Aah, Prince Fatty! Ich liebe seine Musik. Entdeckt habe ich Mike Pelanconi 2008, dank seines grandiosen Old School-Dub Albums „Survival Of The Fattest“. Das ist positiver, melodiöser, absoluter Wohlfühl-Dub aus dem UK. Weit, weit weg vom militanten Steppers oder meditativem Minimal. Einfach nur uplifting.
Nun, zwei Jahre später präsentiert Fatty sein neues Werk: „Supersize“ (Mr. Bongo) und es ist – kaum zu glauben – KEIN Dub-Album (zumindest weitgehend). Wieder hat Mr. Pelanconi superbe Old School-Produktionen kreiert, hat sie dann aber, statt sie nur durch den Dub-Wolf zu drehen, Koryphäen wie Winston Francis, Little Roy, Dennis Alcapone, Hollie Cook (Tochter des Sex-Pistols-Drummers Paul Cook) und Horseman gegeben, damit diese sich an ihnen gütlich tun. Natürlich konnten sie nicht anders, als zu dieser grandiosen Musik tolle Songs abzuliefern. Und so ist ein überaus schönes, klassisches Reggae-Album entstanden, auf dem man jeden Song mitsingen und jeden Groove in Tanzschritte umsetzen möchte. Natürlich fehlen auch Dubs nicht, wie etwa „Roof Over My Head“, eine Variation über den bekannten Song der Mighty Diamonds. Mein absoluter Favorit ist aber Little Roys Stück „Christopher Columbus“. Da geht mir schlicht das Herz auf und ich weiß wieder ganz genau, warum Reggae meine Musik ist.
Kategorie: Review
Im Norden Londons residiert der Fabric Nightclub, seit Jahren schon der vielleicht progressivste Club in der vielleicht musikalisch progressivsten Stadt des Planenten. Zu hören gibt es hier cutting-egdge music, stets an vorderster Front des musikalischen Underground, irgendwo im Spektrum zwischen House, Techno, Electro, Drum & Bass, Dubstep und Future Bass. Hier geben sich freitags die angesagtesten DJs den Tonabnehmer in die Hand und spielen Gigs, von denen wir in Deutschland nur träumen. Begleitend zu den Clubnächten, bringt Fabric die CD-Reihe „Fabriclive“ heraus, deren Veröffentlichungen je von einem der Gast-DJs kuratiert werden. Und jetzt ratet mal, wer Vol. 54 kompiliert hat? Niemand geringeres als uns aller David Rodigan! „I deliberately avoided the obvious tracks which have appeared repeatedly on reggae compilation albums over the years. fabric, the club, and fabric the record label, is at the cutting edge of music and so I wanted to uphold that legacy with my album“, kommentiert der Meister sein Werk und ich kann ihm nur beipflichten: Seine Selection ist großartig (auch wenn sie Reggae-Fans nichts Neues bietet). Rodigans Konzept ist einfach und bestechend: geschickt mischt er klassische Aufnahmen mit neuen Produktionen (die sich nicht selten, über Jahrzente hinweg aufeinander beziehen) und gibt dem Unwissenden so zumindest eine Ahnung der mittlerweile fünfzigjährigen Entwicklungsgeschichte von Reggae (bei deren Anblick die Dubstep-Jünger erblassen dürften). Ich war besonders überrascht, dass Rodigan hier sogar mehrere Dub-Stücke präsentiert – bei dem aufgeschlossenen Fabric-Publikum offenbar kein Problem. Eine weitere Überraschung wr Rodigans Vorliebe für One Drop-Reggae: unter den 20 Tracks finden sich nur zwei Dancehall-Produktionen – da kenn ich Rodigan Live aber anders. Hier gibt es mehr Informationen (und ein cooles Bild von Rodigan): http://www.fabriclondon.com/label/fabriclive/54/
Lustre Kings in Dub, Vol. 1
Ein Dub-Album aus Amerika! Wer es nicht weiß, erkennt es sofort am Sound: fette Beats sind Sache der Amerikaner nicht. Trocken und gut abgehangen müssen die Rhythms klingen, handgespielt und ein bisschen wie Rock ,n‘ Roll. Das Luste Kings-Produktionsteam aus Kalifornien mach da keine Ausnahme. Seit 1995 produzieren Andrew Bain und Corrin Haskel Reggae nach diesem Muster und lassen ihre Riddims mit Vorliebe von unbekannten jamaikanischen Artists voicen. In 15 Jahren ist natürlich eine schöne Rhythm-Sammlung entstanden, aus der nun 11 Tunes in den Genuss eines Dub-Treatments gekommen und auf das Album „Lustre Kings in Dub, Vol. 1“ (Lustre Kings/Import) gepackt wurden. Weitere 6 Tunes sind als reine Versions mit von der Partie – zusammen also 17 Tracks. Abgesehen vom eher trockenen Sound, ist es doch erstaunlich, welch große stilistische Bandbreite die Stücke abdecken. Da gibt es ultra-softe Lovers-Nummern, handgespielten Roots, digital Dancehall, und sogar halbwegs deepe Dubs nach europäischem Vorbild. Wüsste man es nicht besser, würde man hier eine Compilation unterschiedlicher Produzenten vermuten. Die Frage, ob diese Variationsbreite nun eine Stärke oder Schwäche ist, stellt sich allerdings nicht, denn für fast alle Stücke gilt, dass die Beats etwas kraft- und saftlos bleiben – egal, welchen Stil sie gerade bedienen. Abgesehen von wenigen Ausnahmen („Proverbs Dub“, „Takling Drum Version“), haben die Rhythms nicht genug Präsenz, um als Dub oder gar Version bestehen zu können. Sie bleiben schön im Hintergrund, fordern keine Aufmerksamkeit und alles ist nice & easy – perfekte Wohlfühlmusik als Hintergrundbeschallung fürs Büro. Ich weiß, dass die beiden Lustre Kings ihre Musik mit viel Herzblut produzieren, weshalb mir die Kritik nicht leicht fällt. Aber auch wenn‘s mit viel Liebe gemacht ist, ein gutes Album wird dadurch nicht garantiert. Vielleicht sollten die beiden Kalifornier ganz einfach bei Vocal-Tunes bleiben – darin sind sie viel besser.
Italian Dub Community
Die Fackel europäischen Dub und Roots wurde schon vor Jahren vom vereinigten Königreich an Frankreich weitergerecht. Inzwischen ist das Dub-Feuer auch schon in Italien angekommen und lodert dort wie ein mächtiger Waldbrand. Den Beweis gibt es als kostenloses Net-Release: „Italian Dub Community – Showcase Vol. 2„. Dabei handelt es sich um ein Gemeinschaftsprojekt diverser italienischer Roots-Bands und Dub-Producer, die hier unfassbare 45 Tracks aus ihrem Oevre zusammengeworfen haben. Die Qualität des Albums ist ausgesprochen gut – zweifellos der beste Net-Release auf den ich je gestoßen bin. Erstaunlich, auf welchem Niveau die Italiener Roots produzieren – meilenweit von dem glatten jamaikanischen Roots der Gegenwart entfernt, ganz in der Tradition von UK-Dub stehend und doch eine konsequente Weiterentwicklung. Im Showcase-Style folgen hier Dub-Versions auf die Songs und bieten durchgehend einen grandios fetten Steppers-Sound. Faszinierend, dass sich die Italienischen Dubber – unter dem Motto „Cooperation No Competition“ – so einig darüber sind, wohin sie mit ihrem Sound wollen. Wer nicht ganz genau hinhört, könnte meinen, hier das Album einer einzigen Band zu hören. Tatsächlich aber stammen die Bands und Producer aus allen Landesteilen des Stiefels und waren mir – abgesehen von den BR. Stylers und R.esistence – bisher unbekannt. Schön, dass das Dub-Universum immer noch Überraschungen bereit hält.
Wer nach den 45 Tracks noch mehr Stoff braucht, der kann noch den „Showcase Vol. 1“ von 2008 herunterladen.
Fat Freddy‘s Drop sind nach meinem Geschmack zur Zeit definitiv eine der interessantesten Reggae-Bands auf dem Globus, was schlicht und ergreifend an dem sehr eigenwilligen, kaum einzuordnenden Stil der Neuseeländer liegt. Sie durchkreuzen im untersten BPM-Drehzahlbereich eine rätselhafte Landschaft, wo der Boden aus Dub, die Berge aus Reggae, die Bäume aus Jazz und der Himmel aus Soul bestehen. Vielleicht ist es sogar eine Unterwasserlandschaft, durch die der dicke Freddy, mit bleibeschwerten Schuhen, im Zeitlupentempo stapft. Der Schall wird durch das Wasser gedämpft und verwandelt sich in dunkles Grollen, während gemächlich aufsteigende Luftblasen Stimmen und Töne freisetzen. Ja, das ist ein schönes Bild. Verfrachtet man es gedanklich in die einzigartige Welt Neuseelands, dann bekommt man eine Vorstellung davon, was Fat Freddy‘s Drop ausmacht. Und nun machen wir noch ein Gedankenexperiment, indem wir uns vorstellen, dass wir diesen trägen, lässigen, schweren Sound nicht in 4-5-Minuten-Häppchen genießen, sondern in einem Kontinuum von 10 Minuten aufwärts. Denn das ist die Qualität von „Live At Roundhouse“ (The Drop/Rough Trade), einem Konzertmitschnitt vom Dezember 2008, bei dem wir der siebenköpfigen Band dabei zuhören können, wie sie einen Song 15 Minuten und länger improvisierend variieren. Dass dies das eigentliche, authentische und einzig wahre Fat Freddy‘s Drop-Erlebnis ist, braucht wohl kaum erwähnt zu werden (vor allem, wenn man es hätte live miterleben dürfen). Das damals noch ungehörte Material diente ein Jahr später als Grundlage für das Album „Dr. Boondigga & The Big BW“. Wir hören also vor allem Stücke dieses Albums, das sich ja bekanntlich etwas vom Reggae-Fundament des Vorgängers entfernt hatte. Trotzdem: Ich bin begeistert.
Lee Perry: Sound System Scratch
Es gibt immer wieder Gründe, ein Album mit Material von Lee Perry zu veröffentlichen. Oft sind es fadenscheinige Vorwände, um altes Material erneut kommerziell auszuschlachten. Doch Pressure Sounds hat jetzt eine neue, überraschende Idee gehabt: Sie haben nämlich alte Dub-Plate Specials eingesammelt, die Perry in den 1970er Jahren für diverse Soundsystems geschnitten hatte, diese teils glattgehobelten Acetatscheiben aufwändig restauriert und zu dem faszinierenden Album „Sound System Scratch“ (Pressure Sounds/Groove Attack) zusammen gestellt. Dabei zeigt sich, dass Perrys Dub Plates keineswegs nur die Kopie eines bloßen Rhythm-Tracks waren, sondern dass der kreative Derwisch, der er war, für jeden Auftrag einen exklusiven Remix anfertigte. Man kann sich leicht vorstellen, dass bei einem so ephemeren Produkt wie einem Dub Plate, also einem Produkt für eine begrenzte Hörerschaft und mit kurzer Halbwertszeit, Perrys Experimentierlust in Wallungen geriet. Hier galt es nicht, einen kommerziellen Erfolg zu erzielen, also Ecken abzuschleifen und Kanten wegzubügeln. Im Gegenteil, hier war alles möglich; ein weites Experimentierfeld, dessen Grenzen kein Hindernis für Lee Perry darstellten. Und so nutzte er die Studiotechnik nicht nur äußerst kreativ, sondern auch weit über ihre Möglichkeiten hinaus – was nicht selten auf Kosten der Soundqualität ging. Doch erst das endlose Um- und Ineinanderkopieren diverser Tonspuren und Samples brachte den typischen, vielschichtig komplexen Black Ark-Sound hervor. Diesem Sound huldigen die hier vorliegenden Dub Plates. Sie nehmen uns mit auf eine faszinierende Exkursion durch die multiplen Dimensionen des Klangraumes der Schwarzen Arche, mit ihrem typischen, hüpfenden Bass, dem Non-Stop-Phasing und natürlich den scheppernden Becken-Klängen. Vor dem inneren Auge entsteht ein Bild des Black Ark Studios, das für Perry eine Wohnung war, vollgestopft mit Instrumenten, Studio Equipment, Voodoo-Utensilien und Kram jeder Art. Die Wände flächendeckend mit Bildern und Drucken gepflastert. Hitze, Ganja-Qualm und das Aroma von jamaikanischem Rum, der Perrys Blutbahn durchströmte. Die Musik, die in dieser Atmosphäre entstand, war nicht von dieser Welt. Vielleicht war sie ein direkter Ausfluss von Perrys damaligem Genius, entstanden ohne die kontrollierende Einflussnahme des Bewusstseins: eine direkte Materialisierung von Perrys unergründlich wirrem Geist. Mystisch, obskur und geheimnisvoll, und genau deshalb so ungemein faszinierend. Eine Musik, die ihren Wert bis heute erhalten hat und der ich bei jedem Hören von neuem verfalle. Nach manch akademisch anmutendem Release ist Pressure Sounds mit „Sound System Scratch“ wieder einmal eine richtig fundamentale Kompilation gelungen. Ein Album, das in wunderbarer Weise die Schönheit und die unglaubliche Innovationskraft des Reggae der 1970er Jahre ins Bewusstsein ruft und das nicht in die Sammlung gehört, sondern in die Ohren!
Dubblestandart: Marijuana Dreams
Freude: wieder ein neues Album von Dubblestandart: „Marijuana Dreams“ (Collision/Groove Attack). Das nunmehr zwölfte und das mit kaum einem Jahr Abstand zum letzten, zu Recht hochgelobten „Return From Planet Dub“. Die Wiener Jungs haben haben wirklich Hummeln im Hintern. Die wollen nur spielen! Und das hört man ihrer Musik auch an. Denn vom Gros der programmierten, synthetischen Dub-Musik unserer Tage, setzt sich die vierköpfige Kombo mit ihrem virtuosen, handgespielten Sound wohltuend ab. Ein Sound übrigens, der mich nicht selten an Adrian Sherwoods Style der 1990er Jahre erinnert. Es ist ein drängender, schneller, in gewisser Weise sogar aggressiver Sound, der seine Nähe zum Industrial nicht verleugnen kann. Kraftvolle Beats, gespickt mit Vocal-Fetzen von so illustren Gästen wie Lee Perry oder David Lynch – womit „Marijuana Dreams“ nahtlos an das Vorgängeralbum anknüpft, denn einige der Tracks, wie z. B. der Jean Michel Jarre-Remix oder Perrys „I Do Voodoo“ und „Chase The Devil“, stammen vom Planet Dub und werden hier in remixter Form erneut auf die versammelte Hörerschaft abgefeuert. Zieht man noch die vier Bonus-Dub-Versions ab, dann entpuppt sich die Sammlung neuen Materials mit sieben Stücken als einigermaßen übersichtlich – was aber nicht als negative Kritik verstanden werden darf, denn bei Dub ist der Remix ja bekanntlich eine Tugend. Womit wir bei der zweiten Qualität der Wiener wären, nämlich ihren Dub-Mixing-Skills. Das machen sie wirklich gut. Ihre Dubs haben eine gute Dramaturgie, sind abwechslungsreich instrumentiert, durchaus üppig arrangiert und mit vielen FX und Samples gespickt. Minimalismus ist das nicht gerade – aber die Tracks erst eigenhändig einzuspielen, nur um sie dann auf Drum & Bass zu strippen, würde mir auch keinen Spaß machen. Spaß machen mir jedoch die wenigen, aber herausstechenden Vocal-Tunes. Während Dubblestandart es hervorragend verstanden haben, das Non-Stop-Geblabber von Mr. Scratch auf kleine Vocal-Schnipsel zu beschneiden, kommen in ihren Marijuana-Träumen auch zwei „richtige“ Sänger bzw. Deejays vor: Anthony B und Elephant Man. Ich muss zugeben, dass ich mir Elephant Man nicht wirklich auf dem Dubblestandart-Sound hatte vorstellen können – muss aber zugeben, dass Ele ein richtig guter Dienstleister ist und den Wienern ein perfekt passenden Song auf die Dub-Beats gezimmert hat. Anthony B ist sogar noch eine Spur besser. Dann wäre da noch David Lynch, der allerdings eher als Marketing-Gag, denn als echter Vokalist mit von der Partie ist. Cool ist allerdings der Dubstep-Remix seines „Songs“, fabriziert vom New Yorker Subatomic Sound System, der das Album beschließt. Fassen wir also abschließend merkfähig zusammen: Album = gut!
Best Of Deep Root
Neil Perch ist einer der wenigen, unermüdlichen Sound System-Betreiber und Produzenten, die sich Anfang der 1990er Jahre dem Dub-Sound (instrumental oder mit Gesang) verschrieben haben und heute noch aktiv sind. Unter dem Motto „Dubwise – No Compromise“ hat er den Aufstieg des UK-Dub und dessen Niedergang erlebt, hat mit Zion Train an der Spitze der Bewegung gestanden, einen Major-Deal in der Tasche und die Geschicke des Dub in der Hand gehabt. Ein wahrer Veteran und Dub-Aktivist. Seit 1998 veröffentlicht er auf seinem Label „Deep Roots“ zumeist eigene Produktionen, ausschließlich Vinyl im 7“- und 10“-Format. Nun ist Premiere, denn mit „Best Of Deep Root“ (Universal Egg/Cargo) erscheint das erste Album und die erste CD. Der Titel sagt es ja schon: versammelt sind hier die Highlights des Labels, 8 Stück an der Zahl, stets als Vocal-Version gefolgt vom Dub (also 16 Stücke insgesamt). Mich verbindet mit dem Sound von Neil Perch eine echte Hassliebe. Eigentlich will ich 20 Jahre nach dessen Erfindung keinen UK-Stepper mehr hören. Die Synthie-Sounds haben sich verbraucht, der militante Beat hat sich die Füße wund marschiert. Aber! Wenn die Dubs losstürmen, wenn der Bass explodiert und mir die Bassdrum in den Magen schlägt, wenn die intensive Energie des Rhythmus mir Schockwellen durch den Körper jagt und mein Hirn in die Windungen der Echokammer saugt, dann, ja dann bin ich wieder ein großer Fan dieses stolzen, altehrwürdigen Sounds von Mr. Perch!
Lee Perry: Sipple Out Deh
Jeder wahre Reggae-Fan hat in seiner Plattensammlung eine kleine (oder auch große) Extra-Abteilung, die dem Werk Lee Perrys gewidmet ist. Dort befinden sich die schnell hüpfenden Upsetter-Aufnahmen aus den ganz frühen 1970er Jahren. Aber die abgegriffenen Platten stammen alle aus der Zeit zwischen 1974 und 1978, also aus jener Zeit, in der Lee Perry in seinem Black Ark-Studio hauste und dort die verrücktesten und zugleich mystischsten Sounds kreierte, die bis dahin im Reggae zu hören waren. Dabei hat der Meister auch viel Mist produziert, der bis heute immer wieder als „obskure, unveröffentlichte Kult-Aufnahmen“ vermarktet wird. Aber er hat auch (und vor allem) fantastische Meisterwerke geschaffen, die er zum Teil an Island-Rekords und zum anderen Teil an Trojan lizensierte. Letztere sind nun auf der Doppel-CD Lee „Scratch“ Perry & Friends „Sipple Out Deh – The Black Ark Years“ (Trojan/Sanctuary) erschienen – insgesamt 44 Stücke, schön chronologisch geordnet. Natürlich kennt man sie alle und hat sie, verteilt auf verschiedene Tonträger, auch schon in der Sammlung. Aber trotzdem ist es ein erhebendes Erlebnis, sie so konzentriert wieder zu hören und dabei dem Meister durch die Jahres seines Schaffens zu folgen, die Veränderung seines Stils wahrzunehmen und die Verdichtung seines Sounds, bis hin zu einem undurchdringlichen Klangdschungel, beizuwohnen. Faszinierend ist vor allem, dass Perrys Aufnahmen auch fast 40 Jahre nach ihrer Entstehung die Hörer immer noch in ihren Bann zu ziehen vermögen. Was ist es, das diese Musik zu zeitlos sein lässt? Vielleicht ist es die Tatsache, dass Perry wenig am kommerziellen Erfolg interessiert war und daher unabhängig von Marktgesetzen einfach echte Kunst kreiert hat. Vielleicht ist es aber – um etwas rationaler zu argumentieren – schlicht Perrys Konzentration auf den Sound gewesen, der seine Musik heute zu zeitgemäß erscheinen lässt. Während seine Konkurrenten richtige Hit-Songs produzierten, vergrub sich Perry immer tiefer in die Sound-Welt seines Black Ark-Studios und schuf dort ein unglaublich komplexes Klanggebilde, das seiner Zeit so weit voraus war, dass es jetzt, 2010, perfekt auf unsere heutigen, „soundorientierten“ Hörgewohnheiten passt. Aber wie dem auch sei, das Durchhören der Doppel-CD ist nicht nur schlicht und ergreifend schön, sondern es befeuert auch die Hochachtung und Wertschätzung von Perrys Genie. Leider ist es viel zu früh verglüht.
Dub Foundation
Nachdem nun Greensleeves mit der „Evolution of Dub“-Serie die Geschichte des Dub nacherzählt hat, wollte wohl auch Trojan die durch die Popularität von Dubstep herbeigeführte Gunst der Stunde nutzen, dies ebenfalls zu tun – allerdings in einem etwas reduzierteren Rahmen. Statt, wie Greensleeves gleich mehrere 4-CD-Boxen zu veröffentlichen, beschränkt sich Trojan auf eine Doppel-CD – allerdings mit immerhin 40 Tracks: Foundation Dub (Trojan/Sanctuary). Und da sich Trojan nicht lumpen lässt, haben sie hier eine Sammlung der besten und wichtigsten Dubs ihres Archivs zusammengestellt, beginnend in den frühen 1970er und enden Anfang der 1980er Jahre. Alle wichtigen Dub-Produzenten und Mixer der Ära des klassischen Dubs sind dabei: Augustus Pablo, King Tubby, Niney, Prince Jammy, Scientist, Linval Thompson, Bunny Lee und natürlich (und vor allem): Lee Perry. In chronologischer Folge kann man sich hier durch die Geschichte des Dub hören, verfolgen, wie sich der Sound verändert hat und wie die Mixe erst immer komplexer und schließlich wieder ganz einfach wurden, kann tief eindringen in die Dub-Mystik des Black Ark-Studios, Jammys Virtuosität lauschen und natürlich Tubbys Routine bewundern. Es ist eine Zeitreise von der Instrumentalversion zum puren Sound, von der B-Seite in die Abstraktion, von der Zweitverwertung zur eigenständigen Kunst. Eine Reise anhand absolut essenzieller Dubs, eine Reise übrigens, die gar nicht akademisch daherkommt, sondern genau das bietet, wofür Dub erfunden wurde: Spaß.