Noiseshaper sind wieder da! Und zwar genau dort, wo wir sie haben wollen. Nach ihrem letzten, sehr am Reggae-Mainstream orientierten Album „Rough Out There“, kümmern sie sich auf dem neuen „Real To Reel“ (Echo Beach/Indigo) wieder um ausgeklügelte „housey downbeats with a fat reggae flavor“. Trotz der zahlreich enthaltenen Vocal-Tunes, steht wieder der Sound im Vordergrund. Die Stimmen kommen attributiv hinzu, wie ein weiteres Instrument, statt den ganzen Track zu dominieren. Außerdem sind ebenso viele Dubs wie Vocals vertreten, die Real to Reel zu einem gleichmaßen abwechslungsreichen wie interessanten Album machen. Einige der hier versammelten Stücke wie „Rise“, „You Take Control“, „Jah Dub“, „Moving Together“, „All A Dem A Do“, „Dunk“ und natürlich „The Only Redeemer“ sind bereits von älteren Noiseshaper-Alben (z. B. dem auf Different Drummer erschienenen, großartigen „Prelaunch Sequence“) bekannt und liegen hier nun rerecorded und remixed vor. Dabei haben sie sogar noch an Drive und Dynamik gewonnen und an Komplexität zugelegt –, was vielleicht daran liegt, dass der große Adrian Sherwood für den Mix verantwortlich zeichnet. Doch das Album bietet auch brandneue Tunes wie etwa das großartige „The Creator“, ein bombastischer, ultradeeper Roots-Stepper, garniert mit gelegentlichen Lyrics von Juggla. Ganz andere Töne klingen auf „Wake Up“ an. Warm und unendlich relaxed fließt dieser Tune, begleitet vom Gesang Jahcoustix’, aus den Lautsprechern. Am typischsten jedoch ist das Grace Jones-Tribute „Love To The Rhythm“. Hier ist der frühe Einfluss von Rockers HiFi deutlich zu spüren, unter deren Fittichen Noiseshaper die beiden ersten Alben veröffentlichte. Überhaupt haben die beiden Wiener Jungs, Axel Hirn und Florian Fleischmann, schon eine beachtliche musikalische Reise in die Epizentren der Dub-Musik absolviert, die sie aktuell nach London führte. Höhepunkt der Karriere war zweifellos die Verwendung ihres Songs „The Only Redeemer“ in der US-Fernsehserie CSI: Miami, was ihnen eine Mainstream Singel-Veröffentlichung auf Palm Pictures einbrachte und ihre Musik auf die weltweiten Dancefloors katapultierte. „The Only Redeemer“ ist auch auf „Real To Reel“ in einer neu aufgenommenen Version zu hören, deren Mix viel dubbiger und zugleich klarer und präsenter ist. Hier zeigt sich, im direkten Vergleich, die Meisterschaft von Adrian Sherwood. Wie gut, dass Noiseshaper und er zueinander gefunden haben! Ihre gemeinsame Arbeit hat die besten Früchte hervorgebracht, die in den letzten Monaten auf dem Dub-Market zu kaufen waren.
Alpha & Omega haben neue Dubs aufgenommen – obwohl sich das ja nie so recht sagen lässt, denn der Sound des britischen Pärchens ist so konstant, dass jeder Tune ein einziges – aber sehr willkommenes – Dejà-vu ist. Tonnenschwere Beats und endlos träge, sich von Takt zu Takt schleppende Beats, garniert mit skurrilen Urwald-Sounds sowie der massenhafte Einsatz von Hall und Echo sind ihr Markenzeichen. Wie bei Lee Perrys Black Ark-Sound, verschwimmt hier jeder klare Klang in einer großen Ursuppe eruptiver Beats. Daher lässt sich ihr neues Album „City Of Dub“ (Alpha & Omega/Import) nicht nach herkömmlichen Qualitätsmaßstäben wie Produktionsqualität oder Songwriting messen. Was hier zählt ist Atmosphäre und Kompromisslosigkeit. Beides zeichnet die City of Dub aus, die auf 13 Tracks errichtet wurde, wobei – von drei Ausnahmen abgesehen – jeder Track doppelt auftaucht: als Vocal- und als Dub-Version. Auch in Fragen der Produktionsökonomie haben Alpha & Omega sich nie lumpen lassen. Der Reigen der Vokalisten besteht aus den üblichen Verdächtigen: Jonah Dan, Nishka, Jah Zebbi, Coz Tafari u. a. Dabei ist positiv anzumerken, dass diese gelegentlich doch sehr schöne, prägnante Melodien beisteuern, wie z. B. Coz Tafari auf dem Track „Marching Warriors“, oder – ganz großartig – der portugisisch singende Valnei Aine auf „Massacre In The Ghetto“. Und so zeigt sich, dass auch Alpha & Omega-Produktionen von guten Vocals profitieren können – was zuletzt auch bei den Alben von Ryan Moore (Twilight Circus) deutlich zu hören war. So haben wir mit „City Of Dub“ das vielleicht beste A & O-Album der letzten Jahre vorliegen – was allerdings auf das Cover nicht zutrifft. Hier waren die alten äthiopischen Illustrationen viel besser. Kaum zu verstehen, warum A & O von ihrem „Corporate Design“ gelassen haben.
Bleiben wir noch etwas in England und wenden uns dem neuen Dub-Album des verrückten Professors zu: „Mad Professor Meets Mafia & Fluxy – A New Galaxy Of dub Sci Fi 2“ (Ariwa/Rough Trade). Es ist dem Professor zweifellos hoch anzurechnen, dass er unverdrossen Dub-Alben veröffentlicht. Seit über 20 Jahren ist er die große Konstante des britischen Dub – ja des Dub überhaupt. Außer ihm gibt es kaum jemanden, der so unbeirrt und konstant an diesem Genre festgehalten hätte. Während Mad Professor früher seine Hausband, die Robotics, alle Tracks einspielen ließ, holt er sich in den letzten Jahren diverse Gastmusiker ins Haus, um sich neues Material einspielen zu lassen. Mafia & Fluxy haben im Ariwa Studio schon des öfteren ihre Computer angeschlossen und unverdrossen neue Rhythms auf die Tapes des Professors kopiert. Vielleicht ein wenig zu oft, denn die neue Galaxie des Dubs birgt keine Neuentdeckungen oder Überraschungen. Allzu routiniert werden hier die Rhythms abgespult und obwohl Neil Frazer intensiv an den Reglern dreht, ist deutlich zu hören, dass ihm schlicht und ergreifend die Ideen ausgegangen sind. Aber vielleicht waren auch ihm die Rhythms zu uninspiriert. Denn, dass er es noch drauf hat, zeigte Mad Prof. zuletzt bei seinem großartigen Sly & Robby-Album – dessen zweiten Teil er übrigens schon vor langer Zeit angekündigt hat. Hoffentlich kommt er bald, denn ein spannendes, neues Dub-Album aus dem Hause Ariwa tut Not!
An Langeweile noch überboten, wird das Mad Prof.-Album vom neuen Werk der Tassili Players, „Ages Of The Earth In Dub“ (Wibbly Wobbly/Download) das es – wahrscheinlich aufgrund der mangelnden Qualität nicht zu einer regulären CD-Veröffentlichung gebracht hat und nur als Download (iTunes Store) erhältlich ist. Die Tunes klingen nach ganz frühen Zion Train-Aufnahmen und gehören in die 90er Jahre. Falls uns Neil Perch hier nicht altes Material verkaufen will, dann bleibt die Frage, warum er Spaß daran hat, diesen überkommenen Sound immer noch zu produzieren.
Viel interessanter klingt das neue Album von Love Grocer „Across The Valley“ (Wibbly Wobbly/Import), ebenfalls aus dem Hause Zion Train. Seine Qualität hat es vor allem dem – für Love Grocer typischen – Einsatz der Bläsersektion zu verdanken. Wunderbar leicht schweben die Bläsermelodien über die sanften und entspannten Backings, verlieren sich in der dicht gewebten Sound-Atmosphäre, um dann wieder mit aller Präsenz im Vordergrund zu stehen. Daher ist es auch verständlich, dass viele der Tracks eher den Charakter von Instrumentals denn Dubs haben – wäre da nicht der typische Wibbly Wobbly-Sound, der allem unweigerlich den Stempel „Dub“ aufprägt. Obwohl die Tunes dank der Bläser ausgesprochen melodiös sind, wurden zudem gelegentlich noch Sänger wie Earl 16, MC Spee und Jonah Dan eingeladen, wovon vor allem ersterer einen sehr starken Tune abliefert. Insgesamt also ein schönes, wenn auch nicht weltbewegendes Album.
Aus Frankreich kommt Miniman, alias Roland Rougé, der uns auf seinem letzten Album wissen ließ, dass er nun unter dem Namen Seven Seals firmiert. Um die Verwirrung komplett zu machen, erschien sein neues Album „Opus In Dub Minor“ (www.hammerbass.fr/Import) wieder unter dem Namen Miniman. Bleiben wir also dabei – obwohl er mir als Seven Seals etwas besser gefallen hat. Sein Album „Stars“ war nicht aufregend, aber die Qualität reichte doch aus, um in meine iTunes-Bibliothek importiert zu werden. Dem Opus in Dub-Moll wird dieses Glück nicht widerfahren. Es ist schlicht zu langweilig. Ähnlich wie bei den Tassilli Players klingt es so, als hätte Dub seit den 1990er Jahren keinerlei Fortschritte gemacht. Die hier verwendeten Synthie-Sounds sind definitiv verbraucht. Da helfen auch gelegentliche, etwas verschämt wirkende Samples klassischer Musik und ein durchaus ambitionierter Mix nicht. Wenn der Körper, also der Rhythmus und der Sound, nicht gut sind, dann nützt es auch nichts noch Zierwerk anzuschrauben. Im Gegenteil, es macht die Sache sogar noch schlimmer, da das Werk nicht halten kann, was es dem ersten Anschein nach verspricht.
Burning Babylon dürfte den Lesern dieser Kolumne ein Begriff sein. Dahinter verbirgt sich Slade Anderson, dessen beide letzten Alben „Knives To The Treble“ und „Stereo Mash Up“ an dieser Stelle ausführlich angepriesen wurden. Vor allem letzteres, mit seinem rauen, handgespielten Sound, konnte auf voller Länge überzeugen. Nun legt Anderson „Garden Of Dub“ (Mars Records/Import) vor. Es ist gewissermaßen Episode 1 der Trilogie, denn die Aufnahmen entstanden 2001, in Andersons Wohnzimmerstudio, und dokumentieren seine ersten Schritte im Reich des Dub. Eingespielt mit primitivstem Instrumentarium und auf Compact Cassette gemastert, reicht es soundtechnisch nicht an die Qualität der beiden späteren Alben heran. Auch musikalisch kann es nicht ganz mithalten, obwohl in dem Album eine ganze Menge richtig guter Ideen, schöner Melodien und dunkler Atmosphäre stecken. Andersons Dub-Talent funkelt hier aus jeder Note, auch wenn diese nicht auf Hochglanz poliert wurde.
Kommen wir nun zur Revival-Selection. Den Anfang macht mit „Roots Radics Meets Scientist And King Tubby In A Dub Explosion“ (Roots/Import?) ein brillantes Dub-Album aus dem berühmten Channel One Studio, eingespielt von dessen Hausband mit Style Scott am Schlagzeug und Flabba Holt am Bass. Ein typisch minimalistisches Werk der Roots Radics. Sparsam instrumentiert mit scheinbar endlosen Pausen zwischen zwei Tönen – immer wieder ist nur der träge Bass und das rhythmische Anschlagen her Hi Hats zu hören – puristischer und langsamer war der Reggae-Rhythmus nie. Scientist und Tubby ließen sich ebenfalls Zeit und bewegten die Regler eher sparsam, was den Tracks eine ungemein hypnotisierende Wirkung verleiht. Beim schnellen Reinhören mag das Album langweilig und einfallslos erscheinen, aber sobald man sich auf den Flow der Langsamkeit eingelassen hat, kann man in jedem Winkel der Echo-Kammer neue Entdeckungen machen. Als zusätzlicher Bonus kommt hinzu, dass die Basslines oft schöne Klassiker sind wie „Rougher Yet“, „Mama Used To Say“ oder „Things A Come Up To Bump“.
Letzterer ist übrigens auch auf dem Album „Version Dead“ (Studio One/Heartbeat) zu hören – und zwar im Original, denn hier haben die Damen und Herren des beliebten Studio One Reissue-Labels „Heartbeat“ die „am meisten begehrten“ B-Seiten klassischer Studio One-Singles zusammengestellt. Alle (nicht) gemischt vom Dub Spezialist, wie Coxsone sich selbst nannte, denn abgesehen vom gelegentlichen Einschalten der Gesangsspur kann hier von Dub nicht die Rede sein. Aber wen kümmert es bei Rhythms wie „Mr. Fire Coal Man“, „Real Rock“ (übrigens als echter Dub!), „Pick Up The Pieces“, „Declaration Of Rights“ und natürlich „Things A Come Up To Bump“. Wie von Heartbeat gewohnt, erklingen die Tunes in sehr schön restaurierter Fassung, so dass der Bass der Soul Vendors, Soul Dimension und Soul Defenders kräftig aus den Lautsprechern wummert und den ganzen Charme dieser so endlos oft kopierten Mini-Melodien entfalten kann. Hier ist sie zu hören, die Seele des Reggae, ganz pur und direkt.
Nun zu einem Album, das eine sehr merkwürdige Geschichte hat. Die Rede ist von „King Tubby Meets Jacob Miller In A Tenement Yard“ (Motionrecords/?). Zu hören sind darauf die von Inner Circle gespielten Rhythms des berühmten Jacob Miller-Albums „Tenement Yard“. Allerdings mit recht eigenwilligen Synthie-Overdubs und dem gelegentlichen, glockengleichen Klang eines Xylophons. Während für erstere der Keyboarder der Band, Bernhard „Touter“ Harvey, verantwortlich zeichnet, wurde das Xylophon aller Wahrscheinlichkeit nach von Augustus Pablo gespielt. Ihre Entstehung verdanken die Dub-Tracks dem Wunsch der Fatman Riddim Section nach brauchbaren B-Seiten für die Hit-Tunes des Tenement-Albums. Obwohl die Tracks niemals für ein Album vorgesehen waren, wurden sie zu Tubby gebracht – der sie routiniert mixte – und anschließend, 1976, in winziger Auflage und zudem mit falschem Labelaufdruck als Longplayer veröffentlicht. Kein Wunder, dass kaum jemand von dem Album wusste und Motionrecords es nun als das „rarste Dub Album, das jemals in Jamaika aufgetaucht ist“ anpreist. Seine Qualitäten besitzt das Album fraglos durch die technische Meisterschaft der Inner Circle-Band und die Rhythms gehören zweifellos in den Reigen der besten Mid-70ties-Roots-Produktionen. Ob die Overdubs aber nun eine Bereicherung darstellen, ist fraglich. Skurrilität ist nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal – auch nicht im Dub.