierecords.de).

Dubmatix nennt sich Jesse King, Sound-Frickler aus Toronto, der nun mit „Champion Sound Clash“ (MPLA/Import) sein Debut-Album vorlegt. Sein Titel ist wörtlich zu nehmen, denn auf diesem Album treffen unterschiedliche Dub-Sounds aufeinander. So werden z. B. astreine Steppers Dubs im Stil der UK-Schule, mit stark Dancehall-beeinflusste Uptempo-Stücken kontrastiert. Aber auch melodische Roots-Dubs mit gesungenen Hooklines bis hin zu zuckersüßen Lovers-Backings sind hier zu finden. Nicht in allen „Sounds“ ist Mr. King gleich dermaßen souverän unterwegs, doch es macht Spaß, ihn auf seinem Weg durch das Dub-Universum zu begleiten – lediglich über seine sporadisch dargebotenen Sangeskünste lässt sich streiten.

Ganz anders klingt das Album „Conquering Dub“ (Reggae Retro/Import) von Alien Dread (ein mir unbekannter Name über den nichts in Erfahrung zu bringen ist). Ruhig und gelassen fließen hier die Beats, stellen sich bescheiden in den Hintergrund und scheinen nicht mehr im Sinn zu haben, als den Raum mit warmen Vibes füllen zu wollen. Ich habe das Album oft beim Arbeiten gehört – gewissermaßen als Anti-Stress-Mittel. Es hat wunderbar funktioniert. Bewusstem Zuhören hält das Album jedoch nicht stand. Dafür sind die Stücke dann doch uu gleichförmig und uninspiriert.

Sound Imperium ist auch eines dieser bisher unbekannten Dub-Projekte, das nun erstmals mit einem Album an das Licht der Öffentlichkeit tritt. Hinter dem Sound Imperium stehen drei Namen aus Minneapolis: Paul Harding, Dave Park und Aaron Bellamy. Über Jahre hinweg haben sie mit unterschiedlichen Artists aus Jamaika, Cuba, Sierra Leone, Costa Rica und den USA an ihrem Album „Pre-Emptive Dub Attack“ (Revolucion Disks/Import) gearbeitet. Entsprechend viele Einflüsse sind dann auch auf dem Album zu hören, wobei vor allem das Cumbia-Stück „Mi Gente“ positiv heraussticht. Diese lateinamerikanische Orientierung macht im Zusammenspiel mit Song-Titeln wie „Dub Annihilation (State Terror Mix)“, „C.I.A.“, oder „No Dub for Babylon“ die politische Botschaft des Sound-Imperiums deutlich: Mit Drum & Bass geht es hier gegen das neokonservative Amerika unter der Bush-Regierung. Da sich diese Botschaft allerdings kaum mit ausschließlich instrumentaler Dub-Musik vermitteln lässt, werden die Dub-Exkursionen durch vier Gesangsstücke ergänzt. Stilistisch lässt sich das Album ob seiner vielfältigen Einflüsse kaum fassen. Dub scheint hier der kleinste gemeinsame Nenner gewesen zu sein. Daher stehen die einzelnen Stücke auch oft recht disparat nebeneinander. Auch Soundtechnisch passt hier wenig zusammen. So gesehen haben wir es mit einem schlechten Album, aber einer guten Kompilation zu tun, die interessante, aber sehr unterschiedliche Stücke versammelt. Aber kein Konzept ist ja auch ein Konzept.

Kommen wir nun zu einem sehr simplen, aber absolut effektiven Konzept: Live Dubs. Die Rede ist hier von drei amerikanischen Musikern, D. P. Holmes (Gitarre und Keyboards), Stu Brooks (Bass und Keyboards), und Joe Tomino (Schlagzeug und Melodica), die unter dem Namen Dub Trio auf ihrem Album „Exploring The Dangers Of“ (ROIR/Import) ihre Dubs komplett analog und live in Echtzeit einspielen. Selbst die Effekte wie Hall und Echo werden life produziert. Dieses Konzept stellt die Produktionsweise von Dub auf den Kopf. Definiert als reine Studiomusik, die zuvor aufgenommenes Material nachbearbeitet, ist Dub das genaue Gegenteil eines Live-Gigs wie ihn das Dub Trio praktiziert. Gemäß dieser Definition sind die Stücke des Dub Trios kein Dub. Rein phänomenologisch gesehen sind sie es aber sehr wohl, weil sie wie verdammt gute Dub-Tunes klingen. Das ganze Konzept um das Live-Spiel wäre nämlich keiner Erwähnung wert, wenn die so entstehende Musik nicht eine sehr einzigartige Qualität hätte. Eine sehr interessante sogar: Die Musik klingt rau und derb, kraftvoll und direkt und sie atmet echte Live-Atmosphäre, indem man den Raum, in dem gespielt wurde, mithört. Besonders deutlich wird dies bei den drei Konzertmitschnitten, wo die Response des Publikums mit eingefangen wurde. Durch den Applaus wird die außergewöhnliche Virtuosität der Musiker plötzlich sehr spürbar. Was da klingt wie eine Wall of Sound sind lediglich drei Musiker! Ein faszinierendes Album also, was aber letztlich leider nur die „Dokumentation“ der Live-Aktion ist, um die es hierbei ja eigentlich geht.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, September 2004

Von Dennis Brown produzierte Alben sind schon eine Seltenheit. Auf „Dennis Brown Presents Prince Jammy“ (Umoja/20th Century Dub/Blood And Fire/Indigo) gibt es gleich zwei davon auf einer CD. Dass Dennis Brown überhaupt als Produzent tätig war, ist wenig bekannt. Mir völlig unbekannt ist hingegen, ob er die Original-Aufnahmen der beiden Alben selbst produziert hat, oder aber nur das Dub-Rework von geliehenen Bändern finanziert hat. Das ist allerdings eine Frage, die nicht sonderlich relevant ist, angesichts der Tatsache, dass der eigentlich Star dieser Dub-Alben Prince Jammy heißt, der zur Zeit der Aufnahmen, 1978-79, zum Chef-Engineer im Studio King Tubbys aufgestiegen war. Jung und hoch motiviert hat er hier sein bestes gegeben und einen – im Vergleich zu Tubbys Handschrift – recht komplexen Mix aufgenommen. Das erste Album „Umoja Love & Unity“ kam 1978 auf Browns eigenem DEB-Label heraus und bietet neben Versions von Dennis Brown-Songs wie „The Half“, „Troubled World“ oder „Children of Israel“ auch Aufnahmen anderer Artists, wie Lennox Browns Recut des Studio One-Klassikers „Frozen Soul“ („Love Won’t Come Easy“), der das Album sehr eindruckvoll eröffnet. Doch während sich „Umoja“ eher mäßig verkaufte, war das zweite Album der vorliegenden CD „20th Century DEB-Wise“ ein ziemlicher Erfolg – was schwer zu erklären ist, sind sich beide Alben in Hinsicht auf Stil, Mix und Sound doch sehr ähnlich. Vielleicht sind die Rhythms auf DEB-Wise tendenziell etwas besser und der Mix etwas King Tubby-typischer. Wie dem auch sei: Auf beiden Alben sind die superben Drums von Sly Dunbar zu hören und der Bass von Lloyd Parks und Robbie Shakespeare. Sie haben schön tighte Rhythms eingespielt, die fürs Rerelease in London druckvoll remastert wurden. Auch wenn diese beiden Alben nicht wirklich zwingend sind, so vereinen sie doch sehr schönes (und rares) Material, das seine Qualitäten mit jedem konzentrierten Hören eindruckvoller entfaltet. 

Das andere Dub-Highlight der letzten beiden Monate kommt vom Pressure Sounds-Label: „Dubbing with the Royals“ (Pressure Sounds/Rough Trade). Es präsentiert 14 von Roy Cousins produzierte Dub-Tracks, ein Instrumental von Gladstone Anderson und vier DJ-Versions. Startpunkt für die Erforschung des Oeuvres der Royals ist ihr Song „Pick Up the Pieces“, der auf dem Album in Form dreier Versions einen zentralen Platz einnimmt. Vor allem die von Tubby und Lee Perry gemeinsam gemischte Version unter dem Titel „Llongo“ ist ein Dub-Meilenstein. Auch der Track „Monkey Fashion“ mit I-Roys Voice-Over ist eine Kollaboration der beiden – in diesem Fall aber zusätzlich remixed von Errol T.! Das gesamte Who Is Who der damaligen Dub-Mixing-Elite hat an den hier versammelten Aufnahmen mitgewirkt: Prince Jammy, Scientist, Soljie Hamilton und Ernest Hookim; und es ist schon sehr spannend die Stücke zu vergleichen und die Dubs ihren Erschaffern zuzuordnen. Für sehr unterhaltsame Ankerpunkte im Flow der Rhythms sorgen die vier DJ-Versions von I-Roy und Prince Far I, die locker unter die Dubs gemischt wurden. Hier sticht vor allem „Negusa Nagast“ mit Prince Far I hervor, der das Album eröffnet. Far Is donnernde Vocals, eingebettet in einem Meer von Echos, klingen wie Jahs Worte aus dem Jenseits, runtergepitched zu einem tiefen Gemurmel und in perfekter Synchronität zum scharfen Anschlag der Snarre.

Ein paar Jahre weiter in Richtung Dancehall führen uns zu einem Dub-Album von Don Carlos, „Inna Dub Style“ (Jamaican Recordings), mit 14 Bunny Lee-Produktionen aus den Jahren 1979-80. Aufgenommen im Channel One-Studio hören wir hier bereits die fetten Rhythms von Sly & Robbie und den Roots Radics. Wie aus dieser Zeit gewohnt, finden sich hier vor allem Reworks klassischer Rhythms wie „Real Rock“, „Queen Of The Ghetto“, „I’m Just A Guy“, My Conversation“ oder „Satta Massa Gana“, was ja zweifellos eine hervorragende Grundlage für ein Dub-Album ist. Doch leider geht der unbekannte Dub-Mixer (vielleicht Soljie, oder Ernest Hookim?) nicht bei jedem Tune gleichermaßen inspiriert ans Werk. So ist z. B. „Conscious Rasta Dub“ über einen mäßig interessanten Johnny Clarke-Rhythm richtig spannend, während „Booming Dub“ über „I’m Just A Guy“ schon fast als B-Seiten-Version durchgehen kann – was in diesem Fall aber nicht so schlimm ist, da der Rhythm einfach klasse ist (was sich der Dub-Mixer wohl auch dachte). Alle Dubs werden gekrönt von Don Carlos’ unnachahmlichen Hooklines,  die den ganzen Tune nachhaltig prägen. Selbst wenn sie im Echo verhallt sind, singt man sie im Kopf unweigerlich weiter und baut sich seine eigene Version. Andererseits wünscht man sich dann auch schon fast das komplette Vocal-Album herbei…

„Liquid Bass“ (Silver Kamel), produziert von Jah Thomas, ist ein klassisches Bläser-Instrumental-Album, das stark an Aufnahmen von Roland Alphonso oder Tommy McCook aus den 60er Jahren erinnert – wären die Rhythms nicht komplett digital eingespielt. Doch als wolle er diesen Makel vergessen machen, hat Mr. Thomas ausschließlich alte Studio One-Rhytms wie „Heavenless“, „Love Me Forever“ oder „Swing Easy“ verwendet und mit „Econium for Coxsone“ dann auch dem Meister seine Referenz erwiesen. Für die kraftvollen Neuinterpretationen zeichnen Mafia & Fluxy, Sly & Robbie und die Roots Radics verantwortlich, während die Bläser-Soli von David Madden und Matthieu Bost eingespielt wurden. Ihre melodischen Variationen ranken sich stets um die Originalmelodien der Rhythms – wofür man den beiden nicht genug danken kann, gehören die Original-Hooklines  doch mit zu dem schönsten, was Studio One hervorgebracht hat. Doch trotz allen Lobes wirkt das Album stellenweise auch etwas lieblos „herunterproduziert“ – ganz zu schweigen von dem katastrophalen Cover. Vielleicht entschließt sich Jah Thomas ja mal zu einem Dub-Reworking. Es könnte den Aufnahmen die nötige Komplexität geben.

Die Frage, was Jah Wobble, der dieser Tage seine offizielle Anthologie „I Could Have Been A Contender“ (Trojan/Roughtrade) vorgelegt hat, in einer Reggae-Kolumne zu suchen hat, ist nicht unberechtigt. Ein paar Hinweise auf die Gründe gibt es aber schon: Zunächst ist da der Name, der ganz offensichtlich auf das Reggae-Universum verweist, dann ist auch das Plattenlabel vielsagend: Trojan und drittens ist Mr. Wobble Bassist und spielt damit das für (klassischen!) Reggae wichtigste Instrument. Hört man nun seine drei CDs umfassende Anthologie ganz durch, so wird man allerdings nur selten auf echte Reggae-Offbeats treffen. Was es aber im Gegenzug in Hülle und Fülle zu hören gibt, das sind fette Basslines – die direkt dem Reggae entsprungen sein könnten – und massig dubbige Atmosphäre. John Wardle (wie seine Mutter ihren Jungen nannte) kam als Mitglied von Public Image Ltd. über den Punk zum Reggae, der sein Bassspiel stark inspiriert hat. Nach dem Ende des Punk begann Wobble sein eigenes Material zu produzieren, das stilistisch sehr disparat ist und sich wechselweise zwischen Punk, Rock, Funk, Worldmusic, Ambient und Reggae bewegt. Doch welche Einflüsse und Stilmittel Wobble auch verarbeitete, eine Konstante durchzieht sein gesamtes Werk: Die kraftvollen Basslines um die sich alle Songs herum aufbauen. Vor allem CD 1 und CD 3 bieten dafür eindruckvolle Beispiele: Während erstere Worldmusic-beeinflusste, teilweise äußerst melodische Stücke versammelt, so sind auf letzterer ausgedehnte Ambient-Exkursionen in indische und fernöstliche Gefilde zu hören. Beides sehr dubbig und nahe an dem Material, das man auch von Bill Laswell kennt (die beiden haben auch ausgiebig zusammen gearbeitet). CD 2 bietet hingegen härteres, Punk-kompatibles Material. Wirklich faszinierend an der Anthologie ist, dass die Künstlerpersönlichkeit Jah Wobbles in allen Stücken sehr präsent ist. Hier ist einer, der sein Leben lang „seine“ Musik gemacht hat, jenseits aller finanziellen Interessen und unabhängig vom aktuellen Zeitgeschmack (eine im Reggae leider eher unterrepräsentierte Haltung).

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, Juli 2004

Mit Dub aus den USA ist das ja immer so eine Sache. Irgendwie kriegen die Amis (vielleicht wegen ihrer ausgeprägten Rock-Historie) keine wirklich groovende Dub-Tunes hin. Das gilt zwar auch in sehr abgeschwächter Form für das Debut-Album „Knives to the Treble“ (Mars Records/Import) von Slade Anderson aka Burning Babylon aus Boston, Massachusetts, aber er gleicht diesen Mangel mit anderen Qualitäten mehr als aus. Anderson war Punk-Guitarrist und kam über The Clash zum Reggae. Als er in den 90ern zum Bass wechselte, stieß er etwa zeitgleich auf das Glen Brown/King Tubby-Album „Termination Dub“ – was ihn auf direktem Wege zum rein instrumentalen Dub brachte. Seit nunmehr zehn Jahren frickelt Anderson in seinem kleinen Home-Studio an den Tunes für sein aktuelles Album und ließ sich von Dub-Acts wie Dry and Heavy oder Twilight Circus beeinflussen. Insbesondere letzteres Vorbild ist deutlich zu spüren, denn wie Ryan Moore bevorzugt Anderson analoges Aufnahmegerät und sehr bodenständige Produktionsmethoden. Vielleicht liegt es daran, dass sein Sound eher leicht, offen und handgespielt klingt. Ein gewisser Rock-Appeal ist dabei nicht zu überhören. Doch ganz anders als bei Moore, überzeugen Andersons Stücke durch wunderbar melodiöse Basslines und sehr abwechslungsreiche Arrangements. Vor allem seine Vorliebe für Worldmusic-Samples und eingestreute Ethno-Klänge bereichern seine Kompositionen sehr. Hinzu kommt, dass er – ganz anders als viele seiner UK-Kollegen – auf das Mixing viel Sorgfalt verwendet und wirklich interessante, komplexe Dub-Songs produziert. Für ihn ist Dub ein großes Experimentierfeld, eine freie musikalische Form, deren Möglichkeiten es auszureizen gilt. Dass seinen Stücken dabei manchmal das letzte Quäntchen Groove fehlt, verzeihen wir ihm großzügig.

Nach Dry & Heavy und Audioactive dürfte wohl klar sein, dass Dub in Japan ein angesagtes Thema ist. Einen weiteren Beleg dafür liefert Fire Blender, die von jedem ihrer bisher erschienenen fünf Alben dreißigtausend Stück verkauft haben. Damit gehört die 1992 von Kunst-Studenten gegründete Band zu den populärsten Club-Acts Tokyos – was zu glauben schwer fällt, angesichts ihres neuen Albums „Little Tempo“ (M Records/Import). Mainstream klingt zweifellos anders, als diese streckenweise ziemlich verschrobenen, experimentellen Tunes, die manchmal an frühe On-U-Sound-Aufnahmen (Playgroup oder Starship Africa) erinnern. Nicht selten wird hier die Grenze zwischen geordnetem Rhythmus und Sound-Chaos ausgelotet. Doch immer kurz bevor die Disharmonie nervig wird, rollen die warmen Beats heran und besänftigen die Gehörgänge. Wer Mucke für den Hintergrund braucht, sollte von Little Tempo die Finger lassen. Wer aber spannende Musik zum Hinhören genießen will, bekommt hier ein großartig inspiriertes Album.

Als durchaus inspiriert und experimentell darf auch der Katalog von BSI-Records gelten. Zwar haben die Amerikaner einige eher geradlinige UK-Acts, wie Jah Warrior oder Henry & Louise oder Alpha & Omega gelistet, aber auch so schräge Vögel wie Tone Scientist, Systemwide oder Muzlimgauze. Die besten Tunes dieser und anderer Label-Artists der letzten fünf Jahre werden nun auf dem Jubiläumsalbum „Dub After Time: A Look Back at BSI Records“ (BSI/Import) präsentiert. Der Sampler ist weit mehr als eine kleine Labelschau. Während er mit straighten UK-Dubs beginnt, wandelt er sich zusehends zu einer Reise an die Grenzen des Dub-Universums: Zu schrägen, experimentellen Tracks im Crossover-Bereich zur Knister-Elektronik. Vom Einfachen zum Komplexen, vom Bauch zum Kopf – womit die beiden Tugenden des Dub schön vereint wären!

Auch von Echo Beach gibt es wieder progressive Dub-Sounds zu hören. Soeben ist dort das Album „Heavy Heavy Monster Dub“ (Echo Beach/Indigo) von Dubblestandart erschienen. Der Titel macht den Anspruch des Albums klar: ein ultrafettes Ding sollte es werden. Dazu wurde ein Riesenaufwand (mit Reisen nach Kingston, New York, London, Paris und Wien) betrieben und unzählige Kollaborationen organisiert. So haben Sly & Robbie Rhythms eingespiel, Mad Professor gemixt und Dreadzone, Manasseh, Sounds From The Ground und 7Dub remixt – von den beteiligten Vocalisten ganz zu schweigen. Kaum zu glauben, dass dabei noch ein geordnetes Ganzes im typischen Dubblestandart-Sound herausgekommen ist – auch wenn dieser Sound immer ein bisschen an Dub Syndicate erinnert. Allerdings, gemessen am Monster-Anspruch, ist das Album dann doch erstaunlich unspektakulär geraten. Vielleicht hat diese Selbsterkenntnis dann auch zur einen oder anderen etwas überproduzierten Passage beigetragen.

Kommen wir abschließend zum Real Stuff: Auf Augustus Pablos eigenem Label „Rockers Production“ (wer auch immer das jetzt betreibt) ist soeben eine 3 CD-Box mit dem anspruchsvollen Titel „The Definitive Augustus Pablo“ (Rockers Production/Import) erschienen. Auch wenn man sich darüber streiten kann, ob sich Pablos Werk auf 3 CDs verdichten lässt, so ist nicht zu leugnen, dass diese Box den wohl besten Näherungswert bietet. Jeder Track ist hier ein Pablo-Klassiker, in astrein remasterter Qualität. Versammelt sind hier nicht nur die berühmten Melodika-Instrumentals und -Dubs, sondern auch einige von Pablo produzierte Vocal-Aufnahmen mit Sängern wie Jacob Miller, Hugh Mundell, Horace Andy und anderen. Die Sammlung konzentriert sich im Wesentlichen auf die 70er Jahre und macht nur auf der letzten CD einen Ausflug in die 80er. Wer Pablos große Alben wie „ King Tubby Meets Rockers Uptown“ oder „East of River Nile“ etc. in der Sammlung hat, dem wird diese Box – außer einer meisterhaften Zusammenstellung und einer schönen Covergestaltung – nichts Neues bieten. Wer aber den Meister der Melodica erst noch kennen lernen will, für den ist dies das Portal zu einem Universum großartiger Musik. 

Kaum zu glauben, dass immer noch unbekannte King Tubby-Aufnahmen entdeckt werden. Das Label Jamaican Recordings hat sich bereits mit ihrer ersten Veröffentlichung den „verlorenen Schätzen“ des Dub-Meisters gewidmet. Nun gibt es Nachschub: „Dub Mix Up“ (Jamaican Recordings/Import). Versammelt sind hier ebenfalls rare und bisher verschollen geglaubte Dubs der Jahre 1975 bis 1979, die alle auf Produktionen von Tappa Zukie basieren. Die Stücke fügen sich nahtlos ins Tubby-Oeuvre der 70er ein – spektakuläre Entdeckungen sind hier nicht zu machen. Dafür gibt es schöne, klassische Rhythms wie „Declaration of Rights“ oder „Shank I Sheck“ zu hören und einige Vocal-Fetzen der weitgehend unbekannten Band Knowledge. Richtig spannend ist der letzte Track „Dub Faith“, der von Sly & Robbie im Black Ark-Studio aufgenommen wurde. Das klingt zwar – Black Ark-typisch – so als würde die Platte in der Nachbarwohnung abgespielt – ber als Dub-Connoisseure stehen wir Sound-Experimenten ja grundsätzlich positiv gegenüber.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, Mai 2004

Wenn die Plattenindustrie gerade im Begriff ist abzudanken, dann liegt das natürlich zum großen Teil am allgegenwärtigen illegalen Kopieren, es liegt aber auch daran, dass die klassische CD für ihre rund 17 Euro gegenüber einer kostenlos „besorgten“ MP3-Kollektion nahezu null Mehrwert bietet. Nur wenigen Labels ist klar, dass sie neben der Musik vor allem eine gute Verpackung bieten müssen – die Plattenindustrie als Verpackungsindustrie, warum nicht? Wenn schon kein Booklet, keine Bonus DVD und keine Special Edition-Box geboten wird, dann sollte die Aura des Produkts doch zumindest durch konsequenten Retro-Charme herbeigezaubert werden. Die Japaner – Meister der Verpackung und große Liebhaber puristischer Gestaltung – haben z. B. mit ihrer großartigen Pappschuber-Edition der legendären Blue Note-Alben gezeigt, wie die Aura eines Klassikers mit simpelsten Mitteln eingefangen werden kann. Alles, was sie dazu machen mussten war, die CD als Miniaturausgabe des Originalalbums anzubieten – natürlich im miniaturisierten Original-Pappcover. Beat Inc., Label und Vertrieb aus Tokyo, hat das Konzept jetzt auf vier frühe Hitrun- und On U Sound-Releases übertragen. Für diese edlen Wiederveröffentlichungen wurden die Originalaufnahmen remastert und mit bis zu sechs Bonus-Tracks angereichert. Natürlich sind die CDs mit dem Original-Label bedruckt und stecken in kleinen Schutzhüllen, die selbst wiederum in wunderschönen Reproduktionen der Original-Cover stecken. Gestalterisch bleiben diese natürlich Dimensionen hinter den Blue Note-Kunstwerken zurück – sie aber im Mini-Format in den Händen zu halten, ruft angenehme Erinnerungen wach. Linernotes und ein Grußwort von Adrian Sherwood gibt es auch, und zwar auf einem Beipackzettel in japanisch!

Da der langjährige Deutschland-Vertrieb von On U-Sound, EFA-Medien, vor ein paar Wochen seine Tore schließen musste, reimportiert nun der On U-Chef die japanischen CDs und bringt sie über den Vertrieb Indigo in die deutschen Läden. Für diesen Deal hat er mit Bedacht vier sehr alte Klassiker aus seinem Oeuvre ausgewählt: Drei mal Creation Rebel mit „Rebel Vibrations“, „Dub From Creation“ (beide Hitrun) und „Starship Afrika“ sowie das Debut-Album der New Age Steppers (beide On-U-Sound). Die beiden frühen Hitrun-Produktionen aus den Jahren 1978 und 1979 gehören zu den ersten Dokumenten von Sherwoods Produktionstätigkeit. Während sie auf den ersten Blick „klassischen“ Roots-Dub mit traurigen Melodica-Melodien von Dr. Pablo bieten, zeigt sich beim genaueren Hinhören schon die Virtuosität des Dub-Meisters, die nicht selten die der großen Heroen King Tubby, Lee Perry oder Errol Brown übertrifft. Hier, bei den frühen Alben, hält sich Sherwoods Experimentierdrang noch in respektable Grenzen. Der Mix ist nicht wichtiger als der Beat, obgleich er eine stete Bereicherung für ihn ist. Schon im darauf folgenden Jahr hat sich das Verhältnis bei einer anderen Creation Rebel-Produktion radikal umgekehrt: „Starship Africa“ war wohl das mit Abstand experimentellste Dub-Album seiner Zeit, das Rodigan damals zu dem Ausspruch veranlasste: „Adrian, what the hell do you think you are doing to reggae?“ Bereits 1977 sind die Rhythms für „Starship-Africa“ von Bassist Tony Henry und Charlie „Eskimo“ Fox eingespielt worden. Ein Jahr später lernte Sherwood Style Scott kennen, der die Drumms von Eskimo in einer weiteren Aufnahmesession noch einmal dubbte und ihnen so erst den nötigen Druck gab. 1979 fand sich dann schließlich genug Studiozeit, um den finalen Mix anzugehen. Dafür wurden alle Tracks rückwärts laufend erneut aufgenommen und mit Delay- und Reverb-Effekten versehen. Anschließend wurden Original und „Rückwärts-Kopie“ – teilweise nach dem Zufallsprinzip zusammengemixt. Ein verrücktes, aber sehr geglücktes Experiment, das noch heute frisch und innovativ klingt. Ähnlich experimentell, aber weitaus dissonanter, ist das New-Age-Steppers-Album, das im Übrigen zugleich das erste Album auf dem neuen On U-Sound-Label war. Eingespielt wurde es von Musikern der Pop Group, der Flying Lizards und von Aswad. Seine größten Erfolge feierte es in Japan, wohl wegen der Sängerin Ariana Foster aka Ari Up, deren glockenhelle Stimme auf zwei Cover-Versionen zu hören ist: Junior Byles „Fade Away“ und Bim Shermans „Love Forever“ – die sie beide reichlich schräg interpretiert. Wer On-U-Sound sammelt und gerade die Anfänge dieses legendären Labels ins digitale Zeitalter hinüberretten will – womöglich auch nur um die Stücke dann doch als MP3-Files auf dem iPod zu speichern – dem seien diese gut klingenden und hervorragend aussehenden Japan-Importe dringend ans Herz gelegt.

Lee Perry wird gerne als einer der Originators des Dub bezeichnet. Das mag zum einen daran liegen, dass seine exzentrische Produktionsweise gerne per se mit Dub gleichgesetzt wird, zum anderen mag es daran liegen, dass die Black-Ark-Aufnahmen voller Dub-Effekte stecken und sein Sound viel von der Tiefe und Schwere guter Dub-Tunes besitzt. Doch während Dub eher auf einer Zerlegung und Reduzierung der Rhythms und ihrer Neukonstruktion durch den Dub-Mix beruhen, ist bei Perrys „Layer“-Technik eigentlich das genaue Gegenteil der Fall: Schicht für Schicht legt er Soundeben übereinander bis sein typischer, komplexer, undurchdringlicher Black Ark-Sound erreicht ist.

So gesehen sind von Perry nur sehr wenige echte Dub-Alben erschienen. Drei davon, nämlich Blackboard Jungle Dub, Cloak & Dagger und Revolution Dub sind nun geimeinsam auf der Doppel-CD Lee Perry, „Dub-Triptych“ (Trojan/Sanctuary/Roughtrade) erhältlich. Der erste Teil der zweiten CD ist ganz dem bekanntesten Dub Werk Lee Perrys gewidmet, „Blackboard Jungle“, das genau genommen nicht sein, sondern King Tubbys Dub-Werk ist, denn er hat es gemixt. Der Ruhm dieses Albums gründet sich zum Teil auf der Tatsache, dass „Blackboard“ eines der ersten Dub-Alben überhaupt war. Noch entscheidender für den Erfolg und Ruhm des Albums aber war die Auswahl der großartigen Perry-Rhythms der frühen 70er Jahre. So finden sich hier superbe Dub-Mixe von Hits wie „Fever“ und „Place Called Africa“ von Junior Byles oder „Kaya“, „Dreamland“ und „Keep On Mooving“ von den Wailers. Auch die Dub-Version von Dillingers Tribut an King Tubby, „Dub Organiser“, ist hier enthalten. (Natürlich ist es kaum nötig zu erwähnen, dass King Tubby diese Dubs ausgezeichnet „organisiert“ hat!). Im zweiten Teil der zweiten CD sind die Stücke von Perrys erstem selbst gemischten Dub-Album, „Dub Revolution“, zu hören. Es ist an Exzentrik kaum zu überbieten, Perry, der Madman himself, hat alles gegeben. „Revolution Dub“ erschien 1975 und enthielt bereits frühe Black Ark-Aufnahmen. Neben Highlights wie einem Dub-Cut von Junior Byles „The Long Way“ und einem schönen minimalistischen Mix von Jimmy Rileys Bobby Womack-Cover „Woman’s Gotta Have It“, gibt es auch einige weniger inspirierte Stücke zu hören, die sich u. a. durch die Einspielungen einer Fernseh-Sitcom auszeichnen. CD1 des Sets widmet sich vollständig dem Album „Cloak & Dagger“, das aber eher ein Instrumental-, denn ein Dub-Album ist. Netterweise bietet diese CD drei Bonus Tracks, wovon einer die Dub-Plate-Version des Titelstückes „Cloak & Dagger“ (Rhythm des schon von „Blackboard Jungle“ bekannten „Dub Organisers“) ist.

Interessanter Weise ist fast zeitgleich zu dieser Trojan-Wiederveröffentlichung das Album „Blackboard Jungle“ ein zweites Mal auf dem Label Auralux unter dem Titel „Upsetters 14 Dub Blackboard Jungle“ (Auralux/Indigo) inklusive vier Bonustracks erschienen. Bei letzteren handelt es sich um drei sehr ungewöhnliche, komplett ungemischte Rhythmtracks und ein normales Instrumental. Wer nicht fanatischer Sammler ist, der dürfte mit der Doppel-CD von Trojan besser bedient sein.

Bleiben wir bei den Klassikern: Augustus Pablos Klassiker „King Tubbys Meets Rockers Uptown“ (Shanachie/Just Records) ist nun neu bei Shanachie Records erschienen. Paplo gehörte zu den ersten Produzenten, die King Tubby mit den Dub-Mixes ihrer Produktionen betrauten. „King Tubbys Meets Rockers Uptown“ war das erste gemeinsame Album von Pablo und Tubby und gehört heute zu den Essentials jeder anspruchsvollen Reggae-Sammlung. Hier kommt alles zusammen, was für ein gutes Dub-Stück notwendig ist: starke, melodisch rollende Basslines, clevere Arrangements, schöne Melodien und natürlich ein inspirierter Mix, der die Stücke auf ihre Basis, das Zusammenspiel von Drum und Bass reduziert und von dort aus neu zusammensetzt. Selten beherrschte Tubby diese Kunst besser als hier. Es ist schon eine Freude zu hören, wie er  die Dynamik der Rhythms steuert und jedem Beat eine eigene kleine Dramaturgie verleiht. Die Kraft der Stücke ist schlichtweg außerordentlich. Auch wenn sie heute ein wenig historisch klingen, so ist ihre musikalische Qualität ungebrochen. Ein Meisterwerk also; dessen waren sich auch die Labelmacher bei Shanachie bewusst und haben ihre „Deluxe Edition“ mit vier Bonus-Tracks angereichert, die vier alternative Mixe präsentieren. Diese sind zwar nicht zwingend, aber es spricht auch nichts dagegen.

Einen Klassiker habe ich noch: „Riddim – The Best Of Sly & Robbie In Dub 1978 To 1985“ (Trojan/Sanctuary/Roughtrade). Auf dieser Doppel-CD sind 40 Instrumental- und Dub-Versions aus dem Trojan-Archiv zusammengestellt, bei denen Sly & Robbie Drum und Bass bedienen. Insofern ist der Titel „The Best Of…“ deutlich zu hoch gegriffen, denn gemessen am Gesamt-Output der Rhythm-Twins ist das bei Trojan beheimatete Konvolut nur ein winziger Teil. Zudem sind die Stücke auf dieser CD keine Sly & Robbie-Produktionen, sondern sind im Wesentlichen unter der Regie von Bunny Lee, Linval Thompson und Jah Thomas entstanden. Was natürlich nicht heißen soll, dass hier minderwertiges Material versammelt ist. Keineswegs! Sly & Robbie können ja gar nicht schlecht sein und Slys Double-Drumming ist immer wieder ein Genuss. Ganz nebenbei bietet die CD auch noch einen Intensiv-Kurs in Channel One-Sound.

Ryan Moore ist ein echter Dub-Nerd. Seit 20 Jahren sitzt er alleine in seinem kleinen Heimstudio auf einem Perserteppich, frickelt an Reglern und Schiebern und veröffentlicht unter dem Namen Twighlight Circus gelegentlich Dub-Platten. Dabei spielt er alle für seine Stücke benötigten Instrumente selbst ein und mischt seine Dubs nach alter Manier live. Ein echter Traditionalist also, dessen Musik auch genau so klingt. Eigentlich lebt sie ausschließlich von dem warmen, analogen Sound und dem tiefen Bass-Gewummer. Kompositorisch haben sie meist weniger zu bieten, wodurch seine Alben tendenziell immer ein wenig langweilig geraten. (Nicht zuletzt deshalb hat er sich wohl neuerdings zu einem Vocal-Album durchgerungen.) Sein neustes und 11. Album ist eine Kompilation für das amerikanische Label Roir unter dem Titel „Dub From The Secret Vaults“ (Roir/Import). Hierfür hat er tief in seinen Archiven gegraben und bisher unveröffentlichtes Material aus 20 Schaffensjahren gehoben. Nun stellt sich natürlich die berechtigte Frage, ob nicht vielleicht mangelnde Qualität der Grund war, dass diese Stücke bisher nicht veröffentlicht worden sind. Denn das beste Material dürfte nicht jahrelang im Archiv versauern. Bingo! Die Secret Vaults enthielten viel, bis hin zu einer fast 20 Jahre alten Produktion auf Cassette – aber nichts wirklich Spannendes. Abgesehen vielleicht von drei okayen Stücken bleibt der Rest reichlich uninspiriert. Schade.

Ähnliches gilt auch für das Dub-Flash-Album „AB-10 Meets Uptown Selector“ (www.dubflash.com). AB-10 ist ein Dub-Duo aus Helsinki, die bereits auf dem Dubhead-Sampler „Dub Solidarity 1“ zu hören waren. Uptown Selector ist ein DJ, ebenfalls aus Helsinki. Nach der fantastischen Platte des finnischen Lightman (siehe letzte Ausgabe) gab es einige Gründe, auf dieses Dub-Album aus Helsinki gespannt zu sein. Doch um so größer ist die Ernüchterung, als sich „AB-10 Meets Uptown Selector“ als weitgehend konventioneller Neo-Dub herausstellt.

Wie zeitgemäßer Dub klingen kann, beweist hingegen ein weiteres Mal das Berliner Mini-Label Meteosound mit der neuen EP von Lars Fenin: „Sustain EP“ (Meteosound/Indigo). Bekannt für seine Fusion-Sounds zwischen Techno und Dub steht Meteosound neben Echo Beach (welche miteinander kooperieren) und Basic Channel in Deutschland für eine progressive, aufgeschlossene Idee von Dub, die weit über den Tellerrand von klassischem Reggae-Dub hinausblickt. Es ist geradezu unfassbar, wie perfekt und absolut stufenlos sich Minimal-Techno-Beats und Dub-Grooves miteinander kombinieren lassen und welche Bereicherung diese Kombination für beide Genres darstellt. Lars Fenin führt dies erneut mit Bravour vor; leider nur auf 6 Tracks und leider nur auf Vinyl. Doch gute Musik verträgt jedes Format!